mit Gianna Formicone
von Clara Eisenreich
In ihrem Projekt zu den Abtreibungsgesetzen und den Paragrafen 218 und 219 beschäftigte sich Gianna Formicone vor allem mit den Schwierigkeiten von Frauen, die mit einer ungeplanten Schwangerschaft konfrontiert werden. Das Projekt entstand im Auftrag der aaf, kurz für Arbeitsgemeinschaft Augsburger Frauen, zusammen mit der Gleichstellungsstelle der Stadt Augsburg und in Zusammenarbeit mit performic bluespots productions und der Vernetzungsplattform „Plan A“ des Staatstheaters Augsburg. Die Musik dazu machte Sebastian Birkl, auf der Bühne spielten Jenny Langner und Natalie Hünig.
schauinsblau: Wie bist du auf die Idee und Umsetzung deines Projekts gekommen?
Gianna Formicone: Ich wurde von der aaf und der Gleichstellungsstelle der Stadt Augsburg damit beauftragt. Ich hatte bereits zusammen mit bluespots einen Kurzfilm für das Brechtfestival gedreht, in dem wir unter anderem die Ballade vom Paragraphen 218 verarbeitet haben. Daraufhin wurde ich für die Veranstaltung zum 150-jährigen Jubiläum des Paragrafen 218 angefragt.
schauinsblau: In der mittleren Szene macht eine der beiden Figuren einen Schwangerschaftstest und findet dadurch heraus, dass sie schwanger ist. Sie rekapituliert dabei ein Gespräch über Verhütungsmethoden und überlegt sich, wie das Gespräch auch anders hätte verlaufen können. Warum war es dir wichtig, diesen Aspekt mit aufzunehmen?
Gianna Formicone: Tatsächlich kommt oft die Frage, ob man sich im Vorfeld genügend Gedanken über die Verhütung gemacht hätte. Damit einher gehen auch oft Vorwürfe. Ich habe selbst im Rahmen der Vorbereitungen mit vielen Frauen gesprochen, die mir ähnliches geschildert haben. Ich denke, dieses Gefühl kennen viele Frauen. Denn in erster Linie sind es die Frauen, die mit dieser Aufgabe konfrontiert werden.
schauinsblau: Würdest du sagen, dass Verhütung immer noch in der Hand der Frauen liegt? Hast du auch das versucht umzusetzen?
Gianna Formicone: Ich möchte jetzt nicht sagen, dass es nur an der Frau liegt. Ganz oft sind Paare da auf derselben Linie, aber es kann auch anders sein: Wenn der Mann sich keine Gedanken macht, dann muss das die Frau machen.
schauinsblau: Siehst du Verhütung als ebenso tabuisiertes Thema an wie Schwangerschaftsabbrüche selbst?
Gianna Formicone: Nein, nicht wirklich. Insbesondere in Deutschland kann man darüber offen sprechen. In anderen Ländern ist das anders. Ich komme aus Italien und habe selbst erlebt, dass das auch anders sein kann. Klar, jetzt im Laufe der Zeit tut sich etwas. Hier in Deutschland kann man meiner Meinung nach aber offen darüber sprechen und sich auch das besorgen, was man als Verhütungsmittel verwenden möchte.
schauinsblau: Als der Schwangerschaftstest der Figur ein positives Ergebnis anzeigt, ist ihre erste Reaktion, im Internet nach Möglichkeiten der Abtreibung zu suchen. Welche Steine werden Schwangeren dabei in den Weg gelegt und wie hast du dies in der Szene versucht, umzusetzen?
Gianna Formicone: Als ich Frauen interviewt habe, kam auch die Situation einer möglichen Schwangerschaft auf: „Ich könnte schwanger sein. Was mache ich jetzt?“, hat eine Frau mir geschildert. Man vergisst, denke ich, oft, in welcher emotionalen Schwierigkeit sich eine schwangere Person in diesem Moment befindet: Das ist ein Wasserfall an Emotionen. Währenddessen sucht man meist im Internet nach Informationen und kann diese dann auch schwer aus einer emotionalen Distanz heraus beurteilen.
Diese Zerrissenheit, die Flut an unterschiedlichen Informationen und den Mangel an Distanz wollte ich auf der Bühne darstellen. Dementsprechend gestaltete sich auch die Umsetzung: Wir waren im Augustana Saal in Augsburg, eine meiner Schauspielerinnen befand sich im oberen Teil der Bühne, die andere im unteren. Es sind dann Papierfetzen, symbolisch für Informationen, von oben nach unten geworfen worden. Denn sobald man das Wort in Google eingibt, kommen so viele Informationen, durch die man normalerweise scrollt. Diese liest man erstmal, auch wenn man in dem Moment noch keinen klaren Kopf hat oder sogar Angst hat. Dabei kann man oft noch keine Entscheidung fällen sondern sammelt zunächst Informationen.
schauinsblau: Für dein Projekt hast du unter anderem die Ballade vom Paragraphen 218 von Bertolt Brecht aus dem Jahr 1929 verarbeitet. Wie findest du, hat sich die Möglichkeit zur Mitsprache von Gebärfähigen zu Schwangerschaftsabbrüchen seitdem verändert?
Gianna Formicone: Es hat sich vieles getan. Vor allem auch, weil Frauen heutzutage ein anderes Selbstbewusstsein haben. Ich glaube auch der Respekt, den Gynäkolog*innen gegenüber Patient*innen aufbringen, ist gestiegen. Dadurch entsteht ein zunehmend ausgeglichener Austausch. Das kann man aber, glaube ich, auch nicht pauschalisieren. Es gibt nach wie vor Frauen, die mit Schwangerschaftsabbrüchen ein großes Problem haben. Auch Manipulation spielt in den sog. Beratungsgesprächen immer noch eine Rolle. Damit möchte ich nicht sagen, dass Frauenärzt*innen versuchen, die Frauen zu beeinflussen, aber auch das gibt es eben immer noch. Dennoch glaube ich, dass heutzutage ein anderes Selbstbewusstsein da ist: man spricht mehr darüber. Ich hoffe, dass so eine Situation wie in der Ballade von Bertolt Brecht einfach nicht mehr vorkommt.
schauinsblau: Deine Figur wird in der letzten Szene mit starken Vorwürfen konfrontiert: „Hättest du die Beine nicht breit machen dürfen; Hättest du besser aufgepasst; das ist Mord; Dein Körper ist dafür gemacht; Wenn das Kind erstmal da ist, wirst du es schon lieb haben“ heißt es dort. Denkst du, dass solche Vorwürfe dazu beitragen, dass wenig über Schwangerschaftsabbrüche gesprochen wird?
Gianna Formicone: Bestimmt. Das ist sicherlich nicht der einzige Grund, aber bestimmt einer davon. Mit solchen Sätzen sieht man sich immer wieder konfrontiert. Solche Vorwürfe hat man vielleicht oft in der Vergangenheit oder über andere Frauen gehört. Wenn man sich dann selbst in der Situation befindet, macht man sich diese Vorwürfe immer noch oder hört diese Sätze. Das ist sicherlich ein Grund, weshalb hier so viel geschwiegen wird.
Aber das Nicht-Darüber-Sprechen hat noch tiefere Gründe: Klar, es stellt in dieser Gesellschaft ein Tabu dar, aber man darf nicht vergessen, dass es auch eine intime Situation ist, die vielleicht nicht jeder unbedingt teilen möchte. Das will man einfach für sich — oder vielleicht auch hinter sich haben. Diese Entscheidung hat Auswirkungen auf die Zukunft und hinterlässt Spuren. Darüber möchte man nicht unbedingt sprechen.
schauinsblau: Für die Vorbereitungen wurden Frauen aus verschiedenen Ländern nach ihren Erfahrungen und ihrer Meinung zu den vor Ort geltenden Regeln in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche befragt. Die Antworten fallen dabei sehr unterschiedlich aus. Wie hast du die unterschiedlichen Perspektiven und damit verbundenen Lebenswirklichkeiten empfunden?
Gianna Formicone: Einerseits sehr erschreckend: Die Einsendungen kamen aus fast 15 Ländern der Welt und daran war zu merken, wo Bedarf für Veränderung ist. Wenn ich als Antwort bekomme, dass eine Frau nur dann eine Schwangerschaft abbrechen kann, wenn sie vergewaltigt worden ist oder ihr Leben in Gefahr ist, nehme ich das als erschreckend war. Es gibt nur wenige Länder, in denen die Gesetzeslage, wie es mir die Befragten geschildert haben, liberal ist. Eins davon ist Kanada. Der Abbruch ist kostenlos, egal in welchem Teil des Landes man sich befindet. Es ist für alle kostenlos und nach Gesetz über die ganze Zeit der Schwangerschaft möglich, diese abzubrechen. Es sei aber wohl ab dem sechsten Monat schwierig, einen Arzt/eine Ärztin zu finden, der*die das macht, da die Gesundheit der Frau gefährdet ist.
Meine Reaktionen auf die Einsendungen waren sehr unterschiedlich: Ich habe bei vielen Antworten Gänsehaut bekommen. Auch aus den Stimmen der Frauen war rauszuhören, wie schwer es ihnen fällt, darüber zu sprechen — und dies auch mit Personen aus anderen Ländern zu teilen. Sie haben gewusst, dass ich aus Deutschland bin und die Situation hier anders ist. Das trifft mich schon hart.
schauinsblau: Du hast Kanada jetzt eher als positives Beispiel hervorgehoben, welches Land hat dich denn am meisten erschrocken oder wo warst du am meisten überrascht, dass die Regelungen so sind?
Gianna Formicone: Das waren Länder aus Südamerika, Bolivien fällt mir als Beispiel ein. Dann waren auch die USA dabei, ich glaube es war Texas. Die dortige Situation wurde in den letzten Monaten heiß diskutiert. Auch Indonesien und Polen haben mich überrascht. Das waren die Beispiele, die mir am negativsten aufgefallen sind.
schauinsblau: Danke, dass du mit uns über dieses Projekt gesprochen hast. Woran arbeitest du gerade?
Gianna Formicone: Gerade beschäftige ich mich mit drei Projekten. Eins ist im Rahmen des Brechtfestivals. Da arbeite ich mit bluespots an einem Live Audiowalk zum Buch Flüchtlingsgespräche von Brecht. Mitte April habe ich eine Premiere im Sensemble Theater, Genannt Gospodin von Philip Löhle, und dann mache ich ein Projekt zum Thema ‚Grenzensuche‘. Das ist allein von performic, das heißt, hier bin ich ganz auf mich gestellt. Als Grundlage des Projekts dient Die Gemeinschaft von Kafka sowie Gedichte von Paul Celan. Dieses Projekt werde ich wieder international gestalten. Das Ganze vereint auch verschiedene Sparten: Musik, Tanz, Gesang und Schauspiel kommen dort zusammen. Da steht mir ein langer Weg bis November bevor. Es ist noch ganz viel Arbeit, aber ich freue mich sehr darauf.