von Dana Frei
Mit ihrem Fokus auf fast ausschließlich homosexuelle Figuren stellt die Fernsehserie “Queer as Folk” einen zentralen Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses um Geschlecht und Sexualität dar.
Die kanadisch-US-amerikanische Fernsehserie “Queer as Folk” (Showtime 2000–2005) handelt von (zunächst) fünf männlichen homosexuellen und zwei lesbischen Freundinnen und Freunden, die in Pittsburgh, Pennsylvania, in der Nähe der homosexuellen Szene um Liberty Avenue leben und lieben. Die Serie ist zu Beginn eine Adaption der ursprünglich britischen gleichnamigen Serie, die von Russel T. Davies entwickelt und von 1999 bis 2000 auf Channel 4 ausgestrahlt wurde. Die auf Homosexualität fokussierte und inhaltlich wie auch aufgrund ihrer expliziten sexuellen Darstellungsform häufig kontrovers diskutierte Serie sorgte schnell für Aufruhr, feierte aber auch bald große Erfolge. Die ursprünglich in zehn Episoden ausgestrahlten Geschichten wurden in der nordamerikanischen Version weiter ausgeführt und während fünf Staffeln durch neue Handlungsstränge ergänzt. Die Serie gewann mehrere Preise und erfreute sich bald einer internationalen Ausstrahlung. Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf die nordamerikanische Adaption der Serie.
Ausbruch aus dem Heteronormativen System
Mit ihrem Fokus auf fast ausschließlich homosexuelle Figuren stellt die Fernsehserie “Queer as Folk” einen zentralen Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses um Geschlecht und Sexualität dar. Der Großteil der Handlungsstränge in der Serie befasst sich mit der Thematik Homosexualität; die homosexuellen Hauptfiguren und ihre Lebensweisen bilden das narrative Zentrum der Serie. In Bezug auf Geschlecht und Sexualität beschäftigt sich die Serie damit auch besonders stark mit gesellschaftlichen Normvorstellungen.
In der Beschäftigung mit Normen betont “Queer as Folk”, dass Normen immer gesellschaftliche Konstrukte sind. Die Serie entlarvt dominante heteronormative Vorstellungen innerhalb der US-amerikanischen Gesamtgesellschaft, indem sie eine diegetisch plausible Gegenwelt erschafft, die auf einer Umkehrung von gängigen Vorstellungen zu sexueller Orientierung und Identität basiert. Das paradigmatische Umkehren von Normen dient dabei nicht bloß der Kritik an homophoben Praktiken der US-amerikanischen Gesellschaft, sondern eröffnet durch eine willentliche Überzeichnung wichtige — und teilweise im Rahmen einer auf ein heterosexuelles Publikum ausgerichteten Fernsehserie zuvor unberührte — Diskussionsebenen hinsichtlich der Dichotomie Hetero- vs. Homosexualität. Um diese diskursiven Punkte anhand von Sequenzbeispielen aus der Serie illustrieren und diskutieren zu können, werden vorab zentrale Begriffe eingeführt und definiert.
Soziale Normen lassen sich wie folgt definieren:
[Soziale Normen] legen fest, was in spezifischen und sich wiederholenden
Situationen geboten oder verboten ist und können als Spezifikationen allgemeiner soziokultureller
Wertvorstellungen aufgefasst werden, die für s. N.en die Legitimationsgrundlage bilden.
S. N.en werden im
Sozialisationsprozess internalisiert und durch
Sanktionen abgesichert.
(Peuckert 1995a, S. 228)
Normen sind also Verhaltensregeln, soziale Konventionen einer gesellschaftlichen Gruppierung, die bewertet und beurteilt werden und deren Einhaltung oder Nicht-Einhaltung auch mit sogenannten sozialen Sanktionen belohnt oder bestraft werden kann:
Häufig wird der Begriff [Sanktion] umfassender definiert, so dass hierunter nicht nur die Bestrafung abweichenden
(negative S.en), sondern auch die Belohnungen konformen Verhaltens
(positive S.en) fällt. Beide S.s‑Formen dienen als Mittel der Verhaltenssteuerung dem Zweck,
Konformität zu erzielen.
(Peuckert 1995b, S. 266)
In Bezug auf sexuelle Orientierung entspricht Heterosexualität einer solchen Norm, deren Einhaltung gesellschaftlich erwartet wird. Der Begriff der Heteronormativität, ein theoretisches Konzept des 20. Jahrhunderts, bezeichnet dabei diese gesellschaftliche Erwartungshaltung und die damit verbundene soziale Norm:
Der Begriff der Heteronormativität zielt […] auf die naturalisierende Objektivität und Systematizität von Heterosexualität, das heißt, auf die Weisen, in denen Heterosexualität selbstverständlich als normale und unhinterfragte Praxis sozialen Lebens produziert wird.
(Hark 2005, S. 294)
Homosexualität weicht vom bestehenden heteronormativen Gesellschaftssystem ab und kann als normabweichendes Verhalten angesehen und mit negativen sozialen Sanktionen belegt werden. Das heteronormative Gesellschaftssystem meint also eine Gesellschaft, die Heterosexualität und damit sexuelle Normeinhaltung als gegeben annimmt und ein Stück weit auch einfordert. Diese Forderung nach heterosexueller Normeinhaltung lässt sich ebenfalls mit dem Begriff compulsory heterosexuality umschreiben:
«Since the mid-1980s, the term compulsory heterosexuality has been used […] to describe the automatic assumption that everyone is, and will continue to be, heterosexual — specifically, the way that images in the media and experiences in housing, jobs and healthcare assume that everyone is heterosexual.
(Stewart 1995c, S. 56)
Dieses Konzept der “Zwangsheterosexualität” wurde von Adrienne Rich 1980 in ihrer Diskussion von lesbischer Identität eingeführt (vgl. Rich 1993). Judith Butler hingegen spricht 1990 von einer heterosexuellen Matrix (vgl. Butler 1999), die “die Einheit von Geschlecht, Identität und Sexualität organisiert und aufrechterhält” (Hark 2005, S. 289) und damit Abweichungen erschwert.
Die Pilotfolge von “Queer as Folk” (QAF-US 101) führt womöglich aufgrund des beschriebenen Gesellschaftssystems ein potenziell heteronormativ denkendes Publikum zuerst in die dargestellte homosexuelle Szene ein. Die Serie beginnt mit der Erzählerstimme der Figur Michael Novotny, die erklärt, was von der Serie und Michaels Welt zu erwarten ist: Die Heterosexualitätserwartung wird nicht erfüllt werden. Michael fungiert in dieser ersten Szene gleichzeitig als Erzähler und Figur der Handlung. Er übernimmt damit die Rolle eines Vermittlers oder Mediators zwischen einer mehrheitlich heteronormativen Gesellschaft auf Seiten der ZuschauerInnen und einer fiktionalen Welt, die stark auf Homosexualität fokussiert ist. Die RezipientInnen der Serie werden damit schrittweise in eine normabweichende und für sie potenziell fremdartige Welt eingeführt. Michael warnt zudem davor, dass die zu erwartende Darstellung von Homosexualität nicht zurückhaltend, entschuldigend oder verharmlosend sein wird. Es werden Tabus gebrochen, und mit Zurückhaltung in der Thematisierung von (Homo-)Sexualität soll nicht gerechnet werden.
Zentral an dieser Warnung ist, dass “Queer as Folk” mit dieser Darstellungsform eine spezielle Rolle in der TV-Landschaft seiner Zeit einnimmt. Wie Giovanni Porfido (2007, S. 60) ausführt, waren die Darstellung von homosexuellen Figuren und die explizite Thematisierung von Homosexualität in TV-Produktionen lange eher selten und (wenn überhaupt) meist marginal in Form von einzelnen Figuren oder Nebenhandlungssträngen aufzufinden. Ebenso war ihre Darstellung entweder auf eine verharmloste und entsexualisierte Stereotypen-Überzeichnung oder auf eine starke Problematisierung der Sexualität von Figuren fokussiert. “Queer as Folk” hingegen beinhaltet eine fast ausschließlich homosexuelle Figurenkonstellation, distanziert sich bewusst von rein humoristischer Darstellung und entfernt sich zudem von einer allzu problembetonten Thematisierung sexueller Andersartigkeit.
“Queer as Folk” nimmt aufgrund seines homosexuellen narrativen Fokus, seiner hauptsächlich homosexuellen Figurenkonstellation und seiner Erzählperspektive aus der Sicht einer homosexuellen fiktionalen Welt bewusst und deutlich eine alternative Perspektive ein. Wie Glen Creeber festhält, macht dies unter anderem auch den Erfolg der Serie aus: “What helped make Queer as Folk so unusual then, was the way it placed homosexuality at the very core of the action, arguably presenting the whole drama from a primarily homosexual perspective» (2004, S. 132). Durch die eingenommene Perspektive des so genannten gay gaze öffnet die Serie zudem das Spektrum möglicher Sichtweisen auf die Welt.
«By explicitly constructing the story from the point of view of its gay characters, Queer as Folk arguably constructed homosexuality as the sexual norm; the dominant gaze through which the drama as a whole could be viewed. […] This gay gaze unsettles the very apparatus upon which looking has tended to be constructed in conventional heterosexual discourse, producing another level of meaning that inherently undermines traditional notions of who should be looked at and by whom.»
(Creeber 2004, S. 135)
Die Legitimation und Gültigkeit einer heteronormativen, heterosexistischen Denkweise wird damit hinterfragt und kritisiert. Die Tatsache, dass durch die Serie auch eine homonormative Ideologie als plausibel dargestellt wird, entlarvt Heteronormativität als gesellschaftlich konstruiert und willkürlich. Die Heterosexuellen werden indes zu Randfiguren des Geschehens: «In this soap drama then, it is the heterosexuals who are the support characters while the homosexuals are consistently defining, determining and implicitly controlling its narrative point of view» (Creeber 2004, S. 132). Die homosexuellen Figuren bilden demnach eindeutig das narrative Zentrum der Serie. Sie lernt man kennen, ihr Leben verfolgt man und sie stellen damit den Fokus von Identifikation und Empathie. Die wenigen heterosexuellen Figuren der Serie werden entweder dazu verwendet, sich gegen andere Denkweisen abzugrenzen, oder dazu, die alternative Denkweise zu stärken, indem sie sich in das homonormative System eingliedern, dieses freiwillig als ihr eigenes annehmen und es damit akzeptabel und möglicherweise sogar wünschenswerter erscheinen lassen.
Homonormative Umkehrung und Abgrenzung zum Anderen
Die dominanteste Dichotomie, welche die fiktionale Welt in “Queer as Folk” strukturiert, ist die binäre Opposition von Homosexualität und Heterosexualität. “Queer as Folk” dreht das außerfilmisch bestehende Gesellschaftssystem in seiner fiktionalen Welt um und offeriert stattdessen ein homonormatives Bild. Im Gegensatz zu heteronormativen Denkweisen ist hier auch die Werthierarchie der beiden Pole umgedreht. Homosexualität wird als höher gewertete und auch erwartete Norm dargestellt, Heterosexualität als das Abweichende, das Andere. Für das Zentrum dieser fiktionalen Welt werden die Anderen also durch die heterosexuelle Außenwelt verkörpert. Das Andere, wie ich den Begriff hier verwende, bezeichnet ein komplexes Konzept, das in den Kulturwissenschaften häufig verwendet wird. The SAGE Dictionary of Cultural Studies definiert The Other wie folgt:
«The notion of the Other is closely linked to those of identity and difference in that identity is understood to be defined in part by its difference from the Other. I am male because I am not female, I am heterosexual because I am not homosexual, I am white because I am not black and so forth. Such binaries of difference usually involve a relationship of power, of inclusion and exclusion, in that one of the pair is empowered with a positive identity and the other side of the equation becomes the subordinated Other.»
(Barker 2004, S. 139)
Heterosexualität wird in “Queer as Folk” also als das Abnormale konstruiert, als das, was von der inneren Kern-Gesellschaft ausgegrenzt wird, wie es auch im Begriff abject enthalten ist: «Abjection (in Latin, ab-jicere) literally means to cast off, away, or out […]» (Butler 1993, S. 243 (Notes)). Judith Butler bezieht sich hier auf Julia Kristevas Konzept des Abjekten, wie diese es in The Powers of Horror: An Essay on Abjection (1982) verwendet und führt weiter dazu aus:
«The abject designates […] unlivable and uninhabitable zones of social life which are nevertheless densely populated by those who do not enjoy the status of the subject, but whose living under the sign of the unlivable is required to circumscribe the domain of the subject. This zone of uninhabitability will constitute the defining limit of the subject’s domain; it will constitute that site of dreaded identification against which — and by virtue of which — the domain of the subject will circumscribe its own claim to autonomy and to life. In this sense, then, the subject is constituted through the force of exclusion and abjection, one which produces a constitutive outside to the subject, and abjected outside, which is, after all, inside the subject as its own founding repudiation.»
(Butler 1993, S. 3)
Dieses Konzept beinhaltet die Vorstellungen, dass das Ich vom Nicht-Ich abhängt, das Subjekt vom Abjekt, und dass eine Norm nur insofern aufrechterhalten werden kann, als es eine Abgrenzung zu einem Abnormen gibt. Beides sind jedoch soziale Konstrukte. Das Ausgegrenzte ist notwendig, um das Akzeptable zu definieren. Die Abwertung der Normen und Werte der Anderen, der Außenstehenden, stärkt dabei die Definition der eigenen Normen und Werte, Denkweisen und Ideologien. Die Ausgrenzung definiert also die Grenzen dessen, was im inneren Kern akzeptiert und als normal bestimmt wird. In “Queer as Folk” dient die ausgegrenzte heterosexuelle Außenwelt der Stabilisierung der homonormativen Gesellschaft im inneren Kern. Außerfilmisch bestehende Ausgrenzungsmechanismen funktionieren hier also genau umgekehrt.
Identitätsstiftung und Repräsentation
“Queer as Folk” ist eine der ersten Fernsehserien, die sich vollumfänglich dem Thema der Homosexualität widmen. Damit erlegt sie sich implizit auch die Aufgabe auf, eine fremde und bislang mangelhaft thematisierte soziale Gruppierung adäquat zu repräsentieren. Jede soziale Gruppierung ist jedoch aus unterschiedlichen Individuen zusammengesetzt — mit unzähligen Eigenschaften, die diese Individuen wiederum als diversen sozialen Gruppierungen angehörig definieren. Die Heterogenität einer solchen Gemeinschaft ist grundsätzlich aufgrund von Geschlecht, ethischen Unterschieden, Altersdifferenzen, unterschiedlichen Herkünften und sozialen Schichten etc. enorm groß. Die einzige Gemeinsamkeit einer homosexuellen Gemeinschaft ist die sexuelle. Selbst die Homogenität der Homosexualität ist jedoch nicht klar gegeben, denn sexuelle Orientierung und Vorlieben unterscheiden sich auch innerhalb einer Kategorie.
Um für eine mangelhaft repräsentierte soziale Gruppierung aber einen Platz in der Gesellschaft und eine politische Stimme einfordern zu können, ist es notwendig, eine vermeintlich homogene Gemeinschaft zu bilden und zu konstruieren: «Social movements […] gain credibility and effectiveness when their political demands appeal to some notion of a unitary (racial, class, gender, or sexual) identity» (Seidman 2003, S. 22). Um adäquat repräsentiert werden zu können, ist es also notwendig, eine Art gemeinsame Identität zu konstruieren und sich gemeinsam politisch stark zu machen. Es muss eine Art homosexuelle Gemeinschaft gebildet werden, bestehend aus Individuen, die sich mit Homosexualität identifizieren und innerhalb der Gruppe auch eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl genießen — vor allem auch im Gegensatz zur heteronormativen Außenwelt, in der ihre Normabweichung inakzeptabel erscheint. Stewart definiert eine solche soziale Gemeinschaft, wie sie die gay community darstellt, wie folgt:
«Within the social sciences, a community is described as a concentration of those who identify themselves in one way, and organize themselves into primary groups. The notion also involves a spatial concentration of residence and of community institutions, learned norms, institutional completeness, collective action and a sense of shared history. Thus gay communities, particularly in urban areas, fit any definition of communities even on these strict criteria.»
(Stewart 1995b, S. 55)
In “Queer as Folk” wird eine solche gay community gebildet, indem das narrative Zentrum der Serie von einer fiktionalen städtischen Schwulenszene dominiert wird und indem die Serie eine außerfiktionale homosexuelle Gemeinschaft zu repräsentieren sucht. Die Darstellung der fiktionalen homonormativen Welt in “Queer as Folk” dient also der Identitätsstärkung sowie der Repräsentation einer sozialen Gruppierung.
Heterosexuelle (Neben-)Figuren, die von der sexuellen Norm der Protagonisten abweichen, aber trotzdem wichtige Handlungsträger sind, spielen innerhalb der fiktionalen Welt eine besondere Rolle. Sie stärken die Identität des homonormativen Kerns, indem sie sich darin integrieren, sich dieser Welt anpassen und sich in allen Bereichen — abgesehen von der sexuellen Orientierung an sich — in das homonormative System eingliedern. Solche Figuren haben wiederum eine Art Vermittlerrolle zwischen der homosexuellen Gemeinschaft im narrativen Kern der Serie und der heterosexuellen — fiktionalen wie nichtfiktionalen — Außenwelt inne. Sie stärken damit die Annehmbarkeit der homosexuellen Welt für heterosexuelle Außenstehende und bekräftigen die Umkehrung des fiktionalen gesellschaftlichen Systems in ein homozentriertes.
Die Figur der Debbie Novotny beispielsweise steht insofern zwischen den Welten, als dass sich ihr ganzes Leben inmitten der Schwulenzene um Liberty Avenue abspielt. Debbie verbindet mehr Stolz mit der Homosexualität ihres Bruders und ihres Sohnes als diese selbst, ist politisch aktiv für die Rechte Homosexueller und hat ihr eigenes — heterosexuelles — Leben mehr oder weniger zugunsten dieser Aktivitäten aufgegeben. Selbst ihre Kleidung entspricht vollständig dem loud & proud-Motto; sie ist höchst farbenfroh und gespickt mit Anstecknadeln mit proqueer-Slogans.
Dass das Gesellschaftssystem, in dem sie bewusst und freiwillig lebt, jedoch nicht nur homozentriert, sondern auch homonormativ ist, zeigt sich in dem Moment, als Debbie eine Beziehung mit einem heterosexuellen Außenstehenden beginnen möchte. Nicht nur bricht sie durch den Beginn einer heterosexuellen Affäre mit ihrer pseudo-homosexuellen Identität, sie geht sogar so weit, jemanden auszuwählen, der bereits durch seinen Beruf für die ausgegrenzte heteronormative Gesellschaft außerhalb des fiktionalen Kerns steht — einen Polizisten. Debbie nimmt im Handlungsstrang um diese konfliktträchtige Beziehung noch stärker die Rolle der Vermittlerin zwischen zwei Welten ein, die Missverständnisse und Vorurteile auszumerzen versucht und ihre eigene Position dazwischen zu finden beginnt.
Einerseits fungieren heterosexuelle Figuren wie Debbie also als Mediatoren zwischen zwei Welten, andererseits sind sie aber auch Teil der heterosexuellen und heteronormativen Gesellschaft, von der sich der narrative Kern der Serie bewusst zu unterscheiden sucht. Die heterosexuelle, dem narrativen Kern fremdartige Außenwelt wird damit auch dazu verwendet, die Identität des inneren Kerns durch Differenz zu prägen und zu stärken. Das Bild, das in der Serie von Homosexualität gezeichnet wird, entsteht also zum Teil durch die Abgrenzung von Heterosexualität — Identität basiert unter anderem auf Alterität und insbesondere auch auf deren Stigmatisierung:
«Die [kollektive Identität] bedarf der ständigen Binnenstärkung […] durch das stigmatisierende Konstrukt einer kulturellen Alterität, um sich ihre Überlegenheit zu bestätigen.»
(Horatschek 2005b, S. 71)«[Die] Stigmatisierung der [kulturellen Alterität ist] motiviert durch das Interesse an der Aufrechterhaltung einer mit den Normen der Ausgangskultur kompatiblen Identität, um Dominanzansprüche zu legitimieren.»
(Horatschek 2005a, S. 1)
Die vom fiktionalen homonormativen Kern ausgegrenzte Außenwelt wirkt somit auch identitätsstiftend für eine mangelhaft gefestigte und repräsentierte Gesellschaftsgruppe.
Fremdheitscharakterisierung und Konstruktion eines Feindbildes
Abgesehen von der Konstruktion einer scheinbar homogenen Gemeinschaft zur Identitätsstärkung homosexueller Individuen, offeriert die Serie aber auch noch eine weitere Möglichkeit, Identität zu definieren, zu stärken und mit präferierten Eigenschaften zu belegen, und zwar ex negativo. Die gedrehte Werthierarchie der beiden Pole Homosexualität und Heterosexualität wird besonders deutlich gemacht, da das heteronormative System — mit all seinen Normen und Wertvorstellungen — gegen das homonormative Gesellschaftssystem abgewogen und mehrheitlich abgewertet wird. Herkömmliche Werte des hegemonialen Systems werden meist negativ dargestellt, während die Ideale der fiktionalen homonormativen Welt stark positiv konnotiert sind. Die heteronormative Außenwelt wird als fremd und unverständlich in ihren Denkweisen präsentiert — eine Darstellungsweise, die vor allem der Kritik an einem unflexiblen und veralteten Gesellschaftssystem dient. In ihrer Rolle des Fremden und ihrer Funktion als Projektionsfläche für Ängste werden heterosexuelle Charaktere häufig sogar als hasserfüllte Täter, homophobe und intolerante Ignoranten gezeichnet.
Abgesehen von den wenigen heterosexuellen Figuren innerhalb des homonormativen Kerns lässt sich die Darstellung der Heterosexuellen in “Queer as Folk” in vier Hauptkategorien einteilen: Die erste Kategorie betrifft das heteronormative Gesellschaftssystem als Ganzes, das wenig Raum für Andersartigkeit lässt, Abweichung mit sozialen Sanktionen bestraft und sich durch ein mehrheitlich diskriminierendes Rechtssystem auszeichnet. Innerhalb dieser Gesellschaftsstruktur werden Homosexuelle ausgegrenzt, ausgeschlossen und benachteiligt.
Die zweite Gruppe von Heterosexuellen, mit der die Hauptfiguren der Serie in Berührung kommen, ist die der Familienangehörigen. Die Protagonisten der Serie wurden alle in heteronormativ denkenden Familien aufgezogen. Der Moment der Erkenntnis, dass ein Kind oder Geschwister nicht der heterosexuellen Norm entspricht, stellt für einige der gezeichneten Familien ein Problem dar. Die Darstellung dieser Familien und deren Umgang mit der Andersartigkeit ihres Kindes ist mehrheitlich negativ, kaltherzig und intolerant.
Die dritte Kategorie der Darstellung von heterosexuellen Figuren befasst sich mit Bigotterie und Homophobie von verhältnismäßig harmlosem Ausmaß bis zur hasserfüllten Gewalt gegenüber dem Fremden. In der vierten Kategorie der Thematisierung der heterosexuellen Außenwelt stehen Heuchlerei und moralische Korrumpiertheit im Zentrum. In dieser Gruppe von Handlungssträngen werden heterosexuelle Figuren, die Homosexualität als moralisch verwerflich, als Sünde, Krankheit oder Perversion betrachten, selbst als moralisch zweifelhaft und heuchlerisch entlarvt.
Diese vier Darstellungsformen stellen das heterosexuelle Andere in ein negatives Licht, kritisieren heteronormative Denkmuster und bieten damit eine Abgrenzungs- und Identifikationsmöglichkeit für die alternativ angebotene Geisteshaltung. Die heteronormative Gesellschaft wird negativ dargestellt, ihre Denkweisen werden abgewertet und die Legitimation ihrer Wert- und Normvorstellungen hinterfragt. Die vier Kategorien und ihre Funktionen innerhalb der Serie sollen im Folgenden genauer betrachtet werden.
Die Hauptfiguren in “Queer as Folk” leben in einer Art homosexuellem Mikrokosmos, einem kleinen, mehr oder weniger geschlossenen homonormativen System. Trotzdem leben aber auch sie in einer größeren Gesellschaft, die auf dem außerfiktional bestehenden heteronormativen System basiert. Die Figuren arbeiten in dieser Außenwelt und wurden in Familien geboren, die dieser Welt angehören. In beruflichen, familiären und sozialen Situationen sind sie deshalb auf ein Gesellschafts- und Rechtssystem angewiesen, das sie aus der Norm ausschließt.
Durch dieses Gegenübersetzen von Außen- und Innenwelt arbeitet die Serie stark mit der Opposition von Homosexualität und Heterosexualität. Die homonormative Alternativwelt im narrativen Kern der Serie offeriert eine andersartige, aber ebenfalls plausible Lebenswelt sowie eine Kritik und Hinterfragung der bestehenden Ideologie. Trotzdem ist diese alternative Variante aber nur in ein größeres, entgegengesetztes System eingebettet möglich — der homonormativ funktionierende Mikrokosmos hängt nämlich nach wie vor vom größeren Umfeld ab.
In einem heteronormativen Gesellschaftssystem sind diejenige, die von sexuellen Normvorstellungen abweichen, die mitunter ausgegrenzten Anderen beziehungsweise Fremden. Innerhalb der größeren Gesellschaft können die homosexuellen Hauptfiguren der Serie beispielsweise nicht heiraten und haben bezüglich ihrer Partner und Kinder weniger Rechte. Sie sind mit Vorurteilen, Diskriminierung und Homophobie konfrontiert und müssen sich zwangsläufig in einem System bewegen, das für sie nicht vorgesehen ist bzw. sie nicht vorsieht. Das Gesellschafts- und Rechtssystem der äußeren Gesellschaft ist mitunter diskriminierend und die Ausschließungsmechanismen gegenüber denjenigen, die von der Norm abweichen, haben unangenehme und teilweise schwerwiegende Konsequenzen für die Hauptfiguren der Serie.
Im beruflichen Umfeld, in der allgemeinen Öffentlichkeit außerhalb des geschützten Zentrums und teilweise sogar in ihren Familien sind Homosexuelle gezwungen, im sogenannten Closet zu bleiben, also ihre sexuelle Orientierung zu verstecken, um sich zu schützen, akzeptiert zu werden und sich die Möglichkeit beruflichen Erfolges offen zu lassen. Was mit diesem Closet oder Versteck der eigenen Identität gemeint ist, definiert Cassel’s Dictionary of Lesbian and Gay Life and Culture wie folgt:
The metaphorical space occupied by those who are aware of their same-sex impulses, but who are unwilling to declare them to anyone else. Thus to be in the closet is to live one’s life ostensibly as a heterosexual, and to be out of the closet is to acknowledge one’s sexuality.
(Stewart 1995a, S. 52)
Mögliche Gründe, in diesem metaphorischen Schrank versteckt zu bleiben, erwähnt die Routledge International Encyclopedia of Queer Culture ebenfalls in ihrer Definition des Closet:
A term used to describe a gay or lesbian person who keeps their sexuality hidden, usually to avoid discrimination or persecution from a homophobic society. Accordingly, the term coming out of the closet refers to a person’s public revelation about their homosexuality.
(Forde 2006a, S. 152)
Die Motivation dafür, sich im Verborgenen zu halten, zu verneinen und zu verstellen hängt also häufig damit zusammen, dass ein öffentliches Bekenntnis zu sexueller Andersartigkeit schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen kann. Man kann in einem heteronormativen Gesellschaftssystem verfolgt, diskriminiert und ausgegrenzt werden und sich die Chancen auf gesellschaftlichen und beruflichen Erfolg gänzlich verbauen.
Den Figuren in “Queer as Folk” geht es genauso. Der professionelle Football-Spieler Drew Boyd darf sich beispielsweise nicht outen, weil er als Homosexueller keine Chance mehr auf eine Karriere im Sport hätte, keine Werbeverträge bekäme und von seinen Mitspielern verachtet würde. Die Medien könnten ihn ‘zerreißen’, was sowohl seine Fans als auch seine Auftraggeber in der Werbung verschrecken könnte. Hier zeigt sich unter anderem auch eine selbstreflexive Auseinandersetzung der Serie mit dem potentiellen Einfluss bzw. der Macht von Medien.
Sogar ein einfacher Arbeiter wie Michael Novotny muss seine Homosexualität und damit ein Stück weit seine wahre Identität verstecken, um eine Chance auf beruflichen Aufstieg zu haben. Er arbeitet in einem Kaufhaus und erhofft sich die Beförderung zum Abteilungsleiter. Seiner Meinung nach muss er aus drei Gründen auf sein Coming Out im beruflichen Umfeld verzichten: a) um seinen Job zu behalten, b) um nicht von den anderen Mitarbeitern verachtet und misshandelt zu werden, und c) um überhaupt für eine Beförderung in Frage zu kommen. Ein Durchschnittsmann wie er, so glaubt er, kann es sich nicht leisten, derart von der Norm abzuweichen. Inwiefern seine Vermutung, dass es eine gebildetere Oberschicht dabei einfacher hätte, legitim ist, wird nicht weiter ausgeführt. Er begründet diese Annahme jedoch damit, dass er ja außer seiner Angepasstheit nichts weiter anzubieten habe, er also durchaus auf einen Schein von Normalität angewiesen sei. Michael beginnt aufgrund seiner Befürchtungen eine Pseudobeziehung mit einer weiblichen Arbeitskollegin:
David: Michael, I know how important this promotion is to you. But what you’re doing is not right. It’s not fair to Tracy or to yourself. Believe me, I know. I’ve lived it. The deceit. But always with a good reason. The only thing is that there is never a good reason. There’s only the hurt that you cause. That is why you have to tell the truth.
Michael: Tell the truth! Which you can afford to do. But I can’t! I don’t have an office and a diploma and nothing available until four weeks from Tuesday! I don’t even have my own bathroom. But I do know that if I just tell the truth, I probably never will.
(QAF-US 108)
Wie dieses Beispiel zeigt, sind nicht nur öffentlich bekannte Persönlichkeiten gezwungen, ihre sexuelle Orientierung zu verstecken, und es sind nicht nur großartige Karrieren, die ein lupenreines Image voraussetzen. Wie Michael es formuliert, müsste man mindestens ein paar Auszeichnungen und Diplome haben, um die Leute dazu zu bringen, die Leistungen eines Menschen trotz seiner sexuellen Normabweichung angemessen zu würdigen.
Abgesehen von beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und der Akzeptanz anderer Leute bietet das dargestellte heteronormative Gesellschaftssystem auch andere Einschränkungen für Normabweichende. Homosexuelle Paare können nicht heiraten, sie haben nach einer Trennung nicht die gleichen Rechte wie geschiedene Paare, und sie werden unter Umständen auch nicht als Elternteil ihres Kindes anerkannt. Melanie macht diese Erfahrung, als der biologische Sohn ihrer Partnerin in ein Krankenhaus eingeliefert wird und sie ihn nicht besuchen darf:
Krankenschwester: Look, Miss — or whatever you are — I believe that it was already explained to you that only the child’s parents or legal guardians are permitted to be with him.
Melanie: And I believe it needs to be explained to you that I’m the one who loves him and feeds him and walks him and plays with him and changes him and cleans up his shit and wipes up his vomit and pays the bills.
[Die Krankenschwester ignoriert Melanie]
You listen to me! I stay up half the night worrying that he will grow up to be happy and healthy and loved, so don’t you dare tell me that I have no right to be with him, you vicious homophobic cunt!
(QAF-US 109)
Aus der Sicht der Krankenschwester ist die Situation so reguliert, dass Melanie kein Recht darauf hat, ihren Sohn zu besuchen. Sie ist weder biologisch mit ihm verwandt, noch ist sie seine Adoptivmutter. Der Beziehung zwischen ihr und Lindsay wird in keiner Weise ein rechtlicher Status zugesprochen, auch wenn sie seit einer Dekade anhält und in jeder (außer einer rechtlich geregelten) Hinsicht einer Ehe entspricht. Die Krankenschwester spricht Melanie aber nicht nur ihren rechtlichen Status als Mutter und Ehefrau ab, sondern sie hinterfragt mit ihrem Kommentar «or whatever you are» und der Tatsache, dass sie es nicht für nötig ansieht, einer Homosexuellen auch nur zuzuhören, Melanies Status als (ebenbürtiger) Mensch.
Für ihr Umfeld sind die Hauptfiguren der Serie in erster Linie durch ihre Homosexualität determiniert — ihre sexuelle Orientierung betrifft dabei nicht nur ihr Sexualleben, sie definiert ihre ganze Person, ihre Charaktereigenschaften auch außerhalb der Sexualität, ihre Fähigkeiten, die Charakteristika, die man ihnen zuschreibt und ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft. Die Rolle, die Melanie hier zugeschrieben wird, ist klar die eines unwürdigen, nicht ernstzunehmenden Menschen.
Auch innerhalb ihrer eigenen Familien werden die homosexuellen Figuren der Serie, bezüglich ihres sozialen Statuses und ihren Beziehungen nicht ernst genommen und schlimmstenfalls nicht einmal als reale Subjekte erachtet. Lindsay und Melanie planen nach einer langjährigen Beziehung eine Hochzeit. Wie ihre Eltern ihnen jedoch unmissverständlich zu verstehen geben, kann man ihre Hochzeit nicht als solche betrachten, und sie verdient deshalb auch keine finanzielle Unterstützung:
Lindsay: We are handling it all by ourselves but we could use some assistance. No matter how small. Anything would be helpful.
Nancy: Honey!
Lindsay: You helped her with her wedding!
[Sie verweist auf ihre Schwester]
Nancy: That’s different.
Lindsay: Why is it different?
Nancy: Because her wedding was real. Yours — well, I don’t know what yours is.
(QAF-US 207)
In der Darstellung der Eltern und Geschwister der Hauptfiguren der Serie ist diese Variante (Eltern, die die Homosexualität einfach nicht ernst nehmen) gar eine relativ harmlose. Justins Vater etwa wird sogar gewalttätig, vulgär, abschätzig und aggressiv («the anus is for shit», QAF-US 108) und wirft seinen minderjährigen Sohn aus dem eigenen Heim, als dieser sich zu seiner Homosexualität bekennt (QAF-US 106–108). Andere Eltern sehen Homosexualität als Sünde an und interpretieren jegliche Unglücksfälle, die ihren Kindern passieren, als Strafe Gottes. Die Familien der Hauptfiguren in “Queer as Folk” werden so klar negativ dargestellt. Sie sind ignorant, homophob, unfähig, ihre Kinder trotz ihrer Abweichung von einer heterosexuellen Orientierung zu akzeptieren, zu lieben und gleich zu behandeln wie ihre heterosexuellen Familienangehörigen.
Der Unterschied zwischen den Heterosexuellen und Homosexuellen wird damit deutlich und das Zusammenleben der beiden Gruppen als schwierig thematisiert. Die Welt des Anderen ist fremd, ungewohnt und schwer nachvollziehbar. Diese Problematik wird dann in ihrer Umkehrvariante auch satirisch thematisiert, als sich Michaels und Bens Adoptivsohn Hunter, der bislang als homosexuell galt, plötzlich in ein Mädchen verliebt:
Michael: Do you think maybe it’s just a phase? Maybe he hasn’t met the right boy.
Ben: Substitute ?right girl? and that’s just what my parents said when I told them I was gay.
Michael: What about all the men? He’s had sex with more guys than you and I put together.
Ben: His mother got him started on that and it was always for money, not love.
Michael: So you think it’s really true?
Ben: Sounds like he’s discovered who he really is. And he’s not gonna change anymore than you and I could change who we are.
Michael: But what are we gonna do? I mean, talking about girls — women — I wouldn’t know the first thing. I’ve never even slept with one. […] Ben, do you think he’d be better off with straight parents?
Ben: What?
Michael: People who’ll understand him?
Ben: We understand him. He’s still Hunter, gay or straight. It doesn’t make a difference.
Michael: It may not make a difference to us, but what about him?
(QAF-US 411)
Diese Sequenz ist eine parodistische Kommentierung der Problematik, sich etwas Fremdem stellen zu müssen, wenn die Kinder von eigenen Normvorstellungen abweichen. Michael und Ben fühlen sich überfordert mit der neuen Situation und glauben, ihr nicht gewachsen zu sein. “Queer as Folk” thematisiert damit die Unterschiede und Ähnlichkeiten der beiden Pole der homo-/heterosexuellen Dichotomie und räumt ein, dass ein Zusammenleben, egal in welcher Konstellation, unter Umständen schwierig sein kann. Gleichzeitig bietet die Sequenz aber auch eine Alternative zur aggressiven und hasserfüllten Reaktion der anderen dargestellten Eltern, indem zumindest versucht wird, das eigene Kind trotz seiner Andersartigkeit zu akzeptieren, es unter neuen Voraussetzungen zu betreuen und ihm entsprechend liebevoll entgegenzukommen.
Ebenso zeigt sich in dieser Parodie eine Überzeichnung der Ignoranz Fremdem gegenüber und ein bissiger Kommentar zur Vorstellung, dass eine abweichende sexuelle Orientierung überhaupt akzeptiert und vergeben werden muss. Indem Michael und Ben diskutieren, ob sie Hunter trotz seiner Heterosexualität noch lieben und verstehen können, kommentieren sie ironisch den Anspruch der Vergebung einer homosexuellen Sünde. “Queer as Folk” kehrt eine paradigmatische Situation in der Erfahrungswelt vieler Homosexueller um (nämlich die, in der Eltern von der Homosexualität ihrer Kinder erfahren) und illustriert damit die Absurdität und Brutalität des Gedankens, dass Liebe von Normerfüllung abhängt, Homosexualität verziehen und mühevoll toleriert werden muss und dass Homosexuelle und Heterosexuelle einander nicht wirklich verstehen können.
“Queer as Folk” wertet genetische Verwandtschaft deutlich ab. Biologische Verwandte werden in erster Linie als kalt, intolerant und grausam dargestellt, Freundschaften hingegen erhalten eine klare Aufwertung. Loyalität, Vertrauen und Verlässlichkeit innerhalb selbst gewählter Beziehungen werden stark betont, sodass Freundeskreise als Alternativen zu den enttäuschenden Familienstrukturen, in denen man nicht man selbst sein darf oder akzeptiert wird, angeboten werden. Die Serie lässt sich damit zwar auch in eine Reihe anderer Serien einordnen, die dies ähnlich tun, wie z.B. Sex and the City oder Friends. Zentral ist aber, dass die Aufwertung in diesem Fall insbesondere auch nicht biologische Verwandtschaften und nicht nur Freundschaften im Gegensatz zu Familien mit einbezieht.
Die Serie beinhaltet des Weiteren eine hohe Zahl bigotter Figuren, anhand derer die Serie Gesellschaftskritik übt. In ihrem Artikel «Kind of Drag: Gender, Race, and Ambivalence in The Birdcage and To Wong Foo, Thanks for Everything! Julie Newmar» argumentiert Mary Kirk, dass die beiden Filme, die sie analysiert, bigotte Figuren als sozialkritischen Spiegel verwenden: «[They] use bigotry (in all of its narrow-minded dimensions, especially homophobia and racism) as a mirror upon which to reflect and hyper-emphasize the rigid limits around the dominant culture’s caricatures» (2004, S. 170). Bigotte Figuren fungieren so als «mirrors upon which to reflect all that is ugly about the dominant culture» (2004, S. 170). “Queer as Folk” verwendet diese gesellschaftskritische Strategie ebenfalls. Die Serie kritisiert damit insbesondere Homophobie als weit verbreitete Denkweise innerhalb einer heteronormativen Gesellschaft.
John Forde definiert Homophobie wie folgt: «A term used to describe the fear or hatred of homosexuality. Homophobia is based upon the assumption that homosexuality is unnatural or inferior to heterosexuality, a contention confirmed by some influential religious beliefs and historical precedent» (2006b, S. 277). Das Ausmaß von Homophobie variiert in den Handlungssträngen von “Queer as Folk” von harmloser Unwissenheit und Vorurteilen über Frömmlerei und vermeintliche moralische Überlegenheit bis hin zu hasserfüllter Gewaltbereitschaft. Homosexuelle Figuren werden mit Schimpfwörtern belegt, als Sünder verdammt, öffentlich bloßgestellt und gedemütigt. Einige werden sogar Opfer körperlicher Angriffe. Im Extremfall bedeutet dies gewaltbedingte Lebensgefahr.
“Queer as Folk” betont, dass die homosexuellen Charaktere Opfer einer Verknüpfung von Homophobie und Bigotterie sind. An mehreren Stellen verflicht die Serie dabei in einer (für ihr Genre typischen) Zopfstruktur Handlungsstränge, in denen die zentralen Figuren am Ende moralisch besser dastehen als diejenigen, die deren Sexualität als Sünde bezeichnet haben.
Homosexuelle Protagonisten werden in solchen Handlungssträngen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von Heterosexuellen angegriffen, weil sich jene als moralisch überlegen sehen und darstellen, da sie den Normen der Gesellschaft besser entsprechen. Diese Figuren entpuppen sich schließlich aber selbst als moralisch korrupte Heuchler, die sich hinter ihrer vermeintlichen Normalität verstecken. Ein Moralprediger wird zum Beispiel als Barebacker enthüllt, also als jemand, der sich an HIV-positiv/-negativ gemischten ungeschützten Sexorgien beteiligt (vgl. Bellweather-Handlungsstrang in QAF-US 203). Andere werden letztlich selbst als verkappte Homosexuelle erkannt, die ihren Selbsthass auf andere Homosexuelle projizieren. “Queer as Folk” verwendet die Heuchelei der heterosexuellen (oder nicht zur Homosexualität stehenden) Figuren, um eine vermeintliche Überlegenheit heteronormativer Denkweisen abzustreiten. Die Serie hinterfragt durch solche Handlungsstränge die Thematisierung von Homosexualität als Sünde, Krankheit oder Gefahr, indem stattdessen die Sündhaftigkeit der Ankläger selbst hervorgehoben wird. Die negative Sichtweise auf Homosexualität wird damit als Konstruktion einer heteronormativen Gesellschaft entlarvt.
Die Art und Weise, wie Heterosexuelle in “Queer as Folk” dargestellt werden, ist von zentraler Bedeutung. Der homonormative fiktionale Kern fungiert als Wir, das gegen das Nicht-Wir abgegrenzt wird. Wie das Nicht-Wir entsprechend konstruiert, dargestellt und bewertet wird, sagt also ebenfalls etwas über die Definition und das Selbstverständnis des Wir aus.
Durch die Abwertung des heteronormativen Gesellschaftssystems ist es möglich, alternative Wert- und Normstrukturen zu offerieren. Die Serie kreiert alternative Werthierarchien, wenn sie beispielsweise Freundschaft und Loyalität dem traditionellen Wertverständnis der Familie gegenüberstellt. Sie stellt Ehrlichkeit und Offenheit über sexuelle Treue, Genuss und gelebte Sexualität über das Ideal der Monogamie, und Stolz, Individualität und Selbstakzeptanz über Angepasstheit und sogenannte Normalität.
Umkehrung als Strategie der Homophobiekritik
Die Abgrenzung des homosexuellen Zentrums von der heteronormativen Gesellschaft dient unter anderem der Ermöglichung alternativer Wertsysteme. Gleichzeitig wird durch die deutliche Abwertung der heterosexuellen Außenwelt aber auch ein klares Feindbild konstruiert, was wiederum bei einigen Charakteren der Serie zu heterophoben Denkweisen und Brutalität führt.
Heterophobie definiert sich in Analogie zu Homophobie wie folgt: «the fear and hatred of heterosexuality and heterosexuals» (Stewart 1995d, S. 116). Durch die stark negative Konnotierung der äußeren Gesellschaft werden Heterosexuelle in “Queer as Folk” auch zur Projektionsfläche von Ängsten. Die Figuren Cody und Justin zum Beispiel, die beide bereits Opfer homophober Gewalt waren, fokussieren ihre ganze Frustration und ihre gesammelten Ängste auf die heterosexuelle Gemeinschaft. Ihrer Meinung nach sind Heterosexuelle automatisch potenzielle homophobe Gewalttäter und der einzige Weg, diese Seite an ihnen zum Vorschein zu bringen, ist die Provokation:
Cody: When my dad used to take me bird hunting, the first thing we’d do to flush them out was beat the bushes.
Justin: How do we do that? Cody: Like this!
[Er beginnt, Justin auf offener Strasse zu küssen.]
Passant: Christ!
Cody: Excuse me? I thought you said something about my friend and me.
Passant: Yeah. Get a room!
Cody: You have a problem, sir, with our kissing?
Passant: No, you do. You’re in the wrong part of town. So why don’t you go back to where you belong? […]
Cody: You got a problem, asshole?
[Der Passant will weiter gehen, doch Cody greift ihn an der Schulter.]
Passant: Yeah. You fucking fags should all get AIDS and die!
Justin: Someone else once said that to me!
[Justin beginnt, mit den Fäusten auf den Mann einzuschlagen.]
(QAF-US 403)
Der Handlungsstrang um Cody und seine Jagd auf Heterosexuelle beginnt mit der Gründung einer Nachbarschaftswache — The Pink Posse -, die dem Schutz vor homophober Gewalt dienen soll. Cody überschreitet jedoch bald seine ursprünglich Schutzfunktion und wird vermehrt selbst zum Angreifer. Er erreicht gar den Punkt, an dem er bereit wäre zu töten.
“Queer as Folk” kritisiert Codys Haltung deutlich. Er geht in seinem Hass und seiner irrationalen und grenzenlosen Heterophobie klar zu weit. Die Serie zeigt sich mit solchen Handlungssträngen selbstkritisch gegenüber den gemachten Anklagen an die heterosexuelle Umwelt. Die Vorwürfe bezüglich Intoleranz, Ignoranz und hasserfüllter Gewaltbereitschaft werden so auch der eigenen Subkultur gemacht. Homonormative Denkweisen, Intoleranz gegenüber Normabweichungen und heterophobe Gewaltbereitschaft werden entsprechend ebenfalls kritisiert.
Gleichzeitig liefert die Zeichnung dieser mitunter heterophoben Welt erst die Möglichkeit, Ignoranz und Intoleranz gegenüber Fremdem so darzustellen, dass die dadurch entstehenden Konsequenzen diejenigen treffen, die der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Als gesellschaftskritische Reaktion auf Ausgrenzung, Diskriminierung und Homophobie in einem heterosexistischen Gesellschaftssystem nimmt die Serie eine Umkehrung vor. Durch diese Umkehrung der Fremdheitscharakterisierung und der Rollen im Exklusions- und Machtsystem gelingt es ihr, die grausamen Auswirkungen von Ausgrenzungsmechanismen gegen Andersartige eindrucksvoll aufzuzeigen und gesellschaftliche Vielfalt als Desiderat zu formulieren. “Queer as Folk” gegrenzt jedoch die Kritik nicht auf eine heteronormative Gesellschaft, die Tendenzen von Homophobie aufweist. Mit den beschriebenen Handlungssträngen thematisiert die Serie, wie eine homonormative Gesellschaft ihrerseits Muster der Ausgrenzung und Voreingenommenheit aufweist, die zu offensichtlicher Heterophobie führen können. Mit diesem unvoreingenommenen Aufzeigen von Schwachstellen einer normenorientierten Gesellschaft gleich welcher Ausrichtung, leistet “Queer as Folk” einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Toleranz und Akzeptanz auf beiden Seiten der Dichotomie Homosexualität vs. Heterosexualität.
Bibliographie
Primärliteratur
- “Queer as Folk”. USA & Kanada. Staffeln 1–5. Showtime: Cowen, Ron und Daniel Lipman. 2000–2005.
Zitiert wird jeweils aus einzelnen Episoden. Beispiel QAF-US 101: Das Akronym QAF-US steht für die nordamerikanische Version von “Queer as Folk”. 101 bezieht sich auf den “Production Code” — die erste Ziffer steht für die Staffel, die letzten beiden für die Episode.
Sekundärliteratur
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Dana Frei arbeitet als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Populäre Kulturen an der Universität Zürich und ist Lehrbeauftragte im Teilfach Populäre Literaturen und Medien. Ihre jüngst abgeschlossene Dissertation trägt den Titel «Challenging Heterosexism from the Other Point of View – Representations of Homosexuality in QUEER AS FOLK and THE L WORD» und setzt sich mit den beiden Fernsehserien (erstere in der britischen wie der nordamerikanischen Umsetzung) inhaltsanalytisch und kulturwissenschaftlich auseinander.