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Top oder Flop?
von Nina Gretschmann
Dieser Frage bin ich Mittwochabend bei der Premierenvorstellung nachgegangen und die Antwort hat mich wirklich überrascht – doch starten wir zunächst am Anfang.
Schon seit Monaten wird der Film über Barbie, die Puppe, welche jahrzehntelang nicht aus den Kinderzimmern westlicher Industrieländer wegzudenken war und doch in den letzten Jahren stark in Verruf geraten ist, mit Spannung erwartet. Grund hierfür? Die unglaubliche Starbesetzung, angefangen bei Margot Robbie (I, Tonya) und Ryan Gosling (Drive) bis hin zu America Ferrera (Ugly Betty, Superstore), Will Ferrell (Eisprinzen, Anchorman), Simu Liu (Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings), Michael Cera (Superbad, Arrested Development) Kate McKinnon (SNL, Ghostbusters) und Emma Mackey (Sex Education). Die Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen! Es sind jedoch nicht nur die Schauspieler:innen, die bereits im Vorfeld für ein so großes Interesse am Film sorgen, sondern auch die Tatsache, dass der Film aus der Feder von Greta Gerwig und ihrem Ehemann Noah Baumbach stammt. Gerwig, die auch Regie führt, hat in den letzten Jahren mit sehr klugen, originellen und vor allem feministischen Filmprojekten auf sich aufmerksam gemacht, wie beispielsweise Lady Bird (2017) oder die Neuverfilmung von Little Women (2019). Dementsprechend sind die Erwartungen an den Barbie-Film groß.
Auch der Andrang bei der Premierenvorstellung im Würzburger Central im Bürgerbräu ist groß. Sichtlich gut gelaunte Menschen strömen ins Kino – trotz hohen Frauenanteils, ist es dennoch ein sehr diverser Publikums-Mix. Die Farbe des Abends ist tatsächlich Pink – von der Kleidung bis zum Lidschatten. Manche Zuschauer:innen kommen als „Barbie“. „Business Barbie“ ist vertreten, ebenso – ich nenne sie mal – „Rainbow Barbie“ sowie „Fairy Barbie“ (grünes Glitzerkleid mitsamt hellgrünen Flügelchen). Kurzzeitig meint man, die Filmvorführung würde zu einem Cosplay Event avancieren. Der Soundtrack des Films erfüllt das Kino bereits vor Vorstellungsbeginn und stimmt die Menge auf diese Weise nur noch mehr ein.
Als der Film dann losgeht, wird nach gefühlten drei Sekunden gleich wieder gestoppt – das erlebt man auch selten im Kino – doch der Andrang ist so groß, dass man noch kurz auf Nachzügler:innen warten möchte. Knapp zehn Minuten später sitzen alle auf ihren Plätzen und unter Applaus geht die Filmvorführung dann wirklich los!
Every night is Girls Night … Forever and ever!
„Barbie changed everything“ (dt. „Barbie hat alles verändert.“) heißt es zu Beginn des knapp zwei-stündigen Films. Vorher waren Mädchen oftmals beim Spielen nur „Mütter“ für ihre babyähnlichen Puppen, mit Barbie können sie alles sein. So wird Barbie auch als emanzipierte weibliche Identifikationsfigur eingeführt und „Barbieland“ wird dementsprechend als utopischer, matriarchaler Ort gezeigt. Die verschiedenen, diversen Barbies leben harmonisch miteinander. Jeder Tag verläuft reibungslos und perfekt choreografiert. Jeden Abend ist Girls Night, wo die Barbies in ihren Traumvillen groß feiern können – kurzum: für Barbies könnte es dort nicht schöner sein! Für die Kens, besonders für Beach Ken (Ryan Gosling), ist das zwar nicht wirklich erfüllend, aber das interessiert in „Barbieland“ niemanden. Die Idylle findet für Stereotypical Barbie (gespielt von Margot Robbie) ein jähes Ende, als sie plötzlich mit Gedanken über den Tod und „Plattfüßen“ konfrontiert wird – Fehlfunktionen, welche nur in der „Real World“ behoben werden können. Mit Beach Ken an ihrer Seite macht sie sich daher auf den Weg in die „Echte Welt“ und landet schließlich in Los Angeles. Dort nimmt das Unglück dann seinen Lauf, denn Beach Ken entdeckt mit großen Augen das Patriarchat. Natürlich möchte er daraufhin auch im „Barbieland“ patriarchale Strukturen durchsetzen – das muss von Barbie unbedingt verhindert werden!
In einer Welt, die rein aus Plastik besteht, plastisch das Patriarchat erklären? Das gelingt vermutlich nur Greta Gerwig.
Ein feministischer Film über Barbie hätte auf vielfache Weise schiefgehen können. Nicht jedoch, wenn Greta Gerwig sich der Sache annimmt. Das zeigt Barbie äußerst eindrucksvoll! Gerwig nutzt Barbie und Ken sowie das „Barbieland“, um die patriarchalen Strukturen, die – manchmal immer noch zu unhinterfragt – unsere Gesellschaft durchziehen, aufzuzeigen und die damit verbundenen Probleme zu verdeutlichen. Männer in Machtpositionen, Mansplaining – Barbie ist nicht der erste Film, der das kritisiert. Doch Gerwig gelingt es, ohne erhobenem Zeigefinger Kritik zu üben und das Publikum nicht mit feministischen Botschaften zu „überfordern“. Im Gegenteil, sie beweist großes Fingerspitzengefühl, wodurch der Film es vermutlich schaffen wird, die breite Mehrheitsgesellschaft anzusprechen und nicht „nur“ die Feminist:innen.
Barbie ist durchgehend unterhaltsam und äußerst humorvoll, ohne dabei zu oberflächlich zu bleiben oder alles ins Lächerliche zu ziehen. Auch die Figuren sind nicht eindimensional gezeichnet, sondern erhalten Tiefe. Das zeigt sich vor allem in den ruhigeren Szenen des Films. Beispielsweise, wenn Stereotypical Barbie die Menschen in der „Real World“ beobachtet und von Emotionen überwältigt wird. Gerwig hat für ihre Figuren sehr viel Respekt sowie Liebe, das ist unübersehbar in der detailverliebten Darstellung zu erkennen.
Die Frage “Flop oder Top?” kann daher eindeutig mit “TOP!” beantwortet werden. Barbie ist ein nostalgischer Geniestreich in viel Pink, der nicht nur gesellschaftskritisch, sondern gleichzeitig auch unglaublich amüsant ist.
Vielleicht liegt es daran, dass es eine Premierenvorstellung war, doch für mich war Kino selten so ein Spektakel. Der Ausflug ins “Barbieland” hat sich definitiv gelohnt. Beschwingt und hoffnungsvoll kehre ich in die “Real World” zurück. Vielleicht lässt sich das Patriarchat auch hier vertreiben.
Für Barbie gibt es von mir 5 von 5 Barbies.