Von Nina Gretschmann
Die Pandemie hat unseren Alltag im Corona-Jahr 2021 immer noch sehr stark bestimmt. Zusätzliche Maßnahmen wie das Impfen kamen im Kampf gegen Corona zum Einsatz, neue Begriffe wie Boostern haben es in den deutschen Wortschatz geschafft – doch genug davon! 2021 hatte auch noch anderes zu bieten!
Nina, 28, studiert Neuere Literaturen im Master und findet, es ist die Kunst, die die Welt im Innersten zusammenhält!
Sweet Home
Mein Serien-Favorit stammt aus Südkorea – es geht jedoch ausnahmsweise nicht um Squid Game! Die Serie Sweet Home, welche im Dezember 2020 auf Netflix veröffentlicht wurde, handelt von einem neuartigen, bisher unbekannten Virus. Menschen, die sich infizieren, leiden an Symptomen wie Nasenbluten, Ohnmachtsanfällen und beginnen Stimmen zu hören, bevor sie sich in individuelle „Monster“ verwandeln. In einem mehrstöckigen Apartmenthaus in Seoul werden die Mieter gezwungen, gemeinsam ums Überleben zu kämpfen. Die Angst sich zu infizieren ist groß, noch größer ist jedoch die Angst vor den Infizierten, welche sich jeden Augenblick verwandeln könnten. Die Begriffe Lockdown und Quarantäne spielen eine wichtige Rolle, ebenso die Frage, was in einer Pandemie-Situation wichtiger ist – das Wohl des Individuums oder das der Gemeinschaft? Unter den Bewohner*innen des Gebäudekomplexes kommt es zu Ausgrenzungen und wütenden Auseinandersetzungen. Es gibt blutige Aufeinandertreffen mit bereits verwandelten Kreaturen. Ziel der Bewohner*innen ist es, zu überleben. Doch wie lange wird diese Situation anhalten? Wird jemals alles wieder normal sein? Ist es wirklich ein Virus oder doch vielmehr ein Fluch? Fragen, die einem selbst nur allzu bekannt vorkommen.
Die Serie bleibt den Zuschauer*innen einige Antworten schuldig und endet obendrein noch mit einem großen Cliffhanger. Eine offizielle Bestätigung für Staffel 2 hat Netflix bisher nicht gegeben, doch trotz all der Ungereimtheiten und Ungewissheiten beeindruckt die Serie mit bildgewaltigen sowie kontrastreichen Szenerien, untermalt von einem Soundtrack, der besser nicht hätte sein können!
Sweet Home beginnt mit den Worten: „Jemand hat mal gesagt, dass sogar die dichteste Finsternis einem kleinen Lichtstrahl weicht.“ Diese Aussage könnte als ein Leitmotiv angesehen werden, welches sich wie ein roter Faden durch die zehn Folgen zieht. Es passt jedoch auch zur Corona-Pandemie, was sich an meinem Film-Favoriten 2021 erkennen lässt:
Bo Burnham: Inside
“If you’d have told me a year ago that I’d be locked inside of my home – I would have told you a year ago: interesting, now leave me alone.” Bo Burnhams Special, welches dieses Jahr im Juni auf Netflix erschien, zeigt auf sehr eindrucksvolle Weise, dass auch in den schwersten und trübseligsten Zeiten etwas Großartiges entstehen kann. Bo Burnham, amerikanischer Comedian, nutzte den Lockdown 2020, um in seinem kleinen Haus eine überwältigende und bewegende Ein-Mann-Musical-Show auf die Beine zu stellen. In seinen Songs befasst der mittlerweile 31-jährige sich unter anderem mit der zentralen Frage, ob es ethisch vertretbar ist, in einer Zeit, in welcher die Pandemie für viel Leid und Schmerz sorgt, zu scherzen. „Is comedy over?“, fragt er deshalb gleich zu Beginn. Die darauf folgenden Songs veranschaulichen voller Witz und Ironie, dass die Comedy noch nicht vorbei ist. Gleichzeitig enthalten sie auch eine große Portion Sozialkritik. Nach einem Jahr Schaffensprozess, in welchem Burnhams Haare und Bart immer länger werden, zeigt sich außerdem, dass Corona, Lockdown und Einsamkeit ihre Spuren hinterlassen. Die immer noch andauernde pandemische Lage drückt auf das Gemüt, kann zu Depressionen sowie weiteren psychischen Erkrankungen führen. Auch der Comedian wird davon nicht verschont. Sein offener Umgang damit, dient als Versuch, all denen Kraft zu spenden, welchen es genauso geht. Schließlich ist die Pandemie eine Ausnahmesituation, die uns allen viel abverlangt.
Was Bo Burnham im Lockdown 2020 geschaffen hat, ist nicht nur unterhaltsam und sehenswert – es ist ein Meisterwerk! Das knapp 90 minütige Special zeigt, dass Kunst auch in den schwierigsten Zeiten entstehen kann, selbst dann, wenn ihr nur eine unbedeutende, nicht (system-)relevante Rolle zuteil wird!
Bo Burnham: Inside wurde 2020 gedreht. Die Pandemie begleitete uns jedoch ebenso im Jahr 2021 und wird unseren Alltag auch 2022 noch beeinflussen. Manchmal fühlt es sich an, als würde das Leben stillstehen, während die Zeit jedoch weiterrast. Dieser Eindruck überkommt einen auch beim Lesen des folgenden Buches:
Brüste und Eier
Das Werk Brüste und Eier, der japanischen Schriftstellerin Mieko Kawakami, ist zweigeteilt. Der erste Teil handelt vom Sommer 2008 und wurde bereits im Jahr 2008 als Novelle veröffentlicht und in Japan mit der wichtigsten literarischen Auszeichnung gewürdigt. In der deutschen Übersetzung erschien Brüste und Eier nun im August 2020 als knapp 500 Seiten starker Roman mit einem weiterführenden zweiten Teil, welcher von den Sommern 2016–2019 erzählt. Im Zentrum des Werks steht Natsuko Natsume, welche im Sommer 2008 mit 30 Jahren versucht, als Schriftstellerin Fuß zu fassen. Im Laufe des Romans hadert sie immer mehr mit der Rolle, welche ihr als Frau in der Gesellschaft zugeschrieben bzw. vorgeschrieben wird. Auch ihre ältere Schwester Makiko ist unzufrieden. Nicht mit den gängigen Rollenstereotypen, sondern mit ihrem eigenen Körper, welcher dem weiblichen Schönheitsideal nicht (mehr) entspricht. Sie beschließt daher, eine Brustvergrößerung vornehmen zu lassen. Makikos Tochter Midoriko steht derweil am Beginn der Pubertät und kann mit dem Wunsch ihrer Mutter nur wenig anfangen, da sie mit ihrem eigenen, sich verändernden Körper überfordert ist.
Brüste und Eier befasst sich mit der Funktionalität des weiblichen Körpers sowie der weiblichen Fruchtbarkeit und verdeutlicht, dass letzteres zeitlich begrenzt ist. Was macht frau, wenn der geeignete bzw. mögliche Zeitpunkt für Kinder verstrichen ist, und zudem, wie im Fall der asexuellen Natsuko, der Wunsch nach Nachwuchs ohne einen Partner in Erfüllung gehen soll? Der Roman hinterfragt gängige Rollenbilder sowie Normen und stellt gleichzeitig viele neue Fragen an die Gesellschaft, wodurch man als Leser*in automatisch zum Nachdenken angeregt wird.
Trotz der erzählten Zeitspanne von über 10 Jahren und der sich verändernden Lebensumstände der Protagonistinnen hat man beim Lesen jedoch oftmals das Gefühl, als würde nichts passieren. Die Zeit schreitet dahin und dennoch steht gleichzeitig alles still, ohne eine Veränderung.
Im März 2020 ging Deutschland das erste Mal in den Lockdown, seitdem hat sich viel getan. Trotzdem kommt es einem manchmal so vor, als würde man immer wieder an den Ausgangspunkt zurückkehren – ohne eine Veränderung.
Wenn das eigene Denken derart trostlos wird, hilft nur eines: positive musikalische Ablenkung! In meinem Fall war es ein ganz bestimmtes Album, welches mich, sowohl im Corona-Jahr 2020, als auch 2021, vor depressiver Verstimmung bewahrt hat:
Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys – Greatest Hits
Das Debütalbum der Augsburger „Urgesteine“ Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys zu hören, hilft mir persönlich, wenn sonst gar nichts mehr hilft. In den Momenten, wenn die anhaltende pandemische Lage nicht mehr auszuhalten ist, wenn die Sehnsucht nach der Vor-Corona-Zeit oder der Nach-Corona-Zeit zu groß wird, dann werden die Greatest Hits in voller Lautstärke abgespielt. Wieso genau dieses im April 2020 erschiene Album? Die Italo-Schlager der sechsköpfigen Band sind voller Lebensfreude. Beim Hören denkt man automatisch an gesellige Zusammenkünfte, wo man eng beisammensitzt, gemeinsam schunkelt und das ein oder andere Glas Vino Rosso trinkt. Man denkt an längst vergangene Urlaube in Palermo oder auf Capri, an unvergleichliche Sehenswürdigkeiten wie die Ponte di Rialto und an das Dolce Vita – das süße Leben, welches seit Pandemiebeginn abhandengekommen ist. Doch auch während Corona gab es tolle Momente und freudige Erlebnisse. Greatest Hits von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys hilft einerseits dabei, diese im Gedächtnis zu bewahren und andererseits sorgt es dafür, dass man wieder gezielt schöne Augenblicke schafft und das Beste aus der aktuellen Situation macht, denn sogar die dichteste Finsternis weicht einem kleinen Lichtstrahl!