von Ina Neddermeyer
Die Auseinandersetzung von Künstlerinnen und Künstlern mit dem Kosmos, der als Projektionsfläche für die verschiedensten Utopien und Ideen fungiert, ist seit Jahrhunderten ein wiederkehrendes Motiv der Kunstgeschichte. Im 20. Jahrhundert wird das Thema jedoch so wichtig wie nie zuvor (Holsten 1983: 7).
Kasimir Malewich und die Suprematisten vertraten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine technologisch-schwärmerische Kosmologie, nach der der Bildraum in einen Weltraum der Schwerelosigkeit verwandelt wird:
A bar is fused with all elements […] — so that every Suprematist body that is built will be included in a natural organisation,
and form a new satellite. One only has to find the interrelationship between two bodies speeding through space:
the earth and the moon; perhaps a new Suprematist satellite can be built between them, equipped with all the elements,
which will move in orbit, creating its own new path.
(Malevich 1968: 124)
In den 1960er Jahren kam es zeitgleich zur Mondlandung 1969 zu einem Boom von Science-Fiction-Adaptionen in Literatur, Film und Fernsehen. Das unerreichbare Weltall war plötzlich so nah wie nie zuvor. In der Bildenden Kunst trat das Thema jedoch in dieser Zeit in den Hintergrund, da die einstige Utopie plötzlich real geworden war (Heinzelmann 2005: 16).
Erst seit den 1990er Jahren beschäftigen sich die Künstler wieder mit dem Thema. Die Auseinandersetzung mit dem Kosmos ist dabei aber nicht technisch-affirmativ oder utopistisch geprägt. Vielmehr ist eine ironische Distanzierung auszumachen (Heinzelmann 2005: 16–17). So montiert Michael Sailstorfer 2002 für das Werk Sternschnuppe eine Abschussrampe für Straßenlaternen auf einem Transporter. Björn Dahlems Schwarzes Loch (2005) ist ein aus Holzlatten zusammengesetztes Gitterobjekt, das scheinbar alle Gegenstände in der näheren Umgebung aufsaugt. Und Alexandra Mirs First Woman on the moon greift 2009 in einem Reenactment die erste Mondlandung vom 20. Juli 1969 auf.
In diesen Kontext der künstlerischen Rückkehr ins All müssen auch die Arbeiten von Peter Land eingeordnet werden, der sich in den verschiedensten Medien dem Thema gewidmet hat. Seine spezifische Auseinandersetzung mit dem Universum kann exemplarisch anhand der fünf Werke The Staircase, Copenhagen 11 December, 1999, Everybody is a star, Stopover und Nostalgia erläutert werden, die zwischen 1998 und 2013 entstanden sind.
The Staircase (1998)
Abb. 1 und 2
In der Doppelprojektion The Staircase sieht man den Künstler, wie er mit Anzug und Hemd bekleidet, eine scheinbar unendliche Treppe hinunterfällt (Abbildung 1 und 2). Im Hintergrund ist Drehorgelmusik zu hören, die den Loopcharakter des Videos noch verstärkt. Dem gegenübergestellt ist die Projektion eines computergenerierten Weltraums, bei dem sich die Sterne langsam dem Zuschauer nähern. Der Flug durch den unendlichen Kosmos verknüpft mit dem fallenden Künstler konfrontiert den Betrachter mit existenziellen Fragen:
Was mache ich hier? Gibt es für mich einen Grund, hier zu sein? […] Was ist mein Wert als Individuum?
Wenn Du beginnst, Dir diese Fragen zu stellen, rüttelst Du tatsächlich an den Grundfesten Deiner Existenz.
Plötzlich bezweifelst Du sämtliche sozialen und geistigen Werte, die Du auf allen Ebenen für garantiert hieltest.
Und alles, was Du bislang für eine ewige und unverrückbare Wahrheit gehalten hast, erscheint Dir relativ wackelig.
Du bist tatsächlich über den Rand einer Treppenstufe in einen ewigen Sturz gestolpert, in eine Art existentieller Vorhölle,
aus der nur selten zu entkommen ist. Ich falle immer noch.
(Land 2000: 140)
Die Videoinstallation setzt sich mit der Beziehung zwischen dem Individuellen und Universellen auseinander. Sie vermittelt das Gefühl, wie Peter Land es ausdrückt, „eine bakterienartige Kreatur zu sein, die aus ihrer Existenz ein wenig Sinn und Rechtfertigung zu ziehen versucht innerhalb einer großen und expandierenden Welt, in der das Individuelle unwichtig erscheint” (Land 2000: 139).
Diese Erkenntnis des zufälligen Lebens in einer sinnlosen Welt verdeutlicht, wie stark Land durch das absurde Theater beeinflusst wurde. Die Videoarbeit The Staircase kann dabei als Verweis auf Samuel Becketts Mehr Prügel als Flügel gesehen werden. In dessen Zentrum steht der Student Belacqua Shuah1 , der ziellos durch die Straßen von Dublin läuft: „Der bloße Akt des Aufstehens und Fortgehens, gleichgültig wo und wohin, tat ihm wohl. […] Vom Alkoven zum Fenster, vom Kinder- ins Schlafzimmer, sogar von einem Stadtviertel ins nächste und wieder zurück […]“ (Beckett 1989: 37). Die irdische Ziellosigkeit der Hauptfigur Belacqua setzt Beckett mit der sinnlosen Bewegung der Sterne und Planeten gleich (Kesting 1983: 16): „Der Himmel geht rund herum […] und herum und herum und herum“ (Beckett 1989: 46). Wie auch bei Beckett ist das Universum bei Peter Land Anlass, die Sinnhaftigkeit der eigenen, endlichen Existenz im Hinblick auf den unendlichen Kosmos zu hinterfragen.
Copenhagen 11 December, 1999 (2000)
Das Motiv des freien Falls, bei dem man den Boden unter den Füßen verliert, sobald Fragen nach dem Sinn unseres Handelns gestellt werden, greift Peter Land in vielen seiner Werke auf. In der Videoarbeit Step Ladder Blues (1995) sieht man den als Maler verkleideten Künstler, der unaufhörlich versucht, die Wände eines Raumes zu streichen und dabei immer wieder von der Leiter stürzt. Der unendliche Fall steht auch in der Serie von Zeichnungen Copenhagen 11 December, 1999 (2000) im Mittelpunkt, in der die vertraute Welt vollkommen aus den Fugen geraten ist (Abbildung 3). Bäume, Menschen und sogar Häuser wurden ihrer Schwerkraft beraubt und fliegen jetzt verloren durch das unendliche Universum. Auch hier gibt es für die Individuen keine Orientierungspunkte mehr, da sogar die verlässliche Größe der Schwerkraft aufgehoben wurde und nun alles in ein undefinierbares Nichts stürzt.
Everybody is a star (1998)
Abb. 4
Everybody is a star ist eine temporäre Wandmalerei, bei der die Ausstellungs- und Treppenräume blau gestrichen und mit Rastern versehen waren, auf denen Sternenbilder mit fluoriszierender Farbe leuchteten. Die Besucherinnen und Besucher, die sich durch das nächtliche Universum bewegten, konnten im Hintergrund Popsongs hören, die sich um den Weltraum drehen, wie z.B. Frank Sinatras Take me to the Moon oder Across the Universe der Beatles.
Der Begriff star des ironisch-doppeldeutigen Installationstitels kann dabei sowohl als Stern als auch als Star gedeutet werden und bezieht sich auf ein Gedicht von Aleister Crowley aus The book of the law (1904). Demnach ist jeder Mensch ein Star in seinem eigenen Verständnis. Peter Land äußert sich zu seinem Werk wie folgt:
So versuche ich darauf zu fokussieren, dass es so viele Welten auf dieser Welt gibt, wie Menschen existieren.
Jeder Einzelne ist eine kleine Welt in sich und trägt auch die Vollständigkeit einer kleinen Welt in sich.
Ich versuche in Hinsicht auf das Publikums stets sehr liberal zu sein: Es hängt alles von dir ab.
Du bist ein Star in deiner eigenen Verständnis, und alles, was du in dieser Ausstellung siehst, ist nur deshalb dort,
weil du es dir ansiehst und es verstehst.
(Land 2004: 275–276)
Die ambivalente Beschaffenheit des Universums zwischen dem einzigartigen, hell leuchtenden Star und dem unendlichen Weltraum bleibt jedoch bestehen. Denn im grenzenlosen Kosmos ist der einzelne Stern nur einer unter vielen: „ein namenloser Punkt in einem unermesslichen, dunklen Weltall“ (Wiehager 2000: 131).
Stopover (1998)
Im Gegensatz zu den vorherigen Arbeiten, in denen ein künstlich geschaffenes Universum (bei The Staircase eine Computergeneriertes bzw. bei Everybody is a star ein Gemaltes) im Zentrum steht, wird bei Stopover for discarded lovers, drunks and other lost souls wandering the night der reale Kosmos miteinbezogen (Abbildung 5).
Für die im öffentlichen Raum zugängliche Installation stellte Peter Land unter einem Holzdach ein Teleskop auf, durch das die Besucherinnen und Besucher einen Blick werfen konnten. Die Zielgruppe ist durch den Titel klar adressiert: Ausrangierte Geliebte, Betrunkene und andere verlorene Seelen, die durch die Nacht irren, also all jene, die verzweifelt sind und nach Orientierung suchen. Um den Suchenden Schutz zu bieten, war mit einer bereitgestellten Whiskeyflasche und einem gravierten Marmorstein die Handlungsanweisung bereits formuliert: „Drink a bottle of whiskey, take a look at the stars and get things into perspective.” Der Blick in das Universum wird hier zu einem Perspektivwechsel, indem die eigenen Befindlichkeiten in einen größeren Zusammenhang gestellt werden.
Um auch für Reisen optimal ausgestattet zu sein, entwickelte Peter Land als Reisebegleitung das Survival Kit (1999), bei dem alle benötigten Gegenstände (Teleskop, Whisky und Whisky-Glas) in einer Box transportiert werden können, die unterwegs zugleich als Sitzmöglichkeit während der Sternbetrachtung genutzt werden konnte (Abbildung 6).
Nostalgia (2013)
Dass der Kosmos bis heute ein zentrales Thema in Peter Lands Werk ist, zeigt sich auch anhand seiner jüngsten Arbeit Nostalgia (2013). Der Raum wird hier von einer einfachen Lichtmaschine in eine Disko verwandelt, in deren Zentrum ein verlassenes Keyboard steht. Es spielt wie von selbst Songs aus den 1960er bis 1990er Jahren, der erweiterten Jugend des Künstlers, der 1966 geboren wurde. Der eigentliche Musiker hat den Raum verlassen und das Gerät spielt im Autopilotenmodus weiter. Auf sich selbst zurück geworfen bleibt der Besucher, der sich an einen Tisch setzen kann, um eine bereit gestellte Bierflasche zu öffnen. An die Wand gelehnt ist eine runde Leinwand, auf der die Sterne des Kosmos hell erleuchtet sind (Abbildung 7).
Das Universum dient hier als nostalgische Projektionsfläche auf längst vergangene Zeiten. Denn jeder Blick in den Kosmos ist auch ein Blick in die Vergangenheit, da wir die Sterne sehen, wie sie vor Jahren bis hin zu Jahr Millionen aussahen. Oder wie Peter Land feststellt: „Diese Installation dreht sich darum, in der Vergangenheit gefangen zu sein. Die Verbitterung über die verlorene Jugend und die falsche Überzeugung, dass früher alles besser war.“2
Das Verhältnis von Individuum und Kosmos ist ein zentrales Thema im Werk Peter Lands, das sich nicht nur durch alle Schaffensphasen zieht, sondern als wiederkehrendes Motiv auch in allen vom Künstler verwendeten Medien auftritt. Der Blick in das Universum ist dabei kein Blick nach Außen, sondern wirft den Betrachter immer auf sich selbst zurück. Die Auseinandersetzung mit dem Kosmischen dient dazu existenzielle Fragen (Was mache ich hier? Gibt es für mich einen Grund, hier zu sein?) des individuellen Daseins zu verhandeln. Immanent ist bei Peter Land immer die ironische Brechung: Der humorvolle Slapstick bei The Staircase begleitet von heiterer Jahrmarktsmusik wird zur radikalen Existenzfrage, der Blick in die Sterne bei Stopover wird erleichtert durch eine Flasche Whiskey.
Bibliographie
Beckett, Samuel: Mehr Prügel als Flügel. Frankfurt am Main 1989.
Heinzelmann, Markus: Aktuelle Kunst und Weltraum. In: Christoph Heinrich / Markus Heinzelmann (Hgg.): Rückkehr ins All. Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle. Ostfildern-Ruit 2005, S. 13–17.
Holsten, Siegmar: Zum Thema. In: Kosmische Bilder in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. Baden-Baden 1983, S.7–9.
Kesting, Marianne: Verlust des Kosmos — Kopernikanische Wende des Bewußtseins. Zur Geschichte einer Desillusion und ihrer ästhetischen Konsequenzen. In: Kosmische Bilder in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. Baden-Baden 1983, S.11–24.
Land, Peter: Einige Anmerkungen zu meinen Arbeiten. In: Beatrix Ruf / Renate Wiehager (Hgg.): Peter Land. Ausst.-Kat. Kunsthaus Glarus. Stadtgalerie Kiel; Villa Merkel, Esslingen. Ostfildern 2000, S. 136–141.
Land, Peter: An der Grenze zwischen Kontrollverlust und Kontrolle. Ein Gespräch mit Dieter Buchhart. In: Kunstforum International 172 (2004), S. 268–279.
Malevich, K.S.: Suprematism. 34 Drawings. In: Ders.: Essays on Art 1915–1928. Band 1. Kopenhagen 1968, S. 123–128.
Wiehager, Renate / Knut Nievers: Grundlos. In: Beatrix Ruf / Renate Wiehager (Hgg.): Peter Land. Ausst.-Kat. Kunsthaus Glarus. Stadtgalerie Kiel; Villa Merkel, Esslingen. Ostfildern 2000, S.128–131.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 und 2:
Peter Land: The Staircase, 1998, Zweikanal-Videoinstallation, 5 Min., Loop, Installationsansicht Kunstpalais Erlangen, 2013.
Abbildung 3:
Copenhagen, 11 December 1999, Hurricane III (Black sky, Bus), 2000, Aquarellfarbe auf Papier, 160 x 139 cm.
Abbildung 4:
Everybody is a Star, 1998, Rauminstallation, Installationsansicht Charlottenborg, Kopenhagen.
Abbildung 5: Stopover (for discarded Lovers, Drunks and other lost Souls wandering the night), 1998, Teleskop und Holzhütte mit Plastikdach, Installationsansicht Kunsthaus Glarus.
Abbildung 6: Survival Kit, 1999, Teleskop, Holzbox mit Texttafel, Whiskyflasche, Trinkglas, 120 x 120 x 130 cm, Installationsansicht Tanja Grunert and Klemens Gasser Gallery, New York 1999.
Abbildung 7: Nostalgia, 2013, Keyboard, Musik, UV-Licht, Gemälde mit Karte, Lichtmaschine, Leinwand, Bierflaschen, Maße variabel, Installationsansicht Kunstpalais Erlangen.
Anmerkungen
Ina Neddermeyer studierte Kunstgeschichte, Poltik und Philsophie in Berlin. Nach Abschluss ihres Wissenschaftlichen Volontariats im Kunstpalais Erlangen arbeitet sie dort seit 2013 als Kuratorische Sammlungsbetreuung.