Die Hagia Sophia in Istanbul, Außenansicht von Süden. Foto: Florian Filler.
Architektur und Geschichte in Isantbul
von Tabea Krauß
Einst war sie die Hauptkirche des byzantinischen Reichs, später die bedeutendste Moschee des osmanischen Reichs, bis sie in der säkularisierten Türkei schließlich in ein Museum umgewandelt wurde. Die Rede ist von der Hagia Sophia in Istanbul: eine der Hauptattraktionen aller Istanbul-Touristen, Magnet auch für Gläubige, die nach den Wurzeln der eigenen Religion forschen oder deren vergangener Größe nachspüren wollen. Fast 1000 Jahre lang war dieses Gebäude eine christliche Kirche, etwa 400 Jahre lang Moschee, seit über 75 Jahren ist es Museum.
Wem gehört die Hagia Sophia? Den Christen, die sie erbaut haben und fast ein Jahrtausend als Kirche nutzten, den Muslimen, die sie zur Moschee umweihten und dadurch für ihre Erhaltung sorgten anstatt sie verfallen zu lassen, oder den Touristen, die sich heute darin tummeln? Und lässt sich aus der Geschichte der Hagia Sophia vielleicht etwas für ein Miteinander der Kulturen in unserer heutigen Welt lernen?
Um das beurteilen zu können, muss man sich die Geschichte dieses Bauwerks ein wenig genauer anschauen.
Kaiser Justinian gab den Bau der Hagia Sophia 532 in Auftrag, nur fünf Jahre später, 537 konnte die bis dato größte Kirche des Christentums feierlich eingeweiht werden. Diese Kirche übertraf in ihren Dimensionen alles, was man bis dahin kannte. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass das Christentum damals eine recht junge Religion war. Erst zweihundert Jahre zuvor war es durch Kaiser Konstantin von einer kleinen Glaubensgemeinschaft am Rande der römischen Gesellschaft zur Staatsreligion erhoben worden. Kaiser Justinian versuchte nun mit diesem Mammut-Bauprojekt seine eigene kaiserliche Macht und vor allem die Macht des Christentums zu demonstrieren. Bei Paulus Silentiarios, der 562 über die Einweihung der Hagia Sophia berichtet, ist zu lesen:
„Tretet mir zurück, ihr Loblieder auf das kapitolinische Rom, tretet zurück! Soweit hat mein Kaiser jenen Zauber übertroffen, wie der große Gott einem Abbild überlegen ist.“1
Justinian wollte aber nicht nur die Heiden, und mit ihnen das Pantheon in Rom, sondern auch die Juden und den salomonischen Tempel übertreffen. Was ihm, zumindest was die Dimensionen betrifft, tatsächlich gelungen ist. Aber auch der Bautypus war anders als alles, was man damals kannte. Die neue Hagia Sophia sollte nicht, wie andere frühchristliche Kirchen, aussehen wie eine römische Markthalle. Stattdessen wurde etwas völlig neues geschaffen.
Hagia Sophia, Innenraum, Blick nach Osten. Foto: Florian Filler.
Ein riesiger überkuppelter Zentralraum – was als Anspielung auf das römische Pantheon gelesen werden kann – verbunden mit zwei Halbkuppeln in der Ost-West-Achse, so dass doch wieder ein längsförmiger Kirchenraum entstand, mit dem Eingang im Westen und dem Allerheiligstem im Osten, so wie es für christliche Kirchen üblich war – und ist.
Justinian ahnte freilich nicht, dass dieses Gebäude, dass er zur Verherrlichung des Christentums errichten ließ, später von einer Religion übernommen würde, die es zu seinen Lebzeiten noch gar nicht gab.
Unter Justinian jedenfalls hatte das byzantinische Reich eine Blütezeit erlebt, die jedoch bald vorüber war. Schon circa 50 Jahre nach Justinians Tod brach die Bautätigkeit völlig zusammen. Bald schon konnte man sich nicht mehr vorstellen, wie so ein großartiges Bauwerk von Menschen errichtet worden sein konnte, und es entwickelte sich die Legende, dass die Hagia Sophia nur mit Hilfe von himmlischen Mächten hatte vollendet werden können. Daran, ein solches Bauwerk nachzubauen und ähnlich große Kirchen zu errichten, konnte nicht gedacht werden. So kam es, dass die Hagia Sophia trotz ihres einmaligen symbolträchtigen Charakters fast ein Jahrtausend ohne Nachfolgebauten blieb.
Das änderte sich erst mit dem schicksalshaften Jahr 1453. Die Osmanen eroberten unter Sultan Mehmet II Konstantinopel, das Ende des ohnehin zerfallenden oströmischen Reichs war damit besiegelt. Sultan Mehmet hatte aber scheinbar Gefallen gefunden an dem beeindruckenden Bau der Hagia Sophia und wandelte die Kirche kurzerhand in eine Moschee um. Schon das erste Freitagsgebet nach der Eroberung wurde dort abgehalten.
Nach und nach wurden am Außenbau Minarette errichtet, der Innenraum wurde mit Teppichen ausgelegt, eine Gebetsnische wurde in die Apsis eingelassen und eine Freitagskanzel errichtet. Der Raum wurde mit Koraninschriften und Ornamenten geschmückt.
Von den figürlichen Mosaiken aus der christlichen Zeit, die Gott oder das Göttliche abbilden – was ja im Islam strengsten verboten ist – wurden diejenigen, die leicht zugänglich waren einfach übertüncht, einige wenige zerstört, diejenigen, die schwer zu erreichen waren, ließ man erst einmal einfach stehen. Erst im 18. Jahrhundert wurde zum Beispiel der Christus im Kuppelscheitel durch eine Koraninschrift ersetzt.
Freilich ging es auch dem Osmanen Sultan Mehmet II im Grunde um nichts anderes als dem Byzantiner Justinian: auch Mehmet wollte seine Macht darstellen und die Überlegenheit seiner Religion demonstrieren.
Um diesen Anspruch zu legitimieren, wurden neue Legenden über die Hagia Sophia verbreitet, zum Beispiel erzählte man sich, dass genau in der Geburtsnacht des Propheten Mohammeds, also im Jahr 570, eine der Halbkuppeln eingestürzt sei, und nur dank der Zustimmung Mohammeds, der die zukünftige Nutzung als Moschee schon vorausgesehen hätte, wieder aufgebaut worden wäre.
Außerdem taten die Osmanen aber etwas, was die Byzantiner gerne gemacht hätten, wozu ihnen aber die Mittel und Kenntnisse fehlten: sie bauten die Hagia Sophia nach! Während fast 1000 Jahre nichts Vergleichbares geschaffen worden war, sprossen seit dem 16. Jahrhundert Bauten, die aussehen wie die Hagia Sophia – das heißt eine riesige Kuppel, zwei Nebenkuppeln – ergänzt durch die muslimische Zugabe der Minarette – nur so aus dem Boden .
Wenn man heute die Skyline von Istanbul betrachtet, ist es gar nicht so leicht zu erkennen, was nun die Hagia Sophia ist, was die blaue Moschee und was die Sülemanye-Moschee.
Blick vom Galaterturm über das Goldene Horn auf die Altstadt (Hagia Sophia, Blaue Moschee). Foto: Florian Filler.
So kam es, dass dieser ganz spezielle Kuppelbautypus, der ursprünglich einmal die Macht des Christentums symbolisieren sollte, zu einem Symbol der Macht des Islams geworden ist.
So wird eine Bauform mit Sinn und Symbolwert aufgeladen – was in diesem Fall ganz absurde Folgen haben kann:
Auch im sogenannten christlichen Abendland ist der Bautypus der Hagia Sophia im kollektiven Gedächtnis mittlerweile als Moschee abgespeichert und zwar nicht nur im Sinne eines Gotteshauses einer anderen Religion sondern im Sinne eines Symbols für die Macht einer anderen, scheinbar „fremden“ Kultur. In Deutschland werben rechte Gruppen gegen Moscheenbauten in deutschen Städten mit einem Schild, das eine durchgestrichene Moschee zeigt, die vom Typus her genau der Hagia Sophia entspricht: eine große Hauptkuppel mit zwei angefügten Halbkuppeln.
Somit ist dieser Bautypus in Europa zu einem Symbol der Angst vor dem Islamismus geworden, was umso absurder ist, da dies nur funktioniert, da das Bauwerk von den Osmanen mit symbolischer Macht aufgeladen worden ist, was wiederum kaum möglich gewesen wäre, wenn es nicht schon unter den christlichen Byzantinern mit Macht und Bedeutung versehen worden wäre.
Nach dem Ende des osmanischen Reichs und der Entstehung der türkischen Republik 1923 bekam die neue säkulare Regierung scheinbar selbst Angst vor der Symbolmacht der Hagia Sophia. 1934 wandelte Kemal Atatürk die Moschee in ein Museum um, und zwar um zu verhindern, dass die Hagia Sophia in einer säkularisierten Türkei zu einem Zentrum reaktionärer politischer und religiöser Strömungen würde. Albrecht Berger, der über die Hagia Sophia arbeitet, geht sogar so weit zu behaupten, dass „Eine Rückverwandlung zur Moschee […] ungeheuren Symbolcharakter [hätte] und den Weiterbestand der türkischen Republik unmittelbar bedrohen [würde].“2
Natürlich hat es auch sein Gutes, dass die Hagia Sophia heute ein Museum ist. Mosaike aus der christlichen Zeit wurden wieder freigelegt und können nun neben muslimischer Ausstattung bewundert werden.
Hagia Sophia, Ostapsis mit christlichem Mosaik in der Halbkuppel, muslimischer Freitagskanzel und muslimischem Schriftmedaillon. Foto: Florian Filler.
Das Nebeneinander, Übereinander und Miteinander der beiden Religionen in einem Bauwerk kann bestaunt werden. Für kunsthistorisch oder religionshistorisch interessierte Reisende ist das freilich ein unglaublicher Gewinn. Dafür hat das Bauwerk aber seinen religiösen Charakter weitgehend eingebüßt, statt Gläubigen tummeln sich hier Touristen und Touristinnen mit ihren Fotoapparaten. Beten ist strikt untersagt.
Die Frage, die ich stellen möchte, ist folgende: muss denn um ein Miteinander der Kulturen zu ermöglichen, erst die Macht des Religiösen verbannt werden? Oder anders gefragt, kann Religion nicht auch ohne Macht funktionieren? Für Kaiser Justinian, Sultan Mehmet II und auf andere Weise auch für Atatürk und auf wieder andere Weise auch für deutsche Rechtsradikale scheinen Macht und Religion unmittelbar zusammenzuhängen. Sind aber in den Religionen nicht auch machtkritische Aspekte angelegt?
Ich jedenfalls wünsche mir eine Hagia Sophia, in der Christen und Muslime beten und Touristen staunen dürfen.
Literaturverzeichnis:
BERGER, Albrecht: Die Hagia Sophia in Geschichte und Legende. In: Volker Hoffmann (Hg.): Die Hagia Sophia in Istanbul. Akten des Berner Kolloquiums vom 21. Oktober 1994. Bern u.a. 1998. (=Neue Berner Schriften zur Kunst; Bd. 3), S. 11–28.
BOYAR, Ebru u. Kate Fleet: A social history of ottoman Istanbul. Cambridge 2010.
HATTSTEIN, Markus u. Peter Delius: Arts et civilisation de l’Islam. Paris 2000.
KÄHLER, Heinz: Die Hagia Sophia. Mit einem Beitrag von Cyril Mango über die Mosaiken. Berlin 1967.
KREISER, Klaus: Istanbul. Ein historisch-literarischer Stadtführer. München 2001.
MANGO, Cyril: Byzantinische Architektur. Stuttgart 1975.
RESTLE, Marcell: Die Hagia Sophia und die Istanbuler Moscheen. In: Volker Hoffmann (Hg.): Die Hagia Sophia in Istanbul. Akten des Berner Kolloquiums vom 21. Oktober 1994. Bern u.a. 1998. (=Neue Berner Schriften zur Kunst; Bd. 3), S. 109–126.
STICHEL, Rudolf H.W.: Die Hagia Sophia Justinians, ihre liturgische Einrichtung und der zeremonielle Auftritt des frühbyzantinischen Kaisers. In: Falko Daim (Hg.): Byzanz, das Römerreich im Mittelalter. Teil 2,1 Schauplätze. Mainz 2010, S. 25–57.
Anmerkungen:
- Paulus Silentiarius, Descriptio, Sophia 152–154 (Veh 315). Zitiert nach: Rudolf H.W. Stichel: Die Hagia Sophia Justinians, ihre liturgische Einrichtung und der zeremonielle Auftritt des frühbyzantinischen Kaisers. In: Falko Daim/ Jörg Drauschke (Hgg.): Das Römerreich im Mittelalter. Teil 2,1 Schauplätze. Mainz 2010, S. 25–57, hier S. 49. ↩
- Albrecht Berger: Die Hagia Sophia in Geschichte und Legende. In: Volker Hoffmann (Hg.): Die Hagia Sophia in Istanbul. Akten des Berner Kolloquiums vom 21. Oktober 1994. Bern u.a. 1998. (=Neue Berner Schriften zur Kunst; Bd. 3), S. 11–28. ↩