von Patrick Graur
Was ist es, das uns an Metaphern fasziniert? Gleichsam verschließend wie eröffnend, erhellend wie verdunkelnd hat sich das in den Sprach- und Geisteswissenschaften allgegenwärtige Stilmittel als beliebter Forschungsgegenstand etabliert.
Definitorische Herausforderungen
In seiner Definition beschreibt Ralf Konersmann die metaphorische Übertragung als einen „Umweg […], der eine Bedingung menschlicher Sprache und, allgemeiner noch, eine Bedingung des menschlichen Weltbezuges zur Geltung bringt.“ (2010, 268) Mit Hans Blumenberg wird die Beziehung des Menschen zur Wirklichkeit als „konstitutionell metaphorisch“ (ebd.) konstatiert sowie das Metaphorische – als etwas Deiktisches – dem Begrifflichen – als etwas Deklaratives – gegenübergestellt. Eine dem metaphorischen Weltbezug des Menschen inhärente Operation stellt hierbei die Umkehrung dar, indem „die Metapher das vom Begriff im Augenblick seines Hervortretens, also immer schon verdeckte Stadium der Vor- und Unbegrifflichkeit [markiert].“ (Ebd., 271)
Wenn die Metapher demnach in künstlerischen Verwendungszusammenhängen das Unsagbare darstellen kann, so nicht durch „schiere Negation“ (Habermann 2012, 13), sondern durch die Thematisierung der „Grenze oder Grenzüberwindungsproblematik“ (ebd.). Eng verknüpft mit der Metapher ist das künstlerische Mittel der Bildlichkeit, das insofern mit dem metaphorischen Sprechen verwandt ist, als dass es sprachskeptisch funktioniert.
„Die Bildlichkeit, die hier gemeint ist, darf allerdings nicht als Abbildlichkeit verstanden werden oder gar als eine Art autonomes Kunstbild oder Gemälde (all dies sind Verkürzungen des Bildbegriffs), sondern als funktionale Entsprechung einer visualisierten, und das heißt an dieser Stelle: einer sprachskeptischen Struktur.“ (Konersmann 2010, 275, Herv. i. O.)
Dass die Metapher gleichfalls Metaphorizität enthält, ist zunächst einmal ein Perspektivwechsel; die Umkehrung ist dabei nicht nur als Operation (der Auflösung) von Metaphern zu verstehen, sondern ebenfalls als Gegenstand von Metaphern und Bildlichkeit. Man ginge fehl, die Umkehrung hierbei auf eine Bedeutung zu reduzieren, vielmehr transportiert sie immer auch ihre eigene Mehrdeutigkeit. Umkehrung kann dabei temporale Reversibilität meinen, wie es etwa Hiob in seiner Eröffnungsklage (Hi 3) anzeigt. Gleichzeitig wird mit Blick auf Intertexte wie die Genesis und das Buch des Propheten Jeremia deutlich, dass es sich nicht nur um ein rein temporales Rückgängigmachen handelt. Der Wunsch nach Umkehrung verweist auf einen „bouleversement“ (Fishbane 1971, 154) der göttlichen Schöpfung.
Eng damit verknüpft ist die Denkfigur des ‚Unsagbaren‘, der eine regelrechte „intellektuelle Obsession“ zugeschrieben wird. (Habermann 2012, 19, Herv. i. O.) Doch zeigen Beispiele wie Rainer Maria Rilkes Gedicht Orpheus. Eurydike. Hermes aus dem Jahr 1907 an, dass im Zusammendenken von Umkehrung und dem Unsagbaren ein Schlüssel zum Verständnis der beiden Sphären liegt. Insbesondere mit Referenzen auf den Orpheus-Mythos in Vergils Georgica und Ovids Metamorphosen erhebt Rilke vor dem Hintergrund der literarischen Moderne das Unsagbare zum poetologischen Prinzip. Zudem wird die Umkehrung auch als Umdrehen oder Zurückschreiten und somit als gleichsam körperlichen Akt verstanden. Die textpragmatische Funktion der Umkehrung in der Eröffnungsklage Hiobs und in Rilkes Orpheus-Gedicht weist Unterschiede dahingehend auf, als dass – mit Blick auf die Intertexte – der Begriff der ‚Umkehrung‘ verschieden verstanden wird. Gemeinsam ist den beiden Texten jedoch, dass die Metapher als Vehikel der Unsagbarkeit im Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung mit der ‚Umkehrung‘ steht.
Die ‚Umkehrung‘ der Schöpfung in Hiob 3
„Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! Jener Tag soll finster sein und Gott droben frage nicht nach ihm!“ (Hi 3,3) So eröffnet Hiob seine Klage, nachdem ihm Unglück widerfahren ist. (Hi 1,6–2,10) Zuvor saß Hiob sieben Tage und sieben Nächte mit drei Freunden zusammen, ohne mit ihnen zu reden. (Hi 2,11–13) Franz Hesse schreibt, dass formal der Tag der Geburt sowie die dazugehörende Nacht der Empfängnis verflucht werden, es sich im Grunde jedoch um eine Selbstverfluchung handele. „Der Klagende wünscht, nie geboren zu sein.“ (Hesse 1978, 46) Neben der Umkehrung der eigenen Schöpfung, die im Zentrum von Hiobs Fluch steht, enthält die ‚Eröffnungsklage‘ eine Fülle an rhetorischer und tropischer Sprechweise. Auffällig ist hierbei die Opposition von Finsternis und Helligkeit bzw. Dunkelheit und Licht, während es sich hierbei nicht nur um physikalische Metaphern, sondern auch um ontologische Seinszustände handelt. Indem Hiob spricht: „Jene Nacht [d.i. die Empfängnisnacht] – das Dunkel nehme sie hinweg, sie soll sich nicht unter den Tagen des Jahres freuen noch in die Zahl der Monde kommen“ (Hi 3,6), meint Dunkelheit die Nicht-Existenz einer Entität. Gleichzeitig werden Geburtstag und Empfängnisnacht anthropomorphisiert, „weil er [Hiob] sie so besser als seine Ur-Feinde ins Visier bekommt“ (Hesse 1978, 47). Hiob verflucht dabei nicht nur die Inhalte seines Lebens, also die schweren Prüfungen und das Unglück, das ihm widerfahren ist, sondern seine Existenz und damit eine Schöpfungstat Gottes. Damit „soll eine der entscheidenden Schöpfungstaten Gottes rückgängig gemacht werden, nämlich die Aussonderung des mit Licht ausgestatteten Tages aus dem chaotischen Dunkel“ (ebd., 48). Direkt am Anfang der Schöpfung heißt es: „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.“ (Gen. 1,3–4) Hiobs Klage also „serves as a counterpart to the first chapter of Genesis.” (Fishbane 1971, 151)
Der Wunsch nach Umkehrung seiner eigenen Schöpfung rekurriert auf den Wunsch nach Umkehrung der Schöpfung insgesamt. Nach dem Prinzip nomina omina sunt verweist Hiobs Klage dabei ebenfalls auf die schöpferische Macht des metaphorischen Sprechens, indem das Unsagbare, das über sich Hinausweisende in Hiobs Klage in Form der Umkehrung dargestellt wird. (Ebd., 162) Die pragmatische Funktion der Umkehrung stellt demnach die Darstellung des Unsagbaren in Form einer Selbstverfluchung dar. Indem die Umkehrung herbeigewünscht wird, verweist Hiobs Selbstverfluchung auf eine Verfluchung der gesamten göttlichen Schöpfung.
Umkehrung in Rilkes Orpheus. Eurydike. Hermes (1907)
Demgegenüber wird das Umdrehen Orpheus’ in Rilkes Gedicht Orpheus. Eurydike. Hermes (1987, 542–545) lediglich indirekt vermittelt: „Und als plötzlich jäh / der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf / die Worte sprach: Er hat sich umgewendet –, / begriff sie nichts und sagte leise: Wer?“ (V. 83–86, Herv. i. O.) Die Mehrdeutigkeit der Umkehrung in Rilkes Bearbeitung des Mythos’ um Orpheus und Eurydike lässt sich in nuce an eben dieser ausgelassenen (unsagbaren) Szene exemplifizieren: Indem Orpheus das Verbot, sich auf dem Weg in die Oberwelt nach Eurydike umzudrehen, missachtet, findet eine Umkehr Eurydikes zurück in die Unterwelt statt.Dabei bearbeitet Rilke den von Vergil und Ovid tradierten Mythos mit einem hohen Maß an metaphorischer und bildlicher Sprechweise: „indes der Blick ihm wie ein Hund vorauslief, / umkehrte, kam und immer wieder weit / und wartend an der nächsten Wendung stand, –“ (V. 25–27).
Die Entzweiung der Sinne (V. 24), die Dämpfung der Sinnlichkeit (V. 28) stehen sinnbildlich für das Erleben des Künstlers in der literarischen Moderne, dessen Bewältigungsmodell die delegierte Umkehrung, der vorauseilende und schließlich zu sich selbst umkehrende Blick, darstellt. Obwohl Orpheus’ Gesang es vermag, mithilfe seiner Musik einen „schöpferischen Bewußtseinsakt, in welchem die Dinge ideell Gestalt gewinnen“ (Knittel 1998, 93; vgl. auch Art. Orpheus 2006) zu vollbringen, scheitert der Ur-Künstler an der Rettung der Geliebten. Dabei findet bei Rilke ein regelrechter ‚Arbeit am Mythos‘ (Blumenberg) statt, der an zwei Beispielen erläutert werden soll: Erstens bleibt in Rilkes Orpheus-Gedicht nicht nur die eigentliche Szene der Umkehrung ungesagt (unsagbar), sondern es werden auch die Motive hierfür ausgelassen, während es bei Vergil heißt, dass ihn „ein Wahn hinriß“ (IV, 485–491) (2010, 139) und Ovid von „Angst“ und „Verlangen“ (10, 56–61) (2004, 481) spricht. Zweitens bleibt Eurydike, obwohl ihr bei Rilke die Verse 47–82 gewidmet sind, erstaunlich teilnahmslos, im Wortsinne objektiv. „Und ihr Gestorbensein / erfüllte sie wie Fülle“ (V. 63f.), heißt es tautologisch. Mit Hilfe des Bildes der Umkehrung erhebt Rilke als genuin moderner Dichter das Unsagbare zum poetologischen Prinzip. Dabei scheitern nicht nur Sinn- und Seinsweisen, sondern es bleiben ebenso Motive der Umkehrung offen, ebenso wie eine Arbeit am Mythos vollzogen wird.
Der Metapher begegnen
Sowohl in Hiobs Eröffnungsklage als auch in Rilkes Orpheus-Gedicht stehen Bilder der Umkehrung im Zentrum der Dichtung. Sei es als Wunsch nach einem bouleversement der göttlichen Schöpfung oder als Überschreitung eines göttlichen Gebotes, sei es als körperliche Umdrehung oder als Arbeit am Mythos. Letztlich ist der Umkehrung jedoch immer auch eine Metaphorizität inhärent, die eine umfängliche Auflösung der Umkehrung – man könnte es auch als Umkehrung der Umkehrung beschreiben – unmöglich macht. Ist es also, mit Verweis auf Blumenberg (s.o.), ein konstitutiv metaphorischer Weltzugang des Menschen, der das kultur- und zeitenübergreifende Interesse an der Metapher nicht versiegen lässt? Womöglich ist es auch die Ambiguität des Metaphorischen schlechthin, die keine eindeutigen Antworten zulässt. Sowohl Hiob als auch Rilke bieten jedoch eine gemeinsame Lösung an: die Funktionsweise der Metapher gleichsam gegen sie selbst zu wenden und statt der Suche nach dem tertium comparationis, dem vergleichenden Dritten, eine Umkehrung der Umkehrung vorzunehmen.
Quellen
Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Apokryphen. Stuttgart 2007.
Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Herausgegeben und übersetzt von Gerhard Fink. Düsseldorf/Zürich 2004.
Publius Vergilius Maro: Georgica. Vom Landbau. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Otto Schönberger. Stuttgart 2010.
Rilke, Rainer Maria: Orpheus. Eurydike. Hermes. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd.1. Frankfurt a.M. 1987, S. 542–545.
Art. Orpheus. In: Der Neue Pauly. Hg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Online unter: http://dx.doi.org/10.1163/1574–9347_dnp_e901260, 2006 (zuletzt aufgerufen am 29.09.2021).
Fishbane, Michael: Jeremiah IV 23–26 and Job III 3–13. A Recovered Use of the Creation Pattern. In: Vetus Testamentum 21/2 (1971), S. 151–167.
Habermann, Frank: Literatur/Theorie der Unsagbarkeit. Einführung. Würzburg 2012.
Hesse, Franz: Hiob, ZBK AT 14. Zürich 1978, S. 46–50.
Knittel, Eva-Maria: Orpheus im Horizont moderner Dichtungskonzeptionen. Münster 1998.
Konersmann, Ralf: Art. Metapher. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Hg. von Christian Bermes und Ulrich Dierse. Hamburg 2010, S. 267–278.