Gitarrenlegende John McLaughlin bricht Rekorde im Augsburger Jazzsommer
von Roman Matzke
Als Miles Davis 1969 „John McLaughlin“ für Bitches Brew einspielte, war bereits klar, dass der im Titel geehrte Gitarrist aus einer Musikgeschichtsschreibung des 21. Jahrhunderts nicht wegzudenken sein wird. Wenn es darum geht, den Auftritt im botanischen Garten Augsburgs prägnant zusammenzufassen, erscheint die Wortwahl surrealnicht übertrieben. In jungen Jahren jammte er mit Jimi Hendrix und gab Jimmy Page Gitarrenunterricht; was er anschließend der Jazzwelt beisteuerte, muss keinem mehr erzählt werden. Die frühe Findungsphase liegt nun mehr als ein halbes Jahrhundert hinter McLaughlin, dennoch spielt und lebt der mittlerweile 80 Jahre junge Jazz Fusion Pionier auch heute noch wie damals mit 27. Mit selber Haarpracht und vielleicht sogar noch mehr Lebensfreude.
Dass der Griffbrettmaestro am 14.07.22 auch Augsburg mit einem Besuch beehrte, bliebt den Fans nicht verborgen. Wer beim überraschend vollen Parkplatz noch den Zoo verdächtigte, konnte die McLaughlin-Euphorie spätestens am Eingang nicht mehr übersehen. Schilder mit der Aufschrift „brauche Karten!!!“ verdeutlichten den Ankommenden schnell, mit welchem Starkaliber wir es zu tun hatten.
Bevor es losging, verriet Festivalleiter Tilman Herpichböhm, dass alle 999 Plätze besetzt sind. Ausverkauft. Das hat in der Pavillon Location noch kein Jazz Act geschafft! Ein zweiter Rekord konnte von Seiten des Publikums gebrochen werden: die weiteste Anreise nahm ein Fan von Santiago de Chile auf sich. Stellen wir uns an dieser Stelle einfach mal vor, das Konzert wäre der Hauptgrund für den Flug gewesen. Was für eine Dedikation!
Die restlichen 998 Sitzplätze schienen jedoch nicht von weniger begeisterten Hörern gefüllt zu sein. Animierte Gespräche über Tony Williams, der neben John maßgeblich zur Jazz Fusion Entwicklung beisteuerte, oder Alben-Rankings der McLaughlin Diskografie schlängelten sich durch die Reihen der langjährigen Fans. Die Anspannung vor dem Sturm war elektrisch.
Stürmisch wurde es glücklicherweise nur in den Händen der Musiker: John sagte zuversichtlich „das Wetter hatgehalten“ bevor es überhaupt losging — und das Wetter gehorchte brav. Aber das greift etwas vor, denn es lohnt sich, die Begrüßung hier noch einmal ausdrücklich zu loben. McLaughlin ist Performer der alten Schule und weiß, wie mit dem Publikum umgegangen wird. Den Weg zur Bühne umhüllte Jubel, jedoch nahm John diesen nicht als selbstverständlich wahr. Er bedankte sich offenherzig und sprach mit seinem besten Deutsch über die Freuden des bevorstehenden Abends. So ein authentisch klingendes „Augsburg“ kommt selten aus dem Mund eines Engländers. Diese kleinen Gesten zeigten von Anfang bis Ende ehrliches Interesse – das macht Besucher zu Fans.
Auch der Umgang mit der zentralen Pavillon Location verriet Johns Klasse. Schon so manch ein Musiker spielte sein Set ausschließlich Richtung A‑Block, was durchaus die Frage stellen ließ, ob die kreisrunde Bestuhlung Sinn machte. Nicht so bei John, denn der drehte sich durchweg zu allen Seiten. Wenn ein Mitmusiker ein Solo spielte, begab er sich an den Rand, um das Spotlight auf den momentanen Star zu lenken. Ego und böswillige Konkurrenz suchte man hier vergeblich. Kein Wunder, wo doch McLaughlin innere Ruhe und Zufriedenheit wie kein Zweiter ausstrahlt. Jede Möglichkeit, mit seinen Mitmusikern zu interagieren, ist ein Geschenk, so scheint es.
Johns Kommentar zum zweiten Song des Abends („Lockdown Blues“) vermittelte nicht nur genau diese zurückeroberte Freude am Performen, sondern thematisierte auch die mentale Last der zweijährigen Zwangsrente. Da öffnete das Cover vom spirituellen „The Creator Has a Masterplan“ weit positivere Pforten und deutete McLaughlins neueste Inspirationsquelle an: das Universum. Johns Website spricht von Gott-gewordenen Planeten im harmonischen Tanz zur Choreografie der Sonne. Da mag nicht jeder mitgehen. Ein Glück, dass sich die Lyrics der Sanders/Thomas Komposition vielseitig interpretieren lassen. „Peace and Harmony“ – darauf kommt es an.
Schön übrigens, dass die Musiker den Gesang selber übernahmen und nicht zum Mitsingen aufforderten. Da wusste jemand, das Publikum zu lesen, welches lieber zuhören und aus reingeschmuggelten Tupperdosen naschen wollte (jedes Jahr frage ich mich, ob jemand das extravagante Charcuterie Board eines besonders stilvollen Ehepaars übertrumpfen wird).
Mit musikumschreibenden Metaphern gilt es vorsichtig umzugehen. Ob modale Harmonien den botanischen Garten überschwemmten und Skalen ineinander flogen? Bass und Gitarre simultane Arabesken bildeten, die frei durch den Lavendel flogen? Für meinen Geschmack darf man die Flugmanöver den Hummeln überlassen. Was man aber sagen kann: Repertoire und Ambiente wurden exzellent aufeinander abgestimmt, was zu einem durchweg begeisterten Publikum führte.
„Hijacked“ brachte die Menge dank Étienne Mbappés phänomenalem Bass Solo zum Glühen; „Abbaji“ schaffte es anschließend mit humorvoller Note von introspektiver Atmosphäre Richtung „Mr. DC“ zu lenken, welches mit dem Dennis Chambers Akronym viel Platz für Schlagzeuge versprach. Ja, Plural ist hier kein Tippfehler. Multiinstrumentalist Gary Husband wechselte von Keyboard zu Schlagzeug und lieferte zusammen mit Drummer Nicolas Viccaro eine Show, die den ein oder anderen mal ganz schnell das Filmverbot vergessen ließ. Momente wie dieser bleiben allerdings auch ganz ohne digitaler Reproduktion in Erinnerung.
Zugaben sind grundsätzlich ein Guck-guck-Spiel für Erwachsene. Sind die Musiker denn wirklich fort? … Oh, wer hätte es gedacht, da sind sie wieder! Grundsätzlich, denn wer den diesjährigen Start des Augsburger Jazzsommers erlebt hat, darf absofort durchaus skeptisch sein. Für John McLaughlin & the 4th Dimension war es jedoch klar, dass einer ordentlichen Zugabe nichts im Wege steht. Nach solch tobendem Applaus – einer Standing Ovation, wie sie der Pavillon wohl selten erlebt hat – gleich dreimal nicht. Abgerundet wurde das Set mit einem Paco de Lucía Tribute, was bereits bei der Namensnennung zu Freudenrufen unter der Friday Night in San Francisco Generation führte.
Wohl kaum einer hätte es sich vor der Programmveröffentlichung erträumt, bald solch einen Stargast in Augsburg begrüßen zu dürfen. John McLaughlin live zu erleben war eine Ehre. Ein wahres Privileg. Abschließend bleibt zu hoffen, dass sich Johns Faszination mit den Tiefen des Universums noch viele Jahre auf Spekulationen von unserem Planeten aus beschränken muss.
A snippet of the solos trading in El Hombre Que Sabía yesterday in Augsburg. #johnmclaughlin & The 4th Dimension pic.twitter.com/ILU7ANs4gu
— Gary Husband (@GHusband) July 14, 2022