von Hannah Bauer und Fiona Wiedemann
Hannah Bauer (22) studiert Vergleichende Literaturwissenschaft und würde gerne 2023 mit Florence Welch Tarotkarten legen.
Hamlet im Münchner Residenztheater
Eines der meist gespielten Bühnenstücke überhaupt, in jedem Oberstufenkurs besprochen – und doch ist es Regisseur Robert Borgmann mit Hamlet gelungen etwas zu gestalten, das auf mich neu wirkte. Eine Inszenierung der Extreme — zwischen leuchtend bunt und blendend weiß, dabei aber immer so schrill, dass die Augen tränen. Getragen wurde die Aufführung dabei von einem unfassbar guten Johannes Nussbaum in der Titelrolle, der den Wahnsinn Hamlets in jeder kleinsten Bewegung spürbar macht. Selten hatte ich nach einem Theaterstück solche Kopfschmerzen der Sinnesüberforderung. Diese in Kauf zu nehmen war es aber absolut wert.
Florence + the Machine – Dance Fever
Florence Welch — die unbestreitbare Königin des mystischen Indies und der Soundtrack eines jeden Menschen, der früher in Freundschaftsbücher bei „Was will ich einmal werden?“ „Hexe“ schrieb. Nach vierjähriger Pause hat sie im Mai 2022 das neue Album Dance Fever veröffentlicht, das hält was der Titel verspricht und in mir das Bedürfnis ausgelöst hat, mich in wilden Reigen zu wiegen. Wie gewohnt wirkt Florence‘ Musik nicht ganz irdisch. Gehauchte Harmonien, geflüsterte Zeilen und Atemgeräusche bilden einen klanglichen Tunnel zu einer anderen Welt. Nachdem ich das Musikvideo zur ersten Singleauskoppelung King gesehen habe, war ich kurz überzeugt, dass auch ich bloß einen violetten Umhang brauche, um schweben zu können.
The Dropout
Zu Beginn des letzten Jahres wurde Elizabeth Holmes, Inhaberin der Biotech-Firma Theranos und einst von der Times zu den 100 einflussreichsten Personen 2015 gezählt, wegen Betrug zu über 11 Jahren Haft verurteilt. Die, auf Disney+ verfügbare Miniserie von Elizabeth Meriwether erzählt den Aufstieg und den rasanten Fall der Unternehmerin. Die Handlung beruht dabei auf dem gleichnamigen Podcast von ABC News. Besonders die Szenen, die die persönliche Entwicklung und Veränderung der jungen Frau beleuchten, gehen unter die Haut. Man beobachtet Elizabeth (gespielt von Amanda Seyfried) dabei, wie sie, um in der Männer dominierten Branche ernst genommen zu werden, ihre Stimme einige Oktaven senkt und ihren Blick starr werden lässt. Stück für Stück verliert sie dabei auch ihre Menschlichkeit und ihr Gewissen. Die Serie versucht nachzuzeichnen, was in Holmes vorgegangen sein könnte, um zu ergründen wie es ihr gelang, das Bild einer seriösen Geschäftsfrau solange nach außen zu tragen. Dabei bleibt The Dropout angenehm nüchtern. Mich hat die Serie in einen Google-Strudel zur Thematik gezogen und einmal mehr fasziniert von den Abgründen der Business-Welt zurückgelassen.
Fiona Wiedemann, 23, studiert Komparatistik im 5. Semester und ihr persönliches Jahreshighlight war es, endlich wieder richtig viele Konzerte besuchen zu können.
Aftersun (2022)
Erwachsenwerden bedeutet, hilflos dabei zuzusehen, wie die eigene Kindheit ein Stück von ihrem Zauber verliert. Es bedeutet, hinter den Schleier der Nostalgie blicken zu müssen, der alles weicher und bunter erscheinen lässt. Sich einzugestehen, dass Erinnerungen, die perfekt erscheinen, es auf den zweiten Blick vielleicht gar nicht sind. Genauso wenig wie die eigenen Eltern. Es bedeutet auch, damit Frieden zu schließen — ein Prozess, der vielleicht nie ganz endet.
Auf einfühlsame und berührende Art und Weise führt die schottische Regisseurin Charlotte Wells uns in ihrem Erstlingsfilm Aftersun durch ein Kaleidoskop an Kindheitserinnerungen, die immer wieder durchbrochen werden von der harten Realität des Erwachsenendaseins. Von dem Gefühl, dass da mehr ist hinter diesem scheinbar perfekten Sommer. Von dem Versuch, das perfekte Bild, das wir als Kinder oft von unseren Eltern haben, mit unserem heutigen Wissen zu vereinbaren, dass sie auch nur Menschen sind. Und ihnen dafür zu vergeben. Was übrig bleibt, ist das Bild einer authentischen Vater-Tochter-Beziehung, mit all ihren Höhen und für Kinderaugen vielleicht unsichtbaren Tiefen. Ein Film, der sehr wenig zeigt, aber damit unglaublich viel sagt, und über den ich sicher noch lange nachdenken werde.
Yellowjackets
Wer in der Schule Lord of the Flies lesen musste, dem ist sicher schon bekannt, dass es nichts Gutes bedeuten kann, wenn ein Haufen Teenager nach einem Flugzeugabsturz auf sich selbst gestellt ist. Yellowjackets nimmt dieses altbekannte Konzept und gibt ihm nicht nur neuen Schwung, sondern auch eine überwiegend weibliche Perspektive. Denn bei der Gruppe, die hier mitten in der tiefsten kanadischen Wildnis strandet, handelt es sich um eine Mädchenfußballmannschaft. Und die hat es in sich. Diese Serie ist hierzulande leider bisher etwas untergegangen (es gibt sie mittlerweile nicht mehr nur auf Sky, sondern auch auf Paramount+!) und definitiv nichts für schwache Nerven. Mich hat sie sofort in Bann gezogen. Ich kann gar nicht sagen, was ich an ihr am liebsten mag — die fantastischen Schauspieler*innen, die extrem clevere Handhabung von zwei Zeitebenen, die dich als Zuschauer*in von einer Wendung oder Theorie zur Nächsten jagt, oder auch einfach der großartige 90er-Jahre Soundtrack. Fest steht, dass ich den März kaum erwarten kann, denn da kommt die zweite Staffel. Empfehlenswert für Horrorfans, die wissen, dass man Teenagermädchen niemals unterschätzen sollte.
Wolf Alice – Blue Weekend
Auch wenn dieses Album eigentlich schon 2021 erschienen ist, ist es aus meinem persönlichen 2022 nicht wegzudenken. Denn erst im letzten Jahr habe ich mich so richtig in die britische Band um Frontfrau Ellie Rowsell verliebt, die ich — Festivals sei Dank — sogar ganze drei Mal live erleben durfte. Die Band überzeugt sowohl mit lauten Gitarren als auch mit melancholischen Balladen, getragen von Rowsells außergewöhnlicher Stimme. Ihr drittes Album Blue Weekend hat mich durch das letzte Jahr begleitet wie kein anderes.