von Tabea Krauß
Der Autor zeigt, dass Architektur mehr ist als Baustilkunde. Hier geht es um Macht, Geld und Intrigen. Um größenwahnsinnige Architekten und herrschaftssüchtige Päpste und eine abgründige Lust an der Zerstörung, die als Vorraussetzung jeglicher Neuschöpfung erscheint.
Eine mächtige Kuppel aus weißem Marmor thront über einer breit gelagerten Fassade und beherrscht den strahlend blauen Himmel über der Stadt Rom. Majestätisch präsentiert sich die Peterskirche auf dem Cover von Horst Bredekamps Monographie „Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung. Bau und Abbau von Bramante bis Bernini“. Aber Achtung: bevor Sie zu einer weiteren Abbildung der monumentalen Kuppel – nun in Nahsicht – auf Seite 2 blättern, verweilen Sie einen kurzen Moment auf der ersten Seite. Ganz unscheinbar rechts unten findet sich eine kleine Karikatur. Ein Karnickel sitzt in einer Latzhose auf einem Säulenstumpf und lässt die Hasenfüße baumeln. An seinem Gürtel hängt ein Meißel, in der Hand hält es eine Flasche Bier, zwischen den Lippen klemmt eine Zigarette. Auf dem Kopf aber trägt dieses Bauarbeiterkaninchen einen Helm, der der Kuppel von Sankt Peter gleicht.
Horst Bredekamp gelingt es, in seinem Buch auf der einen Seite dem Bauwerk in seiner Größe und Genialität Rechnung zu tragen, indem er aber die paradoxe Baugeschichte aufdeckt, stellt sich Sankt Peter gleichzeitig als Parodie seiner selbst dar. Bredekamps Ausführungen fesseln den Leser nicht nur, sie lassen ihn auch des Öfteren unwillkürlich auflachen. Die Baugeschichte, die Bredekamp hier liefert, ist so spannend wie amüsant, dennoch durchgehend wissenschaftlich und sachlich. Und, obwohl eine erste Ausgabe bereits 2000 erschien, immer noch hochaktuell, zumal in der Zwischenzeit kaum neuere Forschungen veröffentlicht wurden.
Der Autor zeigt, dass Architektur mehr ist als Baustilkunde. Hier geht es um Macht, Geld und Intrigen. Um größenwahnsinnige Architekten und herrschaftssüchtige Päpste und eine abgründige Lust an der Zerstörung, die als Vorraussetzung jeglicher Neuschöpfung erscheint. Architektur ist damit nicht nur Spiegel der historischen Entwicklung, sondern wird zu einer unkontrollierbaren, widersprüchlichen Kraft, die Geschichte aktiv mitgestaltet und auf die Umstände, die sie bedingen, zurück wirkt.
In seiner Untersuchung geht der Kunsthistoriker chronologisch vor, er beginnt mit der Vorgeschichte. Um 1500 beauftragt der Papst Julius II. Michelangelo ein monumentales Grabmal zu entwerfen, das jenes seines Vorgängers übertreffen soll. Es gibt allerdings ein kleines Problem: Alt Sankt Peter ist bereits derartig vollgestopft, dass kein Grabmal mehr hineinpasst. Julius’ Lösung: die Erweiterung der Kirche, genauer gesagt des Westchores. Hier nimmt die verzwickte Baugeschichte ihren Anfang. Der Plan, den Westchor für das Grabmal ein wenig zu erweitern, führte innerhalb von hundert Jahren zu einem totalen Neubau, einhergehend mit der völligen Zerstörung des ursprünglichen, frühchristlichen Baus. Das von Michelangelo entworfene Grabmal kommt allerdings nie zur Ausführung, Julius hat damit sein ursprüngliches Ziel verfehlt. Erst Urban VIII. gelingt es hundert Jahre später in der nun endlich vollendeten Peterskirche sein Grabmal als Symbol seiner Macht an prominenter Stelle aufzustellen. Doch was liegt zwischen Bramante, der unter Julius II. weit über den Auftrag hinausschießend, die ersten Grundrissskizzen für einen kompletten Neubau anfertigte und Bernini, der das Grabmal Urbans VIII. entwarf und als vorerst letzten Schritt der Baugeschichte den Vorplatz von Sankt Peter gestaltete?
Anhand der unzähligen Entwürfe, von den hingeschmierten Skizzen Bramantes bis zu dem akribisch gestalteten Holzmodell Sangallos, führt Bredekamp die widerstrebenden Interessen der aufeinander folgenden Architekten vor, deren primäres Ziel es war, zunächst einmal die Pläne des Vorgängers wieder umzuwerfen. Durch zahlreiche Zitate der Architekten und Zeitgenossen belegt er das Prinzip der produktiven Zerstörung, das sich nicht zuletzt auch in der Rhetorik äußert. So wird Bramante als großer Zerstörer beschimpft und Michelangelo und seine Gegner machen die Schöpfungen des jeweils anderen als „cosa de bambini“ lächerlich.
Im Wechsel von Abriss und Aufbau schufen Bramante, Sangollo, Michelangelo, Maderno und Bernini schließlich ein inhomogenes Bauwerk zwischen Lang- und Zentralbau, zwischen modernen und konventionellen Formen, zwischen Monumentalität und Kleinteiligkeit.
Kunstgeschichte betreiben heißt zu allererst lernen, sich zu wundern über das, was scheinbar unverrückbar und selbstverständlich da ist. Bredekamps Buch ist eine geniale Anleitung zum Wundern. Denn das, was bei dieser gleichermaßen von Zerstörung und Aufbau geprägten Baugeschichte herausgekommen ist, ist ein großes Wunder, aber auch eine große Farce. So staunen wir beim Anblick des wahnsinnigen Bauwerks, während sich Bramante, Michelangelo und Co. im Grab herumdrehen.