© Gabriela Neeb
von Stephanie Waldow
Ein beeindruckender Abend, der ein hochaktuelles Thema behandelt: Was macht der Mensch, der seine Identität nur auf der Ausgrenzung Anderer aufbaut? Wie kann Integration gelingen, wenn wir uns nur auf die Dialektik von Ordnung und Unordnung verlassen, wo bleibt der Mut, das System aufzubrechen? Welchen Preis zahlen wir für eine Gemeinschaft, die nur darauf lauert, den Nächsten auszusuchen, um sich vermeintlich selbst zu stabilisieren.
Akal greift Fassbinders 1968 am Münchner Action-Theater uraufgeführtes Stück auf und thematisiert nicht nur seine beängstigende Aktualität, sondern macht auch auf die Zeitlosigkeit des Stoffs aufmerksam. Während bei Fassbinder das Fremde noch mit einem Namen und einer Herkunft versehen ist, zeigt Akal Fremdheit als reine Projektionsfläche, der sogar die Sprache genommen wurde. Das Fremde wird zum absolut Anderen, zum radikal Beschriebenen, dessen Andersartigkeit gleichermaßen Sehnsucht, Hass und Aggressionen auslöst. Am Ende bleiben nur Ausgrenzung und Auslöschung, denn Angst machen vor allem die Projektionen, die Begegnung mit den eigenen Abgründen, denen man sich durch die Auslöschung des Anderen entledigen will. Fremde — sind wir uns selbst.
Deshalb ist es nur konsequent, wenn Akal das Politische bis hinein in unsere Wohnzimmer, bis hinein in unsere intimsten Beziehungen zieht. Da nützt es auch nichts, wenn wir uns vor dem Krieg ‚da draußen‘ verstecken, hysterisch nur auf das eigene Wohl bedacht. Der Krieg bleibt nicht vor dem Fenster, der Krieg ist zwischen uns, er zerfrisst unseren Alltag, unsere Beziehungen, unsere Sprache.
Gezeigt wird eine bitterböse Zustandsbeschreibung unserer Gesellschaft, die ihre Strukturen so manifestiert und tradiert hat und damit einen Bogen von der Vergangenheit über die Gegenwart bis hinein in die Zukunft spannt. Es gibt kein Entkommen.
Das Stück beginnt mit einem digitalen Vorhang, der im Verlauf des Abends immer wieder mit lautem Getöse gehoben und gesenkt wird (Sounddesign Enik). Er hat in seiner Monumentalität etwas zutiefst faschistoides und wird doch immer wieder mit dem Element Wasser so fluide umspielt, sodass nicht nur die Dynamik allen Seins im Kontrast zur machtvollen Setzung gezeigt wird, sondern auch auf die Durchlässigkeit aller Lebensbereiche aufmerksam gemacht wird. Rechtes Gedankengut ist gefährlich fluide, passt sich an, scheinbar unbemerkt besetzt es alle Bereiche. Auch in digitale Räume schleicht es sich ein und bevölkert von dort aus zukünftige Welten.
Dazu entwirft das Künstlerduo Mehmet & Kazim, mit dem Akal bereits mehrere gemeinsame Arbeiten verbindet, unfassbar starke Videoeinspielungen, die in einer dreisten Lieblichkeit das Verderben bis in die Kinderzimmer und Zukunftswelten hineintragen. Diese korrespondieren mit einem Bühnenbild, das immer wieder deutlich macht, es hört nicht auf und war schon immer da: Ausgrenzung gehört vielleicht zu den Grundfesten des menschlichen Seins. Angefangen beim kultischen Opferritual bis hinein in die Zukunft. Ganz gleich wo, ob im amerikanischen Club oder in der bayerischen Bierstube. Dabei sind die Bilder, die uns Akal zeigt, stets mehrfach codiert, es gibt keine einfachen Wahrheiten, es liegt allein in unserer Verantwortung, genau hinzuschauen, Zusammenhänge zu erkennen, unsere Sehgewohnheiten zu hinterfragen und zu reflektieren.
Auch die Bilder, die mit den Spieler*innen (Edmund Telgenkämper als Anderer, Stefan Merki, Nadège Meta Kanku, Annika Neugart, Annette Paulmann, Leoni Schulz und Anja Signitzer) selbst gebaut werden, das ‚Gruppenfoto‘, der ‚Opfertisch‘, das ‘Abendmahldinner‘, allesamt mit überzeichnet ausgestellten Gesten (unterstrichen durch die Kostüme von Lara Roßwang) sind äußerst stark, fast monumental und doch nie einfach chiffriert.
Wenn man Akals Texte und Inszenierungen kennt, weiß man, dass es ihm um die Sprache geht. Ob überbordende Textflächen oder absolute Stille, Sprache ist nie selbstverständlich, sondern in ihrer jeweiligen Verfasstheit immer ein eigenständiger Akteur auf der Bühne. So auch in dieser Inszenierung. Akal kommt diesmal mit wenig Sprache aus. Es gibt nichts zu sagen, außer den wenigen Sätzen, die immer wiederholt werden: „Schau ihn an, wie das der schaut“, „Und was ist das für einer?“ Es ist die Sprachlosigkeit, die in der Sprache hörbar wird.
Der Epilog schließlich, den Akal eigens verfasst hat, steht für sich. Es ist das Nicht-Sprechen, das ritualisierte Sprechen, die ins Dümmliche hineingehende Floskel, die hier ausgestellt wird, Sprache, die nicht das Gespräch sucht, sondern ausgrenzt und sich abwendet. Der wohl schlimmste Missbrauch eines so wunderbaren Mediums.
Es bleibt also spannend, wie sich Akals Arbeiten weiterentwickeln, in der Spielzeit 2025/26 wird er erstmal Hausautor am Nationaltheater Mannheim werden und plant ein Stück über den Einfluss digitaler Welten und künstlicher Intelligenz auf unsere Emotionen. Themen, mit denen er sich schon länger beschäftigt und bei denen sicher auch der Umgang mit Sprache eine Rolle spielen wird. Wir bleiben dran!
Für den Moment heißt es aber erstmal ab in die Münchner Kammerspiele und Katzelmacher anschauen! Unbedingt weitersagen!