mit der Schriftstellerin Kazu Ko
von Clara Eisenreich
Kazu Ko schreibt schon ihr ganzes Leben lang- und das meistens in Fantasy, weil sie dort dem Alltag entfliehen kann. 2021 ist ihr Debüt, Schwarzaugen: Mein dritter Schatten, im Wreaders Verlag erschienen. In dem Roman begegnet die Protagonistin Lela einer Gruppe von Gestaltenwandler*innen. In ihrem Überlebenskampf unter Beobachtung zweier Fremder lernt sie mehr über die Grenzen zwischen Mensch und Tier und schließt gleichzeitig neue Freund*innenschaften. Schauinsblau spricht mit ihr über das Schreiben, die Suche nach einem Verlag und die erste Veröffentlichung.
Schauinsblau: Wie bist du selbst zum Schreiben gekommen? War das Geschichten erzählen schon immer ein Teil deines Lebens?
Kazu Ko: Das Erzählen von Geschichten begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Alles hat mit meinen imaginären Freund*innen begonnen, mit denen ich Abenteuer erlebt habe, die ich am liebsten mit der ganzen Welt teilen wollte. Beim Aufschreiben dieser Abenteuer, die bereits 300 Seiten umfassten, habe ich Blut geleckt. Den letzten Anstoß für mein erstes Manuskript gab die Lesung von Jenny-Mai Nuyen, die in meiner Schule ihren Roman Rabenmond vorgestellt hatte. Ich war sowohl von der Autorin als auch von der gelesenen Textstelle total fasziniert, sodass ich nach der Lesung in mein damaliges Klassenzimmer gegangen bin, einen Vogel vorbeifliegen sehen habe und direkt eine Idee für ein Manuskript hatte. Damit kam bei mir auch das Gefühl auf, dass ich das verfolgen möchte — nicht einmal nur unbedingt meine Idee, sondern vor allem das Projekt „Schreiben“. Dadurch entflammte mein Ehrgeiz, nicht nur aus Lust und Leidenschaft zu schreiben, sondern auch ein Buch zu schreiben. Ich wollte ein so großes Projekt realisieren: durchgeplant, durchgetaktet und ganz anders als zuvor. Seitdem ist das Schreiben für mich nicht mehr wegzudenken. Es ist Lebensfreude und Bewältigungsmechanismus für mich. Ich habe die letzten zwei Jahre nicht geschrieben, und das hat mir total weh getan. Ich bin im Moment so froh, dass es wieder aufflammt, weil ich ohne das Schreiben langfristig nicht mehr kann.
Schauinsblau: Wie ging es nach der Lesung in deiner Schule beruflich für dich weiter?
Kazu Ko: Ich habe Literatur‑, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz studiert. Zu Beginn meines Studiums hatte ich die Hoffnung, dass gerade das Feld der Literaturwissenschaft mein Schreiben verbessern würde. Ich musste allerdings schnell feststellen, dass die Literaturwissenschaft nicht viel mit Schriftstellerei zu tun hat. Dennoch gab mir dies einige Einblicke, die zumindest für das Hintergrundwissen sehr hilfreich waren. Dazu gehört unter anderem die Buchgeschichte zu kennen oder Klassiker zu kennen, die man aufgreifen und referenzieren kann. Dafür war mein Studium auf jeden Fall sehr hilfreich. Ich denke aber wenn man innerhalb des Studiums wirklich etwas für sein Schreiben lernen möchte, dann sollte man vielleicht Kreatives Schreiben studieren.
Eigentlich wollte ich auch Kreatives Schreiben studieren. Ich hätte diesen Weg vielleicht auch eingeschlagen, wenn Freund*innen und Familie mir nicht nahegelegt hätten, erst einmal einen sicheren Beruf einzuschlagen, in dem man später auch arbeiten kann. Deswegen habe ich nach meinem Schulabschluss eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten abgeschlossen und darauffolgend eben Literatur‑, Kunst‑, und Medienwissenschaft studiert. Anschließend an mein Bachelorstudium wollte ich mir eigentlich meinen Traum erfüllen, in dem ich den Master Kreatives Schreiben studiere. Da bin ich aber leider nicht reingekommen. Im Nachhinein denke ich, dass ich mir sehr viele Dinge, die ich mir von dem Masterstudium erhofft hatte, auch privat aneignen kann. Nicht nur in Bezug auf das fachliche Know-how sondern auch in Bezug auf den Kontakt zu anderen Schreibenden. So etwas kann man sich selbst erarbeiten, deswegen ist es für mich auch nicht mehr schlimm, dort keinen Platz bekommen zu haben. Es wäre aber natürlich trotzdem schön gewesen.
Schauinsblau: Hast du innerhalb deines beruflichen Werdegangs Kurse zum kreativen Schreiben belegt?
Kazu Ko: Ja, das habe ich. Während meines Studiums habe ich zwei Kurse belegt. Einen mit dem Autor Bernd Storz. Von diesem Workshop habe ich vor allem bezüglich meiner Inspiration profitiert. Ansonsten habe ich auch an einigen Workshops teilgenommen. Da habe ich einen mit Silke Porath belegt und dort vor allem die Grundlagen gelernt, auch wenn sie als Mops-Buch Autorin in einem andere Genre schreibt. Außerdem habe ich mich mit Ratgebern von Schriftsteller*innen beschäftigt. Dazu möchte ich anmerken, dass ich das grundsätzlich für eine gute Idee halte, solche Kurse zu belegen oder sich mit Ratgebern zu befassen. Sie können vor allem als Stütze oder Inspiration dienen. Außerdem kann man darüber die Grundlagen und auch gewisse Fertigkeiten lernen. Man muss dabei aber immer bedenken, dass all diese Dinge keine Allheilmittel darstellen. Es gibt ebenso viele Methoden wie Autor*innen. Wichtiger als diese Werkzeuge zu beherrschen ist es, eine eigene Stimme, ein eigenes Vorgehen und einen eigenen Schreibstil zu entwickeln.
Schauinsblau: Wie hat dein erster Roman, Schwarzaugen: Mein dritter Schatten, aus dem wir später noch einen Ausschnitt hören werden, seinen Platz bei Wreaders gefunden?
Kazu Ko: Das lief über Vitamin B. Es war mir am Anfang eher unrecht, mir meinen Platz über Beziehungen zu erarbeiten. Mein Stolz war dafür ein bisschen zu groß. Das wurde dann aber besser, als mir bewusst wurde, dass heute vieles über diesen Weg läuft. Und das egal ob in der Buchbranche oder auch in anderen künstlerischen Berufszweigen – Vitamin B ist eben oft der Weg, der eingeschlagen wird. Deswegen muss man sich dafür auch nicht schämen, sondern dafür dankbar sein und diese Chance annehmen. Es ist schwer genug, einen Fuß in diese Tür zu setzen und wenn diese Tür dann auch noch angeboten wird, muss man nicht zu bescheiden sein, um diesen Weg abzulehnen.
Bei Wreaders habe ich als ehrenamtliche Lektorin angefangen. Ich bin dann von einer guten Freundin, die auch als ehrenamtliche Lektorin dort arbeitet, bei unserer Chefin vorgeschlagen worden. Sie hat dann bei mir angefragt, ob sie eines meiner Manuskripte zur Ansicht bekommen darf. Nachdem sie sehr überzeugt von meinem Buch war, habe ich schnell den Vertrag zum Unterschreiben zugeschickt bekommen.
Schauinsblau: Wie ist der Weg von einem Manuskript zur fertigen Fassung?
Kazu Ko: Der Weg ist deutlich länger als man es vielleicht vermutet. Alles fängt natürlich mit der Idee an. Bei mir beginnt es meistens mit der Idee für eine Figur oder ein Figurenpaar, über das ich gerne schreiben möchte. Im Anschluss kommt für mich das Plotten, also die grobe strukturelle Planung des ganzen Buchs, an der ich mich dann beim Erstellen der Rohfassung orientieren kann. Im Anschluss daran folgt das vielen unliebe Überarbeiten. Dabei liest man die Rohfassung noch einmal gegen, verfeinert sie und stopft Logiklöcher. Wovon ich selbst lange nichts wusste, ist das Testlesen, wozu auch das sensitive reading gehört. Da gebe ich die bearbeitete Rohfassung an Testleser*innen, die dann noch einmal auf übersehene Logikfehler aufmerksam machen, die Grammatik oder Rechtschreibfehler korrigieren. Hier findet auch das sensitive reading statt. Dort wird überprüft, ob kritische Inhalte korrekt dargestellt werden. Daran anschließend kann man sich um den Verlagsvertrag kümmern, Verlage anschreiben, Exposés schreiben und im besten Fall einen Vertrag unterschreiben. Anschließend folgt das Lektorat. In meinem Fall dauert das immer drei Monate. Im nächsten Schritt geht das Buch zum Korrektorat, dort werden letzte orthographische und grammatikalische Fehler behoben. Dann geht mein Roman in den Buchsatz: Da wird das Buch fürs Auge schön gemacht, also mit Blocksatz, Silbentrennung, Seitenzierden, etc. versehen. Anschließend daran bekommt der*die Autor*in die Druckfahne, um zu sehen, ob im Drucksatz alles gut gegangen ist und nichts übersehen wurde. Dann ist das Buch fertig.
Schauinsblau: Du schreibst bewusst für eine junge Leser*innenschaft im Genre Fantasy. Die erste Idee für die Schwarzaugen Reihe hattest du mit 15 Jahren. Fällt es dir manchmal schwer, dich jetzt, mit Mitte 20, in Teenager zu versetzen und ihre Perspektive einzunehmen?
Kazu Ko: Das fällt mir absolut schwer! Ich hatte noch nie ein gutes Gefühl dafür, was für jüngere Menschen angemessen ist. Als Beispiel: Wann sollte ein*e 12-Jährige*r wegsehen, weil die Filmszene zu gruselig oder zu brutal ist? Dieses Gefühl verliere ich momentan auch für die Teenager-Zeit wahnsinnig schnell. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich mich selbst nicht ganz verorten kann, ob ich mich noch als Jugendliche oder doch schon als Erwachsene sehe oder vielleicht auch irgendwo dazwischen. Deswegen fällt es mir gleich doppelt schwer, mich in Teenager einzudenken. Das ist auch der Grund, warum meine Figuren mit jedem Buch älter werden. Ich ziehe meinen Hut vor Autor*innen, die für Kinder und für Jugendliche schreiben, während sie selbst in den 30-ern, 40-ern oder auch schon 50-ern sind.
Schauinsblau: Bereits der erste Teil der Schwarzaugen Reihe beschäftigt sich mit mentaler Gesundheit. Im zweiten Teil, der im Mai dieses Jahres erscheinen wird, wird dies noch stärker thematisiert. Braucht Jugendliteratur diese Themen?
Kazu Ko: Unbedingt! Kunst generiert meiner Meinung nach sehr oft Idealvorstellungen und gibt den Ton an, wie man sein Leben gestaltet. Das ist bei Filmen ebenso wie bei Büchern der Fall. Man hört oft genug, dass Jugendliche beispielsweise Romanzen anschauen und anhand derer ihre Maßstäbe für romantische sowie platonische Beziehungen festlegen. Negative Beispiele dafür wären toxische Beziehungen – ich denke, jede*r hat da direkt ein Beispiel vor Augen. Aber genau diese Funktionsweise von Medien kann man nutzen und umdrehen, indem man positive und gesunde Lebensinhalte in diesen Medien vorlebt. Angefangen bei gender-toleranten, feministischen oder antirassistischen Inhalten bis hin zu mentaler Gesundheit. Gerade mentale Gesundheit ist und war schon immer ein wichtiges Thema. Heute kann man das leichter thematisieren und es dadurch enttabuisieren. Gerade in diesem Punkt kann Kunst einen so wichtigen Beitrag leisten, weil sie etwas Alltägliches darstellt. Etwas, das man nicht künstlich in einem Gespräch forcieren muss. Bücher sind da und wenn sie dann noch über mentale Gesundheit sprechen ohne einer*m damit ins Gesicht zu schlagen, ist das ein cleverer Weg, diese kritischen Themen unter zu bringen. Deswegen finde ich das einen so schönen, wichtigen und klugen Weg in Büchern unter anderem mentale Gesundheit anzusprechen.
Schauinsblau: Welche Tipps hast du für Autor*innen, die an einem Debütroman arbeiten?
Kazu Ko: Etwas, das ich mir selbst über die Jahre angeeignet habe und die ich gerne früher gewusst hätte, ist vor allem die Herangehensweise an das Veröffentlichen. Oder auch das Herantreten an Verlage. Ich habe oft unterschätzt, wie wichtig gute Exposés sind. Exposés sind so etwas wie Bewerbungen. Genauso wie man sich auf einen Job bewirbt und Lebenslauf, Motivationsschreiben, Qualifikationen, Referenzen, etc. anfertigt, so bewirbt man sich auch mit einem Manuskript bei einem Verlag, indem man Exposés schreibt und darin zusammenfasst, welches Genre es ist, wie viele Seiten es hat, aus welcher Perspektive es geschrieben ist, welche Themen es behandelt und wie die Handlung ist. Das Schreiben von Exposés ist einer der ersten Schritte, die schief gehen können, die andererseits aber einen sehr großen Unterschied und ein sehr gutes Bild von dem Buch bei Verlagen machen. Was auch zu den Exposés zählt, ist die Verlagssuche. An wen schicke ich dieses Exposé überhaupt? Da ist es sehr wichtig, das Verlagsprogramm zu kennen und sich die Verlage, die man anschreiben möchte, genau anzusehen. Jede*r, der*die schon einmal an Verlage geschrieben hat und Absagen bekommen hat, wird diesen nervigen, generisch wirkenden Satz kennen: „Entschuldigung. Wir können es nicht annehmen, weil es nicht ins Verlagsprogramm passt.“ Dieser Satz stimmt in den meisten Fällen aber auch. Das ist ein Kriterium, über das sich Verlage Gedanken machen müssen. Bücher, die nicht in ihr Programm passen, passen dann auch nicht zu ihrer Leser*innenschaft und werden nicht gekauft. Dementsprechend ist es unfassbar wichtig, passende Verlage zu suchen, bei denen das Buch reinpasst und gekauft wird. Das hätte ich so gerne früher gewusst und mir mit diesem Wissen viel Leid ersparen können. Diesen Punkt möchte ich gerne weitergeben. Ein weiterer ist: Nicht entmutigen lassen! Weder vom Umfeld noch von Absagen. Gerade Debütromane sind selten erste Romane. Klar hört man immer wieder von jungen Autor*innen, deren erstes Buch direkt um die Welt geht und Spiegel Bestseller wird. Was oft vergessen wird, ist, dass es viele Schriftsteller*innen auf der Welt gibt. Es gibt so viele Menschen, die einen Verlagsplatz suchen und so viele, die bereits mehrere Bücher geschrieben haben, bevor sie wirklich einen Verlagsplatz bekommen. Auch Kunst will gelernt und geübt sein. Talent allein macht nicht unbedingt ein gutes Buch. Man muss sich die Zeit nehmen, um die eigene Vorgehensweise beim Schreiben und beim Plotten herauszufinden. Auch das Etablieren eines eigenen Stils, das Finden einer eigenen Stimme oder der eigenen Art, zu erzählen, brauchen Zeit. Erst dann bekommt das Buch Seele und das schaffen die wenigsten beim ersten Mal. Deswegen ist mein Tipp: Dranbleiben, sich nicht von Absagen entmutigen lassen, sondern Ehrgeiz entwickeln, um sich und das eigene Buch immer wieder zu verbessern. Selbst die Bücher, die in der Schublade liegen, weil sie erstmal „keine*r haben wollte“, spiegeln immer noch einen Lerneffekt und Lektionen wieder. Die Geschichten gehören immer noch zu einem selbst. Wenn man dann irgendwann feststellt, dass einem die Geschichte so wichtig ist, dass man sie gerne teilen und veröffentlichen möchte, kann man diese Schubladengeschichten nach Jahren immer noch rauskramen, überarbeiten und mit den neu erarbeiteten Erfahrungen aufhübschen, und dann nochmal probieren. Die Geschichten laufen schließlich nicht weg. Man sollte Geduld beweisen, lernen und sich nicht entmutigen lassen.
Schauinsblau: Das waren sehr schöne Schlussworte. Danke, dass du dir die Zeit genommen hast.
Kazu Ko: Ich danke auch.