© Charlotte Krusche
Zwischen tiefenzeitlichem Ambiente und Terraforming könnte es künstliche Landschaften geben, die Ausgänge aus den entzündeten Aporien der Gegenwart ermöglichen. Joshua Groß denkt darüber nach, ausgehend von A Japanese Horror Film von Chester Watson, Reise zum Mount Tamalpais von Etel Adnan und Altiplano von Malena Szlam.
Altiplano von Malena Szlam
Dass ich manchmal fähig zur Fiktion bin, erleichtert mich. Altiplano ist auch Fiktion; hyperwache Komprimierung der Tatsache, dass man selbst im Ambiente tiefenzeitlicher Geschehnisse wandelt – oder vorsichtiger Hinweis darauf, dass Kommunikation auch über Farben und Bilder möglich ist. Ich selbst bin Teil des tiefenzeitlichen Ambientes. Was soll das heißen, fähig zur Fiktion?
Wir entziehen uns dem, worin wir feststecken; wir sind fähig zur Fantasie. Wir fügen uns der Welt, indem wir fiktionalisierte Zeit produzieren, künstliche Landschaften; wir fügen etwas hinzu – Auswege unter anderem. Die Auswege negieren nicht die Wirklichkeit, sie erweitern sie. Wir wollen womöglich irgendwann vergehen ohne davor geronnen zu sein. Und wenn ich „wir“ sage, weiß ich, offen gestanden nicht, wen ich damit meine. Es ist wie Astralprojektion: sich in Verwirrung wohlfühlen, bis einsetzt, was Chester Watson „I do what I like“ genannt hat. Das funktioniert in der fiktionalisierten Zeit, und es ist eine Erinnerung oder eigentlich eine Mahnung, weil das auch im nichtfiktionalisierten Realitätsgefüge möglich ist: immerzu kann das Bedürfnis spürbar sein, dass man nicht von kleinen blinden Fertigkeiten geleitet werden will, sondern von Fähigkeiten, die man einübt, parallel zum Verlernen des Schwachsinns.
Wovon zittert mein Hirn? Vielleicht spüre ich, dass sich das Leben doch nicht selbst schreibt, sondern dass wir mit einer ekstatischen Form der Wahrnehmung darauf einwirken können.
Literatur:
Etel Adnan: Der Herr der Finsternis, Suhrkamp, 2019
Etel Adnan: Reise zum Mount Tamalpais, Edition Nautilus, 2008
Mark Fisher: Das Seltsame und Gespenstische, edition TIAMAT, 2017
Mark Fisher, k‑punk, edition TIAMAT, 2020
Georg Christoph Lichtenberg: Aphorismen, insel taschenbuch, 1976
Marcus Steinweg: Subjekt und Wahrheit, Matthes & Seitz Berlin, 2018
Robert Walser: Kleine Dichtungen, Suhrkamp, 1985
Chester Watson im Gespräch mit Dylan Green: DJBOOTH, 4. Oktober 2018
https://djbooth.net/features/2018–10-04-chester-watson-interview
Malena Szlam im Gespräch mit Dan Sullivan: Film Comment, 17. Juni 2019
https://www.filmcomment.com/blog/interview-malena
Joshua Groß, 1989 geboren in Grünsberg, studierte Politikwissenschaft, Ökonomie und Ethik der Textkulturen in Erlangen. 2019 erhielt er den Anna-Seghers-Preis, 2021 wird er mit dem Literaturpreis der A und A Kulturstiftung ausgezeichnet. Zuletzt erschienen der Roman Flexen in Miami sowie der Essay- und Erzählband Entkommen bei Matthes & Seitz Berlin.