von Stephanie Waldow
Die Techniken, die der KünstlerMichael Jordan verw endet, sind so vielfältig wie seine Motive und Bildkompositionen selbst. Neben Zeichnungen (Aquarell, Feder, Bleistift) beschäftigt sich Jordan vor allem auch mit verschiedensten Techniken der Druckgrafik (Radierung, Siebdruck etc.); hier insbesondere mit der Cyanotypie. Er greift die teils sehr alten Verfahrensweisen auf und führt sie experimentell weiter. Doch nicht nur die Vielzahl der verwendeten Techniken lassen eindeutige Zuschreibungen unmöglich werden, auch die Art und Weise des Umgangs mit seinem Material zeichnet Jordan als einen Grenzgänger in vielerlei Hinsicht aus. Neben Gerichtszeichnungen und Comics für u.a. Die Zeit, die Frankfurter Rundschau und die Künstlergruppe Tonto Comics benutzt Jordan z.B. Tetra Pak als Druckplatte für Kaltnadelradierungen und macht so kulturelle Abfallprodukte zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Gestaltung. Die in den letzten Jahren entstandenen und von Jordan selbst entworfenen Künstlerbücher vereinen all jene Techniken und zeichnen sich dadurch als idealer Schnittpunkt und Präsentationsform seiner künstlerischen Vielfalt aus. Gerade die Randbereiche künstlerischer Ausdrucksformen werden von Jordan in den Mittelpunkt gerückt. Angefangen von formalen Kriterien wie der Wechselwirksamkeit von Bild und Text, die sowohl klassische Bildkompositionen aufbricht als auch eine eindeutige Zuordnung seiner Arbeiten zur Tradition des Comics in Frage stellt. Es sind vor allem die Dichotomien, auf die sich Jordan einlässt und die er in ein spannungsvolles Verhältnis setzt.
Nicht zufällig, so scheint es, hat er für den hier vorgestellten Zyklus Epiphanien Juni 2008 die sehr alte Technik der Cyanotypie bzw. des Blaudrucks gewählt, die eine weitere Ambivalenz aufmacht: Die Ambivalenz zwischen Natur und Kultur. 1842 entdeckte der Naturwissenschaftler und Astronom Sir John Herschel ein Verfahren zur Herstellung von stabilen Bildern. Er fand eine chemische Eisenlösung, bei der das Eisen unter Einwirkung von UV-Licht blaue Kristalle bildet. Die nicht zu Kristallen umgewandelte Lösung wurde einfach mit Wasser wieder ausgewaschen. So entstand die Methode der Cyanotypie, bei der das Bild direkt im Papier entsteht und nicht nur in einer Schicht an der Oberfläche. Während das Verfahren künstlerisch eher etwas im Hintergrund stand, wurde es v.a. vom späten 19. bis ins 20. Jh. hinein zur Vervielfältigung von Plänen, beispielsweise von Architekturplänen verwendet; hier auch Blaupause genannt. Zunächst wird eine lichtempfindliche Lösung aus Ammoniumeisen(III)-Citrat und rotem Blutlaugensalz hergestellt, mit der der Träger des späteren Bildes (Papier, Holz, Stoffe etc.) bestrichen wird. Die Art und Weise des Auftragens der Lösung spielt eine entscheidende Rolle und je nach Auftragungsart kommt es zu späteren Effekten, die in letzter Konsequenz nicht vorhersagbar sind. Beide Vorgänge finden in der Dunkelkammer (einem Raum ohne direkten UV Lichteinfall) statt, da die verwendeten Chemikalien lichtempfindlich sind. Nach der Herstellung einer Negativfolie von der Zeichnung erfolgt die Belichtung. Hierzu wird das Negativ auf das lichtempfindliche Papier gelegt und dem UV-Licht ausgesetzt. Die im Negativ hellen Stellen beginnen sich zu färben, aus dem ursprünglichen Grün wird ein dunkles Blau-Grün bis hin zu einem Braun. Die Belichtungsphase dauert je nach Sonnenintensität ca. 20 Minuten und wird direkt vom Sonnenlicht vorgenommen, wodurch ein reizvoller Spannungsbogen zwischen Natur und Kultur eröffnet wird. Letztlich hängt das Ergebnis auch von der Konzentration und Länge der Sonneneinstrahlung ab und wird damit für die künstlerische Gestaltung zu einer gleichsam spannenden wie unvorhersehbaren Größe. Eine Doppelheit von Zufall und Konstruktion prägt die künstlerische Gestaltungsweise. Die Farbe Blau entsteht also durch Oxidation mit dem Sonnenlicht. Das Aussetzen der Arbeit in dieser Phase erinnert an den Färbevorgang des ?Bläuens’, ursprünglich eine Technik der armen Leute, um ihre Wäsche blau zu färben. Auch hier entsteht die Farbe u.a. durch Einwirkung des Sonnenlichts, was die Färber zu einer längeren Arbeitspause verpflichtete. Noch heute ist das sog. ?blau machen’ im allgemeinen Sprachgebrauch verankert und wird als Ausdruck des Müßiggangs und der künstlerischen Entfaltungsmöglichkeit eingesetzt. Im Wissen um Herstellungstechnik und ursprünglich handwerkliche Verwendung des Blaudrucks stellt Jordan eine bewusste Nähe zwischen künstlerischer Ausdrucksform und Handwerk her. Das sich durch das Druckverfahren ergebende Wechselverhältnis von Natur und Kultur, Zufall und Konstruktion sowie Aktivität und Passivität setzt sich in den präsentierten Zeichnungen fort. Sein Zyklus macht einen Spannungsbogen auf zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Erinnern und Vergessen und erzeugt dadurch einen epiphanen Moment der Gegenwärtigkeit. An der Schwelle zwischen Bild und Text, zwischen Erzählbarem und nicht Erzählbarem sind seine Geschichten angesiedelt und fordern vom Betrachter, der selbst zum Grenzgänger wird, stets eine Auseinandersetzung mit der Dynamik des Bildes.
Jordans Motive sind vielfach der Mythologie entlehnt, spielen mit phantastischen Elementen und drohen jederzeit vom scheinbar Märchenhaften ins Albtraumhafte zu kippen. Grenzsituationen werden inszeniert, die die ephemeren Figuren in andere Welten dahingleiten lassen — Grenzsituationen auch zwischen Leben und Tod, zwischen Anwesenheit und Abwesenheit.
Jordans Motive eröffnen einen Imaginationsraum, der sich dem Betrachter nicht als geschlossenes System darbietet, sondern als noch auszuhandelnde Geschichte. Jede Zeichnung, so scheint es, kreist um eine Leerstelle und verweigert sich dadurch einer Festschreibung. Im Moment dieser Verweigerung liegt zugleich die poetische Kraft der Zeichnungen, die von dort aus ihre Dynamik und je eigenen Geschichten entfalten. Geschichten, die sich in Abhängigkeit von Betrachtungsweise und Kontextualisierung stets verändern und neu entwickeln. Geschichten, die geprägt sind durch ein Zugleich an Offenheit und Präzision. So entwickeln die Arbeiten Jordans eine Phantastik, die scheinbar voneinander getrennte und unvereinbare Bereiche in Wechselwirkung zueinander und letztlich in einen Dialog miteinander bringt. Phantastik wird hierbei verstanden nicht als ein Außerhalb der erfahrbaren Welt, sondern als integraler Bestandteil der eigenen Lebenswirklichkeit, mit dem der Betrachter konfrontiert wird und über den es im Moment der Betrachtung zu reflektieren gilt.
Prof. Dr. Stephanie Waldow hat Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Soziologie und Psychologie an den Universitäten Gießen und Erlangen studiert. Seit Dezember 2012 ist sie Professorin für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt Ethik an der Universität Augsburg.
Neben der Herausgeberschaft für schauinsblau hat sie u.a. die Funktion der Direktorin des Jakob-Fugger-Zentrums inne und ist seit 2008 Kuratorin der Augsburger Gespräche zu Literatur und Engagement.