Rand-Erscheinungen

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Franz Josef Czernin über Nebengeräusche der Sprache

von Anna Rauscher

 

Sprach­phi­lo­so­phi­schen Betrach­tun­gen kommt in Franz Josef Czernins dich­te­ri­schem Werk eine tra­gen­de Rol­le zu.[1] In sei­nem aktu­el­len Werk beschäf­tigt er sich mit den Neben­ge­räu­schen der Spra­che und geht dem Gedan­ken nach, ob die Spra­che Zugang zu Inhal­ten ermög­li­chen kann, die der mensch­li­chen Erfah­rung gemein­hin ent­zo­gen sind.[2]

SCHAU INS BLAU: Ihr neus­ter Gedicht­band zun­gen­eng­lisch. visio­nen, vari­an­ten ist ein zunächst recht her­me­tisch anmu­ten­des Werk von gro­ßer the­ma­ti­scher Kom­ple­xi­tät. Wel­che Fak­to­ren waren für sei­ne Ent­ste­hung ausschlaggebend?

FRANZ JOSEF CZERNIN: Die Gedich­te sind über die letz­ten acht Jah­re hin ent­stan­den. Vari­an­ten eini­ger die­ser Gedich­te fin­den sich schon in staub.gefässe. gesam­mel­te gedich­te. Da die Gedich­te in zun­gen­eng­lisch Resul­tat eines lan­gen und umweg­rei­chen Pro­zes­ses sind, fällt es mir schwer, die aus­schlag­ge­ben­den Fak­to­ren zu nennen.

Jeden­falls gibt es meh­re­re Wege, die ich immer wie­der auf je ande­re Wei­se zu gehen ver­su­che: Drei poe­ti­sche Prin­zi­pi­en set­zen sich dabei viel­leicht immer wie­der durch. Das eine nen­ne ich das ‚Hym­ni­sche‘, wie es sich bei­spiels­wei­se in ossa und pel­ion und in natur-gedich­te fin­det, die­se Gedich­te sind viel­leicht ein Echo der Höl­der­lin­schen Hym­nen. Das zwei­te ist das ‚Sonett­ar­ti­ge‘ – Gedich­te, die ver­gleichs­wei­se viel Refle­xi­on und linea­re Gedan­ken­gän­ge ent­hal­ten, wie es ja im Sonett gene­rell und tra­di­ti­ons­ge­mäß geschieht. Das drit­te Prin­zip nen­ne ich für mich das ‚Lied­haf­te‘, das fin­de ich erst­mals in den Gele­gen­heits­ge­dich­ten. Die­se Gedich­te sind oft gereimt, haben ein regel­mä­ßi­ges Metrum und in ihnen wird Refle­xi­on, das Gedank­li­che, eher ver­bor­gen. Nach der lan­gen Zeit der Beschäf­ti­gung mit Lied­form und Sonett ist zun­gen­eng­lisch auch eine Rück­kehr zum Hym­ni­schen. Außer­dem war nach der Aus­ein­an­der­set­zung mit der Sonett­form in Kom­bi­na­ti­on mit kom­ple­xer Syn­tax, wie in staub.gefässe. gesam­mel­te gedich­te und schon vor­her in ele­men­te. sonet­te, ein Punkt erreicht, an dem mir die Bestand­tei­le von Wör­tern, die Buch­sta­ben und Sil­ben, beson­ders wich­tig wur­den; vor allem dabei auch das, was seman­tisch nicht tra­gend, was irgend­wie ‚Abfall‘ ist. Dazu haben mich nicht zuletzt die Kom­po­si­tio­nen Hel­mut Fried­rich Lache­manns ange­regt, in denen die Neben­ge­räu­sche der Instru­men­tal­mu­sik, wie etwa das Krat­zen eines Bogens, bedeut­sam wer­den. In die­ser Musik, glau­be ich, rückt das, was sonst ‚dane­ben‘ wäre, plötz­lich ins Zen­trum, wobei das, was kon­ven­tio­nell unter ‚gewöhn­li­chen’ Tönen und Moti­ven ver­stan­den wird, im Hin­ter­grund mitschwingt.

Ein wei­te­rer Fak­tor bei der Ent­ste­hung von zun­gen­eng­lisch ist wahr­schein­lich mei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit, aber auch eine Art Unge­nü­gen an Paul Cel­ans Gedich­ten. Ich bin sehr früh auf die soge­nann­te expe­ri­men­tel­le Lite­ra­tur gesto­ßen, für die – merk­wür­di­ger­wei­se oder auch nicht – Celan als etwas alt­mo­disch galt. Die Wie­ner Grup­pe oder auch Hel­mut Hei­ßen­büt­tel hat­ten bestimm­te Vor­be­hal­te gegen Celan, auch weil sei­ne Mit­tel (vor allem in den frü­he­ren Gedicht­bän­den) stark sym­bo­lis­tisch geprägt sind und ver­schlis­sen schie­nen. Ich habe, aus dem eige­nen Schrei­ben her­aus, die­se Kri­tik zu einem gewis­sen Grad geteilt, in Cel­ans Gedich­ten aber den­noch etwas für mich sehr Wich­ti­ges ent­deckt, das ich ver­fol­gen woll­te. Die­se Aus­ein­an­der­set­zung könn­te sich in den Gedich­ten in zun­gen­eng­lisch. visio­nen, vari­an­ten aus­wir­ken; viel­leicht sind zum Bei­spiel die Neo­lo­gis­men ein Anzei­chen davon, die teils Kopf und Stamm ver­keh­ren­den Komposita.

Ein wei­te­rer Fak­tor, der aber schwe­rer zu erklä­ren ist, ist die Suche nach Fol­gen und Wir­kun­gen, die sich erge­ben, wenn man jeden Buch­sta­ben, jede Sil­be als seman­ti­sche Kraft auf­fasst. Die­se Suche rührt viel­leicht von mei­ner Fas­zi­na­ti­on für man­che Aspek­te der Kab­ba­la her, wie sie in den Wer­ke Gers­hom Scholems dar­ge­legt sind. Bei Wal­ter Ben­ja­min fin­det sich natür­lich auch eini­ges in die­se Rich­tung. Nach Scholem sind die Ele­men­te der Spra­che in der Kab­ba­la Schöp­fungs­prin­zi­pi­en, sie sind es, die etwas her­vor­brin­gen – in der Kab­ba­la das gan­ze Uni­ver­sum, in unse­rem Fall wohl Gedichte.

SCHAU INS BLAU: Wie lässt sich dabei das Ver­hält­nis von Destruk­ti­on und Kon­struk­ti­on beschrie­ben?[3]

FRANZ JOSEF CZERNIN: Es spielt eine wich­ti­ge Rol­le: Man kann die Gedich­te auch als einen Trüm­mer­hau­fen anse­hen, inso­fern zum Bei­spiel ihre Syn­tax und ihre Seman­tik extrem zer­klüf­tet sind. Eigent­lich liegt dar­in, glau­be ich, ein Para­do­xon: Die Gedich­te ent­hal­ten sehr viel Destruk­ti­on, doch ich mei­ne zu erfah­ren: Nur wenn die­se zur Nei­ge aus­ge­schöpft ist, ent­steht eine Kon­struk­ti­on, Schöp­fung, die etwas auf­schei­nen las­sen kann, das sonst viel­leicht nicht auf­schei­nen könn­te. Schon in ele­men­te. sonet­te klingt etwas von para­die­si­scher Höhe und infer­na­li­scher Tie­fe an, es geht ganz hin­auf und ganz hin­un­ter, und eben das fin­det sich auch in zun­gen­eng­lisch. Ich habe das Gefühl, dass die Spra­che, wenn sie glei­cher­ma­ßen dekon­stru­iert wie rekon­stru­iert wird, wei­ter­rei­chen kann als gemein­hin ange­nom­men und erfah­ren wird, sie kann womög­lich etwas ahnungs­wei­se erken­nen las­sen, das man nor­ma­ler­wei­se nicht erken­nen kann. Wie man ein sol­ches Erkann­tes klas­si­fi­ziert, ob es sich etwa um men­ta­le Zustän­de oder viel­mehr um objek­ti­ve Rea­li­tä­ten han­delt, wie das, so neh­me ich an, bei Dan­te noch nahe­liegt, weiß ich nicht.[4] – Um der­glei­chen zu wis­sen, müss­te man ja wis­sen, wie es sich mit allen Din­gen zwi­schen Him­mel und Erde verhält.

SCHAU INS BLAU: Sie haben bereits auf die Bedeu­tung der Kab­ba­la hin­ge­wie­sen. Dane­ben fin­den sich in den Gedich­ten auch häu­fig Anspie­lun­gen auf die christ­li­che Reli­gi­on. Vor dem Hin­ter­grund des mit den Gedich­ten ver­öf­fent­lich­ten Essays zu einer Poe­tik der Visi­on erin­nern sie fast an die Gestal­tung mys­ti­scher Texte.[5] Auch scheint ein gewis­ses Seh­nen nach einer Wie­der­ver­ei­ni­gung mit einem Ursprung auf. Ist es als ein Seh­nen nach einer Ver­ei­ni­gung mit dem Gött­li­chen ver­steh­bar oder geht es gene­rell um eine Ver­ei­ni­gung des­sen, was getrennt ist?

FRANZ JOSEF CZERNIN: Ich nei­ge eher zur zwei­ten Vari­an­te. Ich möch­te die Gedich­te aus zun­gen­eng­lisch eigent­lich nicht mys­tisch nen­nen; weil die­se Klas­si­fi­ka­ti­on, das, was man beim Lesen der Gedich­te erfah­ren kann, eben als mys­tisch prä­ju­di­ziert. Es soll aber dem Lesen über­las­sen blei­ben, wohin man dabei gelangt. Natür­lich gibt es zuwei­len beim Lesen oder Schrei­ben von Gedich­ten oder auch beim Hören von Musik Momen­te, in denen man meint, von etwas Tran­szen­den­tem ange­weht zu wer­den. Sobald man aber ver­sucht, es zu beschrei­ben, befin­det man sich wie­der in Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­te­men, die die­ses Anwe­hen, nega­tiv for­mu­liert, regel­recht ver­ra­ten oder zumin­dest ver­grö­bern. Und ich bin mir ja nicht ein­mal sicher, ob ein ansons­ten Unsag­ba­res oder Tran­szen­den­tes über­haupt exis­tiert, und ob ein der­ar­ti­ges Ahnen nicht nur Ein­bil­dung ist.

SCHAU INS BLAU: In dem den Gedich­ten nach­ge­stell­ten Essay heißt es in die­sem Zusam­men­hang auch: „Es [das eigent­lich nicht Erfahr­ba­re wie bei­spiels­wei­se das Gestor­ben­sein; AR] wäre eine Erfah­rung von Ver­bor­ge­nem, das […] auch als Grund­le­gen­des ver­mit­telt ist“.[6] Was genau ver­ste­hen Sie unter dem Grundlegenden?

FRANZ JOSEF CZERNIN: Das meint in die­sem Zusam­men­hang das, was tie­fer lie­gend ist. Es ist das Bedin­gen­de im Ver­gleich zu etwas, was durch es bedingt ist. Gemeint ist also, dass es etwas gibt, das etwas bedingt, und je nach­dem auf wel­cher Ebe­ne man sich befin­det, gibt es viel­leicht immer wie­der etwas durch die­se jewei­li­ge Ebe­ne Beding­tes, aber etwas, das wie­der­um die­se Ebe­ne bedingt – was also zuun­terst wäre, das wäre das Grund­le­gen­de, das selbst nicht bedingt ist, son­dern nur Bedingendes.

SCHAU INS BLAU: Das heißt, wenn man alle Schich­ten abtrü­ge, wür­de man auf einen Ursprung stoßen?

FRANZ JOSEF CZERNIN: Das weiß nicht, ob es etwas abso­lut Grund­le­gen­des gibt. Aber ich glau­be, dass eine Poin­te der Gedich­te in zun­gen­eng­lisch dar­in besteht, dass man alles schein­bar Tie­fer­rei­chen­de oder Grund­le­gen­de auch einem Kalau­er, also einem sehr Ober­fläch­li­chen aus­lie­fern kann. Die Gedich­te lau­fen ja auch auf nor­ma­ler­wei­se zufäl­li­ge Klang- oder Schrift­über­ein­stim­mun­gen hin­aus (das gehört auch zum Dekon­struk­ti­ven), so dass sich die Fra­ge stellt, ob man hier wirk­lich Anzei­chen eines Tie­fen oder Grund­le­gen­den erken­nen kann, oder ob es sich viel­mehr um rei­nen Zufall han­delt, wie er zum Bei­spiel auch bei Mall­ar­mé als poe­to­lo­gi­sches Prin­zip eine gro­ße Rol­le spielt.

Am Anfang ist, nach Hegel, alles zufäl­lig, und in der Fol­ge sucht man eine imma­nen­te Ord­nung zu schaf­fen. Man schafft viel­leicht mehr Ord­nung als beim nicht-poe­ti­schen Spre­chen, etwa auch auf der Klang‑, der Buch­sta­be­ne­be­ne und auch der seman­ti­schen Ebe­ne. Aber ist das dann eine Ord­nung, die imma­nent, sozu­sa­gen inner­halb die­ser klei­nen Sprach­in­sel, funk­tio­niert, die ein Gedicht dar­stellt? Oder bil­det die­se Ord­nung, wenn viel­leicht auch mona­disch, die Ord­nung der Din­ge sel­ber ab, reicht das Gedicht als Aus­druck der Ord­nung der Din­ge über sich selbst hin­aus? Oder sind die Gedich­te nur sich selbst ver­ber­gen­des Cha­os? Das ist auch etwas, das man nicht prä­ju­di­zie­ren kann, auch das soll­te der Lese­er­fah­rung über­las­sen blei­ben oder viel­leicht auch dem Ein­zel­nen, der liest – er kann es ent­we­der mit Welt­bil­dern, Welt­erfah­run­gen oder Phi­lo­so­phe­men ver­knüp­fen oder eben auch den ande­ren Aus­gang wäh­len und beschlie­ßen, dass es sich ledig­lich um einen lee­ren Buch­sta­ben­zau­ber handelt.

SCHAU INS BLAU: Das Mensch­li­che ist in den Gedich­ten schwer zu fas­sen, zwar tre­ten zum Teil Per­so­nal­pro­no­mi­na oder ent­spre­chend gram­ma­tisch mar­kier­te Verb­for­men auf; die Iden­ti­tät eines Spre­cher-Ichs bleibt aber unklar[7] und es lässt sich sagen, dass das Spre­chen­de etwas Typen­haf­tes auf­weist. Viel­leicht spricht manch­mal sogar die Lese­instanz mit dem Text selbst, so dass das wie­der­holt auf­tre­ten­de „irr­führst“ zur Ankla­ge an den Text wird. Wer oder was also spricht hier und han­delt es sich dabei um ein typen­haf­tes Wesen?

FRANZ JOSEF CZERNIN: Ich habe die ers­ten Ver­su­che zu die­sen Gedich­ten „dia­lo­gi­sche Gedich­te“ genannt. Auch in den Sonet­ten und Natur­ge­dich­ten tre­ten ver­schie­de­ne Per­so­nal­pro­no­mi­na auf, um einen ima­gi­nä­ren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­raum mit ver­schie­de­nen Spre­cher­instan­zen auf­zu­span­nen. Man wird ange­spro­chen durch das Du, spricht jeman­den an, spricht als Ich oder als Wir. Es han­delt sich bei dem Spre­chen­den viel­leicht um einen Typus, der ganz prin­zi­pi­ell etwas bezeich­net, das spricht, anspricht und ange­spro­chen wird.

SCHAU INS BLAU: Besteht in den Gedich­ten eine Dua­li­tät von Kör­per und Geist, oder bil­den bei­de ein Kontinuum?

FRANZ JOSEF CZERNIN: In den Gedich­ten grei­fen Kör­per und Geist – oder eher men­ta­le Zustän­de – inein­an­der, weil das Ver­kör­pern eng mit dem ver­bun­den ist, was ich in der Poe­tik der Visi­on „Zei­gen“ nen­ne. In modi­fi­zie­ren­der Anknüp­fung an Nel­son Good­mans Exem­pli­fi­ka­ti­ons­be­griff, den er in Lan­guages of Art. An Approach to a Theo­ry of Sym­bols ent­wi­ckelt und laut dem, ver­ein­facht gesagt, ein bestimm­tes Objekt bestimm­te Eigen­schaf­ten exem­pli­fi­zie­ren kann, wobei in der Regel nicht alle Eigen­schaf­ten eines Objekts zugleich exem­pli­fi­ziert wer­den. Wenn etwa ein Schnei­der auf ein Stück Stoff zeigt, um eine bestimm­te Rot­fär­bung deut­lich zu machen, dann exem­pli­fi­ziert das Stück Stoff die Eigen­schaft der Röte, jedoch nicht sei­ne Grö­ße oder Tex­tur. Good­man unter­schei­det auch zwi­schen einer wört­li­chen – etwa in Form einer tat­säch­lich wahr­nehm­ba­ren Far­be – und einer meta­pho­ri­schen Exem­pli­fi­ka­ti­on – etwa wenn eine bestimm­te Far­be in einem Gemäl­de einen bestimm­ten Gefühls­zu­stand exem­pli­fi­ziert, etwa ein Grau Trau­rig­keit. Ich ver­wen­de die Begrif­fe ‚Exem­pli­fi­zie­ren‘ und ‚Zei­gen‘ ana­log, Die Far­be selbst hat unse­ren ver­trau­ten Klas­si­fi­ka­tio­nen zufol­ge und des­halb buch­stäb­lich kei­ne men­ta­len Eigen­schaf­ten, Far­be kann zum Bei­spiel nicht trau­rig sein. Die Far­be kann aber men­ta­le Zustän­de, etwa Trau­rig­sein meta­pho­risch besit­zen. Good­man ent­hält sich dabei eines Urteils dar­über, was es heißt, eine Eigen­schaft wirk­lich bzw. meta­pho­risch zu besit­zen. Wenn man das mit Good­man offen lässt, dann kann die­ses meta­pho­ri­sche Zei­gen bzw. die Über­tra­gung, auf dem es beruht, wie­der mate­ri­ell auf­ge­fasst wer­den. Da geschieht etwas zwi­schen Gegen­stän­den, Eigen­schaf­ten sind dann selbst mate­ri­el­le Vor­gän­ge. Folg­lich könn­te man tat­säch­lich Spra­che auf Emo­tio­nen über­tra­gen und umge­kehrt. In der Spra­che fän­de sich dann die Trau­rig­keit, und mein Trau­rig­sein wäre auch begriff­lich. Dies ist aller­dings eine sehr ver­kürz­te Darstellung.

SCHAU INS BLAU: Das Eng­li­sche, auf das der Titel des Ban­des anspielt, ist auch im Werk deut­lich prä­sent. Sie stel­len den – auf den ers­ten Blick – deutsch­spra­chi­gen Gedich­ten eng­lisch­spra­chi­ge Zita­te aus Tex­ten von Wil­liam Shake­speare, John Don­ne, John Mil­ton oder auch Emi­ly Dick­in­son vor­an. Außer­dem wer­den Tex­te von Fried­rich Höl­der­lin, Charles Bau­de­lai­re und natür­lich Dan­te in eng­li­scher Über­set­zung zitiert. Wel­che Rol­le spielt das Eng­li­sche für die Gedichte?

FRANZ JOSEF CZERNIN: Die­se Häu­fung von Hin­wei­sen auf die eng­lisch­spra­chi­ge Lite­ra­tur ist dem Kon­zept des Gedicht­ban­des geschul­det und dient dazu, die eng­li­sche und des­halb auch ange­li­sche Unter­strö­mung her­vor­zu­ru­fen. Sie lässt sich ja auch im Deutsch der Gedich­te fin­den. Dane­ben gibt es auch einen schwä­che­ren latei­ni­schen oder roma­ni­schen Unter­strom. Das Eng­li­sche ist qua­si zum neu­en Latein gewor­den, es ist die Spra­che, in der sich alle ver­stän­di­gen kön­nen, was the­ma­tisch zum Kon­zept des gesam­ten Gedicht­ban­des passt.

SCHAU INS BLAU: Herz­li­chen Dank für das auf­schluss­rei­che Gespräch!

 

Czern­in, Franz Josef: zun­gen­eng­lisch. visio­nen, vari­an­ten, hg. v. Ursu­la Hae­us­gen u. a., Mün­chen: Carl Han­ser Ver­lag 2014 (= Edi­ti­on Lyrik Kabi­nett, Bd. 30).
ISBN 978–3‑446–24470‑2
Preis: 14,90 € (D)/ UVP 21,90 sFR (CH) / 15,40 € (A) [8]

Anmerkungen

  1. Vgl. u.a. Tho­mas Eder: Sprach­skep­sis in der Lite­ra­tur? Zu eini­gen erkennt­nis­theo­re­ti­schen Vor­aus­set­zun­gen im Werk von Heim­rad Bäcker, Fer­di­nand Schmatz, Rein­hard Priess­nitz und Franz Josef Czern­in, in: Modern Aus­tri­an Lite­ra­tu­re. 31 (1998), S. 19–34, hier S. 30–32.
  2. Das Ver­hält­nis von Spra­che und Welt­erkennt­nis stellt ein werk­über­grei­fen­des Inter­es­se Czernins dar, vgl. dazu Tho­mas Poiss: In alle Wol­ken gefal­len, in: Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung, 23.11.2002, S. 46. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/rezension-belletristik-in-alle-wolken-gefallen-184201.html. Zuletzt auf­ge­ru­fen am 24.10.2014, der dar­auf hin­weist, dass bereits frü­her erschie­ne­ne Wer­ke Czernins sich mit dem Ver­hält­nis von Spra­che und Welt befassen.
  3. Auch die­se Aspek­te setzt Czern­in bereits in vor­an­ge­gan­ge­nen Wer­ken ein. Vgl. dazu Evi Zema­nek: Die gene­ra­ti­ven Vier Ele­men­te: Zu einer Grund­fi­gur der Welt- und Text-Schöp­fung am Bei­spiel von Franz Josef Czernins ele­men­te-Sonet­ten, in: Figu­ren des Glo­ba­len. Welt­be­zug und Welt­erzeu­gung in Lite­ra­tur, Kunst und Medi­en, hg. v. Chris­ti­an Moser und Lin­da Simo­nis, Göt­tin­gen: V&R uni­press 2014 (= Glo­bal Poe­tics. Lite­ra­tur- und kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en zur Glo­ba­li­sie­rung, Bd. 1), S. 401–412, hier S. 407 und Sebas­ti­an Kie­fer: Poe­ti­sche Ele­men­ten­kun­de. Franz Josef Czernins „ele­men­te. sonet­te“, in: ndl. Zeit­schrift für deutsch­spra­chi­ge Lite­ra­tur 2002/ 50 (545), S. 128–147, hier S. 132 f.
  4. Dan­tes Divina Com­me­dia ist einer der zahl­rei­chen Tex­te, auf die der Gedicht­band Bezug nimmt. Vgl. dazu auch den Hin­weis unter http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978–3‑446–24470‑2. Zuletzt auf­ge­ru­fen am 1. 7. 2014.
  5. Anklän­ge des Mys­ti­schen stellt auch Mar­tin Mos­bach: Die Poe­sie, der Mythos und das Sakra­le. Zu Franz Josef Czernins Gedich­ten, in: Akzen­te 51 (2004), S. 289–300, hier S. 291, in Bezug auf ele­men­te. sonet­te fest.
  6. Franz Josef Czern­in: Quid­quid latet appare­bit? Zu einer Poe­tik der Visi­on, in ders.: zun­gen­eng­lisch. visio­nen, vari­an­ten, hg. v. Ursu­la Hae­us­gen u. a., Mün­chen: Carl Han­ser Ver­lag 2014 (= Edi­ti­on Lyrik Kabi­nett, Bd. 30), S. 57–85, hier S. 66.
  7. Auf eine nicht durch­weg mensch­li­che Spre­cher­instanz weist auch Zema­nek, Ele­men­te, S. 407, hin.
  8. Abbil­dung vgl. http://files.hanser.de/hanser/docs/20140204_2142414628-94_978‑3–446-24470–2‑Leseprobe.pdf. Zuletzt auf­ge­ru­fen am 1. 7.2014.

Franz Josef Czern­in, geb. 1952 in Wien, publi­ziert seit 1978 Gedich­te, Pro­sa, Thea­ter­stü­cke, Essays und Apho­ris­men. Er nahm 1988 einen Lehr­auf­trag für öster­rei­chi­sche Lite­ra­tur am Insti­tu­te for Advan­ced Stu­dy der India­na Uni­ver­si­ty (Bloo­ming­ton, USA) wahr und ist Mit­glied der Gra­zer Autoren­ver­samm­lung und des Bie­le­fel­der Kol­lo­qui­ums für neue Poe­sie. Czernins Werk wur­de mit zahl­rei­chen Prei­sen aus­ge­zeich­net, zuletzt mit dem Ernst-Jandl-Preis für Lyrik (2015). Zuletzt erschie­nen sind der Band Meta­mor­pho­sen. Die klei­ne kom­bi­na­to­ri­sche Kos­mo­lo­gie (2012), die zusam­men mit Hans-Jost Frey ver­fass­te Apho­ris­men­samm­lung Sät­ze (2014), sowie die Gedicht­bän­de zun­gen­eng­lisch. visio­nen, vari­an­ten (2014), Gedich­te. Poe­to­lo­gi­sche Phan­ta­sie zu letz­ten Din­gen (2014) und die Auf­satz­samm­lung Beginnt ein Staub­korn sich zu drehn. Orna­men­te, Meta­mor­pho­sen und ande­re Ver­su­che (2015).