Eine Musikempfehlung von Nora Weinelt
Als ich kurz vor Semesterbeginn gefragt wurde, ob ich einen Text schreiben wolle über etwas, das mir durch die Pandemie geholfen hat, kam mir das Thema beinahe anachronistisch vor. Wer will davon überhaupt noch hören, jetzt, wo das Leben langsam wieder in seine gewohnten Bahnen zurückkehrt – etwas antiklimaktisch zwar und ohne den großen Befreiungsschlag, den man sich lange Zeit naiv erhofft hatte, aber doch deutlich spürbar? Die Vergangenheitsform schien mir durchaus angebracht: Etwas, das mir geholfen hat, denn das Schlimmste war überstanden, zumindest wollte ich das gerne glauben. Ich musste sofort an Thirst denken, ein 2019 erschienenes Album des französischen Musikers SebastiAn, der sich vor allem als Produzent und frühes Aushängeschild des Elektro-Labels Ed Banger einen Namen gemacht hat. Im Spätsommer, als Normalität so greifbar schien, habe ich es viel gehört. Es verkörperte für mich, schon qua Titel, den Durst dieser Übergangszeit, die dann doch keine war, die Stimmung von Nächten im Freien und die Hoffnung auf mehr.
In den letzten Wochen, in denen die Inzidenzen rasant stiegen und die Intensivstationen sich füllten, wurde die Frage nach Strategien für den Lockdown wieder aktuell, und aus der Zeit gefallen schien mir nun vielmehr meine Idee, einen Text über Thirst schreiben zu wollen. Beim Wiederhören kam mir das Album dann allerdings passender vor denn je. Es ist nur begrenzt tanzbar, sperrig, komplex, treibend, aber oft retardierend, teilweise poppig-balladesk, untermalt mit Streichinstrumenten, dann wieder hart, peitschend, industrial, und dabei immer melancholisch. Wenn Thirst für mich vor ein paar Wochen noch den Aufbruch verkörpert hat, dann vielleicht auch, weil es gerade der Bruch ist, der SebastiAns Album zusammenhält. Viele der Tracks sind Features, das Art-Pop-Duo Sparks etwa war an Handcuffed to a Parking Meter beteiligt, einem Song, der nostalgischen Indiedisco-Charme versprüht, auch der Rapper Allan Kingdom oder der Soulsänger Mayer Hawthorne sind auf Thirst vertreten. Lose zusammengehalten durch SebastiAns eigene Handschrift als Produzent, bilden diese so unterschiedlichen Genres eine fragile Balance, die immer wieder aus dem Gleichgewicht zu geraten droht. Seine Musik ist nicht leicht, sie fordert und frustriert.
Durst kommt von Mangel, und womöglich macht genau das für mich Thirst zum Album dieser Tage: Es setzt immer wieder von Neuem an, ohne anzukommen, es nährt Hoffnung und enttäuscht sie. „We’re all just dreaming / Just barely drifting towards the shore / Nobody is listening / But I wonder who sent these tears we’re floating on?”, singt der R&B‑Künstler Gallant in Run for me, einem der Höhepunkte der Platte. Noch einmal Zurückblicken, bevor es weitergeht, fordert das Outro dann: „Just take one last good look at the dark“, heißt es dort – in minutenlanger, nervenzehrender Wiederholung, zum Abschluss eines Songs, der längst vorbei zu sein scheint, aber trotzdem nicht enden will.