von Tabea Krauß
Arnold Stadler scheitert in „Komm, gehen wir” an einer Liebe in Dreierkonstellation.
Die im Folgenden präsentierte Rezension entstand im Rahmen der von Dr. Evi Zemanek an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angebotenen Übung “Rezensionen schreiben”. Zum Zweck einer kontrastiven Beleuchtung der besprochenen Neuerscheinungen ebenso wie zur Demonstration verschiedener kritischer Betrachtungsweisen sind je zwei von StudentInnen verfasste Rezensionen einander gegenübergestellt.
Die unerzählbare Tätigkeit des Liebens
„Was ist Lieben? Ist es ein Tuwort?” Programmatisch steht diese Frage am Anfang von Stadlers neuem Roman Komm, gehen wir. Eine Liebesgeschichte soll das sein, was Stadler hier vorlegt. Die Story ist schnell erzählt. Wir befinden uns im Jahr 1978. Rosemarie und Roland, der eigentlich homosexuell ist, wollen heiraten, warum auch immer. Während dem Urlaub auf Capri lernen sie Jim, einen gut aussehenden Amerikaner, kennen und verlieben sich beide in ihn. Dann wird erst mal ‚gefickt’, mal zu zweit, mal zu dritt (fuck sei schließlich ein völkerverbindendes Wort), aber recht sachlich und sprachlich eher dezent. Natürlich geht solch ein Dasein zu dritt nicht ohne Eifersucht vonstatten, so wird neben dem Sex auch noch kräftig gestritten. Schließlich kommt ein Kind, und zwar von Jim, Rosemarie heiratet dennoch Roland, und Jim fliegt zurück nach Amerika. Am Ende ist Roland über dreißig, Schriftsteller geworden, hat sich doch von Rosemarie getrennt und besucht Jim in Amerika.
Nebenbei werden Antworten auf die Eingangsfrage gegeben. Wir erfahren, dass Liebe das Warten auf die Liebe ist, die Sehnsucht nach der Liebe und die Erinnerung daran, dass sie genauso definierbar ist wie ein Kunstwerk, nämlich durch ihre Unvergesslichkeit. Dann wird die Liebe mal als Kompromiss, mal als Zirkusnummer, als todbringende Krankheit, als Tür die nach innen aufgeht, als etwas Einsames, Einseitiges, oder als Schulaufgabe des Lebens bezeichnet. Ja es wird hier viel gesagt über die Liebe, fast etwas zuviel, und ausschließlich aus der Sicht Rolands. Den ganzen Tag ist er mit Nachdenken beschäftigt, dieser Roland, immer und überall, sogar in der Autowerkstatt: klar, er hat ja Philosophie studiert, nachdem er als Balletttänzer und Landwirt scheiterte. Mit dem Philosophieren wird es aber auch nicht so richtig was. Man fühlt sich beim Lesen der breitgetretenen Gedanken Rolands sehr an einen 17-jährigen, selbstmordgefährdeten Jugendlichen erinnert. Roland ist aber 24, später dann 35. Doch auch mit den Jahren ändert sich nicht viel, nur die Gicht kommt hinzu.
Während Roland zu viel denkt, kommen die anderen beiden fast gar nicht zu Wort. Gut, Jim, der Spastiker ist, und dessen Medikamente gewissermaßen triebfördernd wirken, redet nicht über die Liebe. Dafür hat er ständig Sex mit diversen Haupt- und Nebenfiguren. Immerhin. Aber auch Rosemarie darf nicht allzu viel sagen. Sie ist die patente Medizinstudentin, die sich hochgearbeitet hat, gut aussehend und langweilig, jedenfalls für den Leser. Was ihr Afrolook soll, der etwa nach der Hälfte des Buches erwähnt wird, und scheinbar irgendeine Rolle spielt, bleibt unklar. Nur einmal gewinnt sie etwas an Kontur, als sie angesichts der Nachricht ihrer Schwangerschaft und dem Tod des Papstes in das Lachen einer Wahnsinnigen ausbricht.
Die Gestaltung der Figuren lässt insgesamt eine gewisse Einfühlsamkeit vermissen, sie bleiben seltsam farblos, sogar Roland. Dies mag daran liegen, dass die Beziehungen der drei Liebenden untereinander ohne viel Liebe geschildert werden. Wenig Dialog, mehr aneinander gereihte Tusätze. Sie machen dieses und dann jenes und so weiter, garniert mit sprachlichen Unsicherheiten Stadlers.
Zwischen drin treten immer wieder Menschen auf, die auch lieben oder mal geliebt haben, und hier den Haupterzählstrang zufällig in einem Punkt berühren, dann aber gleich wieder „aus dieser Geschichte verschwinden”, ein netter illusionsbrechender Kunstgriff, etwas zu häufig angewendet allerdings. Aufgrund ihrer Menge nerven auch die intertextuellen Bezüge mit der Zeit ein bisschen. Stadler wirft mit großen Namen von anderen Autoren und Werken geradezu um sich, dabei ist ihm, wie er auf Nachfrage angibt, nicht einmal bewusst, dass das Hotel Quisisana auf Capri auch bei den Buddenbrooks vorkommt.
Eines muss man Stadler aber lassen, er versteht es, ein gewisses Lebensgefühl zu fassen, dieses Gefühl, dass da eigentlich gar nichts war, und doch alles, so ein Schwanken zwischen Sorglosigkeit und Tragik. Das Leben: ein traurig-schönes, unvergessliches Fast-nichts. Genau dahin führt auch das sich im Roman mit Bedeutung aufladende „Komm, gehen wir!”. Da wird etwas versprochen, etwas ganz Unbedeutendes und doch etwas Großes. Teilweise kann dies Stadler mit seiner Geschichte einlösen, aber eben nur teilweise.
Wenn am Ende Roland, der ein Buch über Jim geschrieben hat, das „Ungewaschene Erinnerungen an die Liebe” heißt, gefragt wird, ob sein Roman autobiographisch sei und keine wirkliche Antwort gibt, wissen wir jedenfalls, was wir Stadler nicht fragen dürfen. Vielleicht wollen wir das aber auch gar nicht wissen, und doch lieber Thomas Mann lesen…