von Eva Kraemer
Der Tag, an dem ich Mary kenÂnenÂlernÂte, war der Tag, an dem meiÂne Welt endÂgĂŒlÂtig in sich zusamÂmenÂfiel. Obwohl ich gewusst hatÂte, dass es eine neue Frau in Johns Leben gab, obwohl ich gewusst hatÂte, dass unseÂre TrenÂnung dieÂses Mal endÂgĂŒlÂtig war, dass es kein ZurĂŒck mehr gab. Zu groĂ stanÂden die GrĂŒnÂde fĂŒr die TrenÂnung zwiÂschen uns, zu sehr wussÂte ich, dass ich ihm auf DauÂer nicht das hĂ€tÂte geben könÂnen und wolÂlen, was er verÂdienÂte. Ich hatÂte gewusst, dass es keiÂne gute Idee geweÂsen war, fĂŒr John zu arbeiÂten, aber ich hatÂte immer noch dieÂses GefĂŒhl, ihm etwas schulÂdig zu sein, fĂŒr die SchmerÂzen, die ich ihm verÂurÂsacht hatÂte. VielÂleicht hatÂte ich auch sehen wolÂlen, ob er glĂŒckÂlich war, ob er sich einÂgeÂrichÂtet hatÂte in seiÂnem neuÂen Leben ohne mich. Mit einer neuÂen Frau. So sehr es mir wehÂtat, zu wisÂsen, dass es sie gab, so sehr wĂŒnschÂte ich ihm, dass er in ihr das gefunÂden hatÂte, was er gesucht hatÂte. Dass die TrenÂnung von mir die richÂtiÂge EntÂscheiÂdung geweÂsen war. FĂŒr ihn.
Und ich hatÂte mich, trotz allem, gefreut, ihn wieÂderÂzuÂseÂhen, das vielÂleicht am meisten.
Ich war an dieÂsem MorÂgen frĂŒh in die WerkÂstatt gekomÂmen, um in der StilÂle ein wenig an der SkulpÂtur weiÂterÂzuÂarÂbeiÂten, die ich begonÂnen hatÂte, nicht Teil der Arbeit hier sonÂdern Teil meiÂner Arbeit. Ich hatÂte das groÂĂe StĂŒck einer knoÂtiÂgen Eiche vor ein paar Tagen in Johns HolzÂlaÂger gefunÂden und sofort gewusst, was es werÂden mussÂte, desÂhalb hatÂte er es mir als Teil der BezahÂlung ĂŒberÂlasÂsen. Ich hatÂte mich von den gleichÂmĂ€ÂĂiÂgen BeweÂgunÂgen, dem KlopÂfen des KlĂŒpÂfels auf die SchnitzÂeiÂsen, dem Geruch nach Holz und GerbÂsĂ€uÂre, dem GefĂŒhl des rauÂen HolÂzes unter meiÂnen FinÂgern in den Tag traÂgen lasÂsen wolÂlen. Ein bissÂchen alleiÂne in der WerkÂstatt sein, bevor die richÂtiÂge Arbeit losÂging. Ein bissÂchen Stille.
Auf LonÂdons StraÂĂen waren schon die ersÂten MenÂschen auf dem Weg zur Arbeit unterÂwegs. Die Luft roch nach dem Regen, der ĂŒber Nacht gefalÂlen war. Ich hatÂte LonÂdon verÂmisst, die Stadt, in der ich einÂmal so glĂŒckÂlich geweÂsen war. LonÂdon war die einÂziÂge Stadt, die sich fĂŒr mich jemals wirkÂlich wie zuhauÂse angeÂfĂŒhlt hatÂte, die mich verÂwurÂzelt hatÂte in dieÂser Welt, verÂwurÂzelt in einer FamiÂlie, die ich zu der meiÂnen gemacht hatÂte. MerkÂwĂŒrÂdig, wie senÂtiÂmenÂtal mich die RĂŒckÂkehr hierÂher machte.
Das HofÂtor war verÂschlosÂsen, mit einem metalÂliÂschen GerĂ€usch schnappÂte der RieÂgel zurĂŒck, als ich den SchlĂŒsÂsel im Schloss drehÂte. Ich schob das Tor hinÂter mir zu. Ăber den InnenÂhof strich eine KatÂze, auf der Suche nach EssensÂresÂten. FrĂŒÂher hatÂte ich die KatÂzen manchÂmal gefĂŒtÂtert, aber die KatÂzen von frĂŒÂher kamen nicht mehr.
Die schweÂre WerkÂstattÂtĂŒr, die auf den Hof ging, war nicht abgeÂsperrt und die AlarmÂanÂlaÂge war schon ausÂgeÂschalÂtet. Das war ungeÂwöhnÂlich um dieÂse UhrÂzeit. John war kein FrĂŒhÂaufÂsteÂher, norÂmaÂlerÂweiÂse. Ob er auch nicht hatÂte schlaÂfen könÂnen, und desÂhalb frĂŒh mit dem ArbeiÂten angeÂfanÂgen hatte?
Der WerkÂstattÂraum war dunÂkel, aber im PolierÂraum brannÂte Licht. Mein Herz klopfÂte ein wenig schnelÂler, als die WerkÂstattÂtĂŒr hinÂter mir mit einem leiÂsen KliÂcken ins Schloss fiel.
Ich sog den Geruch ein, frĂŒÂher so verÂtraut, nach HolzÂstaub und KnoÂchenÂleim, SchelÂlack und dem scharÂfen Geruch von reiÂnem AlkoÂhol. Das Kichern aus dem NebenÂraum hörÂte ich erst, als ich die TĂŒr schon aufÂgeÂschoÂben hatÂte. Zuerst nahm ich Johns schmaÂlen RĂŒcken wahr, dann seiÂne HĂ€nÂde, in dickem, blonÂdem Haar verÂgraÂben. SeiÂnen Mund auf dem Mund einer andeÂren Frau.
Ich ging rĂŒckÂwĂ€rts, raus hier, nur raus. John mussÂte mich gehört haben, denn ich sah, wie er sich umdrehÂte. Mein Herz pochÂte im Takt der StimÂme in meiÂnem Kopf, die schrie Renn!
âLiz, warÂteâ, rief er. Ich drehÂte mich um und stolÂperÂte auf den Hof. Atme, Liz.
John holÂte mich ein, als ich das HofÂtor öffÂnen wollte.
âLiz, es tut mir leid. Das hatÂte ich nicht geplant.â
âMir tut es leid, John. Du musst dich nicht entÂschulÂdiÂgen. DeiÂne WerkÂstatt, dein Zuhause.â
Er legÂte seiÂne Hand auf meiÂnen Arm. Die BerĂŒhÂrung brannÂte auf meiÂner Haut und ich zog den Arm weg. In seiÂnen schieÂferÂgrauÂen Augen sah ich die VerÂletÂzung, so wie er sie sicher auch in meiÂnen Augen sah.
âIch wollÂte nicht, dass du Mary so kennenlernst.â
âNun, ich wollÂte sie ĂŒberÂhaupt nicht kenÂnenÂlerÂnen. WirkÂlich, ich wollÂte nicht so in euch reinÂstolÂpern, geschweiÂge denn euch so sehenâŠâ Ich atmeÂte einÂmal tief ein und wieÂder aus. Die Luft hatÂte SchwieÂrigÂkeiÂten, ihren Weg durch meiÂne enge KehÂle nach drauÂĂen zu finden.
âEs tut mir leid. Ich wollÂte dich wirkÂlich nicht verÂletÂzen.â Ich wussÂte, dass er meinÂte, was er sagÂte. Zu spĂ€t, John, zu spĂ€t.
âIch komÂme spĂ€Âter wieder.â
Und ich drehÂte mich um und ging. Ich blickÂte nicht zurĂŒck, als ich das HofÂtor öffÂneÂte, aber ich hatÂte das GefĂŒhl, dass Johns Augen ein Loch in meiÂnen RĂŒcken brannÂten. Nach rechts die StraÂĂe hinÂab. In dieÂsem Park waren wir manchÂmal spaÂzieÂren geganÂgen. Die BlĂ€tÂter der BĂ€uÂme raschelÂten ĂŒber meiÂnem Kopf, als ein leiÂser Wind durch sie hinÂdurchÂstrich. Ein TropÂfen fiel auf meiÂnen ScheiÂtel, kalt und feucht. Ich lief den Weg entÂlang, der sich nicht verÂĂ€nÂdert hatÂte in den letzÂten zehn Jahren.
Dumm, Liz, du hĂ€tÂtest nicht so frĂŒh komÂmen sollen.
Aber wie hĂ€tÂte ich wisÂsen könÂnen, dass John und Mary die WerkÂstatt fĂŒr ihre LipÂpenÂbeÂkenntÂnisÂse nutÂzen wĂŒrÂden statt seiÂner WohÂnung, die darÂĂŒberÂlag? Dass ich verÂmutÂlich nicht hĂ€tÂte verÂmeiÂden könÂnen, Mary kenÂnenÂzuÂlerÂnen, hatÂte ich gewusst, aber doch nicht so. Nicht so, engÂumÂschlunÂgen, in Johns Armen. Ich schĂŒtÂtelÂte den Kopf, um das Bild losÂzuÂwerÂden. Es funkÂtioÂnierÂte nicht. NatĂŒrÂlich nicht.
LeiÂse beganÂnen TropÂfen auf das BlĂ€tÂterÂdach ĂŒber mir zu falÂlen, ein steÂtiÂges GerĂ€usch, das lauÂter wurÂde. Mehr TropÂfen lanÂdeÂten auf meiÂnem Kopf, in meiÂnem Haar. Es roch nach Wald, nach GrĂŒn und nach nasÂsen SteiÂnen. Der Weg knirschÂte unter meiÂnen hasÂtiÂgen SchritÂten. Ich drehÂte eine RunÂde um den Park, dann eine weiÂteÂre. Und noch eine. Noch eine. Eine.
Und dann drehÂte ich um und straffÂte die SchulÂtern und ging zurĂŒck zur WerkÂstatt, um die Arbeit des Tages zu beginnen.
Eva KraeÂmer, JahrÂgang 1988, stuÂdierÂte RestauÂrieÂrung, KunstÂtechÂnoÂloÂgie und KonÂserÂvieÂrungsÂwisÂsenÂschaft an der TechÂniÂschen UniÂverÂsiÂtĂ€t MĂŒnÂchen. Seit ihrer KindÂheit dachÂte sie sich GeschichÂten aus, die sie aber nur selÂten aufÂschrieb. Den AnstoĂ, mehr SysÂteÂmaÂtik in das VerÂschriftÂliÂchen ihrer Ideen zu brinÂgen, gab ein Kurs zu kreaÂtiÂvem SchreiÂben, den sie kurz vor Ende ihres StuÂdiÂums an der TU besuchÂte. KatÂrin LanÂges WorÂte âHör nicht auf zu schreiÂbenâ motiÂvierÂten sie, sich mit âDer Tag, an dem ich Mary kenÂnenÂlernÂteâ fĂŒr die BayeÂriÂsche AkaÂdeÂmie des SchreiÂbens bei KrisÂtof MagnusÂson und FloÂriÂan KessÂler zu bewerÂben. Eva KraeÂmer arbeiÂtet als freiÂbeÂrufÂliÂche RestauÂraÂtoÂrin fĂŒr SkulpÂtuÂren und HolzÂobÂjekÂte in NordÂdeutschÂland und BayÂern und schreibt hin und wieÂder kurÂze GeschichÂten aus dem Leben einer RestauÂraÂtoÂrin auf.
CopyÂright Bild: ThoÂmas HĂŒlsenbusch