Das Modular Festival 2022
von Jona Kron
Auf dem Gelände des Gaswerks fand vom dritten bis fünften Juni, nach zweijähriger Pandemiepause, zum ersten Mal wieder das Augsburger Modular Festival statt. Veranstaltet vom Stadtjugendring und gefördert von der Stadt Augsburg, hört sich das Festival vorwiegend nach modernem Pop und Rap an. In alter Gewohnheit drücken sich hier regionale, nationale und sogar ein paar internationale Acts die Klinke in die Hand. Zwar schienen einige Details dabei lange in der Schwebe zu hängen – sowohl Coronaauflagen, als auch das vollständige Line-Up standen erst kurz vor Festivalbeginn fest. Doch letzten Endes locken neben Hochkalibern wie Bilderbuch oder Giant Rooks, auch Augsburger Bands, wie Mount Adige und andere beliebte Newcomer*innen.
Tag eins beginnt mit grauem Himmel, Unwetterwarnung und bleibt wegen starkem Regen der am wenigsten gut besuchte, wenn auch nicht der einzige verregnete Tag des Festivalwochenendes. Trotzdem zeichnen sich schon Trends ab, die das gesamte Modular definieren sollen. Denn die Augsburger Menge, wenn sie nicht gerade einen trockenen Unterstellplatz sucht, wirkt in Bezug auf Feiern und Tanzen regelrecht ausgehungert.
Glücklicherweise bietet das Festivalgelände selbst abseits von Haupt- und Nebenbühne genug Tanzgelegenheiten, wie die überdachte Roller Disko und die stets gut besuchte Club Bühne. Für kurze Verschnaufpausen überzeugt ein buntes Potpourri an kleineren und größeren Ständen, an denen unter anderem Kleider getauscht, Frisuren gestylt, aber auch greifbar Nachhaltigkeit und Inklusion thematisiert werden.
An dieser Stelle ein großes Lob dafür, wie sich auf dem Festival um das persönliche Wohl der Besucher*innen gesorgt wird. Zusätzlich zum eigentlichen Sicherheitspersonal, wurde das sogenannte „Luisa ist hier“-System in das Festivalkonzept integriert. Wer sich aus irgendeinem Grund unwohl fühlt oder Hilfe braucht, kann sich mit einer Frage nach „Luisa“ an jedem Stand diskret in Sicherheit bringen lassen und je nach Bedarf in die Obhut ausgebildeter Fachkräfte. Eine simple, aber effektive Praxis, die schon alleine durch ihre Präsenz zu einer allgemein angenehmen Festivalstimmung beiträgt.
Doch zurück zum Herzstück des Festivals, den Auftritten. Der erste Tag gehört überwiegend Newcomer*innen. So schlägt Lostboi Lino melancholische, wie laute Klänge an, die vor allem mit seiner Problematisierung des Männerbilds im Song „Männer 2.0“ beim Publikum resonieren. Nach einer starken Unwetterepisode tanzt sich Augsburg mit Nina ChubasMix aus poppigem Hip-Hop und Dancehall langsam wieder warm und vertreibt nebenbei die letzten Regenwolken.
Als sich der Himmel klärt, beginnt Montez, der mit Abstand erfahrenste Performer des Tages, im orange-roten Licht der Abendsonne sein Set. Wie zu erwarten ist der Andrang vergleichsweise groß und die Menge hat Lust – hat sie ja nicht nur die Pandemie, sondern auch ein, bis zwei Stunden starkes Gewitter ausgesessen, für diesen einen Moment in der Sonne. Doch staunt Montez nicht schlecht, als sich bereits zu einem seiner ersten Songs in der Menge ein großer Moshpit auftut. Das Moshen – das Bilden eines Kreises, gefolgt vom gleichzeitigen springenden Einbruch in dessen Mitte –, ursprünglich zuhause auf Rock- und Technokonzerten, ist inzwischen auf vielen größeren Musikfestivals Gang und Gebe. Allerdings äußert Montez verständlicherweise seine Verwunderung, warum Augsburg ausgerechnet zu seinen Liebesballaden Kreise bildet. Ein Phänomen, das zum einen bezeichnend für die angestaute Feierwütigkeit des Modular scheint, zum anderen zu einer Tradition des dreitägigen Festivals werden soll. Für einen anderen Trend fehlt mir solche Einsicht allerdings und ich bin froh, dass andere Künstler*innen während ihren Auftritten verschont bleiben von unprovoziertem Beschimpfe fremder Fußballvereine. Weitaus erfreulicher und gerade zu herzerwärmend ist dagegen die bayerische Indie-Pop Band Bruckner und ihre mehr als glaubwürdige Freude darüber, endlich vor so vielen Menschen auftreten zu dürfen, sei dies doch der größte Auftritt ihrer noch jungen Karriere. Ein vielleicht erster Moment von vielen, in denen klar wird, wie sehr nicht nur dem Publikum, sondern auch den Künstler*innen Events wie dieses gefehlt haben.
Einen verregneten Freitag beendet schließlich BRKN mit seiner eindrucksvollen und gleichzeitig nahbaren Performance auf der Nebenbühne. Nach den anderen Rap-Künstler*innen vor ihm, gelingt es BRKN herauszustechen mit etwas mehr Soul in der Stimme, mit mehr tanzbaren, funkigen Beats im Gepäck und einer gesunden Menge Showmenship. BRKN begleitet sich nicht nur selbst am Keyboard, sondern gibt sogar ein energetisches Saxophon-Solo zum Besten. Nach dem ersten Tag wird das Modular nass, glücklich und ausgepowert nach Hause geschickt.
Hätte ich einen Preis zu vergeben für den besten Modularauftritt des Tages oder gleich des ganzen Festivals,Kerosin95 hätten ihn sich redlich verdient. Zu Recht wurden sie zuvor als „Gesamtkunstwerk“ anmoderiert, denn beiKerosin95 handelt es sich um einen besonderen Rap-Act. Mit Engelsflügeln, im Bikinitop und mit der Hand im Schritt; jedes Lied, jede Interaktion mit dem Publikum ein Statement. Kerosin95 geht es darum gehört und gesehen zu werden, um Akzeptanz im Allgemeinen, aber insbesondere in einer deutschsprachigen Rap-Szene, die noch immer unehrlich mit sich selbst ist. Kerosin95 dagegen sind genau das, ehrlich – laut, stolz und mit der raptypischen Konfrontationslust. Sie rappen das eigene Genre gegen den Strich und präsentieren sich in ihrer vollen non-binären, Gendergrenzen sprengenden Größe. Kerosins Message kombiniert mit einer gelungenen Mischung aus Kopfnicker- und Partybeats, stieß trotz starkem Regen auf die offenen Ohren und feierwütigen Gemüter vieler bereits durchnässter Modulargänger*innen. Ohne Frage ein Highlight des gesamten Wochenendes und eine Show, bei der man einfach dabei sein musste.
Wohingegen Freitag vor allem deutschsprachiger Performance gewidmet wurde, feiert das Modular einen sonnigen Samstag vorwiegend zu englischen Texten. Heute halten sich solider, lässiger, akustischer Indie-Pop von Künstler*innen, wie Drens und Shelter Boy, die Waage mit den modernen, treibenden Beats, Autotune-Mics und animierender Performance von 01099 und Haiyti. Vor allem Letztere konnte auf der Bühne nichts falsch machen, jeder Song Grund genug für das Modular zu tanzen, zu springen und mitzurappen. Was Haiyiti abseits der Bühne angeht, ist ein anderes Thema. So sah sich die Künstlerin noch Anfang des Jahres mit Aussagen eines eigenen Interviews konfrontiert, in denen sie recht unreflektiert ihren Umgang mit dem Wort „schwul“ in früheren Texten verteidigt. Inzwischen hat Haiyiti Fehler eingeräumt, sich entschuldigt und Besserung gelobt. Ob ihr Modularauftritt langfristig ein Schritt in die richtige Richtung ist, bleibt abzuwarten. Jedenfalls kommt Haiyitis Show an diesem Abend sehr gut ohne diskriminierende Sprache aus.
Weit weniger kontrovers geht es dafür bei den beiden abschließenden Acts zu. Die Giant Rooks liefern mit ihrem vollen Sound, der offensichtlichen Live-Erfahrung und Hits, wie Wild Stare (2020) und dem ein oder anderen Cover im Gepäck eine mitreißende Show ab für Kenner*innen, Liebhaber*innen und Ersthörer*innen. Die gelungene Krönung des heutigen Indie-Pop Mottos auf der Hauptbühne. Aber wer dieses Modular nicht bis zur letzten Show auf der Nebenbühne bleibt, macht sich selbst keinen Gefallen. Nach BRKNs grandioser Show vom Freitag, legen das heutige Highlight Tropikel Ltd. noch eins drauf. Spaciger 80er Jahre Synthi-Sound, robotische Live-Performance und ironisch-stumpfe, gleichzeitig hochreferenzielle Texte weben einen neonbunten Teppich auf dem die eigenen Füße alles vergessen außer das Tanzen. Die Stimmung brodelt und es passiert: ich gebe nach und am Ende des Abends befinde auch ich mich hüpfend und kreisend im Sog des Moshpits.
Am letzten Tag fährt das Modular noch einmal große Geschütze auf: moderne deutschsprachige Popstars wie Alli Neumann, die Leoniden und Headliner Bilderbuch ziehen heute das größte Publikum des Wochenendes auf das Gaswerkgelände. Umso erfreulicher zu sehen, dass am Sonntag auch Platz für regionale Lokalhelden, wie Augsburgs Mount Adige und dem Münchner Rapper Das Ding Ausm Sumpf gemacht wird. Letzterer nutzt sogar die Chance und dreht vor und während der Show ein Musikvideo. Dafür werden Masken berühmter Rapper*innen an Festivalbesucher*innen verteilt, die während dem Auftritt die Bühne stürmen. Eins A Publikumsinteraktion – und das sage ich nicht nur, weil eventuell ein gewisser schauinsblau-Redakteur unter einer Kanye West-Maske aus nasser Pappe seinen Weg auf die Bühne gefunden hat.
Nachdem die Hauptbühne von Alli Neumanns rau-melodischem Sprechgesang und teils ruhigen, teils minimalistisch elektronischen Instrumentalen beehrt wird, scheint es allerdings am Ton zu hapern. War die Tontechnik, vor allem bei der Nebenbühne, das ganze Wochenende lang hervorragend – und ging auch immer gerne auf etwaige extra Wünsche der Künstler*innen ein – so hat man nun während Leoniden und Bilderbuch schon auf Höhe der Tontechnik selbst Probleme die Künstler*innen klar zu verstehen. Der Stimmung tut das aber keinen Abbruch, erweist sich doch auch das Publikum in der Mitte und weiter hinten als sehr textsicher und selbst am letzten Tag noch tanzwütig. Und wie schon die beiden Tage zuvor findet auch dieses Mal die Feierei ihren Zenit auf der Nebenbühne.
Nach Edwin Rosens kunstvoll modifizierter Stimme zu ruhigeren, elektronischen Tönen untermalt von einer atmosphärischen Diashow, wird die Bühne vorbereitet für Jungle by Night. Die letzte Band des Festivals ist eine achtköpfige Akustikband aus Amsterdam. Jungle by Night verlieren keine Zeit und machen sich daran das Modular bis Mitternacht auf eine musikalische Reise zu entführen; von Funk über Reggae und Rock zu Disco — alles was tanzbar klingt, ist erlaubt. Augsburg lässt sich nicht zweimal bitten, sondern lieber verzaubern von einem wunderschön klaren Trompetensolo, dem geschmackvollen Delay auf dem woodstockartigen Gitarrensolo, den hypnotischen Rhythmen der dreiköpfigen Schlagwerksektion. Die Menge ist sicher in ihren Händen. Der Posaunist, muss sich in seiner zweiten Rolle als Hype-Man kaum bemühen, alle Grenzen sind gesprengt. Augsburg will nur noch eins: Tanzen bis Pfingstmontag. Es ist 23:59 Uhr und letzte Minute vor Abpfiff findet das Modular den einzigen Abschluss der sinnig scheint, in den wirbelnden Flammen eines allerletzten Moshpits.
Musikalisch war das Modular also, trotz schlechtem Wetter ein voller Erfolg. Das Bühnenprogramm war besucher*innenfreundlich gestaltet mit fast keiner zeitlichen Überschneidung der Auftritte von Haupt- und Nebenbühne, die beide nicht einmal 5 Minuten voneinander entfernt standen. Umso ärgerlicher, wenn das Tonerlebnis dann zwischenzeitlich auf einer Bühne erheblich schlechter, als bei der anderen ist. Auch das lange unsichere Line-Up des Festivals stößt bitter auf, da bis dieses feststand, erschwinglichere Tickets bereits vergriffen waren. Außerden wirkte die Kapazität von einem einzigen Wasserstand, sowie dem guten Duzend an Imbissständen schnell ausgelastet und bei schönem Wetter sogar eindeutig überlastet. Aber man muss der Veranstaltung sicher dennoch zu Gute halten, dass viel für die persönliche, wie allgemeine Sicherheit der Festivalbesucher*innen gemacht wurde. Ebenso beachtenswert, dass der Stadt auch bei Wetter- und pandemiebedingten Hürden ein inklusives, vielseitiges Festivalprogramm geboten wurde und das sogar alles non-profit. Augsburg und Umgebung hatten offensichtlich ihren Spaß und haben wieder Festivalblut geleckt. Ein stabiles Fundament auf dem die Veranstaltung mit etwas Feinschliff, in einer hoffentlich absehbaren postcorona Zeit weiter aufbauen kann.