von Carolin Hensler
Banksy ist einer der weltweit bekanntesten Street Art-Künstler des 21. Jahrhunderts. Um seine Person hat sich ein Kult entwickelt, der maßgeblich auf dem Spiel Banksys mit seiner eigenen Identität beruht. Dieser Beitrag untersucht, wie sich der Kult des Rätselhaften um Banksy etablieren konnte, und beschäftigt sich mit der Frage, welche Funktionen dieser sowohl für den Künstler als auch für den Kunstrezipienten innehält.
Abb.1: Girl hugging bomb, Brighton 2003 (Banksy: Wall and Piece 2006, 28.)
1. Einleitung: Banksy als Vorbild der zeitgenössischen Gesellschaft
„It takes a lot of guts to stand up anonymously in a western democracy and call for things no-one else believes in – like peace and justice and freedom“ (Banksy 2006: 29). Mit diesem Zitat kommentiert der britische Street Art-Künstlers Banksy eines seiner Werke, das ein kleines Mädchen in inniger Umarmung mit einer Fliegerbombe zeigt. Angebracht wurde das Motiv von Banksy 2003 an einer Hausmauer in Brighton mit der für die Street Art typischen Schablonen-Technik (vgl. Banksy 2006: 28 und Blanché 2010: 29). Banksys Werke sind mittlerweile weltweit vorzufinden. Im öffentlichen Raum aufgesprüht oder installiert, sind sie frei zugänglich und können auch aufgrund ihrer Verbreitung durch Fotographien über das Internet von einem Millionenpublikum betrachtet werden. Die in ihnen transportierten Werte- und Glaubensvorstellungen offenbaren eine Kritik des Künstlers an den Mechanismen, Institutionen und moralischen Grundsätzen des gesellschaftlichen Lebens. Als solche verfügen sie sowohl über eine hohe Freiheit der in ihnen getätigten Aussagen als auch über eine Aktivierungsfunktion in Bezug auf den Betrachter. Die Street Art Banksys hat Kultstatus erreicht, längst gehören nicht mehr nur Insider der Künstler-Szene zu ihren Rezipienten, auch Prominente wie Brad Pitt, Angelina Jolie oder Christina Aguilera offenbaren sich als Verehrer der Werke und der Person Banksys (vgl. Joseph 2008). Zwar basiert der Kultstatus Banksys auf unterschiedlichen Faktoren, doch hat dabei die Anonymität seines Schaffens seinen Bekanntheitsgrad maßgeblich gefördert, denn diese begründet einen Kult des Rätselhaften rund um den Künstler.
Als Gegenstand einer kultischen Verehrung ist Banksy ein Phänomen des 21. Jahrhunderts, des Zeitalters der Medien und neuen Technologien. In einer von Datenunsicherheit geprägten Zeit, in der die Freiheit des Individuums konträr diskutiert wird, hat er das Spiel mit der eigenen Identität perfektioniert. Dabei ist der Street Art-Künstler zugleich Schöpfer und Nutznießer des Kultes um das Rätselhafte seiner Person und seines Schaffens, da sich auf der Basis des Unzugänglichbleibens eigene, durchaus provokante Wertevorstellungen zu einem breiten Rezipientenkreis transportieren lassen. Das Rätselhafte von Banksys Identität ermöglicht dem Künstler eine ahndungsfreie Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen und politischen Mechanismen. Obwohl hiermit die Beweggründe des Künstlers für die Schöpfung eines derartigen Kultes bereits eine mögliche Erklärung finden, bleibt es zu untersuchen, wie sich der Kult um das Rätselhafte als Basis für eine Kommunikation zwischen Schöpfer und Rezipient und – in Banksys Fall – Künstler und Kunstbetrachter etablieren konnte. Der Kult um das Rätselhafte ist, genauso wie die Street Art, ein verhältnismäßig unerforschtes Phänomen. Aus diesem Grund basiert die nachfolgende Untersuchung zum Kult des Rätselhaften am Beispiel Banksys vorwiegend auf einer Auseinandersetzung mit den Strukturen der Street Art sowie auf der Betrachtung einiger ausgewählter Werke Banksys.
2. Das Spiel mit der Identität als Kult stiftendes Element
2.1 Anonymität als Charakteristikum der Street Art
Das Spiel mit der eigenen Identität ist für die Street Art, die sich aus dem Graffiti entwickelte, wesentlich (vgl. im Folgenden Blanché 2010: 25). Ulrich Blanché liefert in seinem Werk Something to s(pr)ay: Der Street Artivist Banksy eine kunstwissenschaftliche Untersuchung zum Phänomen der Street Art und legt dabei einen Fokus auf das Schaffen Banksys. Die Street Art, führt Blanché aus, sei etwa Mitte der 1990er Jahre enstanden und sei als künstlerisches Phänomen zu verstehen, das sich vorwiegend auf den großstädtischen Raum beschränkt. Die Straßen großer Metropolen wie London, Barcelona oder New York seien übersät mit Schriftzügen, Bildern oder Installationen, die dort von Street Art-Künstlern hinterlassen wurden. Eine weitere, wenngleich deutlich verknappte Erklärung des Begriffes durch den Graffiti-Forscher Norbert Siegl verallgemeinert Blanchés Definition inhaltlich mit der Aussage, bei Street Art handele es sich um „Werke der bildenden Kunst, die außerhalb etablierter Orte der Kunstvermittlung anzutreffen und frei zugänglich sind. Damit wird der gesamte Bereich sowohl offizieller als auch inoffizieller, häufig temporärer Arbeiten im öffentlichen Raum benannt […]“ (Siegl 2005/2006: 460f.).
Blanchés und Siegls Definitionen nennen mit der meist begrenzten Halbwertszeit und der freien Zugänglichkeit der Werke zwar wichtige Charakteristika der Kunstform, führen allerdings nicht explizit den für die Street Art so wesentlichen Faktor der Anonymität an. Dieser ist jedoch sowohl in der Street-Art als auch in der Graffiti-Subkultur von großer Bedeutung für das künstlerische Schaffen. Vor dem Hintergrund der Nicht-Preisgabe ihrer Identität autorisieren sich Street Art-Künstler selbst zur illegalen Anbringung ihrer Werke im öffentlichen Raum (vgl. Reinecke 2007: 10), so führt die Kulturwissenschaftlerin Julia Reinecke aus, die sich in ihrem Werk Street Art: Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz eingehend mit den Mechanismen der Street Art auseinandersetzt. Das Spiel mit der Identität, so lässt sich aus Reineckes Angaben folgern, ist also als wesentlicher Bestandteil der Street Art zu betrachten. Über sogenannte tags, charakteristische Namenszüge oder in der Street Art vor allem Techniken zur Anbringung der Werke mit großem Wiedererkennungswert (vgl. Blanché 2010: 17), wird eine Kommunikation der Künstler innerhalb der Szene ermöglicht. Insider, so Reinecke, erkennen anhand der Schriftzüge oder Arbeitstechniken den Erschaffer eines Werkes sowie den Zeitpunkt von dessen Anbringung im öffentlichen Raum. Ein non-verbaler Austausch wird durch diese Form des Anonymbleibens ermöglicht (vgl. Reinecke 2007: 110f.). Eine Kommunikation findet also zwar statt, der lediglich von der Szene erkannte Künstler wird jedoch zugleich bei seinen illegalen Vorhaben vor dem Zugriff des Gesetzes geschützt.
Anonymität dient in der Street Art dem Zwecke der gesicherten Kommunikation. Eine Wiedererkennung des Künstlers und seines Werkes innerhalb der Szene bleibt anhand von charakteristischen Techniken und Namenszügen möglich. Da sich diese Erkennungsmöglichkeiten jedoch aufgrund des dafür erforderlichen Wissens über aktive Mitglieder und deren Sprühtechniken auf die Szene beschränken, ist es berechtigt zu fragen, wie sich der Kultstatus von Banksy bis über die Grenzen der Street Art-Szene Englands hinaus entwickeln konnte.
Wenn man Banksys Werdegang als Künstler und die Etablierung seiner Werke im öffentlichen Raum, soweit sich beides zurückverfolgen lässt, näher betrachtet, so zeigt sich, dass sich Banksys Absichten keineswegs auf ein ausgewähltes Rezipientenmilieu beschränken. Das Spiel mit der Identität wurde durch ihn den Kreisen der örtlichen Szene enthoben und verstärkt auf die breite öffentliche Ebene transferiert. Die Kommunikation mit der Bevölkerung, nicht primär mit Künstlern aus dem Street Art Bereich, dient dabei als Methode, Einfluss auf Wahrnehmungen und Bewusstsein der kollektiven Öffentlichkeit zu nehmen. Dies bestätigt sich an der Angabe Banksys, die Absicht seines Schaffens bestünde im Versuch, die Welt zu retten (vgl. Usborn, Independent), indem er die Aufmerksamkeit der Rezipienten einfinge und ihre Wahrnehmung beeinflusse (vgl. Reinecke 2007: 58). Mit seinen Werken möchte er die breite (Welt-)Öffentlichkeit erreichen. Seine Anmerkungen geben zudem zu erkennen, dass durch die Rezeption seiner Werke eine Veränderung in den Denk- und Wahrnehmungsprozessen der Betrachter stattfinden soll.
Dieses Verkehren der Wahrnehmungen gelingt durch mehrere Faktoren. So kann besonders das Streuen von Informationen zur Identität Banksys als ein solcher Kult stiftender Faktor angesehen werden (vgl. Blanché 2010: 46). Durch dieses wird das mediale Interesse an seiner Identität geschürt und eine vermehrte Thematisierung seiner Kunst in den Medien bewirkt. Indem Banksy auch selbst falsche und widersprüchliche Informationen zu seiner Person in den Umlauf bringt (vgl. ebd.), bleibt seine wahre Identität für die Rezipienten und die Medien unzugänglich. Die in den Medien ausgelebte Neugierde auf die Offenbarung, wer sich hinter der Schablonenkunst verbergen mag, fördert das Bekanntwerden von Banksys Kunst und Namen in der Weltöffentlichkeit. Banksy bleibt sowohl dem Einzelnen als auch den staatlichen Behörden in Bezug auf seine Person unzugänglich. Zugleich präsentieren seine Werke die eigenen Wertevorstellungen, dienen also durchaus als Transporteure von Informationen zur Persönlichkeit des Künstlers. Diese Dichotomie aus Informationspreisgabe und provokanter Auskunftsverweigerung wiederum hängt mit einer „strikten Geheimhaltungspolitik“ (Nedo 2007, Stern.de Kultur) zusammen. Dies erklärt der Journalist Kito Nedo in Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu den Gründen für Banksys Popularität. Dabei nennt Nedo vor allem das Nichtwissen als Quelle der Neugierde beim Rezipienten: Das Bedürfnis wissen zu wollen, wie der Mensch hinter den Street-Art-Werken aussehe, aus welchen sozialen Hintergründen er stamme und wie er beim Erschaffen seiner Kunst vorgehe, steigere die Nachfrage nach Informationen zu Banksy, welcher die Medien wiederum stattgeben (vgl. ebd.).
Das bislang unzugänglich Gebliebene und vermeintlich doch in Erfahrung zu Bringende übt einen Reiz auf den Rezipienten aus. Banksy arbeitet also mit Reizstimulationen und menschlichen Bedürfnissen. Neugierde auf Erkenntnisgewinn wird als Kult stiftender Faktor von ihm erkannt. Er nutzt das der Street Art eigene System der Verrätselung und subvertiert es, indem er die Anonymität um seine Identität als Ressource für das Interesse an seiner Person einsetzt. Banksy profitiert also von den Mechanismen der Street Art, um sein getting up, „das Bekanntmachen des in der Straße verwendeten Aliasnamens“ (Reinecke 2007: 21), voranzutreiben.
Auch im bereits angesprochenen Spiel mit den Strukturen der Street Art durch Banksy ist ein Grund für dessen Kultstatus zu finden. Für Nicht-Mitglieder der Szene verfügt das unregelmäßige und zugleich unberechenbare Auftauchen eines neuen Werkes des Künstlers über einen entsprechenden Überraschungseffekt. Banksy nutzt diesen für die Street Art eigentümlichen Überraschungseffekt und bringt seine Werke ohne vorherige Ankündigung im öffentlichen Raum an. Die unerwartete Konfrontation mit der Bildaussage führt zu einer gesteigerten Wahrnehmungsintensität beim Rezipienten. Zudem etablieren die von Banksy mitunter selbst geschürten Gerüchte um seine Person in den Köpfen der Betrachter bestimmte Illusionen von seiner Identität; mit der Erkenntnis, dass Banksy beim Anbringen der Schablonenbilder durchaus die legalen Grenzen überschreitet, harmoniert beispielsweise die Vorstellung von ihm als ehemaliger Gefängnisinsasse (vgl. Hattenstone, The Guardian, 2). Das Gerücht über einen Gefängnisausenthalt schürte der Künstler selbst durch entsprechende Äußerungen in einem Interview mit dem Journalisten Simon Hattenstone für die britische Zeitung The Guardian im Jahr 2003. Das Spiel mit Fakten und Unwahrheiten rund um die eigene Identität und das Ausloten der Möglichkeiten, welche Vorstellungen durch gezielte Preisgabe von (Des-)Informationen in den Betrachtern zu generieren sind, können demnach als Bestandteil von Banksys Geheimhaltungspolitik gewertet werden.
2.2 Antriebsfaktor Kommunikationsguerilla
Anonymität dient Banksy als Werkzeug zur verstärkten Kommunikation mit den Rezipienten seiner Werke. Obwohl Banksy als konkret physisch präsenter Dialogpartner unzugänglich bleibt, findet eine Vermittlung seiner Werte- und Glaubensvorstellungen statt. Zunächst mag dieser Sachverhalt paradox erscheinen, doch eine nähere Betrachtung der Street Art-Charakteristika zeigt, wie Information auf der Grundlage des Prinzips der sogenannten Kommunikationsguerilla weitergegeben wird. Die Anonymität spielt in der Kommunikationsguerilla eine essentielle Rolle: Sie schützt den Künstler als Quelle der Information und hilft, eine gesicherte Übermittlung der Informationen an den Rezipienten zu garantieren.
Der Terminus der Kommunikationsguerilla (von lat. com ‘zusammen’; municipium ‘Gemeinde’ und span. guerilla ‘Kleinkrieg’) bezeichnet das gezielte Einsetzen von Informationen, um Kommunikationsstrukturen, die oftmals einseitig sind und unterbewusst ablaufen, zu subversieren (vgl. im Folgenden Blanché 2010: 39f.). Ziel der Kommunikationsguerilla, die in der Street Art einen künstlerischen Ausdruck findet, ist es, bei den Rezipienten ein Problembewusstsein für die Einseitigkeit der Kommunikationsstrukturen zu schaffen. Generiert werden sollen eine Gegenöffentlichkeit und das Bewusstsein für unterschwellige Manipulationen, wie sie beispielsweise im Bereich der Werbung vorgenommen werden. Der Rezipient soll die Möglichkeit zur Reaktion auf diese Einflussnahme erhalten. Provoziert werden soll seine Reaktion durch Aufklärungsmaßnahmen, die mit dem Anonymitätsfaktor und Überraschungseffekten arbeiten.
Die Street Art bedient sich einer ihr eigenen Form der Kommunikationsguerilla. Die Kritik der Kunstrichtung an den Kommunikationsstrukturen zielt ebenfalls auf die Werbung, jedoch nicht ausschließlich. Ein Zitat Banksys, welches eigentlich die in der Werbung angewandten Maßnahmen zur Beeinflussung der Konsumenten kritisiert, lässt sich auch auf die Ebene öffentlicher Kommunikation übertragen:
The people who truly deface our
neighbourhoods are the companies that
scrawl giant slogans across buildings
and buses trying to make us feel
inadequate unless we buy their stuff.
They expect to be able to shout their
message in your face from every
available surface but you´re never
allowed to answer back. Well, they
started the fight and the wall is the
weapon of choice to hit them back.
(Banksy 2006: 8)
Banksy hinterfragt in diesem Zitat kritisch den passiven Umgang des Menschen mit den diversen Einflüssen, denen er ausgesetzt ist, ohne über eine Möglichkeit der Reaktion zu verfügen. Die Mauern, auf welchen die Street Art-Werke angebracht werden, dienen den Künstlern als Mittel zur Gegenwehr. Die Street Art generiert also die Entscheidungsfreiheit, auf Einflussnahmen von außen reagieren zu können. In ihren Aussagen spiegelt sich häufig das Bedürfnis nach Kontrolle und individueller Freiheit im öffentlichen Leben.
Setzt man die Charakteristika der Street Art und den Kultbegriff in Bezug zueinander, so fällt auf, dass die von der Kunstszene via der Kommunikationsguerilla thematisierte Freiheit des Individuums durchaus auch ein Charaktermerkmal des Kultbegriffes darstellt. Im Werk Vom Kult zur Kultur (1996) des Religionswissenschaftlers Jacob Taubes wird Kult als „Ressource von Freiheit“ (Taubes 1996: 9f.) definiert. Anders formuliert könnte gesagt werden: Aus Kult lässt sich Freiheit schöpfen. Zudem seien in ihm die Formen der Vergegenwärtigung des normalerweise Abwesenden und Unzugänglichen konzentriert (vgl. ebd.). Dies bedeutet, dass auch das Bedürfnis des Individuums nach Kontrolle und Selbstbestimmung im öffentlichen Leben im Kult gespiegelt und zugleich kompensiert ist. Kult ist demnach der Versuch der Kompensation eines Mangels, der Vergegenwärtigung des Unzugänglichen. Wiederum paradox erscheint dieser Sachverhalt jedoch in Zusammenhang mit Banksy, da dieser selbst aufgrund seiner Anonymität zumindest bedingt unzugänglich bleibt. Eine Doppelkodierung liegt vor: Als anonymes Mitglied des öffentlichen Lebens, das sich aktiv gegen die ökonomischen und staatlichen Beschränkungen und für mehr Freiheit des Individuums einsetzt, ist er Gegenstand eines Kultes und sowohl Vorbild als auch Kompensator des individuellen Bedürfnisses nach Freiheit. Zugleich jedoch müsste, in Anlehnung an die Definition des Kultbegriffes bei Taubes, die Rätselhaftigkeit seiner Identität ein neues Mangelgefühl beim Rezipienten generieren: Jenes nämlich, nicht zu wissen, welche Person sich hinter dem Künstlernamen Banksy verbirgt. Wenn Kult Mittel zum Ausgleich eines bestehenden Mangels ist, dann machte dies eine erneute Kompensation in Form eines weiteren Kultes möglich und nicht zuletzt notwendig. Folgerichtig müsste dann die Rede von einem Kult um den Kult des Rätselhaften sein. Der Kult um das Rätselhafte ist also in Banksys Fall insofern etwas niemals Abgeschlossenes, da das Zurückhalten von Informationen zu seiner Person durch Banksy selbst die Bedürfnisse des Rezipienten nur partiell stillt. Banksy bleibt unzugänglich, das Unzugängliche wird in Bezug auf ihn demnach nur teilweise (in Form einer Übermittlung der Werte- und Glaubensvorstellungen Banksys) vergegenwärtigt.
Andererseits jedoch ermöglicht die lediglich bedingte Preisgabe von Informationen zur Person Banksys dem Rezipienten eine größere Freiheit bei der Imaginierung des Vorbildes im Ringen um mehr Problembewusstsein und Eigenverantwortung im öffentlichen Leben. Diese Freiheit generiert also die Basis dafür, dass in den Köpfen der Betrachter jeweils eine Illusion über die Kultperson Banksy entstehen kann, welche die individuellen Bedürfnisse zu stillen und entsprechende Mängel zumindest annähernd zu kompensieren vermag. Das Spiel mit der Identität bildet demnach durchaus eine Grundlage für den Kult um das Rätselhafte. Dies beweist sich mitunter an der Meinung des Bloggers Sebastian St. George, der in einem Eintrag äußert:
Banksy remains anonymous in order to
maintain the mystique. […] There is no
need or reason to see him or meet him.
Why? Just look at yourself in the
mirror. He represents a piece of Us
all and his work speaks from the
collective unconscious. […] Banksy
represents the underdog and more
importantly his works defines an
outpouring of the mass suppressed
psyche of our current society and the
deterioration of the moral and social
fabrics of today’s civilization and
world economies.
Der Kult um das Rätselhafte ist davon abhängig, welcher Art der zu stillende Mangel ist. Dieser kann von Rezipient zu Rezipient variieren. Nach St. George besteht der Kult-Effekt von Banksys Schaffen darin, dass der Künstler Unterbewusstes benenne und zu etwas Bewusstem werden lassen. Banksy wird für den Blogger zum Kollektivsprachrohr der Sehnsüchte und Bedürfnisses des unterdrückten Volkes.
3. Der Kult um das Rätselhafte als essentielle Grundlage für weitere Kultfaktoren
Der für die Street Art charakteristische Anonymitätsfaktor und das Spiel mit der eigenen Identität sind essentielle Bedingungen für die Genese von Banksys Kultstatus und bilden die Voraussetzung für weitere, den Bekanntheitsgrad des Künstlers steigernde Faktoren. Dies zeigt die Betrachtung einiger beispielhafter Werke Banksys in Hinblick auf ihr Entstehen.
Banksys Werke verfügen über eine besondere Ästhetik der Darstellungen. Indem sich Banksy durchaus Themen und Figuren bedient, die oftmals aus den Medien bekannt sind und die nicht selten bereits über einen Kultstatus verfügen, steigert er den Wiedererkennungswert und Beliebtheitsfaktor der Motive beim Betrachter. In einer Auftragsarbeit für Greenpeace aus dem Jahr 2001 kombiniert der Künstler beispielsweise die Zeichensysteme des Comics und der Fotografie miteinander.
Abb. 2: Plakat für eine Greenpeace-Kampagne gegen die Abholzung der Regenwälder, 2001 (Banksy 2006, 197)
Die Kollage zeigt bekannte Figuren aus dem Disney-Klassiker The Jungle Book (Walt Disney 1967), deren vertraute Comicrollen subvertiert sind. Gefesselt und vor den Henker geführt, warten die aus der magischen Disney-Dschungelwelt entführten Figuren auf ihre Hinrichtung. Über eine gestalterische und inhaltliche Paradoxie wird die Kritik an der zunehmenden Abholzung der Regenwälder transportiert. Kultphänomene, wie hier der Kult rund um die Disney-Figuren aus The Jungle Book, werden von Banksy genutzt, um eigene Wertevorstellungen an den Rezipienten zu vermitteln. Zugleich verstärken die verwendeten Kultformen den Kult um Banksy als anonymen Künstler, da mit der Fotokollage und den subvertierten Rollen der Comicfiguren ein Tabubruch vorliegt. Dieser Tabubruch ist durch die Unzugänglichkeit des Künstlers aufgrund von dessen Anonymität möglich. Anonymität dient hierbei also als Grundlage für die Kernaussage des Werkes: Sie schützt den Künstler, entlarvt die etwaige Mangelhaftigkeit sowohl der einzelnen Zeichensysteme als auch des Koppelungsergebnisses und ermöglicht die freie Vermittlung der Wertevorstellungen Banksys. Sie kann einerseits als eigenständiger Kultfaktor verstanden werden, bildet andererseits jedoch auch die Voraussetzung für weitere Faktoren, die Banksys Kultstatus begründen (vgl. dazu Blanché 2010: 109).
Das Rätselhafte schützt demnach sowohl Künstler als auch Werk. Eine Betrachtung einiger Werke Banksys zeigt auf, dass Banksy als durchaus provozierender Künstler Nutznießer des Kultes um die eigene Rätselhaftigkeit, jedoch bei seinem kreativen Schaffen auch von dieser Rätselhaftigkeit abhängig ist. Neben dem Aspekt der Ästhetik der Darstellung dürften es diesbezüglich vor allem die Illegalität seines Handels und der Wagemut sein, den Banksy bei der Verortung seiner Werke aufweist, welche sein getting up maßgeblich vorangetrieben haben. Im Jahr 2005 brachte der Street Art-Künstler einige Schablonen-Werke auf dem Grenzwall zwischen Palästina und Israel an. Die Abbildungen zeigen unter anderem eine von einem Kind auf den Wall gemalte Leiter oder gewähren einen nahezu idyllischen Wohnzimmer-Blick mit Aussicht auf eine herbstliche Gebirgslandschaft, die sich vermeintlich hinter der Mauer befindet.
Abb. 3 (links): Bethlehem Checkpoint 2005 (Banksy 2006: 144)
Abb. 4 (rechts): Bethlehem Checkpoint 2005 (Banksy 2006: 143)
Alle Werke auf dem Grenzwall wurden unter hohem Risiko der Entdeckung und, aufgrund der angespannten politischen Verhältnisse in Israel, unter Lebensgefahr angebracht. Die prekäre Wahl der Örtlichkeit und die paradoxe, jedoch durchaus humorvolle Konnotation der Abbildungen verdeutlichen den grundlegenden Wert, den das Spiel mit der Identität für Banksys Schaffen innehält: Das Rätselhafte dient dem Künstler als Schutz vor Ahndung während eines von ihm vorgenommenen Tabubruches, in diesem Fall sogar als lebensbewahrende Notwendigkeit. Bei den Arbeiten in Israel generiert die Anonymität Banksys erneut die Grundlage für weitere Kultentwicklungen: in diesem Fall für den Kult rund um den Wagemut des Künstlers und für jenen um die Illegalität seiner Handlungen. Die Anonymität stellt die Voraussetzung für die Wahl einer riskanten Örtlichkeit dar. Das Anbringen eines Werkes mit provokanter Aussage an einem gefährlichen Ort bewirkt eine stärkere öffentliche Wirkung und fördert so die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit birgt jedoch Gefahren für den Erschaffer des Kunstwerkes, worin erneut die Notwendigkeit der Anonymität des Künstlers eine Begründung findet.
Es kann also von einem Kult-Kreislauf gesprochen werden. In diesem bedingen sich die schützende Anonymität, der mit ihr verbundene Kult um das Rätselhafte und die aus beiden Faktoren resultierenden weiteren Kultformen. Die Rätselhaftigkeit kann dabei als Basiskultfaktor verstanden werden, sie macht die uneingeschränkte, Kult fördernde Darstellung der Wertevorstellungen Banksys erst möglich.
4. Das Medienzeitalter als Transportplattform für den Kult um das Rätselhafte
Banksy signiere und beherrsche seine Umwelt, ohne durch sie beherrscht zu werden (vgl. Schirrmacher 2007: Z1), so schreibt Frank Schirrmacher, Kulturjournalist und seit 1994 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einem FAZ-Artikel über den Street Art-Künstler. Schirrmacher führt aus, Banksy habe als Erster überhaupt bereits in den Zeiten vor der generellen Internetnutzung postuliert, dass irgendwann jeder die Möglichkeit erhalte, im öffentlichen Leben anonym zu bleiben (vgl. ebd.). Interessant ist diese Forderung Banksys vor allem, wenn der Kontext ihrer Äußerung betrachtet wird. Der Bildschirm eines Fernsehers, Bestandteil einer Installation des Street Art-Künstlers, weist sie in folgender Formulierung auf: „In the future everybody will be anonymous for 15 minutes.“(vgl. flickr.com, 2006) In den Zeiten abnehmender Datensicherheit bei kongruent steigender Krontrollmacht der Medien wirkt die Darlegung der Forderung auf einem Fernsehbildschirm, also einem Werkzeug des Medieneinflusses auf das Individuum, kurios. Banksy nutzt die Medien in zweifacher Hinsicht: Zum Einen, um sich selbst bekannter zu machen, zum Anderen, um zugleich kritisch auf die Macht der Medien hinzuweisen. Er instrumentalisiert die Innovationen der Gegenwart und des technischen Zeitalters. Demnach ist der von ihm gepflegte Kult um das Rätselhafte ein Phänomen, das von unserer Zeit maßgeblich mitverantwortet ist.
Banksy nutzt auch die Vorteile der virtuellen Welten des Internets, um seinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Allerdings ist die Nutzung des Internets in der Street Art-Szene keineswegs ungewöhnlich. Street Art-Künstler laden digitale Fotos ihrer Werke auf Internetplattformen oder in Online-Foren hoch und öffnen sie somit der Rezeption und Weiterverbreitung durch die User dieser Websites (vgl. im Folgenden Blanché 2010: 49f.). Die Anonymität des Verfahrens sorge dafür, so Ulrich Blanché in seiner kunstwissenschaftlichen Untersuchung von Banksys Schaffen, dass der Guerilla-Faktor der Street-Art dabei aufrecht erhalten bleibt. Die hohe Auflösung der heutzutage im Internet hochladbaren Fotografien ermöglicht zudem eine Rezeption der Werke ohne Qualitätsverlust. Nach dem Schneeballprinzip wird die Nachricht vom Auftauchen eines neuen Banksy-Werkes anschließend weiterverbreitet. Letzteres ist unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Street Art aufgrund ihrer Illegalität zumeist äußerst ephemer ist und häufig schnell wieder entfernt wird (vgl. Blanché 2010: 26), für die schnelle Verbreitung der Werke und somit für die Förderung des Rufes eines Street Art-Künstlers von großer Wichtigkeit.
Banksy nutzt erfolgreich die Medien des 21. Jahrhunderts, um sein getting up weiter voranzutreiben. Auf seiner Website parodiert er unter anderem die Konsumwelt, indem er unter der Rubrik Shop darauf hinweist, er verkaufe nichts (vgl. http://www.banksy.co.uk/ gesichtet am 29.10.2011). Dennoch steigen seine Werke stetig in ihrem Verkaufswert. Der Kult um seine Person und sein Schaffen offenbart sich unter anderem auch an Werksversteigerungen über Auktionshäuser wie Sotheby´s oder Ebay (vgl. Reinecke 2007: 61 und Schirrmacher 2007: Z1). Die durchaus kuriosen Ausprägungen des Kultes rund um Banksy zeigten sich vor diesem Hintergrund beispielsweise im Frühjahr 2007 am Diebstahl eines seiner Werke. Eine Schablonen-Abbildung zeigte eine ballspielende Ratte unter einem Schild, das auf das örtlich geltende Ballspielverbot verweist.
Abb. 5: Ballspielende Ratte, London 2007 (Banksy 2006: 98)
Diebe hatten die Ratte aus einer Hausmauer im Herzen Londons geschnitten und die Street Art samt Mauerstück gestohlen (vgl. im Folgenden Schirrmacher 2007: Z1). Die „Rattenverlorenheit“ (ebd.) zog den Protest der empörten Anwohnerschaft auf sich und veranlasste die Tageszeitung Evening Standard sowie den britischen Fernsehsender BBC zu Berichten über das Delikt. Zwei Wochen später wurde auf der Internetverkaufsplattform Ebay ein Mauerstück mit ballspielender Ratte für umgerechnet ca. 30.000 Euro angeboten. Letztendlich sorgte jedoch die Empörung der Anwohnerschaft für die Rücknahme des Angebotes durch Ebay. Von der Existenz der Ratte zeugen bis heute lediglich noch eine Fotografie sowie ein verrammeltes Mauerloch im Stadtteil Paddington.
Auch in Hinblick auf den Faktor der Visualisierung eignen sich die Medien hervorragend, um die Street Art bekannter zu machen. Werke von Banksy sind in den Kinofilmen Match Point (2005) und Children of Men (2006) vorzufinden, zudem gestaltete Banksy den Vorspann einer Folge der US-Erfolgsserie The Simpsons (US-Erstausstrahlung der Folge MoneyBart am 10. Oktober 2010, vgl. dazu auch: Reißmann: Spiegel Online.). Vor allem am Beispiel der Serienfolge zeigt sich, dass Banksy für seine Werke gerne Themen und Figuren verwendet, die an sich bereits über einen Kultstatus verfügen. Indem der Vorspann jedoch auf die menschenunwürdigen Produktionsbedingungen der Serie verweist, deren Herstellung aus Kostengründen nach Südkorea ausgelagert wurde, wird der Kultstatus der Simpsons von Banksy deutlich hinterfragt. Interessant ist hierbei, dass in der von Banksy gestalteten Vorspannversion zwei Zeichensysteme mit Kultstatus aufeinandertreffen: Die Simpsons als Satireausgabe der amerikanischen Durchschnittsfamilie werden mit den kritischen und sarkastisch-humorvoll dargestellten Wertevorstellungen Banksys kombiniert. Trotz der Kritik, die durch Banksys Darstellungen an der Serie möglich wird, ist dennoch mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Banksy zugleich in Hinblick auf seinen eigenen Kultstatus von ihrem Bekanntheitsgrad und den dementsprechend hohen Einschaltquoten profitierte. Die Kritik am Kultstatus der Simpsons fördert also kurioserweise den Kultstatus Banksys.
Das Spiel Banksys mit der eigenen Anonymität erreichte bislang in seinem Dokumentarfilm Exit through the Gift Shop (2010) einen Höhepunkt. Darin spürt der ambitionierte Nachwuchsdokumentarfilmer Thierry Guetta den anonymen, aber äußerst erfolgreichen Street Art Künstler Banksy auf. Als Guetta Banksy anbietet, einen Film über sein Schaffen zu drehen, vertauscht Banksy die Rollen um und filmt fortan die ersten Gehversuche Guettas als Künstler der Street Art-Szene. Guetta macht unter dem Künstler-Pseudonym Mr. Brainwash Karriere (vgl. Banksy Exit through the Gift Shop: 2010). Der Anspruch des Filmes habe darin bestanden, den Betrachtern die Street Art näherzubringen, sagt Banksy. Tatsächlich jedoch profitiere die Street Art in etwa so sehr von seinem Film wie der Wasserskisport von Haien (zitiert nach Jones 2010: BBC). In seiner Aussage reduziert Banksy die Qualität seines Filmes, indem er erklärt, er habe niemals vorgehabt, einen Film zu machen, erklärt er (ebd.). Exit through the Gift Shop wird von ihm deutlich entwertet: „I think it´s a good film, as long as you have very low expectations.“ (ebd.) Dieses Vorgehen Banksys im Umgang mit seinem Filmdebut erscheint zunächst irritierend, erklärt sich jedoch, indem die Kernthematik des Films nicht in der Street Art und ihren Techniken erkannt wird, sondern im Spiel mit Identität und Anonymität zur Förderung des Personenkultes. Der im Film agierende Banksy bleibt auch auf Zelluloid gebannt unidentifizierbar. Indem er die Regie übernimmt und seinen Hauptdarsteller Mr. Brainwash in den Fokus der Dokumentarfilmbetrachtungen rückt, wird dieser, obwohl er aus einem Street Art fremden Milieu stammt, ebenfalls zum Karrierekünstler. Der reale Banksy macht im Film auf seinen eigenen Werdegang unter dem Leitattribut der Anonymität aufmerksam und parodiert den Kult um das Rätselhafte seiner Person: Kult wird zu einer Frage des Kamerablickwinkels.
5. Schluss: Der Kult des Rätselhaften als Kompensationsversuch eines Mangels
Der Kult des Rätselhaften rund um den britischen Street Art-Künstler Banksy resultiert maßgeblich aus dessen Spiel mit der eigenen Identität. Durch das bewusste Streuen von (Des-)Informationen zu seiner Person schürt Banksy das Interesse des Rezipienten und der Medien an seiner Identität. Dabei macht er sich ausschließlich über die Vermittlung eigener Werte- und Glaubensvorstellungen zugänglich, wobei deren Übertragung den für die Street Art charakteristischen Mechanismen der Kommunikationsguerilla unterliegt. Im Schutze seiner Anonymität weist er auf gesellschaftliche Missstände hin und rückt diese so ins Bewusstsein des Betrachters. Im Zentrum steht dabei das Hinweisen auf Manipulationen durch Gesellschaft und Staat, die zumeist unterbewusst stattfinden und das Individuum im Gesellschaftsgefüge seiner Selbstbestimmung und Freiheit berauben. Banksys Kunst verfügt demnach über eine Aktivierungsabsicht, die maßgeblich auf der Grundlage der Anonymität des Künstlers transportiert wird.
In Zusammenhang mit der Funktion der Kommunikationsguerilla, auf gesellschaftliche Missstände und Fremdeinwirkungen auf das Individuum im öffentlichen Leben hinzuweisen, steht die Definition des Kultbegriffes bei Taubes. Ein Abgleich der Kult-Definition mit den Merkmalen der Kommunikationsguerilla hat ergeben, dass sich beide gleichermaßen mit dem Freiheitsbegriff beschäftigen. Indem Banksy die Freiheit des einzelnen postuliert und im Schutze seiner Anonymität über die Kommunikationsguerilla zu installieren versucht, wird er sowohl zum Träger eines Kultes um das Rätselhafte als auch zum Kompensationsobjekt des Mangels an Freiheit für den Rezipienten. Initiiert wird dieser Kult vorrangig durch den Selbstentzugs Banksys vor staatlicher Kontrolle. Die Untersuchung einiger ausgewählter Werke hat gezeigt, dass der Kult um das Rätselhafte zudem eine Basis für weitere den Bekanntheitsgrad steigernde Kultfaktoren darstellt. Diese entstehen etwa aus der Aussage der Werke, die zumeist mit einem Tabubruch verbunden ist, resultieren aus der gewagten Ortwahl, die einen Überraschungseffekt beim Rezipienten erwirkt, oder ergeben sich aus dem fortwährend bestehenden Risiko einer Festnahme des Künstlers bei der Anbringung der Street Art im öffentlichen Raum. Als Person, die sich den Kontrollmechanismen unserer Zeit entzieht, wird Banksy zum Vorbild für das sich nach Freiheit sehnende, fremdbestimmte Individuum.
Die technischen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts als Medienzeitalter dienen den Künstlern der Street Art als Plattform, um ihre Werke publik zu machen. Über das Internet werden Fotographien dieser einer breiten Öffentlichkeit zugeführt, und über das den Werken entgegengebrachte Interesse wird wiederum der Kultstatus eines Künstlers gefördert. Die Untersuchung von Banksys Umgang mit den Medien hat gezeigt, dass er ihre Mechanismen nutzt, um das Spiel mit der eigenen Identität voranzutreiben und so den Kult um das Rätselhafte seiner Person zu stärken. In seiner Dokumentation Exit through the Gift Shop wird dieses gar zum zentralen Handlungselement. Der Kult um das Rätselhafte ist keine zufällige Erscheinung, er ist ein inszenierter Kult, so eine mögliche Deutung der Aussage des Films. Banksy subvertiert den eigenen Kultstatus auf ähnliche Weise, wie er in seinen Werken Kult behaftete Zeichensysteme subvertiert. Eine Relativierung des Kultes um das Rätselhafte findet in Exit through the Gift Shop statt und deutet an, dass dieser nicht nur ein über die Medien transportiertes, sondern von ihnen maßgeblich gestaltetes Phänomen ist. Kult wird zum Phänomen des Medienzeitalters.
Gerade vor diesem Hintergrund eignet sich die Street Art als noch junge Kunstrichtung hervorragend, um die zukünftige Entwicklung verschiedener Kulterscheinungen zu untersuchen. Ihre eingehendere Betrachtung mit einem möglichen Schwerpunkt auf dem Kult des Rätselhaften als Maßnahme zur Kompensation eines bestehenden Mangels erscheint interessant. Da sowohl die Street Art als auch der Kult des Rätselhaften weitgehend unerforschte Phänomene sind, wäre es dabei notwendig, die Kompensationstätigkeit dieser Kultform für den Rezipienten aus psychologischer Sicht und die für die Street Art charakteristische Reaktion auf gesellschaftspolitische Zustände aus soziologischer Sicht nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Förderung durch die Medien detaillierter zu beleuchten.
Literaturverzeichnis:
- Banksy: Wall and Piece. London 2006.
- Blanché, Ulrich: Something to s(pr)ay: Der Street Artivist Banksy. Eine kunstwissenschaftliche Untersuchung. Marburg 2010.
- Kleiner, Marcus S.: Semiotischer Widerstand. Zur Gesellschafts- und Medienkritik der Kommunikationsguerilla. In: Gerd Hallenberger, Jörg-Uwe Nieland (hrsg.): Medienkritik heute. Werkanalyse, Nutzerservice, Sales Promotion oder Kulturkritik. Köln 2005, S. 316.
- MacNaugthon, Alex: London Street Art Anthology. London 2009.
- Mancho, Tristan: Street Logos. London 2004.
- Misik, Robert: Das Kult-Buch. Glanz und Elend der Kommerzkultur. Berlin 2007.
- Reinecke, Julia: Street-Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz. Bielefeld 2007.
- Siegl, Norbert: Streetart. In: Brockhaus Enzyklopädie. Leipzig/Mannheim 2005/2006 [Bd. 26].
- Taubes, Jacob: Vom Kult zur Kultur. München 1996.
Online-Quellen:
- Banksy: banksy.co.uk. URL.: http://www.banksy.co.uk/. (gesichtet am 30.10.2011).
- Flickr.com. URL.: http://www.flickr.com/photos/fstutzman/246517721/. (gesichtet am 06.03.2012).
- Hattenstone, Simon: Something to spray. In: guardian.co.uk. URL.: http://www.guardian.co.uk/artanddesign/2003/jul/17/art.artsfeatures. (gesichtet am 23.09.2011).
- Jones, Emma: Banksy lies low at Berlin Film festival. In: bbc.co.uk. URL.: http://news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/arts_and_culture/8516172.stm. (gesichtet am 30.09.2011).
- Joseph, Claudia: Graffiti artist Banksy unmasked. In: dailymail.co.uk. URL.: http://www.dailymail.co.uk/femail/article-1034538/Graffiti-artist-Banksy-unmasked—public-schoolboy-middle-class-suburbia.html. (zuletzt gesichtet am 30.11.2011).
- Nedo, Kito: Banksy – Künstler auf der Flucht. In: Stern.de Mobil. URL.: http://mobil.stern.de/op/stern/de/ct/detail/kultur/banksy-kuenstler-auf-der-flucht/585865/?mobile=1. (zuletzt gesichtet am 30.09.2011).
- Reißmann, Ole: Kunstprovokateur. Banksy zeigt die ‘Simpsons’-Hölle. In: Spiegel Online. URL.: http://www.spiegel.de/kultur/tv/0,1518,722425,00.html. (zuletzt gesichtet am 29.09.2011).
- Schirrmacher, Frank: Wer ist Banksy? In: faz.net. URL.: (zuletzt gesichtet am 20.09.2011).
- Usborn, David: Staying anonymous is ‘crippling’, says Banksy. In: Independent.co.uk. URL.: http://www.independent.co.uk/news/uk/this-britain/staying-anonymous-is-crippling-says-banksy-447968.html. (zuletzt gesichtet am 05. Oktober 2011).
Film-Quellen:
- Children of Men. USA/GB 2006. Produktion: Universal Pictures. Produzent: Thomas A. Bliss, Armyan Bernstein. Regie: Alfonso Cuarón. Buch: Alfonso Cuarón, Timothy J. Sexton, David Arata, Mark Fergus, nach der Romanvorlage von P.D. James. 106 Min.
- Exit through the Gift Shop. USA/UK 2010. Produktion: Paranoid Pictures. Produzent: Holly Cushing, Jaimie D´Cruz, James Gay-Rees. Regie: Banksy. 87 Min.
- Match Point. USA/UK/Luxemburg 2005. Produktion: DreamWorks, Icon Productions. Produzent: Letty Aronson, Lucy Darwin, Gareth Wiley. Regie: Woody Allen. Buch: Woody Allen. 119 Min.
- The Jungle Book. USA 1967. Produktion: Walt Disney Pictures. Produzent: Walt Disney. Regie: Wolfgang Reithermann. Buch: Larry Clemmons, Ralph Wright, Ken Anderson, Vance Gerry, nach der Romanvorlage von Rudyard Kippling. 75 Min.
- The Simpsons. Season 22, Episode 18: Moneybart. USA/South Korea 2010. Produktion: 20th Century Fox. Produzent: Matt Groening. Regie: Nancy Kruse. Buch: Tim Long.