© schauinsblau
von Aron Brendle
„Habt ihr Tauben unterm Dach? Bei uns gibt es Tauben. Schöne Vögel.“ Lächeln. Fünfzehn Minuten Stille. Das Essen scheint ihm zu schmecken, seine Stimmung wäre sonst schlechter. Unverständliche Wort‑, Satzfetzen. Blicke aus dem Fenster, vor dem vielleicht (oder vielleicht auch nicht) Vögel vorbeiziehen. Für weitere fünfzehn Minuten ist von ihm nichts zu hören außer dem Kratzen von Besteck auf seinem Teller. Aber er hört ja auch nichts, und wie soll man sich da am Gespräch beteiligen? „Wo ist meine Jacke, hatte ich keine anderen Schuhe an, nur diese? Müsste ich nicht noch eine Jacke haben? Was fährst du für ein Auto? Ist das deines oder das deines Papas?“ Du schnallst ihn an, so wie er es vermutlich früher bei dir getan hat. Seine Bemerkungen vom Rücksitz lenken ab, irritieren, doch er bekommt davon nichts mit, kann ja auch nichts dafür. „Wir hatten eine gute Zeit, schön, mal rauszukommen!“ Er sagt nie deinen Namen, scheint ihn nicht zu wissen. „Wo fahren wir hin? Heim?“ Erinnerungsfetzen bleiben, an das Haus im Grünen, Goldfische im Teich und Spatzen in der Hecke, Schneewanderungen in den Alpen mit den Söhnen, als sie noch klein und die Zeiten andere waren. An das neue Heim hat er sich nach anfänglichem Widerstand auch gewöhnt. Er spricht nicht mehr vom Friedhof gegenüber, auf dem er viel lieber liegen würde. Fragt nicht mehr, ob du ihn nicht mitnehmen, ihn irgendwo absetzen kannst. „Kommst du noch mit rein? Kommst du noch mit nach oben? Kommst du noch mit nach hinten?“ Heute bietet er dir keinen Sitzplatz an, steht selbst mitten im Raum, starrt in die Leere. Doch er scheint sich daran nicht weiter zu stören. „Danke, schön wars, das Essen war sehr gut. Du findest allein raus, ich brauch nicht mehr mit nach vorne zu kommen, oder?“ Du schaust dich in der Zimmertüre noch einmal um. Er steht am Fenster und sieht hinaus, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Du könntest nie dagewesen sein. Beim nächsten Mal wird er von eurem Garten reden, mit den bunten Blättern und dem nun leeren Gemüsebeet. Eurem Garten, den er so liebt. Das Erinnern ist eine schlichtweg merkwürdige Sache.