„Habt Ihr Bock oder was?“

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Kadavar & Graveyard am 24.04.2023 im Backstage München

von Andreas Müller

Wenn man sich für Hard­rock, der sei­ne Wur­zeln klar im Blues hat und auch vor psy­che­de­li­schen Ein­flüs­sen kei­nen Halt macht, begeis­tern kann, ste­hen die Chan­cen gut, dass man sich bereits mit den Ber­li­nern Kada­var und den Göte­bor­gern Gra­vey­ard beschäf­tigt hat. Es erscheint inso­fern nur kon­se­quent, dass die bei­den Sze­ne­grö­ßen im Früh­jahr eine gemein­sa­me Euro­pa­tour absol­vie­ren. Die­se führt sie am 24.04.2023 ins Münch­ner Back­stage. Ein biss­chen Rest­ener­gie vom Wochen­en­de ist noch da, die Abend­kas­se mel­det im Lau­fe des Abends aus­ver­kauft – bes­te Vor­aus­set­zun­gen für einen Abend mit lau­ten Gitarren!

Psychedelik in Schlaghosen

Eröff­net wird der Kon­zert­abend von der fin­ni­schen Band Poly­moon. Der Psy­che­de­lic Rock der jun­gen Skan­di­na­vi­er, die die­ses Jahr ihr zwei­tes Album Chry­sa­lis ver­öf­fent­licht haben, ver­strömt unver­kenn­ba­ren 70er Jah­re Flair. Auch die Out­fits der fünf Musi­ker, mit u. a. Schlag­ho­sen oder befrans­ten Arm­stul­pen, schei­nen mit einer Zeit­ma­schi­ne direkt 50 Jah­re in unse­re Gegen­wart geschickt wor­den zu sein. Beson­ders in einem aus­ufern­den Jam gegen Ende des Sets wird klar, wie gut die Musi­ker auf­ein­an­der ein­ge­stimmt sind und sich blind ver­ste­hen, wäh­rend sie in den psy­che­de­li­schen Klang­flä­chen auf­ge­hen. Lei­der sto­ßen Poly­moon an die­sem Abend trotz eines für einen Sup­port Act auf­fal­lend guten Sounds eher auf ver­hal­te­ne Reak­tio­nen. Zwar fül­len sich im Lau­fe des Auf­tritts die Lücken vor der Büh­ne zuse­hends, zu mehr als Höf­lich­keits­ap­plaus lässt sich das Publi­kum nach die­ser hal­ben Stun­de jedoch noch nicht hinreißen.

Still got the (Hisingen) Blues

Ganz anders ver­hält es sich nach einer kur­zen Umbau­pau­se. Schon mit den ers­ten Tönen des Ope­ners No Good, Mr. Hol­den legen Gra­vey­ard einen Schal­ter im aus­ver­kauf­ten Back­stage um. Von der ers­ten Sekun­de an über­trägt sich die ener­gie­ge­la­de­ne Melan­ge aus Stoner Rock, Blues und klas­si­schem Hard­rock direkt auf das Publi­kum. Der Sän­ger und Gitar­rist Joa­kim Nils­son schont eine Stun­de lang weder sein Instru­ment noch sich selbst. Beson­ders in den atmo­sphä­ri­schen, sich lang­sam zur Eksta­se auf­bäu­men­den blues­las­ti­gen Stü­cken wie Slow Moti­on Count­down oder dem emo­tio­na­len High­light The Siren ver­langt Nils­son sei­nen Stimm­bän­dern alles ab. Zum Glück steht ihm mit dem Bas­sis­ten Truls Mörck ein wei­te­rer fähi­ger Sän­ger zur Sei­te, der sei­nem Front­mann bei den Songs Bird of Para­di­se und From a Hole in the Wall eini­ge wohl ver­dien­te Ver­schnauf­pau­sen gönnt. Schnel­le, kan­ti­ge Hard­rock-Stü­cke wie Goli­ath set­zen abwechs­lungs­rei­che Kon­trast­punk­te zum lang­sa­me­ren Blues, so dass die 60 Minu­ten Spiel­zeit der Schwe­den wie im Flug ver­ge­hen. Den begeis­ter­ten Rufen nach einer Zuga­be kann das Quar­tett auf­grund des Zeit­plans lei­der nicht nach­kom­men. Dass Gra­vey­ard bei ihrem nächs­ten Gast­spiel in Mün­chen nach die­sem head­liner­wür­di­gen Auf­tritt mit offe­nen Armen emp­fan­gen wer­den, dürf­te jedoch außer Fra­ge stehen.

All You Need Is Love – und eine Menge Rock’n’Roll

Anschlie­ßend neh­men vie­le glei­cher­ma­ßen glück­li­che wie ver­schwitz­te Besucher*innen die letz­te Umbau­pau­se des Abends dan­kend an, um etwas fri­sche Luft zu schnap­pen oder sich noch ein­mal mit einem Kalt­ge­tränk aus­zu­stat­ten. Zu viel Zeit las­sen darf man sich dafür jedoch nicht, denn um Punkt 21:30 lädt der Beat­les Klas­si­ker All You Need Is Love zum Warm­sin­gen für den Head­li­ner ein. Nach den letz­ten Tönen des Intros legen Kada­var mit dem Klas­si­ker All Our Thoughts ihres Debüt­al­bums los und geben die Marsch­rich­tung der kom­men­den 75 Minu­ten klar und deut­lich vor – nach vor­ne. Dabei fällt von Anfang an auf, wie sehr die Ber­li­ner davon pro­fi­tie­ren, seit kur­zem als Quar­tett auf der Büh­ne zu ste­hen. Unter­stützt durch den Gitar­ris­ten Jascha Kreft (bekannt durch das Duo Odd Cou­ple) baut die Band eine meter­di­cke Sound­wand auf, die den nuan­cier­ten Psy­che­de­lic Rock Ein­flüs­sen den­noch den nöti­gen Raum lässt, um sich zu ent­fal­ten. So über­rascht es nicht, dass sich von den bei­den letz­ten Alben, deren Sound­bild eher gesetzt aus­fällt, kein Song in der Set­list fin­det. Der Fokus liegt auf kno­chen­tro­cke­nen Stoner Rock Monu­men­ten wie Last Living Dino­saur und Doomsday Machi­ne. Psy­che­de­li­sche Ele­men­te domi­nie­ren dage­gen im Hit Die Baby Die oder dem Fleet­wood Mac Cover The Green Mana­li­shi (With the Two Prong Crown).

„Habt Ihr Bock oder was?“

Die kur­ze, bün­di­ge Ansa­ge „Habt Ihr Bock oder was?“, die es unter Fans der Band mitt­ler­wei­le zum Kult­sta­tus und zum belieb­ten T‑Shirt-Motiv gebracht hat, könn­te an die­sem Abend nicht ein­fa­cher zu beant­wor­ten sein. Das zu Beginn des Abends noch reser­viert wir­ken­de Publi­kum, das durch Gra­vey­ard auf die rich­ti­ge Betriebs­tem­pe­ra­tur gebracht wor­den ist, singt, pogt und jubelt in einer Inten­si­tät, wie man sie vom oft­mals eher zurück­hal­ten­den Münch­ner Kon­zert­pu­bli­kum nicht oft erlebt. Nach einer kur­zen Ver­ab­schie­dung wird die Band dem­entspre­chend jubel­schrei­end von ihren Fans zurück auf die Büh­ne gefor­dert. Als Zuga­be zele­briert so die kom­plet­te Hal­le abschlie­ßend den gro­ßen Hit Pur­ple Sage. Die vier Ber­li­ner, die sicht­lich Spaß haben, spie­len sich im Zuge einer aus­ufern­den Jam noch ein­mal in Eksta­se, ehe sie aus­ge­powert, aber sicht­lich zufrie­den die Büh­ne end­gül­tig ver­las­sen und ein eben­so erschöpf­tes, aber eben­so glück­li­ches Publi­kum in den Abend entlassen.