Fake News & Fake Politics

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© Robert Haas

Am TEAMTHEATER in München inszeniert Georg Büttel die Szenencollage ‘Die letzten Tage der Menschheit’ von Karl Kraus

von Axel Grimmeißen

„Es ist ein Licht, das der Wind aus­ge­löscht hat. […]

Die toten Wai­sen lie­gen an der Gartenmauer.

Aus grau­en Zim­mern tre­ten Engel mit kot­ge­fleck­ten Flügeln.

Wür­mer trop­fen von ihren ver­gilb­ten Lidern. […]

Schweig­sam über der Schä­del­stät­te öff­nen sich Got­tes gol­de­ne Augen“

Mit die­sen Wor­ten beginnt Georg Tra­kls „Psalm“, der nicht mehr als eine Text­gat­tung als Titel trägt. Der unge­reim­te, früh­ex­pres­sio­nis­ti­sche Text erschien 1912 und zeigt ein Stim­mungs­bild aus der Zeit vor dem ers­ten Welt­krieg. Tra­kl, des­sen hier gezeig­ter Obsku­ris­mus den Leser*innen nach­träg­lich bei­na­he als lyri­sche Pro­phe­tie erschei­nen mag, soll­te 1914 ins Heer ein­be­ru­fen wer­den und erlebt die Schlacht von Gró­dek im Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res als Sani­täts­leut­nant. Wie sich aus einem frü­he­ren schau­ins­blau-Arti­kel ent­neh­men lässt, lässt sich die Vor­ah­nung des Unter­gangs anhand von bio­gra­phi­schen Frag­men­ten Tra­kls zei­gen. Der Psalm jeden­falls ist dem Jour­na­lis­ten und Schrift­stel­ler Karl Kraus gewid­met, des­sen Stück „Die letz­ten Tage der Mensch­heit“ kürz­lich vom Team­thea­ter Mün­chen insze­niert wurde.

Das Stück erschien erst­mals in Tei­len in Kraus‘ Zeit­schrift „Die Fackel“, die bereits eini­ge von Tra­kls Gedich­ten publi­ziert hat­te. Es basiert auf dort ver­öf­fent­lich­ten Glos­sen, Essays, Apho­ris­men und Gedich­ten des Her­aus­ge­bers Kraus. Der Autor selbst erklärt die Bezie­hung des Stücks zur jüngs­ten Zeit­ge­schich­te des Ers­ten Weltkriegs:

„[…] der Inhalt ist von dem Inhalt der unwirk­li­chen, undenk­ba­ren […] und nur in blu­ti­gem Traum ver­wahr­ten Jah­re, da Ope­ret­ten­fi­gu­ren die Tra­gö­die der Mensch­heit spiel­ten. Die Hand­lung, in hun­dert Sze­nen und Höl­len füh­rend, ist unmög­lich, zer­klüf­tet, hel­den­los wie jene […] Leu­te, die unter der Mensch­heit gelebt und sie über­lebt haben, sind als Täter und Spre­cher einer Gegen­wart, die nicht Fleisch, doch Blut, nicht Blut, doch Tin­te hat, zu Schat­ten und Mario­net­ten abge­zo­gen und auf die For­mel ihrer täti­gen Wesen­lo­sig­keit gebracht.“

Die­se Gespens­ter des Welt­krie­ges wan­deln der­zeit als Figu­ren hier im Team­thea­ter. Nach­dem die rea­len Per­so­nen, auf die das Stück Bezug nimmt, längst ver­stor­ben sind, ist es eine umso gespens­ti­sche­re Vor­stel­lung, die­se durch die Fil­ter­bril­le des Sati­ri­kers Kraus wie­der­auf­le­ben zu sehen. Eben­so unheim­lich sind die Ana­lo­gie­schlüs­se, zu denen das Stück heu­te ver­füh­ren kann. Ver­han­delt wer­den, so lässt sich auch dem Pro­gramm­heft des Team­thea­ters ent­neh­men, medi­en­ethi­sche The­men. „Fake News & Fake Poli­tics“ sind zeit­ge­nös­si­sche Pro­ble­me, die unmit­tel­bar an die Legis­la­tur Donald Trump’s erin­nern oder hier­zu­lan­de die Wis­sen­schafts­feind­lich­keit des rech­ten Ran­des, der sich etwa im Leug­nen des men­schen­ge­mach­ten Kli­ma­wan­dels zeigt. Macht und ihr Miss­brauch sind damit dem Stück inhä­ren­te The­men. Die Idee, dass die Pro­pa­gan­da des Welt­kriegs unmit­tel­bar mit Ereig­nis­sen der zeit­ge­nös­si­schen Medi­en­land­schaft gleich­zu­set­zen wäre, ist jedoch unter­kom­plex. Der gemein­sa­me Nen­ner, eine stra­te­gi­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on mit unlau­te­ren Mit­teln, wird jedoch deut­lich und, nicht zuletzt durch humo­ris­ti­sche Mit­tel, als mora­lisch falsch erkennbar.

Inner­halb der Hand­lung des Dra­mas nimmt die „Neue Freie Pres­se“ eine wich­ti­ge Rol­le ein. Das Medi­um war zu die­ser Zeit eines der auf­la­gen­stärks­ten und wur­de wäh­rend des Krie­ges von Moritz Bene­dikt her­aus­ge­ge­ben, den Kraus im Stück als „Herr der Hyä­nen“ dif­fa­miert. Moriz stel­le, so pole­mi­sier­te Kraus sinn­ge­mäß, wirt­schaft­li­che Inter­es­sen über mora­li­sche Wer­te. Rea­li­siert wird das Requi­sit der NFP durch tages­ak­tu­el­le Zei­tun­gen. Der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Fried­rich Jena­c­zek hält in einer Zusam­men­fas­sung des Stücks fest , dass schon „im Vor­spiel, das mit der markt­schreie­ri­schen Ankün­di­gung eines ‚Zei­tungs­aus­ru­fers‘ – „Extra­aus­ga­bee – ! Ermor­dung des Thron­fol­gers! Da Täta vahaf­tet!“ – beginnt, […] der durch das gan­ze Stück ver­folg­te Zusam­men­hang von Medio­kri­tät und poli­ti­schem Ver­bre­chen deut­lich [wird].“ Die ethi­sche For­de­rung, bei der Bericht­erstat­tung über den Krieg nicht Organ der Mon­ar­chie zu sein, son­dern sub­jek­ti­ve, etwa pazi­fis­ti­sche, Posi­tio­nen zu bezie­hen, wird dadurch deut­lich. Die­ser Appell zieht sich durch das gan­ze Stück und rich­tet sich auch gegen die Redak­teu­rin Ali­ce The­re­se Emma Scha­lek, im Stück „die Scha­le“. An einem Höhe­punkt der Sati­re stre­cken die zu Figu­ren gewor­de­nen Schauspieler*innen (Aki Tou­gi­ann­idies, Karo­li­ne Trä­ger, Otto Beck­mann, Max Pfnür) zum dra­ma­tur­gi­schen Höhe­punkt dem Publi­kum die Zei­tun­gen ent­ge­gen, die sich zuvor schon mehr als Ter­ror, statt als Infor­ma­ti­ons­quel­le erwei­sen. In der Tat zeigt sich in der Kriegs­be­richt­erstat­tung zur Zeit des 1. Welt­kriegs ein ande­res Medi­en­ethos als heu­te. Eige­ne Pro­pa­gan­da­zen­tren waren in den ver­schie­de­nen Staa­ten ein­ge­rich­tet wor­den, wie etwa das Bild- und Film­amt BUFA im Deutsch­land die­ser Zeit. Aki Tou­gi­ann­idis über­nimmt wäh­rend des Stücks gekonnt mono­lo­gi­sche Rol­len, wenn auch gegen Ende wenig empha­tisch, was auch der Stim­mungs­kur­ve der Hand­lung ent­spricht. Max Pfnür bril­liert mit sei­nem vela­ren L in den Rol­len ost­mit­tel­bai­ri­schen Dia­lekts, wie etwa der des Lud­wig Gang­ho­fer. Die­se an die gleich­na­mi­ge rea­le Per­son ange­lehn­te Figur war übri­gens mehr­spra­chig: Ein Inter­view des BR mit dem Ger­ma­nis­ten Klaus Wolf zeigt, dass die­ser sei­ner Her­kunft ent­spre­chend des Schwä­bi­schen mäch­tig war. Als Ger­ma­nist spiel­te Lud­wig Gang­ho­fer, so sinn­ge­mäß Wolf, aber die Kla­via­tur der Dia­lek­te vir­tu­os. Indes kommt die Figur in Karl Kraus’ Stück nicht gut weg:

Durch Bie­der­keit hab ich

Die höchs­ten Herrn entzückt

Und Wil­lem sel­ber ist

Von mir berückt.

Daß ich ein alter Schmock,

Das fallt jetzt ins Gewicht,

Für die Freie Press’ mach ich

Den Front­be­richt.

Der Kari­ka­tur des Lud­wig Gang­ho­fer, die auf die Kriegs­be­richt­erstat­tung des rea­len Pen­dants abzielt, ver­leiht Max Pfnür eine eige­ne, gelun­ge­ne Zeich­nung, die vom Publi­kum mit ent­spre­chen­dem Geläch­ter beant­wor­tet wird. In der beschrie­be­nen 23. Sze­ne des Stücks ist Gang­ho­fer Kai­ser Wil­helm II. neben­an gestellt. Von Otto Beck­mann gespielt, erziel­te auch der Auf­tritt des unlieb­sa­men Kai­sers Laut­stär­ke­spit­zen im Publi­kum. Im Epi­log war­te­te Karo­li­ne Trä­ger in der Rol­le der Gas­mas­ke mit einer Per­for­manz auf, die nicht zuletzt durch eine beson­de­re klang­li­che Inter­pre­ta­ti­on im Gedächt­nis bleibt. Die Regie & Text­fas­sung lie­fer­te Georg Büt­tel. Dra­ma­tur­gin war Petra Maria Grün. Die Regie­as­sis­tenz über­nahm Jose­phi­ne Holm.