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von Stephanie Siegl

Frü­her war es anders hier, hier vor den tem­po­rä­ren Holz­fas­sa­den, die wie bil­li­ge Nach­bau­ten vor uns auf­ra­gen, künst­li­che und grel­le Ver­sio­nen der Häu­ser­rei­hen, die sie hin­ter sich ver­de­cken, dort, wo nor­ma­ler­wei­se Autos ste­hen und für ein paar Tage im Jahr ein gro­ßes Rie­sen­rad sei­ne Run­den dreht und auf des­sen höchs­ten Punkt die Illu­si­on ver­rät – und in Vogel­per­spek­ti­ve blickt man über den Platz, auf die Ansamm­lung von Schieß­stän­den, Imbiss­bu­den und Karus­sel­len, die sich wie eine klei­ne, wan­dern­de Stadt aus den gewohn­ten Stra­ßen­zü­gen schält; und irgend­wo dort sind wir, vor Gebäu­den, die wie Büh­nen­bil­der vor uns ste­hen, und Men­schen zie­hen an uns vor­bei, dut­zen­de Kör­per, die in der Bewe­gung zu einer Mas­se ver­schmel­zen, die uns umfließt; wie Forel­len schwim­men wir gegen sie an, gegen die­se Strö­mung, die uns fest hält, ganz starr lie­gen wir in ihr und kom­men kaum vor­an, aber wir brau­chen ihren Atem in unse­ren Kie­men und unse­re bun­ten Schup­pen glän­zen zwi­schen den Stei­nen im trü­ben Was­ser, es ist kalt und es ist nass; wir sind ein Teil der Mas­se, die­ser klei­nen, künst­li­chen Stadt, die nur für ein paar Tage im Jahr geöff­net hat, wir Ele­men­tar­teil­chen ihrer Lich­ter­ket­ten, alles an ihr ver­schlingt uns, und wir las­sen uns von ihr ver­schlin­gen, wir weh­ren uns nicht dage­gen, wir sind dank­bar dafür, dass sie uns in ihren war­men dunk­len Schlund auf­nimmt, der uns für einen Moment das Gefühl von Gebor­gen­heit gibt, wäh­rend alles um uns her­um so furcht­bar kalt ist – kalt bist du auch, seit Lan­gem schon, kei­ne Wär­me mehr, nur Gleich­gül­tig­keit, die alles an mir ver­spot­tet, als Neu­trum stehst du neben mir, hier zwi­schen Karus­sell und Spie­gel­ka­bi­nett, als melan­cho­lisch-tris­te Kulis­se die­ses Moments, hier auf dem nas­sen Beton, auf dem gel­bes Herbst­laub klebt und lee­re, durch­näss­te Pop­corn­tü­ten, hier im Licht­ge­wit­ter des Jahr­markts, und die glän­zen­den Lich­ter und Far­ben spie­geln sich in den Pfüt­zen unter uns, ein Monet auf Asphalt, und im Dreh­mo­ment des Karus­sells ver­fan­gen sich Gedan­ken­strän­ge, die immer wie­der kom­men, meis­tens nachts, wenn alles dun­kel ist und ich die Augen schlie­ße, kann ich mich kaum an dein Gesicht erin­nern, es ver­schwimmt, erst wenn du vor mir stehst, sind alle Din­ge plötz­lich klar, alle Umris­se scharf, das Karus­sell steht still, und zwi­schen uns spannt ein Raum sich auf; eine Bewe­gung zwi­schen hier und da, an die­sem Nicht-Ort, an dem Nicht-Du und Nicht-Ich sich gegen­über­ste­hen, und unse­re Namen zu abs­trak­ten Ideen wer­den, die sich end­los poten­zie­ren, ein Blick zwi­schen mir und dir, in dem alles ist und nichts, und das Licht bricht sich im Blau dei­ner Augen, ich sehe mich selbst dar­in, wie ich vor dir ste­he, mit lee­ren Hän­den und nack­tem Her­zen, hier vor den uner­träg­lich bun­ten Rekla­men des Spie­gel­ka­bi­netts, wäh­rend sich um und in uns her­um alles bewegt, und gro­ße Augen bli­cken uns an, auf bil­li­ge Holz­ta­feln gemalt, der abblät­tern­de Lack zeich­net ris­si­ge Spu­ren, wie unzäh­li­ge Fal­ten, gro­ße Augen star­ren uns an, wie bei Gats­by, fol­gen mit ihrem Blick der Star­re unse­rer Kör­per, und im Blau dei­ner Augen spie­geln sich tau­send Frag­men­te, glän­zen­de Scher­ben, rasier­mes­ser­scharf, dein Blick schnei­det tie­fe Wun­den, und du siehst mich an, wie durch ein Kalei­do­skop – und die Wor­te ent­fal­len mir, als hät­te ich nie­mals gelernt zu spre­chen und mein Kopf ist leer, als wür­de ich nicht exis­tie­ren und ich ver­su­che die Wor­te zu fin­den, ich klau­be sie wie­der auf, die­se Buch­sta­ben­sup­pe auf dem Asphalt, ich umklam­me­re und umgrei­fe sie und hof­fe, dass mir ihre Bedeu­tung wie­der ein­fällt und ich sie zu einem Satz ord­nen kann, der in der Kom­bi­na­ti­on von Voka­len und Kon­so­nan­ten war­me Gefüh­le in kal­te Wör­ter ver­packt – Sub­jekt, Prä­di­kat, Objekt, wie eine Forel­le im Gedan­ken­strom und die dir alles erklä­ren, was ich mir selbst nicht erklä­ren kann, so wie die Din­ge halt manch­mal sind, alles beginnt und endet in einer ein­zi­gen Sekun­de, dem ers­ten Anset­zen, wenn der eige­ne Atem die Stimm­lip­pen zum Schwin­gen bringt, dem ers­ten Anklin­gen eines Lau­tes, der zum Wort wird, das zum Satz wird, der über uns im Raum hängt und uns umschwebt wie dicke  Nebel­schwa­den und manch­mal erken­nen wir uns kaum zwi­schen all dem Gesag­ten, als wären wir mei­len­weit von­ein­an­der ent­fernt, als wärst du bereits gar nicht mehr hier; aber jetzt gera­de bist du hier, direkt neben mir, vor unse­rer seich­ten Täu­schung der Unend­lich­keit, und zwi­schen uns, spannt ein Raum sich auf, indem alles dun­kel ist, und doch ver­traut, wir ken­nen ihn schon, er wan­dert mit uns und in uns, die­ses selt­sa­me nicht hier, nicht dort, son­dern dazwi­schen, und wie eine Fata Mor­ga­na flim­mert er auf, vor uns am Hori­zont, wenn das Licht sich bricht an den ver­schie­de­nen Schich­ten unse­rer Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit, zwi­schen den leuch­ten­den Lich­tern und den sich dre­hen­den Karus­sel­len und den Men­schen, die sich wie eine Strö­mung um uns her­um bewe­gen, und der Unbe­wegt­heit unse­rer Kör­per, und den tem­po­rä­ren Holz­fas­sa­den und
dem Platz, auf dem nor­ma­ler­wei­se Autos ste­hen und…Wir, irgend­wo dazwischen.

Ste­pha­nie Siegl, gebo­ren 1998 in Immenstadt im All­gäu. Bache­lor­stu­di­um in Ver­glei­chen­de Lite­ra­tur­wis­sen­schaft in Augs­burg. Aktu­ell im Mas­ter Ethik der Text­kul­tu­ren. Schreibt manch­mal. Über Dinge.