© Theter
von Gabriel Gavran
Das theter Ensemble meldet sich wieder zurück und die Regisseurin Sophia Planckh hat eine ganz besondere Inszenierung auf die Bühne gebracht. Seit geraumer Zeit gehört das theter zu einem Geheimtipp in der Theater-Szene und bei Aufführungen wie 65% versteht man auch schnell, warum diese talentierte Truppe ein immer höheres Ansehen genießt. Und auch bei Die Willküre wird schnell augenfällig, dass man eine ganz großartige Perfomance zu sehen bekommt. Den Startpunkt des Stücks übernimmt Laudanum, ein allwissender Erzähler benannt nach einer Opiumtinktur, ein Kommentator der Szenen und eine Figur, die den Zeit- und Handlungsablauf genau durchtaktet und vorbereitet. Klingt absurd? Genau das soll auch erreicht werden. Das Bühnenbild verstärkt diesen Eindruck. Bunte Würfel scheinen rein zufällig verteilt, der Boden gleicht einem LSD-Trip und daneben sitzen Geister, die die alltäglichen Abläufe unseres Lebens beobachten.
Bei seiner eigenen Beerdigung dabei sein? Nach dem anfänglichen Monolog des Laudanum beginnt die Szene mit der Figur des Gustav Teckler, der seiner eigenen Beerdigung zuschaut und die Zuschauer*innen werden mit dieser Absurdität erst einmal konfrontiert. Es folgt ein Pfarrer, der seinen Text vergisst und den Wert einer Person an seiner Hingabe zu Gott misst und schließlich einen schrecklichen Halleluja-Gesang anstimmt. Eine chaotische Beerdigung ist der perfekte Einstieg in die scheinbar willkürlich gewählten Stationen des Lebens. „Er war ein Säugetier“, kann man als misslungensten Versuch werten, um eine verstorbene Person zu charakterisieren.
Alltägliche Situationen werden parodistisch überzeichnet und zeigen dem Publikum, wie lächerlich so manche Stationen im Leben doch sind. Eine Großmutter steht mit ihrer Tochter und Enkelkind vor Baustellenschildern, die das Betreten eines bestimmten Bereichs verbieten, woraufhin die Frage aufgeworfen wird, wer haftet, wenn man mit seiner Mutter und Großmutter unerlaubt das Grundstück betritt. Und wenn das Schild einfach in die andere Richtung gedreht wird, wandert dann die Baustelle auch mit oder verschwindet sie? Dieses Spiel mit Wahrnehmung und Wirklichkeit wird in seiner Komik durch das sehr abstrakte Bühnenbild potenziert und es entsteht der Eindruck als ob sich Kafka selbst einen Spaß erlaubt hätte.
Einen stringenten Handlungsstrang sucht man bei diesem Stück vergeblich. Jede Szene wird quasi spontan in Aktion gerufen, entweder sie spielt sich von alleine zu Ende oder Laudanum crasht die Handlung, indem er die Darsteller verscheucht und auf den Zeitplan aufmerksam macht oder ganz einfach random einen Punk-Song Karaoke singt. Die Stärke der Performance liegt gerade in ihrer Unvorhersehbarkeit. Die Schauspieler*innen und Figuren werden ununterscheidbar, man bekommt den Eindruck, dass diese überspitzten Figuren authentisch sind und auch abseits der Bühne bei einer Jahresabrechnungsbesprechung mit dem Tageslichtprojektor einen Showkampf führen könnten.
Es wird mit allen möglichen Mitteln gespielt, um unvorhersehbar zu bleiben. Im Austausch mit der Dramaturgin Vivien Claire Bergjann wird klar, dass die Willkür so vorangetrieben werden soll, um jeglichen Handlungsstrang zu untersagen. Das Bühnenbild wird deshalb von Szene zu Szene variiert. Die bunten Würfel erlauben abstrakte Darstellungen und variantenreiche Raumkonzeptionen. Meistens verändert Laudanum selbst das Bühnenbild und durchbricht währenddessen durchgehend die vierte Wand. Er diskutiert mit den Figuren, wirft ihnen vor, die Szenen zu früh gespielt zu haben, während die Figuren selbst nicht nachvollziehen können, dass sie überhaupt Teil eines Theaterstückes sind. Oder er streitet sich mit dem Bühnentechniker, weil das Licht nicht hell genug ist. Man kann sich deshalb nie sicher sein, ob das gesamte Stück doch eine reine Improvisation ist. Eine klassische Dramaturgie findet hier nicht statt. Stattdessen werden verschiedene kurze Handlungsstränge präsentiert, welche von der Figur Laudanum eingeleitet und abgebrochen werden. Laudanum bleibt die einzige Konstante in diesem Stück, er allein kennt die Regeln, die Handlung und den Fakt, dass er in einem Theaterstück eine Figur ist.
Am Rande der Bühne beobachten drei Geister die Absurdität des Lebens auf einer Couch und kommentieren dabei jedes Ereignis. Die drei Geister in diesem Stück sind eine evidente Anspielung auf Sartres Geschlossene Gesellschaft. In diesem ganzen bunten Wahnsinn scheinen diese Toten die einzigen Figuren zu sein, die über das Leben reflektieren können. Anders als bei Sartres Stück belügen diese Toten einander nicht, bauen stattdessen eine Liebesbeziehung auf und sind solidarisch miteinander. Sie treten als Kontrapunkt zu der in der Performance porträtierten Gesellschaft auf. Als Zuschauer*in scheint es so, dass diese verstorbenen Figuren das Leben in seiner Absurdität akzeptieren und dadurch zu ihrem Glück finden.
Absolutes Highlight des Abends ist die audiovisuelle Darstellung einer Tinder-Konversation. Es werden die Profile von den Figuren kurz vorgestellt und nach dem Match wird eine Unterhaltung inszeniert, die an Oberflächlichkeit nicht zu übertreffen ist. Die Figuren erstarren zu ihren eigenen Posen und parodieren damit das alltägliche Dating Verhalten. Außerdem wird eine der genialsten Punchlines geliefert, die ich so im Theater noch nie gehört habe. Ich verspreche nicht zu viel!
Wie endet diese Inszenierung? Naja, sehr willkürlich, wie der Name es schon vermuten lässt. Laudanum nimmt einfach die Handlung in seine Hände und beendet diese mit einem sehr sportlich-brachialen Handeln. Tarantino Fans werden hier sehr viel zu schmunzeln haben. Der Abend endet eher simpel mit dem Satz: „Wars das?“
Das Stück kann man einfach als eine bunte Kiste bezeichnen, die humorvoll und komplett gaga den Alltag auf die Schippe nimmt. Es ist erfrischend, kreativ und entgegen der Norm. Man merkt die Hingabe und Mühe des theters und wie gelungen der Abend am Ende doch geworden ist. Auch bei zukünftigen Veranstaltungen unbedingt hingehen, ihr werdet garantiert nicht enttäuscht. Großes Ehrenwort!