Von Steven Gabber und Felix Krauß
Sie hatten 2021 das ein oder andere Mal das Gefühl, Sie verstünden die Welt nicht mehr? Mir ging es genauso. Insbesondere im Kontext von Verschwörungserzählungen oder „alternativen Fakten“, die im vergangenen Jahr eine regelrechte Blütezeit erleben konnten. Wir wissen mittlerweile, dass Menschen insbesondere in Krisensituationen dazu neigen, sich einfache Erklärungsmodelle für ihre komplexe Lebenswelt zu schaffen. Die Wirklichkeit ist undurchsichtig geworden. Es gibt zahlreiche Faktoren, die es für uns schwierig machen, uns in einer „postmodernen“ Gegenwart zurechtzufinden. Etwa die Tatsache, dass ein Großteil unserer Wahrnehmung nun vermittelt stattfindet, so der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan – sprich, es fehlt uns an Primärerfahrung mit dem Gegenüber. Dass die Technik mittlerweile erlaubt, Realität zu simulieren, hatte bereits der französische Kulturtheoretiker Jean Baudrillard erkannt, als er die Gegenwart als hyperreale Simulation beschrieb.
Steven, 25, studiert Ethik der Textkulturen, hat eine Schwäche für 70er-Filme
The Conversation
Mit 2021 blicken wir auf ein Jahr zurück, in dem im Januar ein jähzorniger Präsident auf Twitter seine Wahlniederlage zum Sieg erklärte. Im Juli ruinierte ein Wahlkampfkandidat auf einem anderen Kontinent seine Karriere, als er vor einer Kameralinse unangebracht lachen musste. Indessen inszenierte sich ein skrupelloser Multimilliardär zum braven Steuerzahler und wurde dennoch im Times Magazin im Dezember zur „Person of the Year“ gewählt. Was haben diese Ereignisse gemeinsam? Sie alle spiegeln symptomatisch die entfremdete Kommunikation unserer Gegenwart wider, in der das Medium den Gehalt einer Botschaft fundamental mitbestimmt. Es liegt für mich nahe, in diesem Kontext ein Kunstwerk aus der Filmgeschichte zu entstauben, das sich mit genau diesen Schwierigkeiten menschlicher Wahrnehmung und Kommunikation auseinandersetzt. Ich ziehe daher den Mystery-Thriller The Conversation unter der Regie von Francis Ford Coppola aus dem DVD-Regal. Dieser 1974 erschienene Film stellt Harry Caul ins Zentrum der Handlung. Eine Figur, die von Beruf Abhöraufträge ausführt. Obwohl er sich sonst nie in die Motive seiner Kunden einmischt, verstrickt er sich in einen potenziellen Mordfall. Weil er ein abgehörtes Tonband falsch interpretiert, gerät Harry zu der falschen Annahme, dass er durch seine Bespitzelungstätigkeit seinem womöglich kriminellen Klienten beim Mord an dessen Ehefrau assistiert. Bei Harrys Versuch, dies zu verhindern, entpuppt sich dieser Schluss jedoch als falsch: Die Gattin ist unversehrt und der Klient selbst ist tot. Harry versteht die Welt nicht mehr.
Doch wie gelangte er in das Netz seiner eigenen Verschwörungstheorie? Eine Antwort liefert die dem Film eingeschriebene Philosophie des radikalen Konstruktivismus. Sie besagt, dass man mit der eigenen Wahrnehmung nicht auf die Wirklichkeit zugreifen kann. Diese wird im Rahmen subjektiven Erlebens lediglich konstruiert, ist damit nichts weiter als ein Interpretationsprozess. Jede® Wahrnehmende hat damit seine eigene Version von der Wirklichkeit und macht eigenständig Beobachtungen zu einem Narrativ. The Conversation reflektiert diesen Umstand auf inhaltlicher Ebene, wenn er uns mit Harry eine Figur präsentiert, die sich aus ihren subjektiven Erfahrungen ein fehlerhaftes Wirklichkeitskonstrukt erschafft. Schnell wird deutlich, dass Harry mit der Komplexität seiner Lebenswelt überfordert ist. Als moralisch zweifelhafter Kapitalist nimmt er lukrative Abhöraufträge an, doch weil er sich von den Inhalten der Aufnahmen prinzipiell abschottet, verkümmert Harrys Fähigkeit, mit seiner Umgebung zu kommunizieren. Schließlich belohnen seine Klienten nur das Beschaffen der Inhalte, nicht das Verstehen und Interpretieren. Obgleich Harry durch den Rückgriff auf technologische Mittel (Tonbandaufzeichnungen) versucht, seiner subjektiven Wahrnehmung eine vermeintlich objektive Zuverlässigkeit zu verleihen, reichen seine Fähigkeiten zur Sinnbildung nicht aus. Im Gegenteil – das vielversprechende, technisch versierte Aufnahmeverfahren birgt gerade durch seine Medialität fatale Interpretationsprobleme, an denen Harry in seiner falschen Verschwörungshypothese letztendlich scheitert.
Doch nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf formaler Ebene beweist der Film seine Vielschichtigkeit. Ein Film kann Fragen zur Perspektivität von Wissen durch seine Bildlichkeit markieren. Eine Kameraeinstellung kann zum Beispiel Subjektivität (z.B. durch POV-Shots) oder Objektivität suggerieren. The Conversation vermittelt zahlreiche Eindrücke subjektiv, zeigt damit Bilder durch den Blick von Figuren oder der technischen Medien, die sie benutzen. Der Film unterstreicht damit auch formal, was wir auf inhaltlicher Ebene beobachten konnten: Dass Wissen subjektiv konstruiert wird und damit möglicherweise unzuverlässig ist.
Der Jahreswechsel erlaubt es mir traditionell, ein didaktisches Fazit zu ziehen: Was The Conversation bereits 1974 in Bilder fasste, kann uns durchaus helfen, die zahlreichen Beispiele für fehlschlagende Kommunikation besser nachzuvollziehen. „Alles, was gesagt wird, wird von einem Beobachter gesagt“, formuliert es der Philosoph Humberto Maturana. Wenn wir das berücksichtigen, verstehen wir besser, warum verschiedene Menschen verschiedene Versionen der Wirklichkeit haben.
Felix Krauß, 20, Lehramtsstudent für Gymnasium für die Fächer Deutsch und Mathematik, art should be a question mark, not an answer
Die Filmsoundtracks von Hans Zimmer
Lange schon setzt Hans Zimmer mit seiner Filmmusik Maßstäbe für das Genre. Beweis dafür sind seine zahlreichen Auszeichnungen (1xOscar, 3xGolden Globe) und Nominierungen (10xOscar, 12xGolden Globe). Zu seinen wohl bekanntesten Werken gehören die Soundtracks zu König der Löwen, The Dark Knight, Gladiator, Fluch der Karibik oder auch Inception.
Er selber sagte mal 2015 in einem Interview mit dem ZDF: „Ich versuche immer, eine Geschichte zu erzählen.“ Während der Pandemie fand sich dann mal eher die Zeit, die Kopfhörer einzuschalten, die Augen zu schließen und seinen musikalischen Geschichten zuzuhören. Das große Talent Zimmers liegt darin begründet, Gefühle mit einem einzigen Ton zu erzeugen. Zu hören ist das zum Beispiel bei dem Soundtrack von The Dark Knight, wenn die Hörner einsetzen und ihre ersten beiden Töne mit einem Crescendo versehen werden. Damit weckt Zimmer Erinnerungen an das Pilgermotiv aus der Tannhäuser Oper. Zudem wird damit die Ankunft des Helden und somit Hoffnung verkündet. Ebenso scheut er sich auch nicht, etwas Neues auszuprobieren, andere Instrumente, andere Stile. Vor Fluch der Karibik tat man die Orgel gerne als altertümliches Kircheninstrument ab, doch spätestens seitdem wir Davy Jones gesehen haben, der mit Tentakeln die Melodie seiner Spieluhr sehr stürmisch auf der Pfeifenorgel nachspielt, gilt die Orgel wieder als interessantes und vielseitiges Instrument.
Obwohl sich durchaus Ähnlichkeiten zwischen seinen Werken erkennen lassen, ist es faszinierend, dass selbst bei mehrmaligem Anhören ein und derselben Komposition unterschiedliche Geschichten erzählt werden. Bei Time aus Inception denkt man unwillkürlich an das Urbild des Melancholikers – ein Mann der aus dem Fenster dem Regen zuschaut und dabei nachdenklich dreinblickt –, das nächste Mal an das Ehepaar, welches verzweifelt in der Paartherapie sitzt, um ihre Beziehung noch zu retten.
Im Fall von Man of Steel sieht man das Baby, welches sich am Bettgitter hochzieht, dann loslässt und seine ersten eigenen Schritte macht. Genauso erblickt der Zuhörer aber auch einen Jetpiloten, der seinen Flieger von einem Flugzeugträger in die hohen Lüfte manövriert.
Elysium aus Gladiator malt das Bild einer armen Gestalt, die in der Wüste umherirrt und vor sich dann nach Stunden der Wanderung eine Stadt am Horizont aufblitzen sieht, aber es lässt auch die Vorstellung eines Qi Gong-Kurses zu, aus dem man gestärkt für den Alltag wieder hinausspaziert.
Ich will Sie ermutigen: suchen Sie sich einen beliebigen Soundtrack Hans Zimmers aus. Spielen Sie diesen ab. Schließen dabei Ihre Augen und lassen Sie Ihren Kopf dazu Bilder malen.