Big in Japan oder eine kleine Reise ins Dazwischen

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Interview mit Christoph Peters

von San­dra Bai­er und Han­nes Müller

 

Auf sei­ner Rei­se an der „deutsch-japa­ni­schen Gren­ze“ bewegt sich Chris­toph Peters Roman „Herr Yamas­hiro bevor­zugt Kar­tof­feln“ sou­ve­rän zwi­schen den Kul­tu­ren. Die ver­meint­li­chen Gren­zen stel­len dabei kei­ne Hin­der­nis­se dar, son­dern wer­den ste­tig ver­scho­ben und über­tre­ten. Las­sen sich dann dar­in Spu­ren von Trans­kul­tu­ra­li­tät erken­nen? Oder was pas­siert mit die­sen Zonen? Chris­toph Peters geht im Inter­view mit SCHAU INS BLAU die­sen Fra­gen nach und spricht über sei­ne Lie­be zu Japan, den Pro­zess des Schrei­bens und Trans­kul­tu­ra­li­tät auf der Sub­jekt- und Objektebene.

SCHAU INS BLAU: Sie haben zahl­rei­che Bücher mit japa­ni­schen Ein­flüs­sen geschrie­ben und the­ma­ti­sie­ren die japa­ni­sche Kul­tur expli­zit. Man muss sich nicht weit aus dem Fens­ter leh­nen, um Ihnen ein Fai­ble für Japan zu unter­stel­len. Woher kommt Ihr gestei­ger­tes Inter­es­se für Japan?

CHRISTOPH PETERS: Das reicht sehr weit zurück. In dem katho­li­schen Inter­nat, wo ich mei­ne Gym­na­si­al­zeit ver­bracht habe, gab es einen Kunst­leh­rer, der gleich­zei­tig ein berühm­ter Kunst­samm­ler ist, Franz-Joseph van der Grin­ten. Der zeig­te mir irgend­wann japa­ni­sche Holz­schnit­te, Kal­li­gra­phien und die­se sehr redu­zier­ten, vom Zen-Bud­dhis­mus gepräg­ten Tusche­ma­le­rei­en von Land­schaf­ten und Tie­ren, weil er dach­te, das könn­te mich inter­es­sie­ren. Vor allem die Kal­li­gra­phien und Tusche­ma­le­rei­en sehen ja sehr modern aus, selbst wenn sie 400 Jah­re alt sind. Die­se Bil­der haben mich damals rich­tig­ge­hend ange­sprun­gen. Dann bekam ich von ihm Eugen Herr­igels „Zen in der Kunst des Bogen­schie­ßens“ in die Hand gedrückt, wo die­se im Zen gegrün­de­te – ich nen­ne das: „Spi­ri­tua­li­tät der künst­le­ri­schen Pro­zes­se“ – in ihrer Geis­tig­keit und Pra­xis erläu­tert wird. Damals habe ich selbst sehr viel gezeich­net und mach­te dabei sol­che son­der­ba­ren Erfah­run­gen von „Im-Tun-eins mit dem Augenblick“-Sein.

Dane­ben stieß ich über einen Freund, der sich da schon bes­ser aus­kann­te, auf die Samu­rai-Fil­me von Kur­o­sa­wa und war fas­zi­niert von des­sen Bild­spra­che, aber eben auch von die­ser dunk­len Sei­te des Zen-Geis­tes. Mit den­sel­ben spi­ri­tu­el­len Übun­gen, mit denen man aus einer Linie ein Pferd in sei­ner gan­zen Sub­stanz aufs Papier tuscht, wird man auch zum per­fek­ten Schwertkämpfer.

SCHAU INS BLAU: Wie schlägt sich das Inter­es­se für die japa­ni­sche Kul­tur in Ihrem All­tag nieder?

CHRISTOPH PETERS: Als ers­tes gibt es mor­gens japa­ni­schen grü­nen Tee. Mein Arbeits­tag beginnt dann gegen halb neun damit, dass ich eine hal­be Stun­de bei ver­schie­de­nen Online-Händ­lern alles anschaue, was an japa­ni­schen Kera­mi­ken neu am Markt ist. Die japa­ni­schen Händ­ler foto­gra­fie­ren ihre Objek­te sehr gut und nor­ma­ler­wei­se min­des­tens aus 8–10 ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven, so dass ich im Lau­fe der 9 Jah­re, die ich das jetzt mache, wahn­sin­nig vie­le Din­ge unter­schied­lichs­ter Qua­li­tät ange­schaut habe. Manch­mal kau­fe ich auch etwas, je nach­dem. Wenn noch Zeit ist, sehe ich noch die Roll­bil­der an. Wenn der Text, an dem ich gera­de arbei­te, mit Japan zu tun hat, schaue ich fast nur japa­ni­sche Fil­me, lese japa­ni­sche Roma­ne, Man­gas, Sach­bü­cher über Zen oder Yaku­za etc. Den gan­zen Tag über gibt es eigent­lich japa­ni­schen Tee und nach Mög­lich­keit ver­su­che ich ein­mal am Tag etwa eine Stun­de lang Tee­ze­re­mo­nie zu üben. Dane­ben koche ich oft japa­ni­sches Essen.

SCHAU INS BLAU: Wel­che Rol­le spielt für Sie die Teezeremonie?

CHRISTOPH PETERS: Wie gesagt: Ich ver­su­che, ein­mal am Tag Tee­ze­re­mo­nie zu üben. Die Fas­zi­na­ti­on dafür reicht auch bis in die Schul­zeit zurück. Ich glau­be bei „Sho­gun“, das war damals die­se Fern­seh-Serie mit Richard Cham­ber­lain, habe ich zum ers­ten Mal eine Tee­ze­re­mo­nie gese­hen, dann in den bei­den Fil­men über Sen no Rikyu, von Hiro­shi Teshi­ga­ha­ra und Kei Kumai, die bei­de 1989 in die Kinos kamen. Sowohl die Schön­heit und Stren­ge der Form haben mich sehr ange­zo­gen, aber auch die­se eigen­ar­ti­ge Mischung aus Per­for­mance und Kunst­be­trach­tung, gesel­li­gem Bei­sam­men­sein, „Kaf­fee­klatsch“ und reli­giö­sem Ritu­al. Neben­bei gesagt, hat­te das Chris­ten­tum, das Ende des 16. Jahr­hun­derts eine kur­ze Blü­te­zeit in Japan hat­te, neben dem Zen gro­ßen Ein­fluss auf die Form der Tee­ze­re­mo­nie. Gera­de die Eucha­ris­tie-Fei­ern haben das Tee­ze­re­mo­nie-Ritu­al mitgeprägt.

Als ich dann vor unge­fähr 8 Jah­ren ange­fan­gen habe, das selbst zu ler­nen, habe ich gemerkt, dass es eine unge­heu­re Schu­lung in ges­ti­scher Kon­zen­tra­ti­on und Reduk­ti­on ist, die sich von der Pra­xis der Tee­zu­be­rei­tung auf die gesam­te Akti­vi­tät aus­wirkt. Man merkt auf ein­mal, wie viel Unsinn man mit sei­nen Hän­den, ja sei­nem gan­zen Kör­per tag­täg­lich veranstaltet.

SCHAU INS BLAU: Wird Ihr Schreib­pro­zess von die­ser Kul­tur beeinflusst?

CHRISTOPH PETERS: Schwer zu sagen. Im Prin­zip kom­men die­se Ideen, dass man über täg­li­ches dis­zi­pli­nier­tes Üben und Ler­nen irgend­wann nach vie­len Jah­ren in ein Sta­di­um gelangt, in dem man kon­trol­liert-frei/s­pon­tan-beherrscht sei­ne Sät­ze aus einem Guss setzt oder sei­ne Lini­en zieht, mei­ner Vor­stel­lung der künst­le­ri­schen Pro­zes­se sehr nahe. Dazu gehört auch, dass die­ses Üben nicht im Äußer­li­chen ste­hen bleibt, son­dern tat­säch­lich mit einer lebens­lan­gen geis­ti­gen Ent­wick­lung einhergeht.

SCHAU INS BLAU: Seit dem 18. Jahr­hun­dert hat sich in Anleh­nung an Johann Gott­fried Her­der ein Modell von Kul­tur eta­bliert, das Kul­tu­ren als in sich geschlos­se­ne Kugeln begreift. Der zeit­ge­nös­si­sche Phi­lo­soph Wolf­gang Welsch zieht die­ses Modell mit sei­nem Begriff der Trans­kul­tu­ra­li­tät in Zwei­fel. Für ihn sind Kul­tu­ren kei­ne in sich abge­schlos­se­nen Kugeln, son­dern sich gegen­sei­tig bedin­gen­de Netz­wer­ke. Fin­det sich Welschs Theo­rie in Ihrem Schreib­stil wieder?

CHRISTOPH PETERS: Ich glau­be ja sowie­so nicht so sehr an die Gül­tig­keit von Theo­rien. Ein sol­ches Kugel­mo­dell hal­te ich für his­to­ri­schen und phä­no­me­no­lo­gi­schen Unsinn, und in sei­nen Aus­wir­kun­gen für gefähr­lich: Unmit­tel­bar auf die Fik­ti­on, es gebe eine bestimm­te in sich geschlos­se­ne nie­der­rhei­ni­sche, deut­sche, christ­li­che, isla­mi­sche – was weiß ich was für – Kul­tur, folgt dann meist gleich die Ver­klä­rung der eige­nen und Her­ab­set­zung der ande­ren Kul­tu­ren. Die his­to­ri­schen Mis­si­ons­zü­ge, Kon­quis­ta­do­ren, Kolo­nia­lis­ten, Volk-ohne-Raum-Ideo­lo­gen sind immer davon aus­ge­gan­gen, dass die Über­le­gen­heit der eige­nen, eben in sich geschlos­se­nen Kul­tur die Unter­drü­ckung, wenn nicht Aus­lö­schung aller ande­ren gestat­tet. Da unter­schei­det sich der KZ-Auf­se­her kaum vom fran­zö­si­schen Alge­ri­en­sol­da­ten und bei­de sind geis­ti­ge Brü­der des IS-Kämp­fers. Aber auch das sind letz­ten Endes wahr­schein­lich unzu­läs­si­ge Ver­glei­che – nicht, weil die einen schlim­mer als die ande­ren waren – son­dern weil his­to­ri­sche Ent­wick­lun­gen immer ein­ma­lig sind. Sie hän­gen von so vie­len, letzt­lich nicht ver­gleich­ba­ren Bedin­gun­gen ab, die sie gleich­zei­tig per­ma­nent erzeu­gen, dass sich da mei­nes Erach­tens so gut wie gar nichts über einen Kamm sche­ren lässt. Japan hat gut 200 Jah­re lang ver­sucht, sich als „Kugel“ zu ver­hal­ten, hat­te aber in den Jahr­hun­der­ten davor nahe­zu in allen künst­le­ri­schen und geis­ti­gen Berei­chen chi­ne­si­sche For­men und Kon­zep­te impor­tiert und adap­tiert. Chi­na wie­der­um war maß­geb­li­chen Ein­flüs­sen aus Indi­en aus­ge­setzt: Bod­hid­har­ma, der Grün­der des Zen, war ein tami­li­scher Prinz, der nach Chi­na ging und dort sowohl die Pra­xis der Zen-Medi­ta­ti­on als auch das Kung-Fu ein­ge­führt haben soll, die dann zu Eck­pfei­lern der gesam­ten chi­ne­si­schen und spä­ter japa­ni­schen Geis­tes­welt wur­den. Dann kamen christ­li­che Händ­ler und Mis­sio­na­re, die wie schon erwähnt, nach­hal­ti­gen Ein­fluss auf die Form des japa­ni­schen Natio­nal­ri­tu­als schlecht­hin – der Tee­ze­re­mo­nie eben – hat­ten. Ab dem 19. Jahr­hun­dert ist die Ent­wick­lung der euro­päi­schen Moder­ne ohne den Ein­fluss japa­ni­scher Kunst, die auf den Welt­aus­stel­lun­gen in Paris, Lon­don und Wien gezeigt wur­de, kom­plett unvor­stell­bar und unver­ständ­lich. Van Gogh hat­te japa­ni­sche Holz­schnit­te im Ate­lier, die er auch immer wie­der abge­malt hat, etc. Man kann das unend­lich fortschreiben.

SCHAU INS BLAU: Wir emp­fin­den gera­de in „Herr Yamas­hiros bevor­zugt Kar­tof­feln“, dass inhalt­lich eine Ver­schmel­zung der frem­den Kul­tur mit der eige­nen statt­fin­det und dadurch eine Art drit­ter Raum ent­steht. Ist die­se Vor­stel­lung des drit­ten Rau­mes von Ihnen bewusst initiiert?

CHRISTOPH PETERS: Ich wür­de auch nicht von einem „drit­ten Raum“ spre­chen, weil das wie­der so eine Abge­schlos­sen­heit sug­ge­riert. Mein Bild wäre eher das einer wei­ten Ebe­ne, auf der Strö­mun­gen mit offe­nen Rän­dern mit­ein­an­der in einem per­ma­nen­ten Aus­tausch und Wan­del sind. Eher so wie das Wet­ter vom Satel­li­ten aus gese­hen sich dar­stellt, bloß etwas lang­sa­mer. Es gibt bestimm­te, rela­tiv star­re Ein­fluss­punk­te – beim Wet­ter wären das Hoch­ge­bir­ge, Wüs­ten, gro­ße Gewäs­ser – im Bereich des Geis­tig-Kul­tu­rel­len die Welt­re­li­gio­nen und ihre Zen­tren, öko­no­mi­sche und topo­gra­phi­sche Bedin­gun­gen, die die­se oder jene Denk­art beför­dern, aber eben weder räum­lich noch zeit­lich festschreiben.

SCHAU INS BLAU: Man unter­stellt der japa­ni­schen Kul­tur einen gewis­sen Stoi­zis­mus, des­sen Zweck es ist, das Gesicht zu wah­ren. Wie zeich­nen Sie die unter­schied­li­chen Cha­rak­te­re, deren Men­ta­li­tä­ten von außen nicht sicht­bar sind?

CHRISTOPH PETERS: Ich las­se mich auch da eigent­lich nicht von Zuschrei­bun­gen lei­ten, son­dern die Figu­ren, die ich beschrei­be, sind fast immer mehr oder weni­ger por­trait­haf­te Ablei­tun­gen von Leu­ten, denen ich begeg­net bin oder von denen mir erzählt wur­de. Wenn ich mich nicht täu­sche, beschrei­be ich dann eher, wie sie sich kon­kret ver­hal­ten oder äußern, als dass ich Gefühls­be­haup­tun­gen über ihr Innen­le­ben aufstelle.

SCHAU INS BLAU: Beim Lesen wirk­te die Dar­stel­lung Ihrer Cha­rak­te­re an man­chen Stel­len etwas über­zeich­net. Viel­leicht sogar ste­reo­ty­pi­siert. Inwie­fern las­sen sich die­se Stel­len auch als Par­odie verstehen?

CHRISTOPH PETERS: Ob etwas über­zeich­net oder ste­reo­typ wirkt, hängt ja oft auch von der Erwar­tung bezie­hungs­wei­se der Vor­kennt­nis des ein­zel­nen Lesers bzw. Betrach­ters ab. Inner­halb bestimm­ter inkul­tur­ier­ter Ver­hal­tens­wei­sen gibt es einer­seits das, was man für „typisch japa­nisch“ bzw. „typisch deutsch“ hält, ande­rer­seits ist das in sich dann doch wie­der sehr aus­dif­fe­ren­ziert. Wer wenig über Deutsch­land oder Japan weiß, sieht die Bin­nen­dif­fe­ren­zie­rung inner­halb einer Dar­stel­lung nicht, für ihn ver­hal­ten sich in der Rea­li­tät wie in der Lite­ra­tur erst mal alle „Asia­ten“ ver­gleichs­wei­se ähn­lich fremd. Dem­entspre­chend weiß ich also nie, wann es der irri­tier­te Blick des (deut­schen) Erzäh­lers ist, der die Komik erzeugt, und wann das Ver­hal­ten der (japa­ni­schen) Figur selbst – meis­tens, glau­be ich, ent­steht die Komik im Zwi­schen­be­reich von bei­dem, und inso­fern bezieht sich auch das par­odis­ti­sche Moment impli­zit auf beides.

SCHAU INS BLAU: Könn­te das auch als Sati­re ver­stan­den werden?

CHRISTOPH PETERS: Dem­entspre­chend wäre es dann eine Sati­re sowohl auf die Erwar­tung der deut­schen Erzähl­stim­me, die ja nicht mit „mir“ iden­tisch ist und auch auf japa­ni­sche Ver­hal­tens­mus­ter, die eben­falls bestimm­ten Erwar­tun­gen unterliegen.

SCHAU INS BLAU: Bezug­neh­mend auf „Herr Yamas­hiro bevor­zugt Kar­tof­feln“. Wie emp­fin­den Sie das Ver­hält­nis der Kul­tu­ren im Buch? Sehen Sie hier eine Art Transkulturalität?

CHRISTOPH PETERS: Ich kann die Fra­ge eigent­lich nicht beant­wor­ten, weil ich ja kein „Kul­tu­renbuch“ geschrie­ben habe, son­dern eine indi­vi­du­el­le Geschich­te – die des Kera­mi­kers Jan Koll­witz – als Aus­gangs­punkt hat­te. Jan Koll­witz – und eben auch Ernst Lies­gang – ist nun alles Mög­li­che, aber gewiss kein Reprä­sen­tant deut­schen Wesens. Der ist nach Japan gegan­gen, um japa­ni­sche Kera­mik zu ler­nen, war aber selbst schon vor­her Zen-Prak­ti­zie­ren­der. Sei­ne bei­den Leh­rer in Japan hat­ten mit die­sem „Zen-Zeug“ gar nichts am Hut, son­dern fan­den das eher ein biss­chen pein­lich, dass die­ser jun­ge Deut­sche sich an einer Geis­tig­keit ori­en­tier­te, die sie als „moder­ne“, „auf­ge­klär­te“ Japa­ner lan­ge hin­ter sich gelas­sen hat­ten. Das biss­chen Shin­to-Pra­xis zur Bestechung des Ofen­geis­tes ist ja eher Brauch­tum als reli­giö­ser Akt. Ito Hide­to­shis Vor­bild­fi­gur, Tokuro Kato, war übri­gens im wirk­li­chen Leben Christ.

SCHAU INS BLAU: Eine zen­tra­le Rol­le spielt der Ana­ga­ma. Wel­chen Sta­tus hat der Ofen für Sie?

CHRISTOPH PETERS: Der Ofen ist ein­fach ein unglaub­lich ein­drucks­vol­les Gebil­de, sobald er Feu­er hat. Die Erfah­rung der Kraft, die da ent­fal­tet wird, ist ja ganz unmit­tel­bar kör­per­lich, die wil­den Flam­men­zun­gen, unglaub­li­che Hit­ze, glei­ßen­des Licht, wenn man da bei über 1000 Grad hin­ein­schaut. Naja. Und wäh­rend gebrannt wird, arbei­tet da nach ver­brei­te­ter Über­zeu­gung eben ein Geist. Ich wür­de von mei­ner Erfah­rung her den­ken, dass man des­sen wie auch immer rea­le Anwe­sen­heit durch­aus anneh­men kann.

SCHAU INS BLAU: Haben Sie selbst schon ein­mal – viel­leicht sogar mit Jan Koll­witz zusam­men – einen Ana­ga­ma ange­feu­ert? Die Brenn­art ist ein tage­lan­ger, sehr auf­wen­di­ger Pro­zess. Wel­ches Ver­hält­nis ent­wi­ckelt sich in die­sen Tagen zu dem Ofen?

CHRISTOPH PETERS: Ich war bis jetzt bei vier Brän­den von Jan Koll­witz’ Ofen dabei. Beim letz­ten Mal durf­te ich auch sel­ber feu­ern, unter Auf­sicht, aber doch so, dass ich die Ent­schei­dun­gen gefällt und ver­sucht habe, mich in den Rhyth­mus, den der Ofen vor­gibt, ein­zu­fin­den. Einer­seits hat man natür­lich sehr gro­ßen Respekt vor dem Ofen, sei­ner Kraft und auch vor sei­ner Unbe­re­chen­bar­keit, ande­rer­seits darf dar­aus aber auf kei­nen Fall Angst wer­den, denn dann wird man zöger­lich und macht Feh­ler. Auf eine son­der­ba­re Wei­se habe ich das Gefühl, der Ofen­geist ver­traut auch dar­auf, dass der, der feu­ert, sicher weiß, was jeweils zu tun ist, und wenn man ihn in die­sem Ver­trau­en ent­täuscht, nimmt er einem das übel.

SCHAU INS BLAU: Gera­de bei die­ser Art der Her­stel­lung ent­ste­hen Objek­te, deren Sta­tus man even­tu­ell als trans­kul­tu­rell bezeich­nen könn­te. Wie sehen Sie die Erzeug­nis­se des Ofens? Sind es deut­sche, japa­ni­sche oder deutsch-japa­ni­sche Keramiken?

CHRISTOPH PETERS: Wenn ein japa­ni­scher Diri­gent mit japa­ni­schen Musi­kern Beet­ho­ven auf­führt, ist es dann deut­sche Musik oder japa­ni­sche Musik oder trans­kul­tu­rell? – Jan Koll­witz’ Freund, Kazu Yama­da, einer der berühm­tes­ten Kera­mi­ker sei­ner Gene­ra­ti­on, der sei­ner­zeit ver­mit­telt hat, dass der japa­ni­sche Ofen­bau­er nach Cis­mar kam und dort den Ana­ga­ma gebaut hat, sagt, Jan Koll­witz mache japa­ni­sche Kera­mik. Soweit ich weiß, ist die Tech­nik des Ana­ga­ma-Ofens aller­dings im 5. Jahr­hun­dert aus Korea nach Japan gekom­men, ursprüng­lich ent­wi­ckelt wur­de sie in Chi­na, wor­an sich die Fra­ge anschließt, ab wann etwas nicht mehr ein „Fremd­kör­per“ ist, der dem „Kul­tur­raum“, aus dem er stammt, zuge­schrie­ben wird, son­dern als unver­äu­ßer­li­cher Teil des kul­tu­rel­len Rau­mes gel­ten darf, in den er gelangt ist. Fast alle grund­le­gen­den Tex­te des Zen stam­men aus Chi­na, aber im Chi­na von heu­te spielt Zen ver­mut­lich eine deut­lich gerin­ge­re Rol­le als in Ame­ri­ka. Aus Sicht des Zen wür­de man viel­leicht sagen, „Zen ist immer, was es just dort ist, wo es gera­de ist“. Und je nach­dem, wer es dann gera­de mit wem zu tun hät­te, wür­de man für die­sen Satz eine schal­len­de Ohr­fei­ge bekom­men oder auch schal­len­des Geläch­ter ern­ten, ganz gleich ob man Ame­ri­ka­ner, Japa­ner, Deut­scher oder Chi­ne­se wäre.

SCHAU INS BLAU: Herz­li­chen Dank für das auf­schluss­rei­che Gespräch!

Buchcover Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln

Peters, Chris­toph: Herr Yamas­hiro bevor­zugt Kar­tof­feln, Mün­chen: Leu­ter­hand Lite­ra­tur­ver­lag 2014.
ISBN: 978–3‑630–87411‑1
Preis: 18,99 € (D) / 19,60 € (A) / 25,90 CHF (CH)

Chris­toph Peters wur­de 1966 in Kal­kar am Nie­der­rhein gebo­ren. Peters stu­dier­te Male­rei an der Staat­li­chen Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te in Karls­ru­he und ist seit­her als frei­schaf­fen­der Künst­ler und Schrift­stel­ler tätig. 2004 hat­te er die Poe­tik­do­zen­tur der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und der Lite­ra­tur der Uni­ver­si­tät Mainz inne. 2006 wur­de er zum Muse­ums­schrei­ber des Het­jens-Muse­ums / Deut­sches Kera­mik Muse­um in Düs­sel­dorf ernannt. Zusam­men mit dem indi­schen Schrift­stel­ler Kiran Nag­ar­kar hielt Chris­toph Peters 2008 die 22. Tübin­ger Poe­tik-Dozen­tur. Peters erhielt für sein Schrei­ben zahl­rei­che Aus­zeich­nun­gen, dar­un­ter 1998 den Mar­tha-Saal­feld-För­der­preis, 1999 den Aspek­te-Lite­ra­tur­preis und den Nie­der­rhei­ni­schen Lite­ra­tur­preis der Stadt Kre­feld, 2000 den Georg‑K.-Glaser-Preis und 2009 den Rheingau-Literaturpreis.