Die Frau im Nebel

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© Plai­on Pictures

Der neue Film von Park Chan-wook — Ein symbolträchtiges Meisterwerk

von Nina Gretschmann

Der 1963 in Seo­ul gebo­re­ne süd­ko­rea­ni­sche Regis­seur, Dreh­buch­au­tor sowie Film­pro­du­zent Park Chan-wook mach­te sich bereits Anfang der 2000er Jah­re einen Namen im inter­na­tio­na­len Film­ge­schäft. Sei­ne Rache-Tri­lo­gie bestehend aus Sym­pa­thy for Mr. Ven­ge­an­ce (2002), Old­boy (2003) sowie Lady Ven­ge­an­ce (2005) fand vie­ler­lei Beach­tung – nicht zuletzt auf­grund der extre­men Bru­ta­li­tät und Gewalt­dar­stel­lun­gen. Kennt man die­se Fil­me, glaubt man zu wis­sen, auf was man sich bei einem Park Chan-wook Film ein­stel­len kann. Doch bereits das Werk I’m a Cyborg, But That’s Ok aus dem Jahr 2006 wider­leg­te dies. Die sur­rea­le Tra­gi­ko­mö­die über eine Frau, die sich für einen Cyborg hält, erzählt in skur­ri­len und zar­ten Tönen eine berüh­ren­de Lie­bes­ge­schich­te – ganz ohne racheer­füll­ter Gewalt­ex­zes­se. Auch Die Taschen­die­bin (2016) – inspi­riert von Sarah Waters Roman Fin­gers­mith (2002) – kommt ohne Bru­ta­li­tät aus und por­trä­tiert statt­des­sen die ero­ti­sche Lie­bes­be­zie­hung zwi­schen einer wohl­ha­ben­den Japa­ne­rin und ihrem korea­ni­schen Dienst­mäd­chen im japa­nisch besetz­ten Korea.

Die Frau im Nebel (inter­na­tio­na­ler Titel: Decis­i­on to Lea­ve), das neu­es­te Werk des Süd­ko­rea­ners, erzählt eben­falls von einer Lie­bes­ge­schich­te – einer Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen zwei Men­schen die, wie der Berg und das Meer, unter­schied­li­cher nicht sein könn­ten und sich den­noch (oder gera­de des­halb?) gegen­sei­tig anziehen. 

Jang Hae-joon (gespielt von Park Hae-il) ermit­telt als Kom­mis­sar in einem Todes­fall. Ein erfah­re­ner Berg­stei­ger wird tot am Fuße eines Ber­ges gefun­den. War es ein schreck­li­cher Unfall, der ihn ver­an­lass­te in den Tod zu stür­zen, oder han­del­te es sich hier­bei um einen Mord? Mög­li­che Ver­däch­ti­ge ist Song Seo-rae (gespielt von Tang Wei) –  die Ehe­frau des Ver­un­glück­ten. Die mys­te­riö­se Femme Fata­le, wel­che aus Chi­na nach Süd­ko­rea floh, weckt nicht nur als Tat­ver­däch­ti­ge die Auf­merk­sam­keit des ver­hei­ra­te­ten Ermitt­lers Hae-joon. Im Lau­fe der poli­zei­li­chen Ermitt­lun­gen ent­spinnt sich eine gegen­sei­ti­ge Fas­zi­na­ti­on sowie Anzie­hungs­kraft. Wäh­rend Hae-joon und sei­ne Ehe­frau eine zunei­gungs­ar­me Wochen­end­be­zie­hung füh­ren, ver­bringt er nicht nur die Tage, son­dern auch die Näch­te unter der Woche damit, Seo-rae zu beschat­ten, um mehr über sie in Erfah­rung zu brin­gen. Die anfäng­lich distan­zier­te und ver­deck­te Beschat­tung mit­tels Fern­glas mün­det — aller Wid­rig­kei­ten zum Trotz — in eine ver­lieb­te Annä­he­rung beider.

Zu die­sen Wid­rig­kei­ten gehört nicht nur der Umstand, dass Seo-rae Tat­ver­däch­ti­ge in einem poten­zi­el­len Mord­fall ist, son­dern auch die Sprach­bar­rie­re zwi­schen den bei­den. Als chi­ne­si­sche Immi­gran­tin ver­fügt Seo-rae nicht immer über aus­rei­chen­de Korea­nisch-Kennt­nis­se, wes­halb sie gele­gent­lich die Hil­fe einer Über­set­zungs­app in Anspruch neh­men muss, um sich mit Hae-joon zu unter­hal­ten. Die Ver­stän­di­gungs­pro­ble­me bezie­hen sich jedoch auch auf die zwi­schen­mensch­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den bei­den. Dadurch wird dem Gesag­ten sowie dem Nicht­ge­sag­ten, das unaus­ge­spro­chen zwi­schen ihnen steht, gleich­sam eine gewich­ti­ge Rol­le im Hand­lungs­ge­sche­hen zuteil. 

Der Todes­fall mag für die Zuschauer*innen, auf­grund der sich anbah­nen­den Lie­bes­be­zie­hung, kurz­zei­tig in Ver­ges­sen­heit gera­ten, doch Die Frau im Nebel ist mehr als ein Lie­bes­film. Der Tod von Seo-raes Ehe­mann hängt wie ein Damo­kles­schwert über den Frisch­ver­lieb­ten – und mit die­sem auch die Fra­ge, ist Seo-rae schul­dig oder unschuldig?

Über ein Dut­zend Fil­me, die unter­schied­li­cher und viel­sei­ti­ger nicht sein könn­ten, zäh­len zu dem bis­he­ri­gen Werk von Park Chan-wook. Die Frau im Nebel ist womög­lich der tra­gischs­te und herz­zer­rei­ßends­te von allen. Es ist zudem ein Film, den man mehr­fach sehen muss, um die viel­fach ein­ge­setz­te Sym­bo­lik sowie die dazu pas­sen­de farb­li­che Akzen­tu­ie­rung und die Lie­be für noch so klei­ne Details in ihrem vol­len Aus­maß zu erken­nen. Es ist ein Film, der auf­grund sei­ner Bild­lich­keit im Gedächt­nis bleibt, ein Film über den Beginn und das Ende einer Lie­be, über den Berg und das Meer.

Seit 02.02.2023 in den deut­schen Kinos. Spiel­film­län­ge 138 Minuten.