© Max Zerrahn
mit Thomas Köck
von Leo Blumenschein
schauinsblau: Herr Köck, sind sie Punk?
Thomas Köck: Die Frage lässt sich nur falsch beantworten. Von daher: Für immer nie gewesen never ever yes fuck off!
schauinsblau: Plakativ gefragt: Kann Pop ein Ausweg für die Krisen der Gegenwart sein?
Thomas Köck: Grundsätzlich ist ja die Institution Politik für Wege & Auswege zuständig, aber Pop war eigentlich für mich immer eine imagined community, wie sie Olga Grjasnowa in unserem gemeinsamen Workshop in Augsburg vorgeschlagen hat. Und eine Community ist zwar kein Ausweg, aber Communities können Heterotopien sein. Also zumindest Vorschläge für Auswege. Ich tue mich immer so schwer mit Auswegen, weil das so ein lineares Verständnis von Problemlösung nahelegt. Ich glaube allerdings, die Krisen der Gegenwart sind mit den Mitteln der Gegenwart lösbar, die Frage ist meistens, wer dafür Privilegien opfern müsste und für wen eigentlich was eine Krise bedeutet — bzw. wer schon lange in dem lebt, was andere als Apokalypse bezeichnen würden. Würden wir z.B. den Höchststeuersatz für Spitzenverdienende wieder auf 90 % hochschrauben, müsste man zur Finanzierung von akuten notwendigen (sozialen, ökologischen usw.) Maßnahmen nicht ständig bei Bildung & Kultur zuerst streichen. Außerdem würde das überschüssige Kapital dieser Klasse der Spitzenverdienenden nicht über Investments & Spekulation die Immobilienpreise in den Himmel treiben. Aber dafür müsste man eben Privilegien abtreten. Natürlich ist das alles ein sehr komplexes System. Was hat das alles mit Pop zu tun? I don’t know. Dance the EZB, wie es bei Ja, Panik heißt!
schauinsblau: Was kann Musik, was Literatur nicht kann?
Thomas Köck: Den glasklaren Vorrang von Rhythmus & Sound vor Sinn. Natürlich ist Sinnlichkeit ein wesentliches Kriterium der Literatur, aber sie kommt immer noch oft im repräsentativen Beikleid von „wichtiger Inhalt“ und vor allen Dingen vom „richtigem Sinn“ daher. Als gäbe es den. Es gibt Sound. Soviel ist sicher. Und dann gibt es auch Geschichten, aber die wurden vor Erfindung der Schrift oft gesungen und um sie zu speichern, wurde Musik verwendet, so hatten z.B. im elisabethanischen Zeitalter in England alle Gedichte eine ganz eigene Melodie und einen ganz eigenen Gesang, durch den sie oral über die Städte und Dörfer hinweg weiterverbreitet wurden. Dieser Gedanke der Performance von Literatur scheint mir mit der Erfindung des Produkts „Literatur“ im Sinne der Rotationspressen etwas abhandengekommen zu sein. Stattdessen wurde das Lesen bzw. Bücher auch zu einem klassistischen Distinktionsmerkmal, was ich persönlich schade finde. Gleichzeitig ist der Rhythmus nicht davor geschützt, missbräuchlich zur Beherrschung der Masse gebraucht zu werden. Vielleicht können sich ja beide Bereiche weiterhin infizieren.
schauinsblau: In Regieanweisungen zu Ihren Stücken finden sich teilweise sehr lange Musiklisten. Beleuchten Sie dadurch jene Bereiche, in die die Sprache nicht vordringen kann?
Thomas Köck: Unbedingt. Es gibt diese Welt beim Schreiben, wo man mit der Musik alleine ist. Das ist für den Moment immer wunderbar und nicht übersetzbar, übertragbar und erhaltbar. Es meint aber auch, dass diese jeweiligen Lieder wirklich für die Zeit des Arbeitens meine Räume werden, in denen diese jeweiligen Texte dann entstehen. Und wenn ich diese Musik wiederhöre, bin ich wieder in diesen Räumen. Das kann gute Musik nämlich: heterotopische, zeitlich begrenzte, autonome Räume für die Hörenden erschaffen. Genauso natürlich wie ein guter Text, in dem die Ordnung der Welt durch Sprache deutlich wird.
schauinsblau: Zu guter Letzt: welches Album hören Sie gerade besonders oft?
Thomas Köck: Spirit Exit von Caterina Barbieri — und ich werde nicht müde Anton Rafael Irisarri zu empfehlen!
Thomas Köck wurde 1986 in Steyr Oberösterreich geboren und wurde laut der Ankündigung auf den Seiten des Suhrkamp-Verlags „durch Musik sozialisiert“. Seine Texte thematisieren Lücken und Verbindungen zwischen Pop und Politik, zwischen Gegenwart und Zukunft. Für sein dramatisches Werk wurde Köck mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt, 2022, inszenierte er das Theaterstück vendetta, vendetta. Sein Stück eure paläste sind leer, das an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde, erscheint außerdem als Buch im Oktober im Suhrkamp Verlag. Aktuell lebt er auf Einladung der Kulturakademie Tarabya in Istanbul.