Verstehen und Verständnis — Sprache als ethische Trägersubstanz der Transkulturalität

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von Moni­ka Weber

„Trans­kul­tu­ra­li­tät bezeich­net den Umstand, dass eine Viel­zahl von Kul­tu­ren in der heu­ti­gen Gesell­schaft exis­tie­ren und alle heu­ti­gen Kul­tu­ren in einem posi­ti­ven Sinn durch Mischung und Durch­drin­gung gekenn­zeich­net sind“ (Welsch Ver­nunft 58).

Kaum ein Fle­cken Erde besitzt eine Geschich­te, die der­art von kul­tu­rel­ler Viel­falt gezeich­net ist, wie Kana­das größ­te Pro­vinz Que­bec: kul­tu­rel­le Begeg­nun­gen prä­gen Land und Leu­te seit über fünf­hun­dert Jah­ren. Die­ser Essay soll eine sozio­kul­tu­rel­le Ent­wick­lung der Que­becer Gesell­schaft vom Anfang der nord­ame­ri­ka­ni­schen Besie­de­lung bis hin zur Trans­kul­tu­ra­li­tät skiz­zie­ren, wobei der Spra­che hier­bei eine Schlüs­sel­rol­le zukommt. Hier­bei soll die ethisch-kul­tu­rel­le Trä­ger­funk­ti­on von Spra­che für die Trans­kul­tu­ra­li­tät sicht­bar gemacht und gezeigt wer­den, dass zum Ver­ständ­nis immer Ver­ste­hen not­wen­dig ist.

Die­ser Text kon­zen­triert sich von allen mög­li­chen kul­tu­rel­len Kom­po­nen­ten rein auf die ang­lo- und fran­ko­pho­ne Geschich­te und Bezie­hun­gen in Mont­re­al, Que­bec. Die Stadt Mont­re­al hat dank ihrer Lage am Sankt-Lorenz-Strom eine stra­te­gisch wich­ti­ge Bedeu­tung und soll damit in ihrer Schlüs­sel­rol­le stell­ver­tre­tend für den Rest der Pro­vinz Que­bec stehen.

Entwicklung des gesellschaftlich-kulturellen Miteinanders in Quebec

Der ers­te nament­lich bekann­te Euro­pä­er – John Cabot – lan­det 1497 an Kana­das Ost­küs­te. Von die­sem Zeit­punkt an bleibt die spä­ter als Que­bec bekann­te Regi­on über 250 Jah­re hin­weg zwi­schen Fran­zo­sen und Bri­ten umstrit­ten. Dabei ver­bün­den sich bei­de Sei­ten jeweils mit ver­schie­de­nen Urein­woh­ner-Stäm­men und füh­ren Krie­ge par­al­lel zu den euro­päi­schen Kolo­ni­al­kon­flik­ten. Die Bri­ten gewin­nen schließ­lich 1763 die Ober­hand und tei­len die Kolo­nie Que­bec auf, wobei aus dem Teil Lower Cana­da (Unter­ka­na­da) mit der Ent­ste­hung Kana­das 1867 eine eige­ne Pro­vinz namens Que­bec wird.

Mont­re­al selbst ist seit sei­ner Ent­de­ckung 1535 erst unter fran­zö­si­scher und spä­ter unter eng­li­scher Vor­herr­schaft. Schon aus his­to­ri­schen Gesichts­punk­ten ist die Stadt damit von einer Tei­lung in zwei Kul­tur- und Sprach­blö­cke geprägt. Jede der bei­den Grup­pen ver­steht sich als rein eng­lisch bezie­hungs­wei­se rein fran­zö­sisch mit dem ent­spre­chen­den sprach­li­chen, reli­giö­sen und kul­tu­rel­len Hin­ter­grund. Die­se Dua­li­tät mani­fes­tiert sich unter ande­rem in getrenn­ten Wohn­vier­teln, Kir­chen und öffent­li­chen Ein­rich­tun­gen wie Schu­len oder Uni­ver­si­tä­ten. Über lan­ge Zeit hin­weg ver­hin­dert die­se insti­tu­tio­nel­le Tren­nung eine Durch­mi­schung von fran­ko- und anglo­pho­nen Ein­woh­nern. Öko­no­misch domi­nie­ren jahr­hun­der­te­lang eng­lisch­spra­chi­ge Indus­tri­el­le die Stadt, wäh­rend die fran­ko­pho­ne Grup­pe eher länd­lich-kon­ser­va­tiv geprägt ist. Sie ist damit ärmer, schlech­ter gebil­det und wird von der katho­li­schen Kir­che sowie der anglo­pho­nen Min­der­heit in vie­len Aspek­ten unter­drückt. Dar­aus resul­tie­ren ein star­kes sozia­les Gefäl­le und ent­spre­chen­de Res­sen­ti­ments der fran­ko­pho­nen Bevölkerungsgruppe.

Interkulturelle, dichotome Phase kultureller Trennung

All die­se Aspek­te füh­ren dazu, dass trotz räum­li­cher Pro­xi­mi­tät eine kul­tu­rel­le Tren­nung vor­liegt, die zu einer – sehr nega­ti­ven – inter­kul­tu­rel­len Inter­ak­ti­on zwi­schen bei­den Bevöl­ke­rungs­grup­pen führt: zwei eigen­stän­di­ge Kul­tu­ren tref­fen auf­ein­an­der. Die­se tau­schen sich zwar gezwun­ge­ner­ma­ßen aus, blei­ben in ihrem Kern aber von­ein­an­der unbe­rührt. Bei­de Grup­pen ver­su­chen, ihre eige­ne Kul­tur vor dem Ein­fluss der jeweils ande­ren mit allen Mit­teln zu „bewah­ren“. Zum einem liegt hier durch die Exklu­si­vi­tät bei­der Grup­pen dua­les Den­ken und Dicho­to­mi­sie­rung vor: bei­de Par­tei­en neh­men sich gegen­sei­tig als das „Ande­re“ wahr, ohne die­se Kate­go­ri­sie­rung über­win­den zu wol­len oder zu kön­nen. Durch jene auf „Aus­übung von Macht“ (Levi­n­as Spur 114) und kul­tu­rel­ler Abgren­zung basie­ren­de Denk­wei­se – Wolf­gang Welsch nennt die­ses Phä­no­men „kul­tu­rel­ler Ras­sis­mus“ (Welsch Ver­nunft 6) – wird Gewalt aus­ge­übt. Zum ande­ren beruht die kul­tu­rel­le Tren­nung – wenn man nach der Defi­ni­ti­on des deut­schen Kul­tur­wis­sen­schaft­lers Jan Ass­mann geht – auf einem Vor­han­den­sein zwei­er völ­lig getrenn­ter, kol­lek­ti­ver Gedächt­nis­se, auf wel­che jede ein­zel­ne „Grup­pe ihr Bewußt­sein von Ein­heit und Eigen­art stützt“ (Ass­mann 15).

Multikulturelle Annäherung und Koexistenz

Das beson­de­re an Mont­re­al ist nun sei­ne Insu­la­ri­tät. Ang­lo- und fran­ko­pho­ne Mont­rea­ler tei­len sich trotz der beschrie­be­nen, über Jahr­hun­der­te mani­fes­tier­ten Spal­tung, der Riva­li­tät und den dadurch resul­tie­ren­den sozia­len und sprach­li­chen Unter­schie­den einen geo­gra­phi­schen Raum, in dem man sich bedingt durch die räum­li­che Pro­xi­mi­tät nicht voll­stän­dig aus dem Weg gehen kann. Über einen lan­gen Zeit­raum hin­weg tritt in Fol­ge ein gesell­schaft­li­ches Phä­no­men mit mul­ti­kul­tu­rel­len Zügen auf: es kommt nicht zu einer Ver­schmel­zung der bei­den Kul­tu­ren, son­dern zu einer Art Koexis­tenz. Bei­de ver­ste­hen sich aber immer­hin schon als Tei­le einer Gesell­schaft. Des­sen unge­ach­tet bestehen durch die nach wie vor bestehen­den Klas­sen­un­ter­schie­de Span­nun­gen. Ver­schie­den­hei­ten wer­den her­vor­ge­ho­ben und von reli­giö­sen und poli­ti­schen Füh­rern als Zun­der für Macht­kämp­fe miss­braucht, wes­we­gen nur wenig wirk­li­che Annä­he­rung bei­der Sei­ten stattfindet.

Die transkulturelle Wende

Im Zuge der Stil­len Revo­lu­ti­on, der Révo­lu­ti­on tran­quil­le, in den 1970er Jah­ren kommt es schließ­lich dazu, dass mit dem Gesetz 101 (Loi 101) Fran­zö­sisch gleich­be­rech­tig mit Eng­lisch als Amts­spra­che aner­kannt wird. Die Stil­le Revo­lu­ti­on ermög­licht, dass die fran­ko­pho­nen Ein­woh­ner der Pro­vinz end­lich anfan­gen kön­nen, sich vom Ein­fluss der eng­lisch­spra­chi­gen Eli­te zu eman­zi­pie­ren: sie betrach­ten sich nicht mehr als fran­zö­sisch­stäm­mi­ge Kana­di­er, die auf das Mut­ter­land Frank­reich fokus­siert sind, son­dern ent­wi­ckeln eine neue, posi­tiv besetz­te Iden­ti­tät als Que­becer (frz. Qué­bé­cois). Im Zuge der Stil­len Revo­lu­ti­on erfolgt auch eine Umstruk­tu­rie­rung des Bil­dungs­sys­tems, wel­che das Ler­nen von Fran­zö­sisch und Eng­lisch – und damit ein­her­ge­hend auch die Beschäf­ti­gung mit der jeweils ande­ren Kul­tur – für alle Schü­ler obli­ga­to­risch macht. Infol­ge­des­sen fin­det ein Wan­del statt: durch das nun akti­ve Auf­ein­an­der­tref­fen bei­der Kul­tu­ren kommt es in der Fol­ge trotz kul­tu­rel­ler Unter­schie­de zur gegen­sei­ti­gen Beein­flus­sung und Durchmischung.

Auf der Makro­ebe­ne lässt sich Trans­kul­tu­ra­li­tät in Mont­re­al seit etwa fünf bis zehn Jah­ren ver­stärkt beob­ach­ten. Eine Schlüs­sel­rol­le hier­für spielt der seit der Umset­zung der Loi 101 inzwi­schen groß­flä­chig ver­brei­te­te Bilin­gua­lis­mus, wel­cher eine nahe­zu voll­kom­me­ne Ver­stän­di­gung zwi­schen jün­ge­ren Mit­glie­dern bei­der Kul­tur­grup­pen ermög­licht. Die Spra­che kann in die­sem Fall als Schlüs­sel­ele­ment der gegen­sei­ti­gen Ver­stän­di­gung und Brü­cke zum ethisch-kul­tu­rel­len Ver­ständ­nis gedeu­tet wer­den. Schon rein kogni­tiv betrach­tet, ist Ver­ste­hen sowohl Vor­aus­set­zung als auch Vor­stu­fe zum Ver­ständ­nis. Die Trä­ger­funk­ti­on der Spra­che in Wort und Schrift fun­giert also als Grund­la­ge für eine trans­kul­tu­rel­le Ent­wick­lung und ermög­licht ein Erfas­sen des Gegen­übers jen­seits von Begrif­fen wie „anders“ oder „fremd“.

Die­se trans­kul­tu­rel­le Ent­wick­lung lässt sich ins­be­son­de­re bei Mont­rea­lern bei­der Mut­ter­spra­chen mit uni­ver­si­tä­rem Hin­ter­grund loka­li­sie­ren, die 1980 oder spä­ter gebo­ren sind. Bei ihnen kann man ein Bewusst­sein für die eige­ne (Geburts-)Identität bei gleich­zei­ti­ger Schaf­fung einer neu­en Iden­ti­tät – das Phä­no­men der Neu­kul­tu­ra­ti­on nach Fer­nan­do Ortiz (Sara­via 726) – beob­ach­ten. Jene erlaubt es trans­kul­tu­rel­len Mont­rea­lern, sich unab­hän­gig von his­to­ri­schen Riva­li­tä­ten zwi­schen bei­den Wel­ten zu bewe­gen. Die­se trans­kul­tu­rel­le Ent­wick­lung setzt den von Emma­nu­el Levi­n­as gepräg­ten Term des „Geheim­nis“ des Ande­ren als Berei­che­rung für sich selbst in die Pra­xis um: ohne zwangs­läu­fig jeden Aspekt des Ande­ren ver­ste­hen zu wol­len, wird die­ser wer­tungs­frei und mit Neu­gier als neu­tra­les Gegen­über betrach­tet: „[d]as Ande­re des Ande­ren ist nicht eine ver­steh­ba­re Form“ (Levi­n­as Wenn Gott 42). Und wei­ter: „[d]as Ande­re ist der Ande­re“ (Levi­n­as Wenn Gott 43). In der sozio­kul­tu­rel­len Pra­xis erkennt man dies kon­kret dar­an, dass trans­kul­tu­rel­le Mont­rea­ler von allen Vor­tei­len bei­der Wel­ten pro­fi­tie­ren kön­nen und die­ses Ange­bot auch tat­säch­lich in Anspruch neh­men. Bei­spiels­wei­se bie­tet sich ihnen die Mög­lich­keit zum Stu­die­ren an allen sie­ben Hoch­schu­len der Stadt, zum Lesen aller lite­ra­ri­schen und wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen sowie des Besuchs aller kul­tu­rel­len oder sons­ti­gen Ver­an­stal­tun­gen unab­hän­gig davon, in wel­cher Spra­che und geo­gra­fisch-kul­tu­rel­ler Umge­bung die­se stattfinden.

Durch die Neu­gier auf und Freu­de an der eige­nen genau wie der ande­ren Kul­tur eröff­net sich – basie­rend auf der Trä­ger­sub­stanz Spra­che – die Gele­gen­heit zur umfas­sen­den, rezi­pro­ken Kom­mu­ni­ka­ti­on. Das tra­dier­te Kul­tur­ver­ständ­nis, wel­ches trennt anstatt zu ver­bin­den, wird so auf­ge­bro­chen. An Stel­le der his­to­ri­schen, meist gesell­schaft­lich erwar­te­ten Selbst-Beschrän­kung auf einen Sprach- oder Kul­tur­raum bestimmt das trans­kul­tu­rel­le Sub­jekt nun selbst, mit wem es kom­mu­ni­zie­ren möch­te. Tra­dier­te restrik­ti­ve Gewalt­struk­tu­ren wer­den auf­ge­bro­chen, indem kein wer­ten­der Unter­schied mehr zwi­schen fremd und eigen gemacht wird. Auf die­se ethisch-gewalt­freie Wei­se – durch anhal­ten­den Wis­sens­durst – kön­nen die Kul­tu­ren sich immer nach­hal­ti­ger durch­drin­gen und verflechten.

Transkulturelle Spuren in der Literatur: Jacques Poulins Roman Volkswagen Blues

Die­se trans­kul­tu­rel­le Ent­wick­lung spie­gelt sich ent­spre­chend im Que­becer Schrift­gut wie­der: Lite­ra­tur als Spie­gel ihrer Zeit beschäf­tigt sich auch mit kul­tu­rel­len Phä­no­me­nen. Tex­te basie­ren auf Spra­che, die als ethisch-kul­tu­rel­le Trä­ger­sub­stanz neue Ent­wick­lun­gen und Ideen trans­por­tie­ren kann, indem sie jene Pro­zes­se beschreibt, ohne sie benen­nen zu kön­nen oder zu müs­sen. Ein frü­hes Werk mit trans­kul­tu­rel­len Ele­men­ten stellt Jac­ques Poulins Roman Volks­wa­gen Blues (1984) dar. Der Roman beschreibt die Suche des fran­ko­pho­nen Schrift­stel­lers Jack Water­man nach sei­nem Bru­der Théo in Beglei­tung der Halb-India­ne­rin Pitsé­mi­ne und schil­dert plas­tisch den kul­tu­rel­len Umbruch infol­ge der Révo­lu­ti­on tran­quil­le. Der Plot von Volks­wa­gen Blues spielt hier­bei bei­spiels­wei­se nicht nur in Que­bec: die Rei­se führt über die Lan­des­gren­zen hin­aus von Gas­pé im fran­ko­pho­nen Herz­land Que­becs über die bilin­gua­le Stadt Mont­re­al in die anglo­pho­ne Pro­vinz Onta­rio und schließ­lich sogar in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten. Jene trans­kul­tu­rel­le Über­schrei­tung von ehe­mals geschlos­se­nen lin­gu­is­ti­schen und ter­ri­to­ria­len Gren­zen im Zuge einer über­ge­ord­ne­ten Agen­da (der Suche nach Théo) zeigt die Not­wen­dig­keit hier­für auf und macht die einst dua­len Kate­go­rien des Bekann­ten und Unbe­kann­ten äqui­va­lent relevant.

Dar­über hin­aus benutzt Poulin in sei­nem haupt­säch­lich auf Fran­zö­sisch gehal­te­nen Roman zwei­spra­chi­ge oder rein eng­li­sche Pas­sa­gen, wel­che für den Leser nicht über­setzt wer­den. Es wird also ein bilin­gua­les Ver­ständ­nis vom Rezi­pi­en­ten gefor­dert und zeigt gleich­zei­tig eine Ver­schmel­zung bei­der Spra­chen in der All­tags­spra­che, ohne die­se expli­zit the­ma­ti­sie­ren zu müs­sen. Das Gegen­über kann also in sei­ner Anders­ar­tig­keit (und Gleich­heit) so belas­sen wer­den, ohne dass dies benannt, beschrie­ben oder durch den Ver­stand ergrün­det wer­den muss – „das Geheim­nis erscheint, ohne zu erschei­nen“ (Levi­n­as Tota­li­tät 374) – und wird auf die­se Wei­se aufrechterhalten.

Wei­ter las­sen sich die bei­den Que­becer Haupt­cha­rak­te­re von ihren zwi­schen­mensch­li­chen Begeg­nun­gen trans­kul­tu­rell beein­flus­sen, indem sie deren „Gast­lich­keit“ anneh­men und wie­der­um ande­ren ihr „Ant­litz“ zei­gen (Levi­n­as Spur 220f.). Dies wird etwa sicht­bar, als Pitsé­mi­ne im Gespräch mit einer ame­ri­ka­ni­schen Park­aufs­e­he­rin ein eng­li­sches Wort nicht ein­fällt: „In the old days, with a badge you were a cib­le for ever­y­bo­dy. A cib­le… how do you say that? – A tar­get? – Yes!“ (Poulin 216). Indem hier sprach­über­grei­fend kom­mu­ni­ziert und sich dabei gegen­sei­tig aus­ge­hol­fen wird, ent­steht eine trans­kul­tu­rel­le Brü­cke des Ver­ste­hens und Verständnisses.

Des­wei­te­ren stellt sich Volks­wa­gen Blues mit sei­nen vie­len inter­tex­tu­el­len Quer­ver­wei­sen – bei­spiels­wei­se durch das Motiv des road trips als Instru­ment der Iden­ti­täts­su­che – trans­kul­tu­rell in die (ursprüng­lich US-ame­ri­ka­ni­sche) Tra­di­ti­on des Kerouac’schen road novels. Anstatt sich abzu­gren­zen prä­sen­tiert sich Poulins Roman damit als Teil eines gesamt­ame­ri­ka­ni­schen Kon­texts – ein ganz neu­er Gedan­ke, der für einen tra­di­tio­nel­len, fran­ko­pho­nen Que­becer Roman undenk­bar ist. Wie Wolf­gang Welsch in sei­nem Auf­satz „Was ist eigent­lich Trans­kul­tu­ra­li­tät?“ demons­triert, wird ein rein natio­na­les Lite­ra­tur- und Kul­tur­ver­ständ­nis zuneh­mend unmög­li­cher in einer Zeit, die durch Glo­ba­li­sie­rung und erhöh­te Mobi­li­tät geprägt ist wie nie zuvor (Welsch „Was ist“ 52). Statt­des­sen spie­geln sich trans­kul­tu­rel­le Gesell­schafts­zü­ge bei­spiel­haft in Poulins Roman. Er stellt damit einen lite­ra­ri­schen Ent­wurf einer mög­li­chen, trans­kul­tu­rel­len Rea­li­tät dar, die von Durch­drin­gung gekenn­zeich­net ist.

Abbau von Gewaltstrukturen durch Verstehen und Verständnis

Zusam­men­fas­send kann man sagen, dass in der Que­becer Gesell­schaft und Lite­ra­tur eine ten­den­zi­el­le Ori­en­tie­rung hin zur Trans­kul­tu­ra­li­tät statt­fin­det, was aber nicht aus­schlie­ßen soll, dass eine par­al­le­le Koexis­tenz aller drei oben genann­ten Phä­no­me­ne in ver­schie­de­nen Sta­di­en vor­liegt. Die­se Ent­wick­lung basiert neben räum­li­cher Pro­xi­mi­tät und all­ge­mei­ner his­to­ri­scher und kul­tu­rel­ler Ent­wick­lun­gen größ­ten­teils auf dem Medi­um Spra­che und der Tat­sa­che, dass ang­lo- und fran­ko­pho­ne Que­becer via Bilin­gua­lis­mus eine gemein­sa­me sprach­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ba­sis gefun­den haben: Ver­ständ­nis jeg­li­cher Art beruht zunächst auf Ver­ste­hen. Auf die­ser Basis kön­nen jahr­hun­der­te­lan­ge Vor­ur­tei­le, Abgren­zung und auf Spra­che basier­te Gewalt abge­tra­gen wer­den. Indem sich kein Mensch unter­le­gen oder aus­ge­grenzt füh­len muss, ebnet sich suk­zes­si­ve der Weg für ein ethisch vor­ur­teils­frei­es, trans­kul­tu­rel­les Mit­ein­an­der. Lite­ra­tur spielt in die­sem Kon­text eine tra­gen­de Rol­le, weil Spra­che „der unbe­stimm­te, unein­heit­li­che, unfi­xier­ba­re Ort [ist], wohin unser Sub­jekt ent­flieht, das Schwarz­weiß, in dem sich jede Iden­ti­tät auf­zu­lö­sen beginnt“ (Bar­thes 85). Nur durch jene Auf­lö­sung von kul­tu­rel­ler Iden­ti­tät durch Hybri­di­tät und Durch­drin­gung ist die Schaf­fung einer neu­en und posi­ti­ven trans­kul­tu­rel­len Lebens­form mög­lich, in der kein Mensch sich aus­ge­schlos­sen und nicht zuge­hö­rig füh­len muss.

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Moni­ka Weber ist Kom­pa­ra­tis­tin und hat über ein Jahr ihres Bache­lor­stu­di­ums an der Uni­ver­si­té de Mon­tré­al in Que­bec, Kana­da absol­viert. Sie arbei­tet der­zeit im Rah­men des Stu­di­en­gangs des Eli­te­netz­werks Bay­ern Ethik der Text­kul­tu­ren in Augs­burg und Erlan­gen an ihrer Mas­ter­ar­beit zum The­ma Busi­ness- und Medi­en­ethik in Social Media-Unternehmen.