Ein Gespräch mit Norbert Kron
von Stephanie Waldow
Im Rahmen des 28. Erlanger Poetenfestes sprach Schau ins Blau mit dem Autor, Journalisten und Filmemacher Norbert Kron unter anderem über seinen neuen Roman Der Begleiter, über Sprache nach dem Medial turn, über die Ethik des Opfers und über die Intimität zwischen Leser und Erzähler.
SCHAU INS BLAU: Herr Kron, sie setzen sich — vor allem in ihrem Roman Autopilot (2002) — mit dem Begriff der Schöpfung auseinander und zeigen die Doppeldeutigkeit des Zeugungsaktes auf. Zeugen im Sinne von Zeugnis ablegen, als sprachlichem Akt, und in der Bedeutung des Geschlechtsaktes, als Schöpfung neuen Lebens.´
Durch seine Zeugungsunfähigkeit scheitert die Figur Lindberg aus Autopilot in Bezug auf diesen doppelt codierten Begriff in mehrfacher Hinsicht: Weder erfüllt sich sein Kinderwunsch, noch kann er diesen mit der Hervorbringung eines neuen Fernseh-Formats medial kompensieren.
Woher kommt dieser Antrieb, sich mit Schöpfung auseinanderzusetzen, und wie sieht Sprach-Schöpfung nach dem Medial turn aus Ihrer Sicht aus?
NORBERT KRON: Das Problem des Schöpfens oder Hinterlassens in der Mediengesellschaft erlebe ich tagtäglich, weil ich ja auch Journalist bin und häufig die Erfahrung mache, dass Dinge nicht bleiben, dass Dinge sich in Luft auflösen. Wie es ja immer so schön heißt: Sachen „versenden” sich, das ist eine frustrierende Sache, die ich jedes Mal am eigenen Leib erfahre. Und dem will man etwas entgegenstellen, das löst regelmäßig diesen Schreibreflex aus, denn die Sprache, oder die Schrift ist doch etwas, das auf eine ganz andere Weise bleibt. Ich mache auch immer wieder die Erfahrung, dass, wenn ich ein Thema fürs Fernsehen bearbeite, dann sehen das angeblich über 100.000 Menschen, aber keiner spricht mich darauf an. Schreibe ich über das gleiche Thema auch einen Artikel, werde ich drei Wochen, oder Monate später noch darauf angesprochen. Etwas also dazu zu bringen, dass es bleibt, ist Mittel gegen die eigene Vergänglichkeit. Im audiovisuellen Bereich wird mir sehr stark diese Vergänglichkeit gezeigt. Die mediale Existenz ist für mich eigentlich eine Metapher für die menschliche Existenz heute.
SCHAU INS BLAU: Kommt der Bibel, aus der Sie häufig zitieren, die Aufgabe zu, jener Vergänglichkeit entgegenzuwirken, sich in eine (schriftliche) Tradition einzuschreiben?
NORBERT KRON: Die Bibel kommt deshalb dazu, weil das Thema Schrift im Raum steht, zum anderen weil ich katholisch erzogen wurde. Es ist kein intellektueller Bibelzugang, sondern eher Erinnerungen an diese Hauptmaximen, diese Slogans sozusagen, die man aus der Kirche kennt.
SCHAU INS BLAU: Wie hat sich aus ihrer Sicht der Zugang zur Sprache und ihrer Darstellungsweisen seit dem Medial turn verändert?
NORBERT KRON: Schrift ist das komplementäre Medium zur Hauptmedialisierung unserer Welt, die im Wesentlichen für mich audiovisuell ist. Auch die Hauptcodes, in denen Werte vermittelt werden, bewegen sich auf diesem Level. Aus diesem Grund bedarf es einer Beschriftung der Bilder, diese ist für mich Programm. Etwas Ähnliches macht man ja auch mit Fotos; man beschriftet sie und gibt so Informationen, die auf dem Bild nicht zu sehen sind, man schafft quasi eine zweite Realität.
Schrift wird es immer geben, Schrift wird in ihrer scheinbaren Marginalität immer eine Textzelle sein, die etwas auslöst und voranführt. Letztendlich beruht sogar alles Visuelle auf Schrift, ein Film basiert auf einem Drehbuch und so auch der digitale Code. Bilder sind heute fast alle digital, analoge Bilder gibt es kaum noch und somit sind sie in gewisser Weise auch in Schriftform, der digitalen, existent.
Für mich stellt Autopilot den Umgang mit dieser von vornherein rein warenförmigen und auch von vornherein nicht substanziellen Welt des Mediums Fernsehen dar. Hier verhält es sich so, dass der Erzählakt erst generiert werden muss. Die Schrift muss erst eine Legitimation bekommen und zeigen, wie sie dagegen anerzählen kann. Im Autopilot ist es Lindberg, der versucht, irgendwie dagegen anzuerzählen.
SCHAU INS BLAU: Sie zeigen in Autopilot die Umkehrung des Verhältnisses von Intimität und Öffentlichkeit. Die scheinbar intime Beziehung hat keine Sprache mehr, währenddessen das Fernsehformat — das öffentliche Format — eine Intimität abbildet.
Ist diese Umkehrung auch ein Resultat des Medial turn?
NORBERT KRON: Die Massenmedien sind gewissermaßen darauf angewiesen, möglichst viel Intimität oder suggerierte Authentizität darzustellen, was natürlich in einer sehr äußerlichen Weise geschieht. Je mehr man Privatheit und Intimität vorführen kann, desto mehr wirkt das abstrakte Medium, der Apparat, menschlich. Dem gegenüber arbeitet die Literatur mit Aussparungen, um Intimität zu erzeugen.
SCHAU INS BLAU: Das bringt mich auf einen anderen Aspekt, und zwar die intime Beziehung zwischen Leser und Text. Hat die Literatur nicht eine schöne Möglichkeit, mit dem Leser in einen intimen Dialog zu treten oder ihn zumindest dazu aufzufordern, mit ihr in Dialog zu treten?
NORBERT KRON: Die intime Beziehung zum Leser ist Wesen der Literatur. Sowohl in meinem neuen Roman, dem Begleiter, als auch im Autopiloten habe ich versucht, Intimität auch durch Visualität zu erzeugen. Aber in der Literatur wird hier immer mit Lücken gearbeitet, die Literatur präsentiert nicht lückenlos einen Körper, sondern schafft immer auch Brechungen. Durch dieses Weglassen entsteht die wahre Intimität zwischen Text und Leser. Die intime Beziehung zwischen Text und Leser entsteht ja in diesem Akt des nicht Ausgesprochenen, dieses Raumes zwischen Text und Leser, in den er sich selber rein imaginiert.
SCHAU INS BLAU: Sie haben in ihren Essays u.a. darauf hingewiesen, dass Literatur auch die Aufgabe hat, Haltung einzunehmen und dies insbesondere vor dem Hintergrund einer sog. ethischen Wende in der gegenwärtigen Literatur. Ist nicht gerade diese intime Beziehung, von der sie gerade gesprochen haben, eine Möglichkeit, um in Kontakt zum Leser zu treten und diese Haltung anzubieten?
NORBERT KRON: Intimität ist genuin der literarischen Sprache innewohnend. Eine nicht benennende Geste des Sprechens, eine Geste, die weglassen muss. In dieser Offenheit, diesem Spalt, der sich da auftut, entsteht das literarische Moment, durch das Einfließen des Lesers hierein entsteht die Intimität. Diese Offenheit muss der Autor schaffen, und genau in diesem Spalt transportiert sich die ‚message’. Was man über Themen sagt, steckt ja genau in dieser Undeterminiertheit, in dem Verstörenden, sich nicht genau Festlegenden, dieses Fragenstellende, nicht dieses Aussagentreffende.
SCHAU INS BLAU: In diesem Spalt habe ich in ihrem neuen Roman Der Begleiter (2008) eine ‚Ethik des Opferns’ herausgehört. Die Gesellschaft, die Liss mit ihrem Projekt entwirft, wird als machtfreier Raum vorgestellt, in dem jeder das Opfer bringt, sich selbst abzugeben, um sich schließlich wieder neu (er)finden zu können. Also bereit ist für eine Konversion des Subjekts. Auf der Figurenebene verlangt Liss schließlich von Felix alias Alexander — indem sie seine Würde verletzt — das Opfer seiner Konversion. Erst durch die Verletzung seiner Würde, durch die Zerstörung seiner Integrität als Subjekt, gewinnt er aber allererst an Würde. Erst dadurch ist er in der Lage, eine vermeintlich authentische Beziehung zu Jeanne einzugehen.
NORBERT KRON: Ja, das ist eine sehr gute Beschreibung. Der Roman beschreibt menschliche Beziehungen im Kapitalismus. Der Kapitalismus ist ein Gesellschaftssystem, wo das Opfer stört, weil er Umsatz erlangen muss, wir müssen verschwenden, wir müssen konsumieren, wir müssen Neuwaren produzieren. In dem Moment, wo jemand asketisch lebt oder sich für den Verzicht ausspricht, stört er diesen Wirtschaftskreislauf. Liss, die in dieser Wirtschaftswelt zuhause ist, fehlt das Opfer. Sie ist keine Kulturwissenschaftlerin, aber entdeckt bei verschiedenen Kulturen, dass diese sich durch Opfer auszeichnen. Kulturen, oder vielleicht sogar Zivilisationen basieren darauf, dass es eine Bereitschaft zum Opfer gibt. Ein menschliches Miteinander funktioniert nur über Opfer, das ist etwas, was in unserem Liebeskapitalismus ein schwieriger Gedanke ist, auch in unserem Privaten sind wir so erzogen, dass man alles haben kann. Man kann alle Formen der Sexualität haben, man kann Liebe und Polygamie haben, also zumindest wird einem suggeriert, das man es haben will. So lernt Felix bzw. Alexander am Schluss, dass es auch im Privaten des Opfers bedarf. Er erkennt, dass er eine Bereitschaft dafür entwickeln muss, sich auf die Situation einzulassen.
SCHAU INS BLAU: Die Bereitschaft besteht also darin — im Moment der Begegnung mit dem Anderen — von sich selbst abzulassen, um sich dadurch neu zu generieren im Sinne eines würdigen Umwandlungsprozesses.
NORBERT KRON: Ja das finde ich gut, ich würde dem zustimmen. Das finde ich eine gute Beschreibung.
SCHAU INS BLAU: Entfaltet hier der Roman Der Begleiter nicht auch eine ethische Dimension, bietet eine Haltung an?
NORBERT KRON: Manche Rezensenten fanden schade, das die anfänglich etwas ironische Art, die süffisante Beschreibung der Gesellschaft, sich gegen Ende in eine Botschaft wandelt, das da etwas ernst gemeint wird, das da eine Art von Moral entfaltet wird.
SCHAU INS BLAU: Nicht vielmehr Ethik statt Moral?
NORBERT KRON: Ja, sehr gut, genau. Beim Wort Moral zucke ich auch.
SCHAU INS BLAU: Während Moral eher festschreibt, eröffnet Ethik ein Angebot. Ein Angebot, mit dem der Leser umgehen kann, zumal dieses Angebot ja auch nicht ungebrochen ist, wenn man das vermeintliche Ende des Romans betrachtet.
Die Frage ist schließlich auch, wie authentisch kann Sprache sein? Sie haben dem Begleiter ja eine Widmung „ Für J.” vorangestellt. Es stellt sich sofort der Gedanke ein, dass diese Widmung für die Figur Jeanne ist und ist nicht dieser Umstand wiederum ein Indiz dafür, dass die Authentifizierung, die sie mit der Widmung versuchen, eigentlich ins Leere läuft? Ist diese Widmung also nicht ein Zeichen dafür, dass das Opfer vielleicht nicht funktioniert? Oder dass das schöne Ende vielleicht doch nicht ganz so schön ist? Ich finde, es ist offen.
NORBERT KRON: Ja, es ist auf alle Fälle offen, es bleibt ja auch offen, was zwischen den beiden passiert. Genauso, wie der Buchstabe J. eben offen lässt, ob er das Wort ‚Jeanne’ symbolisiert. Es ist aber auch wichtig, dass nicht das Wort ‚Jeanne’ dort steht. Es geht ja mehr um den Akt des aufeinander Zugehens. Hier findet sich die ethische Dimension.
SCHAU INS BLAU: Das Schöne daran ist ja auch, dass der Akt des aufeinander Zugehens und die Intimität, die sich zwischen den beiden herstellt, über das Erzählen funktioniert. Es spiegelt sich innerhalb des Textes genau das wider, was zwischen Text und Leser passieren soll.
NORBERT KRON: Dass sie am Schluss sagt: Erzähl mir. Sie verlangt in gewisser Weise, dass er den Roman noch einmal erzählt, das war mir sehr wichtig. Mir war auch sehr wichtig, dass es zwischen den beiden nicht zur Intimität im sexuellen Sinne kommt. Was die Sexszenen im Roman angeht, so findet sich keine darunter, die eine ernsthafte Beziehung beschreibt. Intimität zwischen Liebenden wird nie beschrieben. Es wird nur die käufliche beschrieben. Man hofft ja am Schluss darauf, dass Alexander und Jeanne an ihre Intimität, an ihren Sex wieder anknüpfen. Man kann es auch so lesen, dass sie ihm Hoffnung macht, indem sie sagt: Wenn Du mir erzählst… Also ein Tausch von Erzählung gegen Sex, aber ob es dazu kommt, das behält die Frau natürlich wieder mal für sich …
Norbert Kron, geboren 1965 in München, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft, lebt als Schriftsteller und Kulturjournalist in Berlin. Er arbeitet u.a. für “titel thesen temperamente”, Tagesspiegel, Welt, ZEIT und erhielt zahlreiche Stipendien. “Der Begleiter” (dtv) ist nach “Autopilot” sein zweiter Roman.