Zur Ausstellung „ELECTRO. VON KRAFTWERK BIS TECHNO“
von Leo Blumenschein
Es ist ja so eine seltsame Sache mit der Zukunft: Manchmal liegt ihr größter Teil in der Vergangenheit. Und selbst die elektronische Musik, auf die zu verzichten sich heute nahezu keine musikalische Avantgardebewegung traut, und in deren Selbstverständnis der Beat immer noch ein radikales Jetzt in den Raum brüllt, durchlebt in den letzten Jahren zusehends nostalgische Phasen. Das Wiederaufleben der Rave-Coiture der 90er mit pinken Skins, kurzen Crobs und knalligen Bauchtaschen veranschaulichen vielleicht am besten das Aufkommen einer selbstbezogenen Geschichtlichkeit der elektronischen Musik.
Natürlich kann man dies wie der britische Kulturtheoretiker Mark Fisher als ein Verkauf der Zukunft ansehen, man kann die Historisierung, Narrativierung und Kanonisierung einer progressiven Bewegung aber auch als notwendige Materialsuche zur ständigen Überarbeitung begreifen. Recyclen für die Zukunft.
Die Ausstellung „Electro. Von Techno bis Kraftwerk im Düsseldorfer Kunstpalast“ knüpft genau an zweitere Denkart an. Zwischen dem Erfinden einer eigenen Geschichte und der Tuchfühlung mit aktuellen Entwicklungen, versucht die Ausstellung ein breites Feld abzudecken. In chronologischer Reihenfolge wird man durch die Räume geführt. Beginnend bei frühen elektroakustischen Instrumenten wie dem Theremin, landet man schließlich im Jahr 2021. Der Zeitstrahl gleich zu Beginn der Ausstellung kann dabei einen guten Überblick schaffen. Der zweite Raum, eigentlich als Herzstück konzipiert, sorgt dabei für eine erste Enttäuschung. Auf einer großen Leinwand, die Zuschauer:innen dabei schon mit 3D- Brille bestückt, wird man von den vier Jungs von Kraftwerk empfangen. Ausschnitte von „KRAFTWERK, DER KATALOG 3D KONZERT“ evozieren dabei aber weder das Gefühl einer echten Traditionslinie, noch können diese an klassische MTV-Clips erinnernden Sequenzen als zeitgenössisch verstanden werden. Allein der unnötige Einsatz der 3D- Brillen wirkt dabei fast rührselig. Der ganze Raum erinnert an das peinliche Schweigen, nachdem sich ein Mitt-Dreißiger selbst zur Jugend zählt. Nun, sei’s drum, wenden wir uns den nächsten Räumen zu und erschleichen uns so langsam unsere Gegenwart. Über die relativ kurz, aber ausreichend abgehandelten Stationen der 80er und Chicago House gelangen wir in die 90er und damit zum goldenen Zeitalter des Raves. Hier begeistert die breite Auswahl der Ausstellungsstücke. Neben gegenständlicher Kunst, Videosequenzen und Malerei, sind es vor allem die popkulturellen Fundstücke, die Freude bereiten: Unzählige Flyer, Plakate und Tickets von diversen Raves, Festivals und Clubs erschaffen eine quietschige Collage, die so bunt und vitalisierend ist wie die 90er selbst – Rave on. Das fotografische Werk schafft es hier auch gut die Lücken zwischen Dokumentation und Kunst aufzufüllen. An anderen Stellen werden die Besucher:innen allerdings oft ratlos zurück gelassen.
Warum Vieles auftaucht, Anderes hingegen weggelassen wird, wie Donna Summer und Tangerine Dream zusammenhängen oder was man eigentlich unter elektronischer Musik verstehen kann, bleibt leider unbeantwortet.
Nach den 90ern scheint der Kater so groß, dass man auf die 00er und 10er Jahre weitestgehend verzichtet. Das Trauma der Loveparade 2010 wird ebenfalls außen vorgelassen.
Springen wir also in Gegenwart und Zukunft, seltsamerweise zusammengefasst: Dass die elektronische Musik hauptsächlich auf die KI setzen wird, steht am Anfang der letzten Abteilung. Wirklich überraschend ist das nicht. Die Exponate sind größtenteils Videos aber auch eine Fotographie von Kraftwerk findet sich. Uff, schon wieder Kraftwerk. Diesmal zwar immerhin aus dem Jahr 2015; inwiefern aber eine sechs Jahre alte Fotographie einer alternden Boyband die Gegenwart der elektronischen Musik verkörpern soll, ist dem Autor selbst als ausgewiesenem Kraftwerk-Fan unklar. Andere Exponate hingegen schaffen es, elektronische Kunst als universale Gesamtkunstwerke begreiflich zu machen. Hier kann die Ausstellung überzeugen.
Das Ausstellungsdesign selbst ist zwar wenig überraschend, aber durchaus stimmungsvoll: Metallgerüste, schwarze Flächen und eine durchgehende Techno-Beschallung lassen an einen Clubabend erinnern, Oh süße Melancholie, und schaffen es meistens trotzdem gerade noch so, die Grenze zum Kitsch zu umgehen. Insgesamt hinterlässt der Ausstellungsbesuch aber einen gemischten Eindruck: Das progressive Element der elektronischen Musik kann nur als historischer Schattenwurf eingefangen werden. Bei der Auswahl der Ausstellungsstücke und beim Herstellen vager Querverweise gelingt es zwar die Besucher zu bespaßen, wirklich Neues darf man allerdings nicht erwarten.
Die Ausstellung ELEKTRO. VON KRAFTWERK BIS TECHNO ist im Kunstpalast Düsseldorf seit dem 9.12.2021 und noch bis zum 15.05.2022 zu sehen