© Hyp Yerlikaya
von Ellen Köhler
Fragt man Menschen auf der Straße, wie sie zum Thema Prostitution stehen, bekommt man meistens ähnliche Antworten — Es sei eine legale Dienstleistung und solange alles ohne Zwang abläuft, sehe man darin keinerlei Problem. Doch fragt man genau diese Menschen, ob sie direkt neben einem Wohnungsbordell wohnen wollen würden, dann verneinen sie meist. Mit diesen Worten eröffnete der Vorsitzende Klaus Engelmohr «AugsburgerInnen gegen Menschenhandel» die Fotoausstellung gesichtslos — Frauen in der Prostitution im Annahof in Augsburg.
Sichtbarmachen des Unsichtbaren – Die Fotoausstellung von Hyp Yerlikaya
Diese Denkweise zeigt das Dilemma der Prostitution in Deutschland: Es ist, rein gesetzlich gesehen, durch die Legalisierung eine Dienstleistung wie jede andere auch. Doch die Prostituierten sollten dabei bitte möglichst unsichtbar bleiben.
Die Ausstellung hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau diese Frauen sichtbar zu machen. Der Fotograf Hyp Yerlikaya begleitete die auf den Fotos dargestellten Frauen über zwei Jahre mit der Kamera, meist Frauen, die aus Perspektivlosigkeit ihr Heimatland verlassen haben und sich in Deutschland eine bessere Zukunft erträumten. Die Wirklichkeit sah dann aber meist ganz anders aus – Zwangsprostitution, Abhängigkeiten und keine Ausstiegschance. Die Fotos zeigen die Frauen – obwohl sie meist in Unterwäsche abgelichtet wurden — nicht als Objekt der männlichen Begierde, nicht als käufliche Ware. Meist sind die Frauen aus einiger Entfernung mit Masken im Gesicht zu sehen. Durch die Bildunterschriften werden sie in ihrer ganzen Verletzbarkeit gezeigt: Die Texte thematisieren die Hoffnungen, Ängste und alltäglichen Sorgen der Prostituierten. Keine Darstellung aus dem männlichen Blick, sondern der Versuch, die unsichtbaren Leiden der Frauen sichtbar zu machen.
Die Autorin Huschke Mau und ihr Einstieg in die Prostitution
Die Ausstellung wurde mit einer Lesung von Huschke Mau eröffnet, welche selbst zehn Jahre in der Prostitution tätig war und ihre traumatischen Erfahrungen in ihrem Buch «Entmenschlicht – Warum wir Prostitution abschaffen sollten» zu Papier brachte. Mit 17 Jahren floh sie vor ihrem gewalttätigen Stiefvater, verbrachte ein dreiviertel Jahr in der Psychiatrie, die Ämter waren mit ihrem Fall überfordert. Dann entdeckte sie eine Anzeige für «Seriösen Escort Service» — zwei Stunden, 200 Euro auf die Hand, nichts muss, alles kann. Viele halten nun wahrscheinlich dagegen: Warum hat sie sich denn nicht einfach an einen Supermarkt an die Kasse gesetzt? Doch um es mit den Worten von Huschke Mau zu sagen: «Normale Jobs sind für normale Menschen». Durch die jahrelange Misshandlung traute sie sich keinen anderen Job zu. Aus Angst vor Obdachlosigkeit gelangte sie über eine Annonce bei ihrem ersten Freier, welcher in seinem normalen Leben übrigens Polizist war.
Der persönliche Leidensweg Huschke Maus
Was Huschke Mau dann in den nächsten zehn Jahren alles durchlebte, ist selbst als ZuhörerIn schwer zu ertragen. Täglicher sexueller Missbrauch, Gewalt durch Freier und Zuhälter, Drogenabhängigkeit. Ohne die Drogen ging es nicht mehr, sagte sie. Um das alles zu ertragen, erschaffte sie sich eine Kunstfigur, Svenja. Es bin nicht ich, die das alles erleben muss, es ist Svenja. Es bin nicht ich, die diese Dinge sagt und tut. Es ist Svenja. Depersonalisation – ein Schutzmechanismus der Psyche.
Als sie von dem Mord an zwei Kolleginnen erzählt, rollen schließlich die Tränen.
Sie betont immer wieder, dass dies alles nicht auf dem Straßenstrich passiert ist, sondern Alltag in legalen, angemeldeten Bordellen in Deutschland ist.
Die meisten Frauen, die in der Prostitution landen, haben bereits schwere Missbrauchserfahrungen hinter sich. Sie fühlen sich dadurch schutzlos – und die Prostitution gibt ihnen scheinbare Sicherheit. Ein Schritt in Richtung Selbstbestimmung.
Die Problematik der Legalisierung
Die Legalisierung der Prostitution schafft aber einen Teufelskreis: Jeden Tag gehen in Deutschland über eine Millionen Männer täglich ins Bordell. Um diese Nachfrage zu decken, wird es niemals genug Frauen geben, die sich freiwillig prostituieren. So wird Zwangsprostitution von Frauen Tür und Tor geöffnet.
Deutschland wird als das „Bordell Europas“ bezeichnet, da wir die liberalsten Prostitutionsgesetze in ganz Europa haben. Dadurch, dass es sich bei Prostitution um eine legale Dienstleistung handelt, betreten die Freier oft mit einer „Der Kunde ist König“ – Mentalität das Bordell – bezahlte Leistung soll abgerufen werden. Legaler Sexkauf impliziert, dass Männer jederzeit ein Recht auf Sex haben.
Vom Bordell Europas zum Schutzraum Europas – Ein Denkanstoß
Eine Gesellschaft, die Prostitution legalisiert, akzeptiert sexuell hochproblematisches Verhalten, das keinerlei Vorteil für eine Gesellschaft bringt, diesen Standpunkt vertritt Huschke Mau vehement. Es gibt zwar Bestrebungen, die Arbeitsbedingungen in der Prostitution zu verbessern und den Frauen so mehr Schutz zu bieten. Doch nach diesen eindrücklichen Schilderungen einer selbst Betroffenen fällt es auch mir schwer, Prostitution als einen Job wie jeden anderen anzusehen. Ich hoffe, dass die Ausstellung, die noch bis zum 25.11. 2022 im Annahof zu sehen ist, den Frauen in der Prostitution ein Gesicht gibt und zum Nachdenken anregt. Zum Nachdenken darüber, wie man aus dem Bordell Europas einen Schutzraum Europas machen könnte.
Im Rahmen der Ausstellung sind auch noch weitere Programmpunkte geplant, die der Verein AugsburgerInnen gegen Menschenhandel organisiert, weitere Infos dazu sind auf der Webseite des Vereins zu finden.