Zeichnung von Anna Mendelssohn
Vorbemerkung: Anna Mendelssohns eigenes Leben
Anna Mendelssohn, 1949 in Stockport in Nordengland in eine jüdische, links-aktivistische Familie geboren, 2009 in Cambridge gestorben. Publizierte zwischen 1982 und 2009 fünfzehn Gedichtbände, viele davon im Selbstverlag bzw. bei Chapbook-Verlagen. Das hier übersetzte Gedicht 1:3ngerschien erstmals im A4-Magazin Gare du Nord. A Magazine of Poetry and Prose from Paris 1:1 (1997), herausgegeben von den Lyriker*innen Alice Notley und Douglas Oliver.
Einige ihrer Gedichte veröffentlichte Anna Mendelssohn unter Pseudonymen, darunter ‚Grace Lake‘. Leben und Schreiben sind markiert von der Tatsache, dass sie 1972 im Rahmen des Stoke-Newington-Eight-Prozesses gegen Mitglieder der linken Guerillagruppe Angry Brigade zu einer Gefängnisstrafe von 10 Jahren verurteilt wurde. Mendelssohn plädierte auf nicht schuldig. Vorzeitige Entlassung 1976. Anglistikstudium in Cambridge ohne Abschluss, Hassliebe auf die Universität. Dauerhafter Entzug ihrer Kinder in die Pflege. Prekarität; Tod 2009 an einem Hirntumor.
Mendelssohns Schreiben ist – gerade im Streben nach einer spät-modernistischen Autonomie – als obsessive Verteidigung gegen vorgefertigte Zuschreibungen sowie den Zugriff staatlicher Stellen zu verstehen. Auch ihr Feminismus ist idiosynkratisch: Mendelssohn entwickelt eine teils abtreibungskritische Haltung, eignet sich dezidiert den auf Englisch altmodischen Begriff poetess für Dichterin an. Schreiben als Selbstbehauptung: „I am an artist not a terrorist. Love, Grace.
Mendelssohns Gedichte entstehen im erweiterten Kontext des British Poetry Revivals, insbesondere der Cambridge Poetry. Nach geringem Interesse zu Lebzeiten wird ihr Nachlass an der University of Sussex archiviert, 2020 erscheinen bei Shearsman die gesammelten Werke unter dem Titel I’m Working Here. The Collected Poems of Anna Mendelssohn, herausgegeben von Sara Crangle (University of Sussex). Unsere Übersetzung folgt der darin abgedruckten Textfassung (S. 387–91). Unser Dank gilt der Anna-Mendelssohn-Estate für die freundliche Genehmigung.
- Die Übersetzer*innen
Quellen und weiterführende Literatur:
Crangle, Sara: Introduction. In: I’m Working Here. The Collected Poems of Anna Mendelssohn. Swindon: Shearsman 2020, S. 21–109.
Grundy, David: I Worship at the Shrine of Poetry. Anna Mendelssohn, once imprisoned as an alleged terrorist, challenges easy truisms about the relation between politics and poetry. https://www.poetryfoundation.org/articles/157655/i‑worship-at-the-shrine-of-poetry.
Luna, Joe: Poetry’s Law. In: Journal of British and Irish Innovative Poetry 11:1 (2019), S. 1–31. DOI: https://doi.org/10.16995/bip.746.
Lisa Jeschke (geb. 1985) lebt in München und ist Dichter*in, Performer*in und Übersetzer*in. Ihr Gedichtband Die Anthologie der Gedichte betrunkener Frauen erschien 2019 bei hochroth München. 2020 wurde sie mit dem Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur ausgezeichnet.
Lotta Thießen lebt als Lyrikerin und Übersetzerin in Berlin. Zwischen 2015 und 2022 hat sie als Mitglied der artiCHOKE e.V. die gleichnamige Lese- und Publikationsreihe zeitgenössischer Lyrik organisiert. 2019 absolvierte sie ihren MA mit einer Arbeit zur britischen Lyrikerin Anna Mendelssohn und der Beziehung zwischen rechtlicher Subjektivierung und lyrischem Ich. Ihr erstes Chapbook „In This“ wurde 2016 gedruckt. 2019 erschien „Fragments of Baby“ bei Materialien (München).