Schauinsblau Wrapped Teil 2

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von Nina Gret­sch­mann und Andre­as Müller

Nina (29) stu­diert Neue­re Lite­ra­tu­ren im Mas­ter und nimmt sich für 2023 vor, Der Zau­ber­berg von Tho­mas Mann  zu lesen.

Beyond The Infinite Two Minutes (2020)

Was pas­siert, wenn man zwei Minu­ten in die Zukunft sehen kann?

Mit die­ser Fra­ge befasst sich der japa­ni­sche Über­ra­schungs­er­folg Bey­ond The Infi­ni­te Two Minu­tes aus dem Jahr 2020. In der Sci-Fi Komö­die stellt der Café-Besit­zer Kato fest, dass er durch den Fern­se­her in sei­nem Apart­ment zwei Minu­ten in die Zukunft sehen kann. Er kann jedoch nicht belie­big in die Zukunft sehen – sein Fern­se­her ist auf wun­der­sa­me Wei­se mit dem Fern­se­her in sei­nem Café ver­bun­den, wodurch Kato in sei­nem Apart­ment im Fern­se­her sieht, was in zwei Minu­ten in sei­nem Café pas­sie­ren wird. Zwei Minu­ten in die Zukunft sehen kön­nen? Ist das über­haupt inter­es­sant? – Ja, ist es! Dem Low-Bud­get-Film gelingt es in knapp 70 Minu­ten auf inno­va­ti­ve und ori­gi­nel­le Wei­se zu unter­hal­ten. Hin­zu kommt, dass der Film ohne erkenn­ba­re Schnit­te aus­kommt, was für einen Zeit­rei­se-Film schon beacht­lich ist. Eine klei­ne Per­le des Sci-Fi-Kinos! Seit die­sem Jahr auf prime video.


Derry Girls

Good­bye Der­ry Girls, es war schön mit euch!

Kom­men wir zu einer wei­te­ren Per­le – Der­ry Girls. Die nord­iri­sche Sit­com, wel­che 2018 Pre­mie­re fei­er­te, ging 2022 in die drit­te und letz­te Run­de. Die­se letz­te Staf­fel bie­tet einen wür­di­gen Abschluss der Chan­nel 4 Erfolgs­se­rie, wel­che sich dem Leben von fünf Teen­agern im nord­iri­schen Der­ry der 90er Jah­re wid­met. Die Neben­ein­an­der­stel­lung des Nord­ir­land­kon­flikts und der hoff­nungs­vol­len Sorg­lo­sig­keit her­an­wach­sen­der Teen­ager ist ein gro­ßer Plus­punkt der Serie. Hier­zu­lan­de ist Der­ry Girls eher weni­ger bekannt, was viel­leicht dar­an liegt, dass die Serie, wel­che auf Net­flix abruf­bar ist, nur in der iri­schen Ori­gi­nal­ver­si­on ange­se­hen wer­den kann. Emp­feh­lens­wert ist sie den­noch oder viel­mehr genau aus die­sem Grund. Der iri­sche Ori­gi­nal­ton macht einen gro­ßen Teil des Charmes aus. Hin­zu kommt der bit­ter-böse Humor und der gran­dio­se Cran­ber­ries-las­ti­ge Sound­track. Der­ry Girls ist in mei­nen Augen einer der größ­ten Schät­ze auf Netflix!

 

Anleitung ein anderer zu werden

Wenn der Wunsch nach Selbst­wer­dung das Leben leitet…

Der fran­zö­si­sche Best­sel­ler­au­tor Édouard Lou­is ver­öf­fent­lich­te im Sep­tem­ber 2021 sei­nen Roman Chan­ger: métho­de – eine Art Fort­set­zung sei­nes Debüt­ro­mans Das Ende von Eddy. Im Herbst 2022 erschien das Werk in der deut­schen Über­set­zung (von Son­ja Finck) unter dem Titel Anlei­tung ein ande­rer zu wer­den. Der Text erzählt die Lebens­ge­schich­te von Eddy Bel­le­gueu­le wei­ter, rückt sie in ein ande­res Licht und zeigt wie vie­le „Opfer“ nötig sind, um der Mensch zu wer­den, der man sein möch­te. Lou­is schreibt gewohnt ein­neh­mend sowie ergrei­fend scho­nungs­los und zeigt aber­mals, dass er mit sei­nen 30 Jah­ren (Jahr­gang 1992) bereits zu den ganz gro­ßen Schriftsteller*innen unse­rer Zeit gehört. Als Lou­is-Fan der ers­ten Stun­de habe ich mich bereits Mona­te im Vor­aus auf die Erschei­nung des Romans gefreut und wie zu erwar­ten, wur­de ich nicht enttäuscht!

 

Bilderbuch — Gelb ist das Feld

Kann per­ma­nen­te Selbst­op­ti­mie­rung und Ver­än­de­rung glück­lich machen?

Bezieht man die­se Fra­ge auf die öster­rei­chi­sche Indie-Band Bil­der­buch, kann sie defi­ni­tiv mit einem lau­ten „JA“ beant­wor­tet wer­den! Die vier Öster­rei­cher ver­än­dern ihren musi­ka­li­schen Stil regel­mä­ßig meis­ter­haft und schaf­fen es gleich­zei­tig, sich den­noch treu zu blei­ben. Der unver­kenn­ba­re Bil­der­buch-Sound zeigt sich auch auf ihrem sieb­ten Stu­dio­al­bum Gelb ist das Feld, wel­ches im April 2022 erschie­nen ist. Dass die­ses Album für mich das bes­te Album des Jah­res sein wird, lässt sich bereits in mei­ner Rezen­si­on vom April her­aus­le­sen. Kein ande­res Album habe ich die­ses Jahr so oft gehört, kein ande­res Album hat mich die­ses Jahr so glück­lich gemacht. Ein wah­res „Bilderbuch“-Album!


Andre­as (30) stu­diert Ger­ma­nis­tik und sieht sich an der Schnitt­stel­le zwi­schen Wrest­ling und Weltliteratur

 OG Keemo – Mann beisst Hund

Mit Kendrick Lamar Ver­glei­chen kommt man in der Regel nie­man­dem ent­ge­gen. Stellt man sie auf, gesteht man Künstler*innen ihre Indi­vi­dua­li­tät nicht zu. Hört man sie, wer­den schier uner­füll­ba­re Erwar­tun­gen geweckt. Die Ver­gli­che­nen ihrer­seits müs­sen sich zu allem Über­fluss auch noch mit einem Pulit­zer-Preis­trä­ger mes­sen las­sen. War­um also solch dün­nes Eis betre­ten? Weil sich OG Kee­mo die­sen Rit­ter­schlag auf Mann beisst Hund ver­dient hat.

Der Ein­fluss, den eben jener Kendrick Lamar auf OG Kee­mo hat­te, ist dabei jeder­zeit spür­bar. Anstatt ihn aber ein­fach nur zu kopie­ren, lässt sich der Main­zer von des­sen Trade­marks inspi­rie­ren und über­setzt sie in den eige­nen Klang­kos­mos. Über 17 Tracks wird die Geschich­te der drei Freun­de Karim, Malik und Yasha erzählt, die sich in einer Plat­ten­bau­sied­lung ken­nen ler­nen. Dabei gibt OG Kee­mo jedem der drei Prot­ago­nis­ten in nur weni­gen Zei­len eine greif­ba­re Per­sön­lich­keit. Die Fra­ge nach Schuld und Ver­ant­wor­tung zieht sich durch die Geschich­te und wird immer wie­der anhand des Motivs von Hun­den und Män­nern auf­ge­grif­fen. Den roten Faden bil­den dabei Skits und Spo­ken Word Pas­sa­gen, die Unter­hal­tun­gen der drei Freun­de abbil­den und den Hörer mit­ten in die Sto­ry ziehen. 

Die musi­ka­li­sche Aus­ge­stal­tung des Pro­du­zen­ten Funk­va­ter Frank bie­tet hier ein Fun­da­ment, das genau­so nuan­ciert ist, wie es die Höhen und Tie­fen der Hand­lung vor­aus­set­zen. In wuch­ti­gen Momen­ten vol­ler jugend­li­chem Über­mut und Selbst­be­haup­tung unter den Gleich­alt­ri­gen wie Malik oder Big Boy drückt ein voll­mun­di­ger Bass. Zer­brech­li­che Momen­te wie der Gän­se­haut-Track Vögel, oder der Dop­pel­pack Petrichor und Regen zeich­nen sich ihrer­seits durch Soul und Jazz-Anlei­hen aus. OG Kee­mos erzäh­le­ri­sches Talent, das sei­nem mühe­los läs­si­gen Flow zu kei­ner Zeit im Wege steht, und Funk­va­ter Franks Gespür für die tref­fen­de Unter­ma­lung der Sto­ry ver­bin­den sich so zu einem moder­nen Klas­si­ker des Deut­schen Raps.

Mann beisst Hund ist nicht das deut­sche good kid, m.A.A.d city. Mann beisst Hund ist der Grund dafür, dass man künf­tig mit OG Kee­mo Ver­glei­chen nie­man­dem einen Gefal­len tun wird.

Andor

Die Lie­be zu Star Wars ist ein Fan­dom, das es einem nicht erst seit der Über­nah­me durch Dis­ney nicht ganz ein­fach macht. Zu viel Fan­ser­vice, zu wenig Fan­ser­vice, zu kon­ser­va­tiv, zu pro­gres­siv, und am Schluss ist sel­ten jemand so rich­tig zufrie­den. Gro­ßen Erfol­gen wie Rogue One oder The Man­dalo­ri­an ste­hen die unge­lieb­te Sequel-Tri­lo­gie oder die am Ende lei­der recht zahn­lo­sen Seri­en The Book of Boba Fett und Obi-Wan Kenobi gegen­über. Die Fan-Lieb­lin­ge, nach denen sich die Fin­ger geleckt wur­de, haben ent­täuscht — son­der­lich groß waren die Erwar­tun­gen an ein Spin-Off rund um den Rogue One Cha­rak­ter Cas­si­an Andor folg­lich nicht.

Und was macht Show­run­ner Tony Gil­roy mit all der Skep­sis? Er wischt sie mit einer läs­si­gen Hand­be­we­gung so ele­gant wie bestimmt vom Tisch und lie­fert mit Andor nicht nur ein über­ra­schend gutes Star Wars Pro­dukt ab, son­dern fran­chise- und gen­re­über­grei­fend eine der bes­ten Seri­en des Jah­res. So wie Rogue One schon ein Kriegs­film war, der zwar im Star Wars Uni­ver­sum ange­sie­delt war, des­sen gän­gi­ge Kli­schees aber wei­test­ge­hend außen vor­ge­las­sen hat, ver­sucht auch Andor gar nicht erst, sol­che Erwar­tun­gen zu erfül­len. Schon die ers­ten Momen­te, die in einem Bor­dell spie­len, zei­gen das in aller Deut­lich­keit. „Shit!“ — ein simp­ler Fluch fühlt sich erfri­schend anders an. Nicht unbe­dingt erwach­se­ner, aber ech­ter, greif­ba­rer. Licht­schwert­du­el­le und Gedan­ken­tricks bekommt man woan­ders. Andor beleuch­tet die dunk­len Sei­ten des Star Wars Uni­ver­sums: will­kür­li­che Gewalt und Unter­jo­chung durch das Impe­ri­um, Intri­gen unter impe­ria­len Offi­zie­ren, Gue­ril­la­krieg gegen die Unter­drü­cker und die Opfer, die man dafür brin­gen muss, und von denen nie jemand erfah­ren wird.

Die Cha­rak­te­re in Andor wis­sen, dass sie nie Stoff für Hel­den­sa­gen wer­den, und dass das nur ein klei­ner Teil des Prei­ses ist, den sie für ihre Rebel­li­on bezah­len. Getra­gen wird die Serie durch einen durch­weg star­ken Ensem­ble Cast um den Haupt­dar­stel­ler Die­go Luna. Des­sen Nomi­nie­rung für den Gol­den Glo­be zeigt nicht nur die Klas­se sei­ner schau­spie­le­ri­schen Leis­tung auf, son­dern auch die des Autor*innen Teams, das nicht ein­fach nur leich­te Unter­hal­tung für Sci­Fi Freund*innen abge­lie­fert hat, son­dern eine Dra­ma Serie, die alle Stär­ken des Gen­res mit einer bis dahin unbe­kann­ten Sei­te eines lieb­ge­won­nen Uni­ver­sums verbindet.