Ein unappetitliches Essen

Du betrachtest gerade Ein unappetitliches Essen

© Hein­ri­ke Helm

von Merle Gebert

Dei­ne Lip­pen sind ölig. Immer wie­der fährst du mit der Zun­ge dar­über, aber damit machst du es nur schlim­mer. Mitt­ler­wei­le hast du es am Kinn, an den Mund­win­keln, und jetzt, wo du mit der Hand dar­über­ge­wischt hast, auch an der Nase.

„Schmeckt es dir nicht?“, fragst du, und ich kann zuse­hen, wie in dei­nem Mund die gera­de noch schön ange­rich­te­ten Bruschet­ta zu Brei wer­den. Du streichst dir mit der Hand eine Haar­sträh­ne zurück und ein klei­nes Stück Basi­li­kum bleibt dar­in hängen.

„Bestell dir sonst ruhig etwas anderes.“

Mit dei­nem run­den Gesicht und den grü­nen Kräu­ter­punk­ten über­all ver­teilt siehst du aus wie die­se Figur aus dem Kin­der­buch, das Sams. Immer her mit den Wunsch­punk­ten! Ich wün­sche mir, dass du mir nachts nicht mehr ins Ohr atmest … dass du mich mor­gens auf­ste­hen lässt, wenn der Wecker klin­gelt … dass du mich ein­fach ein­mal in Ruhe lässt.

„Einen Salat viel­leicht? Magst du noch etwas Brot? Vitel­lo tonnato?“

Der Kell­ner kommt und ich nut­ze die Gele­gen­heit: „Ent­schul­di­gung, ich hät­te gern noch ein Glas Wein.“

Du schaust mich an, als wäre ich ein wei­nen­des Kind.

„Was hast du denn heu­te? Ich dach­te, wir machen uns einen beson­de­ren Jahrestag.“

„Viel­leicht möch­test du dich ja lie­ber an den Neben­tisch set­zen? Die gefällt dir doch sicher.“

Die dreht sich zu uns, wen­det sich aber ange­sichts der grü­nen Punk­te in dei­nem Gesicht wie­der ihrem Essen zu.

„Sei nicht albern“, sagst du, nach­dem du dich mir wie­der zuge­wen­det hast. Uns wird der Haupt­gang gebracht. Ich betrach­te das Huhn auf mei­nem Tel­ler und zie­he dir in Gedan­ken die Haut vom Leib. Du bist Kno­chen. Du bist Fleisch. Du bist Was­ser. Du bist Blut. Aug­äp­fel in einem har­ten Schä­del. Eine schwar­ze Lun­ge. Ein Darm, der die Schei­ße durch dei­nen Kör­per treibt. Das Herz, das nur pumpt, um dich am Leben zu hal­ten. Und um dei­nen Schwanz zu eri­gie­ren. Du greifst nach mei­ner Hand und schaust mich gie­rig an: „Erin­nerst du dich an letz­tes Jahr?“

Du hat­test gekocht, Bruschet­ta als Vor­spei­se. Dir lief Öl am Kinn ent­lang und ich hab es abge­leckt. Nachts hat mich dein Atem an mei­nem Ohr gekit­zelt. Als mor­gens der Wecker geklin­gelt hat, zogst du mich in dei­ne war­men Arme zurück. Du bist Kno­chen. Du bist Fleisch. Du lehnst dich über den Tisch und flüs­terst mir etwas ins Ohr von wegen Oli­ven­öl auf mei­nem Kör­per. Du bist Was­ser. Du bist Blut. Mit blit­zen­den Augen schaust du mich an. Aug­äp­fel in einem har­ten Schä­del. Eine schwar­ze Lun­ge. Ein Darm, der die Bruschet­ta durch dei­nen Kör­per treibt.

„Ges­tern hab ich Kers­tin getrof­fen“, sage ich.

Da bist du end­lich still.

Das Mes­ser ist unge­wöhn­lich scharf, aber klein. Das Fleisch ist seh­ni­ger als ich dach­te, und ich habe etwas damit zu kämpfen.

Mer­le Gebert, gebo­ren 1992 in Ber­lin, stu­dier­te Ger­ma­nis­tik und Anglis­tik in Bam­berg, wo sie gera­de ihren Mas­ter in Neue­rer deut­scher Lite­ra­tur anschließt. Im Jahr­gang 2023/24 war sie Teil­neh­me­rin der Baye­ri­schen Aka­de­mie des Schrei­bens. Ihre Tex­te las­sen die klei­nen, all­täg­li­chen Din­ge in neu­em Licht erschei­nen und beschäf­ti­gen sich mit Gedan­ken­ex­pe­ri­men­ten, die in der Lite­ra­tur kei­ne blei­ben müssen.