Auch Dandys werden müde.

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Zu Christian Krachts Eurotrash

von Leo Blumenschein

Chris­ti­an Kracht und Mar­cel Proust – bei­de sind sie das, was Sören Kier­ke­gaard wohl als ästhe­ti­schen Men­schen beschrei­ben wür­de. Und, bei­de sind sie auf der Suche nach der ver­lo­re­nen Zeit. Ob man sie lite­ra­risch ein­ho­len kann? Bis heu­te nicht end­gül­tig geklärt. Kracht jeden­falls scheint die ver­lo­re­ne Zeit nicht mehr ein­ho­len zu kön­nen. Oder doch? „Aeter­ni­tas a par­te ante“ – nicht umsonst lässt Kracht die Mut­ter des Erzäh­lers gleich mehr­fach die­sen Satz zitieren.

Tat­säch­lich spielt der Autor wie in kei­nem ande­ren Werk mit Zeit und Erzähl­per­spek­ti­ven. Irgend­wie geht es ja in jedem Chris­ti­an-Kracht-Buch um Chris­ti­an Kracht; neu ist nur die Offen­heit mit der es geschieht. Der Kracht‘sche Nar­ziss­mus in all sei­ner Raf­fi­nes­se offen­bart sich schon im ers­ten Satz von Euro­trash:

„Also, ich muss­te wie­der auf ein paar Tage nach Zürich. Es war ganz schreck­lich. Aus Ner­vo­si­tät dar­über hat­te ich mich das gesam­te ver­län­ger­te Wochen­en­de über so unwohl gefühlt, dass ich unter star­ker Ver­stop­fung litt. Dazu muss ich sagen, dass ich vor einem Vier­tel­jahr­hun­dert eine Geschich­te geschrie­ben hat­te, die ich aus irgend­ei­nem Grund, der mir nun nicht mehr ein­fällt, ›Faser­land‹ genannt hatte.“

Die Geschich­te sei­ner „voll­kom­men gestör­ten Fami­lie“ will Chris­ti­an Kracht erzählen.

Da sind der sado­ma­so­chis­ti­sche SS-Groß­va­ter, der Nol­de-hor­ten­de Vater und allen vor­an die alko­hol­kran­ke und psy­cho­ti­sche Mut­ter. Mit genau die­ser begibt er sich auf einen Road­trip durch die Schweiz. Im Gepäck 600 000 Fran­ken, die es zu ver­schen­ken gilt. (Natür­lich eher aus Sno­bis­mus als aus poli­ti­schen Grün­den) Von dem voll­kom­men geschmack­lo­sen Bun­ga­low der Mut­ter am Züri­cher See über eine öko­lo­gi­sche Nazi­kom­mu­ne bis hin zu der Psych­ia­trie „Elfen­stein“ in Win­ter­thur führt die Rei­se. Kracht wirkt dabei fürch­ter­lich müde: müde über Faser­land, müde über die immer glei­chen Gesprä­che (mit der Mut­ter), müde über den ganz unauf­ge­ar­bei­te­ten Nazi­mo­loch (sei­ner Fami­lie) und vor allem müde über sein eige­nes Dan­dy­tum. So müde, dass er sich zeit­wei­se als kapi­ta­lis­mus­kri­ti­scher Glo­ba­li­sie­rungs­geg­ner ver­sucht, was dem ästhe­ti­schen Men­schen Kracht natür­lich ganz schreck­lich zu Gesicht steht. Dort hin­ge­gen, wo Kracht sei­ne Müdig­keit in Iro­nie ummün­zen kann, beginnt sein Dan­dy­tum neue Schär­fe zu gewin­nen: Wenn er sich als Dani­el Kehl­mann aus­gibt oder sei­ne eige­ne Bil­dung als Schein­bil­dung bezeich­net, ent­steht der sym­pa­thi­sche Eli­ta­ris­mus eines Men­schen, der es sich erlau­ben kann, über sich selbst zu lachen. Genau jener Fähig­keit, an der es Krachts Vater, Chris­ti­an Kracht seni­or, der rech­ten Hand Axel Sprin­gers, immer gefehlt haben muss. Ja, ganz am Ende, wenn Kracht sei­ne Mut­ter mit dem Ver­spre­chen, sie bald wie­der zu sehen, in die Psych­ia­trie ent­lässt, kann man es fast als Geschich­te einer Befrei­ung lesen. Dass die Mut­ter, die ger­ne mal Sät­ze los­lässt wie „Nur wer vor 1789 gelebt hat, weiß, wie ange­nehm das Leben sein kann“, dem Leser trotz­dem sym­pa­thisch erscheint, liegt vor allem an ihrer psy­chi­schen und phy­si­schen Labilität.

Irgend­wie schüt­telt Kracht all das, was ihn da so fürch­ter­lich müde macht, doch noch ab. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­ner ‚Möch­te-gern-feu­da­len Herr­schaft‘ ist auch immer die Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­nem ‚Alter-Faser­land-Ego‘. Dass er die Bar­bour­ja­cke gegen einen Woll­pul­li tauscht, könn­te dabei kaum pla­ka­ti­ver sein.

Ach ja, irgend­wo zwi­schen David Bowie und Franz-Josef Strauss fällt tat­säch­lich noch der Name Proust: Laut Kracht ver­kauf­te Peter Suhr­kamp sein Haus auf Sylt an Axel Sprin­ger, um mit dem Erlös die deutsch­spra­chi­gen Lizen­zen für Prousts „Auf der Suche nach der ver­lo­re­nen Zeit“ erwer­ben zu können.