Teleskop trifft auf das Auge der Poesie

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Interview mit Raoul Schrott

von Ser­kan Erol und Chris­ti­an Weiblen

„Schrei­ben ist für mich die kon­zen­trier­tes­te Form des Nach­den­kens. Nur so bekom­me ich einen Zugang zu den Din­gen.“ In sei­nen Tex­ten geht es Raoul Schrott, der sich immer wie­der als Grenz­gän­ger zwi­schen Lite­ra­tur und Wis­sen­schaft aus­zeich­net, um nichts Gerin­ge­res als um die Aus­lo­tung der mensch­li­chen Erkennt­nis­fä­hig­keit und die Fra­ge nach dem Zusam­men­hang von Indi­vi­du­um und Kos­mos. Eine pas­sen­de Gele­gen­heit also für Schau ins Blau, den Autor zu tref­fen und ihm eini­ge Fra­gen zu stellen.

SCHAU INS BLAU: Lie­ber Herr Schrott, gibt es Ihrer Mei­nung nach einen Zusam­men­hang zwi­schen den Denk­be­we­gun­gen des Men­schen und den Bewe­gun­gen der Planeten?

RAOUL SCHROTT: Die Ant­wort dar­auf ist völ­lig klar: es gibt kei­nen Zusam­men­hang. Aber die Fra­ge ist natür­lich: War­um stel­len Sie die­se Fra­ge? Das hat letzt­lich damit zu tun, dass wir immer in Ana­lo­gien, in Meta­phern den­ken. Das heißt, wenn Sie mich fra­gen: Haben unse­re Denk­be­we­gun­gen etwas mit den Bewe­gun­gen der Pla­ne­ten zu tun, sagt unser Wis­sen – im Gegen­satz zu Ihrem Glau­ben — , dass die Art von neu­ro­na­ler Nach­rich­ten­über­mitt­lung im Gehirn mit der Eklip­tik von Pla­ne­ten nicht das gerings­te zu tun hat. Bewe­gung hier und Bewe­gung dort ver­läuft auf völ­lig ande­ren Bah­nen, in völ­lig ande­ren Dimen­sio­nen, auf völ­lig ande­ren Skalen.

Ihre For­mu­lie­rung greift jedoch die – letzt­lich meta­pho­ri­sche – und uralte Fra­ge nach dem Ver­hält­nis zwi­schen Mikro- und Makro­kos­mos auf. So spe­zi­ell wie sie gestellt wird, ist sie auf­grund unse­res Wis­sens ein­deu­tig mit nein zu beant­wor­ten. Erst in einem sehr wei­ten Sin­ne, in einem his­to­risch-sym­bo­li­schen Sinn, lässt sich auf sie ein­ge­hen, weil das Bemü­hen der Men­schen seit jeher groß war – von den Stein­zei­ten ange­fan­gen bis zur Jetzt­zeit – eine Ver­bin­dung zwi­schen Kos­mos und Indi­vi­du­um herzustellen.

SCHAU INS BLAU: Herr Schrott, Dich­ter bezie­hen ihre Inspi­ra­ti­on aus man­nig­fal­ti­gen Quel­len. Gleicht bei­spiels­wei­se eine Stern­schnup­pe der Inspi­ra­ti­on eines Dich­ters? Woher stammt die­ses Nicht-Sicht­ba­re der Eingebung?

RAOUL SCHROTT: Es gibt ein Dik­tum von Pas­cal: der Zufall begüns­tigt einen vor­be­rei­te­ten Geist. Man beschäf­tigt sich mit einem The­ma, baut einen Vor­rat an Wis­sen, an Bil­dern, an Emo­tio­nen, an Ein­sich­ten, an Erkennt­nis­sen auf und macht sich das Gan­ze mög­lichst zugäng­lich. Wenn man sich kon­kret zu einem Punkt an den Schreib­tisch hin­setzt, dann gibt es die ver­schie­dens­ten Zugän­ge. Natür­lich arbei­tet es unbe­wusst weiter.

Wie ist es nun aber wirk­lich um die­se meist fälsch­lich vor­ge­tra­ge­ne Idee einer “stern­schnup­pen­haf­ten Inspi­ra­ti­on” bestellt? Sie ent­steht meis­tens durch jah­re­lan­ge Beschäf­ti­gung mit einem The­ma bis die Kom­bi­na­to­rik des Geis­tes und die Kom­bi­na­to­rik des Gehirns zusam­men­tref­fen. Kom­bi­na­to­rik klingt nach Zah­len­ma­trix und Zah­len­ras­ter, nach einem geord­ne­ten Sys­tem, wäh­rend die Dich­ter, nicht ganz zu Unrecht den Ruf haben, chao­tisch zu sein, schlech­ter struk­tu­riert zu sein als Wis­sen­schaft­ler. Als Autor muss man ler­nen mit mög­lichst vie­len Zufäl­len Kon­fi­gu­ra­tio­nen zu bil­den, bis etwas auf­ein­an­der­trifft, bei dem man denkt, da macht es klick und das ist dann die­se Stern­schnup­pe, die plötz­lich aufleuchtet.

SCHAU INS BLAU: Goe­the führt das Stern­zei­chen, in das er hin­ein­ge­bo­ren wur­de, als eine güns­ti­ge Vor­aus­set­zung für sein künst­le­ri­sches Schaf­fen an. Haben die Zeit, der Ort, die Pla­ne­ten, die Ster­ne von Grund aus Ein­fluss auf ihr poe­ti­sches Schaffen?

RAOUL SCHROTT: Zum einen ist der Ein­fluss der Ster­ne auf die Qua­li­tät eines Dich­ters null und nich­tig. Astro­lo­gie ist Hum­bug. Das mit den Dich­ter­ge­burts­ta­gen hat mit unse­rer selek­ti­ven Wahr­neh­mung zu tun. Es hat im Lau­fe der Mensch­heits­ge­schich­te hun­dert­tau­sen­de Dich­ter gege­ben. Wel­che wir uns her­aus­su­chen, die unse­ren Kanon bevöl­kern und an Uni­ver­si­tä­ten und Gym­na­si­en gele­sen wer­den, beruht auf einer sehr spe­zi­ell vor­ge­nom­me­nen Auswahl.

Es mag zwar einen für die eige­ne Ent­wick­lungs­ge­schich­te jeweils prä­gen­den Unter­schied dar­stel­len, ob man im Som­mer lau­fen lernt, drau­ßen auf der Wie­se, oder im Win­ter im Schnee. Es ist ein merk­li­cher Unter­schied, ob ich im Süden oder im Nor­den bei der und der Son­nen­ein­strah­lung auf­wach­se. Eben­so groß ist der Unter­schied, ob ich in Deutsch­land auf­wach­se oder in Nami­bia. Das sind prä­gen­de Ein­flüs­se, die zei­gen, dass das Bio­lo­gis­ti­sche im Men­schen letzt­end­lich weder mit Gehirn noch mit Gedächt­nis zu tun hat. Es gibt sicher bio­lo­gi­sche Dis­po­si­tio­nen in unse­rem Den­ken, in unse­rem Ver­hal­ten, auch was unse­ren Kör­per betrifft. Das Inter­es­san­te ist – und das macht das Wesen Mensch aus – dass all die­se bio­lo­gi­schen Dis­po­si­tio­nen, Vor­ein­stel­lun­gen durch Kul­tur abge­än­dert, über­schrie­ben, umge­än­dert wer­den können.

SCHAU INS BLAU: Wor­in liegt der Ansporn, die Welt in all ihren Tei­len in einem ein­zi­gen Text zu ver­dich­ten? Ist das ihr Vor­ha­ben mit ihrem neu­en Roman Die ers­te Erde?

RAOUL SCHROTT: Es ist sicher nicht so, die Welt in einem Buch beschrei­ben zu wol­len. Da ich jetzt schon rück­wärts zäh­le mit mei­nen Jah­ren, möch­te ich ger­ne wis­sen, wo ich war und was das war und wer ich war und war­um das so war.

Ich will ein­fach für mich ver­ste­hen, was Urknall ist, wie sich das Son­nen­sys­tem, die Erde, der Mensch gebil­det hat, wie sich mehr­zel­li­ges Leben gebil­det hat, all die­se Din­ge. Ich habe ein sehr exis­ten­zi­el­les Inter­es­se, denn die Auf­ga­be der Poe­sie ist es, eine mensch­li­che Rele­vanz aus den Din­gen herauszuarbeiten.

SCHAU INS BLAU: Zie­hen Flüs­se, Ber­ge, Wäl­der, Wüs­ten und Höh­len oder die Nacht und ihre Ster­ne den Dich­ter zu sich? Was hat das eine mehr zu sagen als das andere?

RAOUL SCHROTT: Mit Blick auf mei­ne Kol­le­gen, mit Blick auf die Lite­ra­tur­ge­schich­te lässt sich sicher­lich sagen, dass jeder Dich­ter von bestimm­ten Din­gen mehr fas­zi­niert ist als von ande­ren Din­gen. Bei mir ist es die Wüs­te. Das hat mit Kind­heits­er­fah­run­gen zu tun. Bei mir ist es das Segeln, das Rei­sen, die Natur. Das hat mit cha­rak­ter­li­cher Dis­po­si­ti­on und per­sön­li­cher Lebens­ge­schich­te zu tun. Dabei sind zwei Moti­va­tio­nen am Werk. Zum einen muss man die Din­ge, über die man schreibt, sehr lieben.

Die zwei­te Moti­va­ti­on ist die Igno­ranz und das ist nicht gut. Wenn man sich nur für ein The­ma am Ran­de inter­es­siert, wird nie etwas dar­aus. Hass ist ja nur eine Umkeh­rung der Lie­be — eine anders gepol­te Empa­thie, eine ent­täusch­te Empa­thie. Dann gibt es die Din­ge, die eine Her­aus­for­de­rung ent­hal­ten. Das sind die, die mich am Schrei­ben hal­ten: Auf die­se Wei­se kann man sich mit dem aus­ein­an­der­set­zen, was man noch nicht weiß, denn Schrei­ben ist für mich die kon­zen­trier­tes­te Form des Nach­den­kens. Nur so bekom­me ich einen Zugang zu den Dingen.

Es gibt noch eine drit­te Ebe­ne, die man reflek­tie­ren könn­te: Vie­le Dich­ter set­zen sich mit Kol­le­gen aus­ein­an­der, die dem eige­nen Schreib­stil meist völ­lig ent­ge­gen­ge­setzt sind. Tho­mas Kling etwa hat­te ein Fai­ble für die katho­lisch reli­giö­se Chris­ti­ne Lavant. Die Moti­va­ti­on dabei ist, dass man mög­lichst breit wer­den will. Außer­dem gibt es kei­nen Dich­ter, von dem man nicht ler­nen könn­te. Je anders­ar­ti­ger er ist, umso mehr kann man von ihm ler­nen. Das gan­ze Berufs­ver­mö­gen eines Dich­ters läuft dar­auf hin­aus, durch Mas­ken sehen zu ler­nen; in die­ser Art von Mund­öff­nung zu arbeiten.

Für die Ent­wick­lung eines Dich­ters ist es unbe­dingt wich­tig, sein eige­nes Ich hint­an­zu­stel­len. Ein Gedicht zu schrei­ben wie Goe­the, ein Gedicht zu schrei­ben wie aus dem 16. Jahr­hun­dert, ein Gedicht zu schrei­ben wie ein Dada­ist, ein Gedicht zu schrei­ben wie Ezra Pound, ein Gedicht zu schrei­ben wie Brod­sky, das ist, was jeder Schrift­stel­ler die ers­ten zehn Jah­re machen soll­te: sich an sei­nen Vor­bil­dern abar­bei­ten. Wenn man das geschafft hat, dann kann man sich die Vor­bil­der suchen, die es ganz woan­ders hin geschafft haben. Mein Bestre­ben ist, mög­lichst rund zu sein und für die The­ma­tik die ent­spre­chen­de Spra­che und ent­spre­chen­de Per­spek­ti­ve ein­satz­be­reit zu haben.

SCHAU INS BLAU: Woher kommt der Drang des Men­schen, sich im Ster­nen­him­mel erken­nen zu wol­len? Hält der Mensch sei­ne eige­ne Nich­tig­keit sonst nicht aus?

RAOUL SCHROTT: Es gibt, je nach Kul­tur und Zeit, die ver­schie­dens­ten Geschich­ten, die in den Him­mel und in die Ster­nen­kon­stel­la­ti­on hin­ein pro­ji­ziert wer­den. Aber das Ent­schei­den­de ist nicht, was wir damit machen wol­len, son­dern dass wir gar nicht anders kön­nen. Das mensch­li­che Gehirn ist so gebaut, dass es über­all bestimm­te Arten von Struk­tu­ren erkennt. Sol­che Arten von Struk­tu­ren, die die Wahr­neh­mungs­psy­cho­lo­gie eine Schö­ne Gestalt nennt. Sie stellt letzt­lich aber nur die kogni­ti­ve öko­no­mischs­te Ver­bin­dung von Punk­ten zu einer Figur dar.

Wenn ich drei Punk­te neben­ein­an­der sehe, dann wer­de ich sie im Kopf immer auto­ma­tisch zu einer Linie ver­bin­den. Das zeigt die Wahr­neh­mungs­psy­cho­lo­gie, da gibt es fünf Geset­ze und die gel­ten über­all. Inso­fern kön­nen wir gar nicht anders, als die­se völ­lig will­kür­li­chen Punk­te (nicht mal die Ster­ne in den Stern­bil­dern haben ja etwas mit­ein­an­der zu tun) in Bezug zuein­an­der set­zen zu wollen.

SCHAU INS BLAU: Ver­mag Poe­sie die Welt zu erklä­ren? Sowohl emo­tio­nal als auch erkenntnisorientiert?

RAOUL SCHROTT: Als ich jün­ger war, ging ich auf­grund des aka­de­mi­schen Umfel­des davon aus, dass Spra­che etwas wäre, das doch irgend­wo kon­stru­iert ratio­nal ent­stan­den ist. Und da Phi­lo­so­phie auf Spra­che fußt, ist die Ein­sicht, die ich inzwi­schen habe die­se, dass Spra­che das Ergeb­nis einer rie­si­gen Bri­co­la­ge ist. Da ist nichts Zwangs­läu­fi­ges, da ist nichts Strin­gen­tes, da sind nur ganz sel­ten uni­ver­sel­le­re Ten­den­zen erkenn­bar. Der Sprach­ge­brauch der Poe­sie ist kein unge­wöhn­li­cher, er akzen­tu­iert nur, wie unser all­ge­mei­ner Sprach­ge­brauch zusam­men­ge­bas­telt ist.

All die Vor­stel­lun­gen, die wir haben, d.h. jeder Wis­sen­schaft­ler, der beginnt, nach etwas zu suchen, der etwas ent­deckt, geht nicht unbe­las­tet dar­an, son­dern bringt sein kul­tu­rel­les Gepäck mit. Wir den­ken nun ein­mal in Ana­lo­gien, weil das unse­re ein­zi­ge Art des Den­kens ist. Und eben­so kon­stru­ie­ren wir unser Uni­ver­sum – die Idee des Urknalls ist eine Meta­pher, ein schwar­zes Loch ist eine Meta­pher, ein roter Rie­se, ein wei­ßer Zwerg, all das sind letzt­lich meta­pho­ri­sche Kon­struk­tio­nen. Auch die Wis­sen­schaft arbei­tet letzt­lich meta­pho­risch, mit mensch­lich rele­van­ten Begrif­fen. Die Lite­ra­tur poten­ziert die­se Vor­ge­hens­wei­se noch.

Inso­fern hat die Spra­che des Gedich­tes, die poe­ti­sche Spra­che schon von ihrer Ety­mo­lo­gie her, als poie­sis – etwas schaf­fen, machen – ein welt­schöp­fe­ri­sches Ele­ment. Und was die Natur­wis­sen­schaf­ten betrifft, so sind die Instru­men­te welt­schöp­fe­risch, da wir ohne die­se Instru­men­te kei­ne Vor­stel­lung von den Gala­xien hät­ten. Hier hat die Poe­sie eine illus­tra­ti­ve Funk­ti­on, die­se Daten umzu­set­zen und sie uns anschau­lich zu machen.

SCHAU INS BLAU: Ist die poe­ti­sche Her­an­ge­hens­wei­se, Welt zu erken­nen und zu deu­ten, den archai­schen Bil­dern in uns näher als die wis­sen­schaft­li­che? Gibt es gar ein Zusammenspiel?

RAOUL SCHROTT: Mei­ner Mei­nung nach gibt es gewis­se urmensch­li­che Ver­hal­tens­for­men (sie­he Gehirn und Gedicht). Die Hirn­for­schung zeigt, dass wir zum Bei­spiel, wenn wir nur das Wort gehen hören, sofort die Moto­rik in Bereit­schaft set­zen, die mit gehen asso­zi­iert wird. D. h. wenn wir das Wort grei­fen hören, geht die Hand schon in Vor­greif­stel­lung. Ver­ben wer­den anders als Bil­der ver­ar­bei­tet und mit der ent­spre­chen­den Moto­rik gekop­pelt. Bil­der haben ein völ­lig ande­res sta­ti­sches Sys­tem. Da Wor­te nur Klange­ti­ket­ten sind, die sich nicht nur fül­len mit dem, was wir ‘Kon­zept’ nen­nen, son­dern auch ver­bun­den wer­den mit unse­ren emo­tio­na­len, kör­per­li­chen Erfah­run­gen und mit unse­rer Geschichte.

Das Wort Kir­sche ist nicht nur eine Frucht, die rot ist, son­dern das Wort Kir­sche bedeu­tet die Erfah­rung, zum ers­ten mal Kir­schen zu klau­en; die Erfah­rung, wie weit man mit den Kir­schen­ker­nen spu­cken kann; was einem zur Far­be rot alles ein­fällt. Ver­ben wer­den not­wen­di­ger­wei­se mit Bewe­gung asso­zi­iert. Die Klang­hül­sen von Abs­trak­ta sind dabei schwie­ri­ger mit Inhalt zu befül­len – und des­halb poe­tisch weit­aus weni­ger ergie­big: d.h. ein­präg­sam oder kata­ly­tisch. Was etwa ist der kon­kre­te Inhalt von Nach­hal­tig­keit? Hei­mat heu­te und Hei­mat im Drit­ten Reich ist ein gro­ßer Unter­schied. Wenn ich jedoch einen Vogel beschrei­be, dann kann ich in fünf­tau­send Jah­ren noch einen direk­ten Bezug her­stel­len. Den direk­ten Bezug zwi­schen Hörer, Leser und Text her­zu­stel­len ist das, wovon Lite­ra­tur, Kunst und Kul­tur leben.

SCHAU INS BLAU: Gibt der Dich­ter sich mit dem aus­ge­deu­te­ten Ster­nen­him­mel zufrie­den oder will er neue Stern­bil­der ent­de­cken bzw. erfinden?

RAOUL SCHROTT: Zum einen: Es ist längst noch nicht alles aus­ge­deu­tet. So hal­ten die Wis­sen­schaft­ler bei­spiels­wei­se zur­zeit Aus­schau nach erd­ähn­li­chen Pla­ne­ten, die ja auch alle neu benannt wer­den müs­sen. Das zwei­te ist natür­lich eine ande­re Geschich­te: Die grund­sätz­li­che Her­an­ge­hens­wei­se von Kul­tur­schaf­fen­den ist auch immer eine respekt­lo­se. Denn wenn ich im Vor­hin­ein schon sage, das haben die Grie­chen schon gemacht, dann gibt es auch kei­ne neue Kul­tur, d.h. es braucht ein gewis­ses Maß an Frech­heit und Respektlosigkeit.

All das mit den Stern­bil­dern hat für uns heu­te kei­ne Rele­vanz mehr. Ob der jetzt Ori­on heißt oder anders, kein Mensch weiß, wer der Ori­on war, das wuss­ten schon die Grie­chen nicht mehr, die das von Homer über­nom­men haben – wel­ches es wie­der­um von den Assy­rern über­nahm. Seit­dem ist das eigent­lich eine lee­re Geschich­te. Außer­dem haben wir heu­te kei­nen Bezug mehr zum Nacht­him­mel, weil man den kaum noch irgend­wo sieht, außer man ist auf dem Land. Aber wenn ich heu­te und hier und jetzt arbei­te, dann ist der Grund, war­um ich mich mit den Din­gen da drau­ßen beschäf­ti­ge, der­je­ni­ge, um sie für das Heu­te wie­der rele­vant zu machen.

SCHAU INS BLAU: Lie­ber Herr Schrott, wir bedan­ken uns für das anre­gen­de Gespräch!

 

Raoul Schrott, gebo­ren 1964, auf­ge­wach­sen in Tunis und Lan­deck (Öster­reich), lebt in Irland. Er erhielt zahl­rei­che Aus­zeich­nun­gen, zuletzt den Joseph-Breit­bach-Preis (2004). Bei Han­ser erschie­nen u.a. Hand­buch der Wol­ken­put­ze­rei (Gesam­mel­te Essays 2005), Homers Hei­mat (2008), die Über­ta­gung der Ili­as(2008) und der Lie­bes­ge­dich­te aus dem Alten Ägyp­ten.* Die Blü­te des nack­ten Kör­pers* (2010) und Gehirn und Gedicht. (2011, gemein­sam mit Arthur Jacobs). Zuletzt erschien Das schwei­gen­de Kind (Erzäh­lung, 2012).