#8 „Making space to be there“: May Sartons Journal of a Solitude

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Eine Literaturempfehlung von Katja Sarkowsy

Eigent­lich woll­te ich ja seit Beginn der Pan­de­mie Tho­mas Manns Der Zau­ber­berg end­lich ein­mal wie­der lesen; aber dazu kam bis­her es nicht. Ich las in die­sen Zei­ten der Bewe­gungs- und Kon­takt­ein­schrän­kun­gen vie­le Neu­erschei­nun­gen, und eini­ge davon haben mich nach­hal­tig beein­druckt – Anne Webers Annet­te, ein Hel­din­nen­epos etwa, oder auch Alaa al-Aswa­nis Repu­blik der Träumer. 

Aber ich kehr­te auch zu einem Buch zurück, das mich über die Jah­re beglei­tet hat, das mir mal mehr, mal weni­ger wich­tig, aber das immer da war und das ich jetzt noch ein­mal mit einem neu­en Blick las: Jour­nal of a Soli­tu­de der ame­ri­ka­ni­schen Autorin May Sar­ton. Auch wenn ich nicht allein lebe, bekam der Titel wäh­rend des Lock­downs natür­lich noch­mal eine ganz eige­ne Bedeu­tung; er und das Gen­re schie­nen gera­de­zu unheim­lich pas­send zu einer Situa­ti­on, in der wir zeit­wei­se zu einem radi­ka­len Inne­hal­ten gezwun­gen waren. Sar­ton ver­webt in die­sem 1973 erst­mals erschie­ne­nen Klas­si­ker der Tage­buch­li­te­ra­tur die Doku­men­ta­ti­on ihres täg­li­chen, oft quä­len­den und ver­zwei­fel­ten Rin­gens um das geschrie­be­ne Wort mit Erin­ne­run­gen an ihre lang­jäh­ri­ge Lebens­part­ne­rin, poli­ti­schen Kom­men­ta­ren und femi­nis­ti­schen Über­le­gun­gen, aber vor allem mit prä­zi­sen, oft zutiefst lyri­schen Beschrei­bun­gen ihrer unmit­tel­ba­ren Umge­bung – des Wach­sens und Ver­ge­hen der Pflan­zen in ihrem Gar­ten, dem Spiel des Lichts auf dem Schnee, des Blu­men­ar­ran­ge­ments auf ihrem Schreib­tisch. Es sind ihr abge­schie­de­nes Haus in Nel­son, New Hamp­shire, und des­sen Umge­bung, die ihr die Meta­phern für die Selbst­be­ob­ach­tung bie­ten; so wird die hun­gern­de Kat­ze, die täg­lich um ihr Haus streift und die Sar­ton füt­tert, zum Anlass über soli­tu­de nach­zu­den­ken, jen­seits des Aus­ta­rie­rens von Allein­sein und Ein­sam­keit: „When I am tal­king about soli­tu­de I am real­ly tal­king also about making space for that inten­se, hun­gry face at the win­dow, star­ved cat, star­ved per­son. It is making space to be the­re.“ Die Abge­schie­den­heit – oder die zeit­wei­li­ge Mög­lich­keit dazu – wird zu einer Vor­aus­set­zung für wirk­li­che Begeg­nung. Und ent­ge­gen sei­nem Titel prä­gen Begeg­nun­gen das Jour­nal, neue und erin­ner­te, in Per­son und in Brie­fen, in Lek­tü­ren und Gesprä­chen. Sar­ton macht den abge­schie­de­nen Ort zu einem Ort nicht nur des Auf-Sich-Gewor­fen-Seins, son­dern auch der Begeg­nung und des Aus­tauschs, oft ent­ge­gen ihrer selbst­er­klär­ten Anstren­gung, die der Umgang mit ande­ren Men­schen für sie zumeist dar­stell­te. Es ist die­se Evo­ka­ti­on des Begeg­nungs­rau­mes, mit sich selbst und mit ande­ren, eines Rau­mes, der immer wie­der neu umris­sen wer­den muss, der mich in die­ser Neulek­tü­re beschäftigte.

Hin­zu kam die Geschich­te mei­ner abge­grif­fe­nen Taschen­buch­aus­ga­be selbst, mit ihren Kaf­fee­fle­cken und ein­ge­ris­se­nen Umschla­ge­cken. Ich hat­te das Buch vor Jah­ren in einem New Yor­ker Anti­qua­ri­at gekauft. Mei­ne Wie­der-Lek­tü­re ver­band sich mit die­ser Erin­ne­rung an eine Stadt, die zu Beginn der Pan­de­mie deren Zen­trum in den USA gewe­sen war. Auch wenn dies viel­leicht para­dox scheint, schuf die­se Ver­bin­dung von Lek­tü­re und Erin­ne­rung in einer Zeit furcht­ba­rer Nach­rich­ten und fun­da­men­ta­ler Unge­wiss­heit auch ein Gefühl von vor­sich­ti­ger Zuversicht.