#7.1 Sars Mundi 21 – ein Jahresrückblick (1 von 3)

Du betrachtest gerade #7.1 Sars Mundi 21 – ein Jahresrückblick (1 von 3)

Von Jona Kron und Cla­ra Eisenreich

Viel­leicht haben wir uns etwas vor­schnell Hoff­nun­gen gemacht. 2021 ist vor­bei und wir ver­blei­ben gemisch­ter Din­ge. Vie­ler­lei könn­te rück­bli­ckend kri­ti­siert und eini­ges davon möch­te defi­ni­tiv reflek­tiert und auf­ge­ar­bei­tet wer­den. Doch alles fängt im Klei­nen an. Des­halb zum zwei­ten Mal Büh­ne frei für Teil eins unse­res etwas ande­ren, drei­tei­li­gen Jah­res­rück­blicks und für die Rück­kehr von Text­fie­ber.

 

Jona Kron, 28, stu­diert Ver­glei­chen­de Lite­ra­tur­wis­sen­schaft, gen­re­über­grei­fen­der Musik­lieb­ha­ber, soll­te 2022 mehr Comics lesen

Arlo Parks – Collabsed In Sunbeams

Hier sind Dei­ne Trä­nen sicher; so das Ver­spre­chen, mit dem Arlo Parks Album­de­büt Coll­ab­sed In Sun­beams beginnt. Mei­ne meist­ge­stream­te Plat­te des Jah­res war das Mer­cu­ry Pri­ze 2021 gekrön­te Album zwar nicht – die­se Ehre gebührt Redak­ti­ons­lieb­ling Ber­wyn, der bei der­sel­ben Preis­ver­lei­hung einen her­aus­ra­gen­den Auf­tritt hin­leg­te. Trotz­dem wur­de mir in den letz­ten, zuneh­mend düs­te­ren Zügen von 2021 bewusst, wie immens wich­tig Parks aktu­el­les Werk tat­säch­lich ist.

Schließ­lich hin­ter­lässt uns das Jahr in einem Win­ter tie­fer Ernüch­te­rung und hat die Psy­che nur anfäl­li­ger gemacht für sei­ne Tücken. Vor­bei der Som­mer „auf der ande­ren Sei­te der Qua­ran­tä­ne“, wie ich ihn noch im letz­ten Jah­res­rück­blick zusam­men mit Kof­fees Lock­down her­bei­ge­sehnt hat­te. Jetzt wird aus nach dem Lock­down womög­lich vor dem Lock­down. Und doch ste­hen eini­ge unse­rer Türen wei­ter­hin offen für die vie­len alt­be­kann­ten oder uns noch ganz neu­en Gesich­ter von Depression. 

Parks spricht Ihren per­sön­li­chen Weg bis zur Fer­tig­stel­lung des Albums auf der Mer­cu­ry Büh­ne an: sie meint, er wäre hart gewe­sen und sie war sich eini­ge Male nicht sicher ob sie die­sen Tag erle­ben wür­de, „but I’m here today…“. Dank die­ser Erfah­run­gen gelingt ihr mit Coll­ab­sed In Sun­beams ein offe­nes und zu gro­ßen Tei­len anek­do­ti­sches Album. Selbst­fin­dungs­schwie­rig­kei­ten, Depres­sio­nen; Parks gibt ihnen in ihren Tex­ten Namen, macht sie greif­bar, ent­stig­ma­ti­siert. Kunst­voll fin­det sie die Balan­ce zwi­schen nüch­ter­nen, wie erdrü­cken­den Dar­stel­lun­gen depres­si­ver Epi­so­den, Pha­sen, Stim­mun­gen und ange­mes­sen gemä­ßig­tem, fein­füh­lig for­mu­lier­tem Opti­mis­mus. Fun­ki­ge Drums hal­ten dabei ein meist schrei­ten­des Tem­po und moti­vie­ren ver­spiel­te Aus­brü­che aus der vor­herr­schen­den Moll­me­lo­dik — bezeich­nend für den beein­dru­ckend resi­li­en­ten Kern von Parks Album. Coll­ab­sed In Sun­beams ver­bin­det ergrei­fen­des Sto­rytel­ling mit Kla­ge­lie­dern, die sich nicht in ihrer eige­nen Melan­cho­lie ver­lie­ren, son­dern tief­grün­dig Ver­ständ­nis demons­trie­ren und Trost spen­den möchten.

Cla­ra, 22, stu­diert Ver­glei­chen­de Lite­ra­tur­wis­sen­schaft und schätzt Kunst, die verbindet

Komplett Gänsehaut

In dem 2021 erschie­nen Buch Kom­plett Gän­se­haut von Sophie Pass­mann beschwert sich eine 27 Jah­re alte Prot­ago­nis­tin über Gott und die Welt. Man folgt ihrer Stim­me, durch die Zim­mer ihrer neu­en Alt­bau­woh­nung, steht mit ihr in der Küche, denkt über Risot­to, Salat mit Oran­gen­fi­lets, das Ver­ständ­nis von Zeit und Alter und über eine neue Form von Bür­ger­lich­keit nach, in der man zwang­haft ver­sucht, anders zu sein. Lan­ge bleibt man mit ihr vor ihrem Bücher­re­gal ste­hen, in dem sich zu vie­le Klas­si­ker fin­den, die man selbst gar nicht so span­nend fand, sich aber den­noch ins­ge­heim etwas dar­auf ein­bil­det, sie gele­sen zu haben. Auch die neue Gene­ra­ti­on der alten wei­ßen Män­ner, die Sophie Pass­mann 2019 berühmt gemacht haben, bekom­men wie­der eini­ges an Kri­tik ab. In Kom­plett Gän­se­haut bezeich­net sie die­se als „Sim­bas“, ange­lehnt an den Dis­ney Film Der König der Löwen, und kri­ti­siert damit deren Umgang mit den eige­nen Pri­vi­le­gi­en sowie die von ihnen inter­na­li­sier­te Denk­wei­se, dass ihnen die Welt zu Füßen liegt — und scheint sich selbst dar­in zu spiegeln.

Der Text, der sich schein­bar bewusst kei­ner Kate­go­rie unter­ord­net, stellt die Beschrei­bung einer Quar­ter Life Cri­sis dar, in der man sich zwar weni­ger ver­lo­ren fühlt als in den Teen­ager Jah­ren, aber trotz­dem sei­nen Weg noch nicht kennt. Die­se Beschwer­de über alles und jeden hat gera­de 2021 den Zeit­geist sehr gut getrof­fen und mir die Mög­lich­keit gege­ben, mich in all mei­ner Wut weni­ger allei­ne zu fühlen.

WILLOW – lately I feel EVERYTHINIG

Late­ly I feel EVERYTHING beschreibt fast alle Gefüh­le, die ich 2021 durch­lebt habe. Im Juli 2021 ver­öf­fent­li­che WILLOW damit bereits ihr vier­tes Stu­dio­al­bum. Es bil­det eine Mischung aus alt‑R&B, pop-punk und Indie-Rock, für mich waren es jedoch eher die Tex­te, die sich mir direkt einbrannten.

Ange­fan­gen von t r a n s p e r e n t s o u l , den Wil­low wäh­rend des ers­ten Lock­downs selbst ver­fass­te, über F*CK YOU, in dem sie melo­disch 36 Sekun­den lang ins Mikro­fon schreit und auch ich oft mei­ne Wut raus­ge­las­sen habe, über Gas­light(ing) eines Ex-Freun­des bis hin zu Come Home, in dem sie gemein­sam mit Ayla Tes­ler-Mabe von Ein­sam­keit erzählt. All die­se The­men schie­nen 2021 beu­tend. Am meis­ten berührt hat mich naï­ve, in dem sie Poli­zei­ge­walt in den USA aber auch den kon­stan­ten Kon­sum von Nach­rich­ten behan­delt. „I don’t wan­na lis­ten to the radio/…/Life’s a movie and it sucks, but I can’t stop wat­ching” heißt es dort. Gleich­zei­tig appel­liert das lyri­sche Ich aber auch dar­an, nicht zu naiv zu sein, bzw. sich die­se Nai­vi­tät ein­zu­ge­ste­hen. Die­ser Song hat mich oft auf­ge­fan­gen, wenn mir selbst die Nach­rich­ten zu viel wurden.

DRINNIES und Zum Scheitern Verurteilt

Nach dem Ende von Her­ren­ge­deck im Juni 2021 wur­de es Zeit für mich, neue Pod­casts zu ent­de­cken, die ich ein­fach immer und über­all hören kann! Sehr gele­gen kam mir da der DRINNIES Pod­casts von Gui­lia Becker und Chris Som­mer, der als Pan­de­mie­pro­jekt 2020 ent­stan­den ist. Gui­lia und Chris erzäh­len dort von ihrem Leben als Drin­nies, also als Per­so­nen, die lie­ber in ihre Heiz­de­cke ein­ge­ku­schelt auf dem Sofa sit­zen und sich vorm Post­bo­ten ver­ste­cken als drau­ßen unter Leu­ten zu sein. Auch wenn ich selbst wohl eher in die Kate­go­rie der Drau­ßies fal­le, habe ich jeden Diens­tag immer wie­der eine gute Zeit, denn auch so manche*r Drau­ßie schwitzt beim Ver­fas­sen von E‑Mails und möch­te im Zug lie­ber allei­ne sit­zen. Ange­lehnt an ihre Lei­den­schaf­ten für Die Höh­le der Löwen, Bares für Rares und dem Drin­nen-Sein gibt es jede Fol­ge ein „Drinn­vest­ment­ca­se“ mit neu­en Unter­neh­mens­ideen für Drin­nies, den „Snack der Woche“ als Vor­be­rei­tung für den nächs­ten Super­markt­be­such, den „Drinn­si­der“ mit Tipps und Tricks rund um das Ver­mei­den von Leu­ten und dem Kon­takt mit ihnen. Außer­dem gibt es noch ein­mal im Monat den „Drin­nie des Monats“, in dem Zuhörer*innen von ihrem Geschäfts­es­sen, unan­ge­neh­men inter­ak­ti­ven Thea­ter­auf­füh­run­gen und ver­pass­ten Aus­stie­gen aus dem Bus erzählen.

Mit­te Okto­ber heil­te dann auch Lau­ra Lars­son mei­nen Her­ren­ge­deck Lie­bes­kum­mer mit ihrem neu­en Pod­cast zusam­men mit Simon Dömer. In Zum Schei­tern Ver­ur­teilt erzäh­len bei­de Geschich­ten, die von vorn­her­ein zum Schei­tern ver­ur­teilt sind: Sport- und Abschmink­rou­ti­ne, Auf­räu­men und Put­zen der Woh­nung, der Kar­rie­re als Pflan­zen­ma­ma oder Pflan­zen­pa­pa oder auch nur der letz­te Fri­seur­be­such. Der Pod­cast, der oft wie bei einem Gespräch mit Freund*innen von einem The­ma zum nächs­ten über­geht, ist mei­ner Mei­nung nach ein gelun­ge­nes Come­back zurück in die Pod­cast­sze­ne. Ich freue mich defi­ni­tiv auf ein hof­fent­lich nicht zum Schei­tern ver­ur­teil­tes 2022!