Ein Treffen mit dem Drucker Josua Reichert
von Tabea Krauß
Der Drucker, Typograph und Goetheliebhaber Josua Reichert wurde 1937 in Stuttgart geboren. Heute lebt er im selbst gewählten „Exil“ in Oberbayern. Die Lehre in einer Buchdruckerei brach der junge Josua ebenso ab wie das Studium an der Kunstakademie in Karlsruhe. Seitdem druckt er auf eigene Faust.
Es ist der 28. August, Goethes Geburtstag. Im Frankfurter Goethehaus wird gefeiert. Auf dem Programm steht 20:00 Uhr – Konzert mit Goetheliedern, 21:30 Uhr – Eröffnung der Kabinettausstellung „Mit Goethe in Pompeji. Der Drucker Josua Reichert“. Wir sitzen im Goethehausgärtchen auf Plastikstühlen und warten Sekt trinkend auf den zweiten Programmpunkt. Josua Reichert und seine Frau sind mit dem Zug angereist. Er trägt ein hellgelbes Jackett, auf schwäbisch erzählt er von seinen Italienreisen und den neuesten Ausstellungsprojekten.
Der Drucker, Typograph und Goetheliebhaber Josua Reichert wurde 1937 in Stuttgart geboren. Heute lebt er im selbst gewählten „Exil“ in Oberbayern. Die Lehre in einer Buchdruckerei brach der junge Josua ebenso ab wie das Studium an der Kunstakademie in Karlsruhe. Seitdem druckt er auf eigene Faust. Ausgerüstet mit Farbe, Papier, Holzlettern und einem Regal voll Weltliteratur begann er seine Druckerkarriere. Wer durch deutsche Universitätsbibliotheken, Krankenhäuser und andere öffentliche Gebäude wandelt, wird an seinen großformatigen Schriftbildern nicht vorbeikommen. Goethe, Hölderlin und Hafis hängen dort an den Wänden. Zahlreiche Ausstellungen und Ehrungen bezeugen seinen Erfolg, den er neben den Wand füllenden Großdrucken auch seinen kunstvollen Mappenwerken und Heften verdankt.
Zurück in den Garten. Wir sind beim zweiten Glas angekommen, es wird spannend. Reichert spricht von seinem Selbstverständnis als Künstler. Er sei ein Drucker, der Drucker, der letzte seiner Art. Wer macht denn noch so etwas: per Hand drucken. Eigentlich gibt es den Drucker in Menschengestalt nicht mehr. Was einst eine geläufige Berufsbezeichnung war, hat heute einen mythischen Beigeschmack, doch gerade das gefalle ihm. Dann geht es ans Eingemachte: seine Arbeitsweise. Er sauge – wie Goethe – alles auf, was ihm so unter die Finger komme, greife zurück auf die gesamte abend- und morgenländische Kunst- und Literaturgeschichte. Das alles lasse er durch sich hindurchströmen und gebe es gefiltert und in Druckkunstwerke verwandelt wieder heraus. Als eine Art „Durchlauferhitzer“, so sehe er sich selbst.
Vielfältige Einflüsse lassen sich auch an den nun im Hochstift ausgestellten Blättern ablesen. Sie entstammen den Heften „EIAPOMPEIA“ I, „EIAPOMPEIA“ II und „NAPOLI“, an denen Reichert drei Jahre arbeitete und die er erst Anfang 2009 vollendete. Mit Goethes „Italienischer Reise“ und einem Lateinlexikon im Gepäck macht er sich auf den Weg nach Neapel und Pompeji. Goethes Briefe, pompejanische Wandbilder, antike Inschriften und eigene Eindrücke – das ist Reicherts Rohmaterial. Er spielt mit Texten und Bedeutungen, jongliert mit Schriftzeichen und abstrakten Formen, experimentiert mit Farben und Techniken.
So variiert er zum Beispiel mit typographischem Übermut das Mitte des ersten Jahrhunderts in Pompeji entstandene und 1936 wiederentdeckte magische Buchstabenquadrat: SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS. Die Graffiti, die Pompejaner einst an Mauern und Wände ihrer Stadt kritzelten, peppt er mit etwas Pink, Rot und Blau auf und berichtet in einem kurzen Text von vier Lateinlehrern, mit denen er beim Mittagessen im Ristorante Internazionale über die Übersetzungen der Inschriften disputierte. Im Gedenken an Goethes „frugales Mahl“, das dieser in Pompeji zwei Jahrhunderte zuvor eingenommen hatte, integriert er augenzwinkernd auch die unleserliche Restaurantrechnung in seinen Italienzyklus.
In spannendem Dialog mit Reicherts eigenem Text stehen die handgedruckten Briefe Goethes, die dessen Eindruck der einst vom Vesuv verschütteten Stadt wiedergeben: „Viel Unheil“ sei in der Welt geschehen „aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte“ (Italienische Reise). Die „mumisierte Stadt“ jedenfalls fasziniert den Drucker wie damals den Dichter. Ein experimentelles Blatt Reicherts, eines der schönsten, erweckt ein ähnliches, halb angenehmes, halb mulmiges Gefühl, wie es Goethe heraufbeschwört. Es zeigt ein auf braunen Grund gedrucktes düsteres Schwarz-Weiß-Foto einer pompejanischen Straße, in das im Handdruckverfahren ein kleiner silberner Mond montiert wurde.
Besonders beeindruckend aber sind die von Josua Reichert in geometrische Abstraktionen verwandelten pompejanischen Wandbilder. Hier werden sprühende Funken zu Punkten und Kommas, die untergehende Sonne wird zum Kreissegment und der Vesuv zum violetten Dreieck auf orangefarbenem Grund, über dem als Lava zwei Ypsilon-Zeichen schweben.
Es ist kurz vor halb zehn. Die letzten Klänge des in den Garten übertragenen Konzerts schallen aus den Lautsprechern, wir verlassen unsere Plastikstühle und eilen hinauf ins Museum zur Eröffnung. In Erwartung der baldigen Besucher brodelt dort der Vesuv in den Vitrinen.