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Richard Wagameses herausragender Roman Indian Horse jetzt erstmals in deutscher Übersetzung
von Nina Gretschmann
Richard Wagamese (1955 – 2017) nimmt uns in seinem Werk Der gefrorene Himmel mit in die Vergangenheit Kanadas, als indigene Kinder noch aus ihren Familien und Stämmen gerissen und in sogenannte Residential Schools gesteckt wurden, um dort von katholischen Ordensträgern missioniert zu werden.
Der Protagonist des Romans Saul Indian Horse gehört zu diesen Kindern. Mit acht Jahren wird er nach St. Jerome‘s gebracht, ein staatliches Heim unter der Leitung von Ordensschwestern und Priestern, welche im Umgang mit Saul und den anderen indigenen Kindern alles andere als christliche Nächstenliebe an den Tag legen. Die Kinder werden körperlich misshandelt, sexuell missbraucht und ihrer Kultur beraubt. Die Zeit in St. Jerome‘s ist für sie die Hölle auf Erden.
Für Saul wird der Aufenthalt jedoch erträglicher, als der junge Pater Leboutilier an die Schule kommt und seine Leidenschaft für den kanadischen Nationalsport „Hockey“ (dt. Eishockey) mit Saul teilt. Schnell wird ersichtlich, welch großes Potential in Saul steckt und, gefördert durch Pater Leboutilier, erhält er die Chance sein unglaubliches Talent auf dem Eis zu entfalten.
Der gefrorene Himmel ist eine Liebeserklärung an die einzig wahre Sportart Kanadas. Wagameses Schreibstil ist leidenschaftlich und mitreißend. Das zeigt sich vor allem an Saul‘s poetischen Beschreibungen seiner Gefühle und Empfindungen auf dem Eis. Als Erzähler lässt er uns Leser*innen an seiner Leidenschaft und seiner Gabe für Eishockey teilhaben.
Er teilt jedoch auch seinen Schmerz, die Enttäuschung und Wut über all die Ungerechtigkeiten, welche ihm und den anderen indigenen Menschen in Kanada wiederfahren. Für Leser*innen, welche zum ersten Mal mit dieser grausamen Thematik in Berührung kommen, mag Der gefrorene Himmel ein Schock sein.
Im europäischen Raum liegt die dunkle Vergangenheit Kanadas bisher überwiegend im Verborgenen. Dass in Kanada vom späten 19. Jahrhundert bis 1996 unzählige Residential Schools existierten und indigene Kinder seit den 1920er Jahren vom kanadischen Staat zum Besuch dieser Einrichtungen gezwungen wurden, wissen hier nur wenige. Seit 2008 versucht Kanada verstärkt dieses unvorstellbare Unrecht aufzuarbeiten und die Betroffenen zu entschädigen. Doch die traurige Wahrheit lautet, dass viele indigene Kinder den Aufenthalt in Residential Schools aufgrund der Schwere der Misshandlungen nicht überlebten.
Diejenigen, die den Misshandlungen körperlich gewachsen waren, kehrten stark traumatisiert in ihre Familien zurück — ohne Erinnerung an die Traditionen und die Sprache ihres Stammes. Seit 2015 wird in Kanada daher auch von einem „Kulturellen Genozid“ gesprochen.
Wie sehr die Aufarbeitungs- und Wiedergutmachungs-Kampagne der kanadischen Regierung den Betroffenen helfen kann, wird sich zeigen. Sicher ist, dass sich dieses dunkle Kapitel nicht aus Kanadas Geschichte löschen lässt, sowie sich jede Seite aus Der gefrorene Himmel unauslöschlich in das Gedächtnis der Leser*innenschaft einbrennen wird.
Kanada ist dieses Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse (20. – 24. Oktober 2021) – ein Grund mehr, weshalb es sich lohnt, den Roman, welcher im Original bereits 2012 erschienen und seit März 2021 auch auf Deutsch erhältlich ist, zu lesen und sich mit der Diskriminierung indigener Menschen in Kanada auseinanderzusetzen. Hierfür empfiehlt sich auch das sehr informative und überaus lesenswerte Nachwort von Katja Sarkowsky, Professorin für Amerikanistik an der Universität Augsburg.
Richard Wagamese, Der gefrorene Himmel (im Original: Indian Horse), 254 Seiten, Blessing Verlag, 22,00 €.