Kunst als transkultureller Raum? — Das Grandhotel Cosmopolis

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von Eva Pörnbacher

 

Im Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis in Augs­burg wird die­se Fra­ge mit Ja beant­wor­tet. Das Pro­jekt — mal als „sozia­le Plas­tik“, mal als „Tran­sit­raum“, mal als „kon­kre­te Uto­pie“ beschrie­ben – ver­eint Hotel, Flücht­lings­un­ter­kunft, Künst­ler­ate­liers und Gas­tro­no­mie unter einem Dach. Doch wel­che Auf­fas­sung von Kunst liegt in der Luft, wenn man in die stil­vol­le Lob­by die­ses außer­ge­wöhn­li­chen Hotels ein­tritt? Wie lässt sich das Pro­jekt in einer Trans­kul­tu­ra­li­täts­de­bat­te ver­or­ten und wel­che Effek­te hat eine Gleich­zei­tig­keit von künst­le­ri­schem und trans­kul­tu­rel­lem Den­ken und Han­deln? Ein Streif­zug durch Theo­rie und Praxis.

Das Konzept der Transkulturalität

„Die gan­ze Kul­tur des nord‑, öst- und west­li­chen Euro­pa ist ein Gewächs aus römisch-grie­chisch-ara­bi­schen Samen“ (Her­der 2002: 651), meint J.G. Her­der Ende des 18. Jahr­hun­derts. Byung Chul Han bezeich­net sie daher gar als „eine Art Bas­tard“ (Han 2005: 12). Migra­ti­on ist eine Grund­kon­stan­te der Mensch­heit und so blieb kaum eine Kul­tur jemals lan­ge unter sich. Den­noch muss man fest­stel­len, dass sich, bedingt durch den fort­schrei­ten­den Glo­ba­li­sie­rungs­pro­zess der letz­ten Jahr­zehn­te, die gegen­wär­ti­ge Art der Durch­drin­gung der Kul­tu­ren in ihrer Struk­tur und Geschwin­dig­keit fun­da­men­tal von allem Vor­her­ge­hen­den unter­schei­det. Der umfas­sen­de Aus­bau welt­wei­ter Trans­port- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­te­me, lässt geo­gra­phi­sche Distan­zen bei­na­he ver­schwin­den. Waren, Infor­ma­tio­nen, aber auch Kul­tu­ren machen längst nicht mehr Halt an natio­na­len Gren­zen. Die so ent­stan­de­nen dich­ten und kom­ple­xen Inter­fe­ren­zen hete­ro­ge­ner kul­tu­rel­ler Inhal­te kön­nen mit klas­si­schen Ana­ly­se­me­tho­den der Kul­tur­wis­sen­schaft nicht mehr ange­mes­sen erfasst wer­den. Wolf­gang Welsch for­dert daher einen Para­dig­men­wech­sel und lie­fert mit dem Kon­zept der Trans­kul­tu­ra­li­tät eine Theo­rie, die die Rea­li­tät des netz­ar­ti­gen Hybrid­cha­rak­ters gegen­wär­ti­ger Kul­tu­ren ange­mes­se­ner zu erfas­sen vermag.

Auf der einen Sei­te rich­tet die Trans­kul­tu­ra­li­täts­for­schung ihr Augen­merk auf öko­no­mi­sche Macht­struk­tu­ren in deren Fol­ge sich eine Durch­drin­gung und Neu­for­ma­ti­on kul­tu­rel­ler Ele­men­te ergibt. Ob die­se gestei­ger­te Mobi­li­tät auf Frei­wil­lig­keit oder Zwang beruht, ist im Rah­men der deskrip­ti­ven Dimen­si­on von Trans­kul­tu­ra­li­tät gleich­gül­tig. Die Hyper­mo­bi­li­tät eines ame­ri­ka­ni­schen CEOs, der sich zwi­schen inter­na­tio­na­len Skype­kon­fe­ren­zen und Flug­hä­fen bewegt ist damit genau­so gemeint wie die Flucht einer syri­schen Frau, vor Krieg und Ter­ro­ris­mus. Auf der ande­ren Sei­te spie­gelt sich die­se Ver­dich­tung von Zeit und Raum auf der intra­sub­jek­ti­ven Ebe­ne wider. For­mier­te sich Iden­ti­tät vor­mals im Rah­men eines ein­heit­li­chen Sche­mas, so pro­du­zie­ren neu­ar­ti­ge Sub­jek­ti­vie­rungs­pro­zes­se eine patch­work-Iden­ti­tät, die sich aus einer Viel­zahl hete­ro­ge­ner kul­tu­rel­ler Ele­men­te zusam­men­setzt. Das Sub­jekt wird zu einem kul­tu­rel­len Netz­werk. Welsch geht davon aus, dass ein Mehr an inter­ner Trans­kul­tu­ra­li­tät Indi­vi­du­en den Umgang mit exter­ner Trans­kul­tu­ra­li­tät erleich­tert. Eine Art Trans­kul­tu­ra­li­täts­kom­pe­tenz, wenn man so will: „Je trans­kul­tu­rel­ler eine Iden­ti­tät sich gestal­tet, des­to anschluss- und kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hi­ger ist sie und des­to weni­ger abweh­rend ver­hält sie sich gegen­über dem „Frem­den“. Dar­in sieht Welsch einen der gro­ßen Vor­tei­le des Über­gangs zu Transkulturalität.

Hier deu­tet sich die nor­ma­ti­ve Dimen­si­on die­ses Kul­tur­kon­zepts an, das auch als Mit­tel gegen Sepa­ra­tis­mus und Kul­tur­ras­sis­mus fun­gie­ren soll (vgl. Welsch 1992: 8f.). Ob man nun tat­säch­lich davon spre­chen muss, dass Trans­kul­tu­ra­li­tät der Bil­dung einer fried­li­che­ren Welt­ge­sell­schaft zuar­bei­tet sei dahin­ge­stellt (vgl. Welsch 2010: 61). Der Grund­ge­dan­ke hin­ge­gen, bestehen­de trans­kul­tu­rel­le Struk­tu­ren und Netz­wer­ke auf­zu­grei­fen und sich bewusst und aktiv in ihre Wei­ter­ent­wick­lung ein­zu­mi­schen erscheint plau­si­bel ange­sichts der Viel­zahl kul­tu­rel­ler Kon­flik­te, mit denen sich die Gegen­wart kon­fron­tiert sieht. Ein Blick auf eine orga­ni­sier­te und plan­vol­le trans­kul­tu­rel­le Pra­xis mag auf­schluss­reich sein.

Transkulturalität im Grandhotel Cosmopolis

Das Grand­ho­tel Comos­po­lis: Ein ehe­ma­li­ges Alten­heim, das umfunk­tio­niert wur­de und nun ein Hotel, eine Bar, eine Flücht­lings­un­ter­kunft, eine Gast­stät­te, Künst­ler­ate­liers und ein Café in sich ver­eint. Die Iden­ti­tä­ten, die sich hier ver­stri­cken, könn­ten unter­schied­li­cher nicht sein – aus­tra­li­sche Back­pa­cker tref­fen auf Geschäfts­rei­sen­de aus Chi­na, die­se wie­der­um auf Flücht­lin­ge aus Nige­ria oder der Ukrai­ne, eine alt­ein­ge­ses­se­ne Augs­bur­ge­rin trinkt einen Café mit der Hos­tel­be­woh­ne­rin, die gera­de auf Woh­nungs­su­che in Augs­burg ist. Inter­na­tio­na­le Künst­le­rIn­nen kön­nen Ate­liers bezie­hen. Das Mit­tag­essen wird gemein­sam gekocht und an Ver­an­stal­tungs­aben­den tref­fen sie alle in der Grand­ho­tel-Lob­by auf­ein­an­der. Bei­na­he erin­nert die­se ange­reg­te Stim­mung an die alten Grand­ho­tels vom begin­nen­den 20. Jahr­hun­derts. Die Besu­cher, Bewoh­ner und Mit­ar­bei­ter könn­ten in ihren Bio­gra­fien, Reli­gio­nen und kul­tu­rel­len Hin­ter­grün­den unter­schied­li­cher nicht sein. Unzäh­li­ge Spra­chen wer­den gespro­chen und erlernt in die­sem kos­mo­po­li­ti­schen Raum, in dem die Sound­an­la­ge ein­mal afri­ka­ni­sche Mbi­ra­mu­sik, ein anders Mal rus­si­schen Punk erklin­gen lässt.

Mög­li­cher­wei­se ist es genau das, was Wolf­gang Welsch vor­schwebt, wenn er von einer „Fami­ly of Man“ (vgl. Welsch 2010: 63) spricht und dabei sicher­lich auch die ‚Women‘ mit­ein­schlie­ßen will. Das Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis hat sich zu einem trans­kul­tu­rel­len Mikro­kos­mos ent­wi­ckelt, in dem sich sowohl gesell­schaft­li­che Poten­tia­le, als auch Pro­ble­me wider­spie­geln. Sepa­ra­tis­mus und Abschot­tung wird ent­ge­gen­ge­wirkt, indem ein Raum für einen regen Aus­tausch hete­ro­ge­ner Kul­tu­ren geschaf­fen wird, der sich nicht zuletzt in neu­ar­ti­gen Mit­tags­ge­rich­ten und trans­kul­tu­rel­len Musik­pro­jek­ten aus­drückt. Außer­ge­wöhn­li­che Geschmacks­er­leb­nis­se sind genau­so all­täg­lich wie der Musi­ker, der auf einem tra­di­tio­nel­len afgha­ni­schen Har­mo­ni­um deut­sche Lie­der spielt. Hin­zu kommt, dass gera­de in Bezug auf Asyl­po­li­tik, das Ziel ver­folgt wird, Macht­struk­tu­ren sicht­bar und erleb­bar zu machen. Der Flücht­ling aus Tsche­tsche­ni­en, mit dem man am einen Mor­gen noch einen Kaf­fee getrun­ken hat, kann am nächs­ten Tag ver­schwun­den sein — abge­holt von der Poli­zei — abge­scho­ben aus Deutsch­land. Sze­nen, die ansons­ten kaum zur Kennt­nis genom­men wer­den. Gera­de in sol­chen Bei­spie­len offen­ba­ren sich auch die Ver­stri­ckun­gen von Trans­kul­tu­ra­li­tät und Macht. Im Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis wird daher zum einen ver­sucht, einer restrik­ti­ven Asyl­po­li­tik mit krea­ti­ven poli­ti­schen Aktio­nen und über­zeu­gen­den Alter­na­ti­ven zu begeg­nen. Zum ande­ren wer­den Trans­kul­tu­ra­li­täts­kom­pe­ten­zen bei Besu­chern, Mit­ar­bei­tern und Bewoh­nern inten­siv geför­dert. So wer­den gege­be­ne Trans­kul­tu­ra­li­tä­ten auf­ge­grif­fen und gleich­zei­tig Ver­su­che unter­nom­men, die­se zu trans­for­mie­ren und gesetz­te Gren­zen zu über­schrei­ten, um einer gerech­ten und mensch­li­chen Wei­ter­ent­wick­lung trans­kul­tu­rel­ler Gesell­schafts­for­men zuzu­ar­bei­ten.
Das Kon­zept des Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis geht aller­dings weit über ein ori­gi­nel­les Flücht­lings­pro­jekt hin­aus. Von Beginn an ver­stand es sich in der Defi­ni­ti­on des erwei­ter­ten Kunst­be­griffs als das Expe­ri­ment einer sozia­len Plas­tik, als ein sich stän­dig trans­for­mie­ren­des Gesamt­kunst­werk. Als sol­ches ist es in wei­ten Tei­len der Kunst­welt durch­aus aner­kannt, was sich nicht zuletzt in zahl­rei­chen Ein­la­dun­gen zu Podi­ums­dis­kus­sio­nen diver­ser Kunst­hoch­schu­len und Koope­ra­tio­nen mit ande­ren Kunst­pro­jek­ten aus­drückt. Daher stellt sich nun die Fra­ge in wel­chem Ver­hält­nis Kunst und Trans­kul­tu­ra­li­tät zuein­an­der ste­hen. Inwie­fern beein­flus­sen sie sich gegen­sei­tig? Könn­te ein Zusam­men­hang bestehen zwi­schen der Debat­te um den Kunst­be­griff und der Debat­te um Transkulturalität?

Der Kunstbegriff vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Diskurse

„Die Avant­gar­de-Kunst hat in den letz­ten fünf­zig Jah­ren […] eine in der Geschich­te unse­rer Kul­tur bei­spiel­lo­se Rein­heit und radi­ka­le Begren­zung ihres Tätig­keits­be­reichs erreicht. Die Küns­te befin­den sich nun gesi­chert inner­halb ihrer jewei­li­gen »legi­ti­men« Gren­zen, und der freie Han­del zwi­schen ihnen hat der Aut­ar­kie Platz gemacht. Rein­heit bedeu­tet in der Kunst die Akzep­tanz, die bereit­wil­li­ge Akzep­tanz der Beschrän­kun­gen des Medi­ums der jewei­li­gen Kunst“ (Green­berg 2009: 71), schreibt der US-ame­ri­ka­ni­sche Kunst­theo­re­ti­ker Cle­ment Green­berg 1940 in sei­nem Auf­satz „Zu einem neue­ren Lao­ko­on“ (Green­berg 2009: 56–81). Den Fort­be­stand und die Iden­ti­tät der Kunst sieht er bedroht durch ver­schwim­men­de Gren­zen zwi­schen Musik, Bild­haue­rei, Lite­ra­tur und der Male­rei. Ver­mi­schung setzt er dabei gleich mit Ver­fall. Aus­ge­hend von inhä­ren­ten Geset­zen und unver­än­der­li­chen Wesens­ei­gen­schaf­ten der ver­schie­de­nen Küns­te, plä­diert Green­berg für deren rei­ne Iden­ti­tä­ten, aus denen alles Unei­gent­li­che und Frem­de aus­ge­schlos­sen sein muss.

73 Jah­re spä­ter unter­sucht Chris­ti­an Kra­va­gna Green­bergs The­sen in einem gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Zusam­men­hang. Dabei unter­nimmt er den Ver­such, Par­al­le­len zwi­schen Green­bergs moder­nis­ti­scher Kunst­theo­rie der Tren­nung und dem gesell­schafts­po­li­ti­schen Dis­kurs um Ras­sen­po­li­tik auf­zu­zei­gen. Er kommt dabei zu dem Ergeb­nis, dass in bei­den Dis­kur­sen der „Kult der Rein­heit […] dem Hor­ror der Ver­mi­schung gegenüber[steht], Iden­ti­tät defi­niert sich aus einer schein­bar natür­li­chen Wesen­haf­tig­keit der Gat­tung [oder Ras­se], die es zu bewah­ren und vor Dege­ne­ra­ti­on durch frem­de Ele­men­te zu schüt­zen gel­te“ (Kra­va­gna: 2013: 47). Sowohl in Denk­struk­tu­ren, als auch in Begrif­fen und Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en, sind Par­al­le­len nicht von der Hand zu wei­sen. Kra­va­g­nas Befund lau­tet, dass sich sowohl in der Kunst­theo­rie, als auch in den gesell­schafts­po­li­ti­schen Debat­ten Mit­te des 20. Jahr­hun­derts eine gleich­ar­ti­ge Hybri­di­täts­pho­bie fin­den lässt.

Aller­dings hat sowohl der Kunst­be­griff als auch die Segre­ga­ti­ons­po­li­tik seit den 1940er Jah­ren eine bedeu­ten­de Trans­for­ma­ti­on erfah­ren. Spä­tes­tens in den 1960er Jah­ren wer­den Stim­men laut, die in der Hybri­di­sie­rung weni­ger eine Bedro­hung als viel­mehr eine Berei­che­rung sehen. Der Civil Rights Act schafft nach jahr­zehn­te­lan­gem Kampf der afro­ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­rechts­be­we­gung 1964 offi­zi­ell die Ras­sen­tren­nung in den USA ab. Blickt man nach Euro­pa, bil­det sich in den Nach­kriegs­jahr­zehn­ten die Euro­päi­sche Uni­on mit dem Wahl­spruch „In Viel­falt geeint“ her­aus. Die­se Ent­wick­lun­gen, beglei­tet von einer Viel­zahl wei­te­rer grenz­über­schrei­ten­der Glo­ba­li­sie­rungs­pro­zes­se füh­ren zu einer Welt, die nicht nur räum­lich näher zusam­men­ge­rückt ist. Begeg­nun­gen mit ande­ren Kul­tu­ren wer­den immer unausweichlicher.

Auch die Kunst nimmt ab den 1960er Jah­ren Abstand von radi­ka­len Grenz­zie­hun­gen zwi­schen ihren Dis­zi­pli­nen und erkennt das Poten­ti­al einer trans­dis­zi­pli­nä­ren Arbeit über die Jahr­zehn­te an. Als Mei­len­stei­ne wären hier zu nen­nen die Con­cep­tu­al Art, die Per­for­mance, Flu­xus, die Instal­la­ti­on, die Pop Art, die sozia­le Plas­tik und Kunst im Öffent­li­chen Raum. Meist gin­gen die­se Strö­mun­gen mit einer Kri­tik am klas­si­schen Begriff des Kunst­werks ein­her und setz­ten sich über die tra­di­tio­nel­le Tren­nung von Künst­le­rIn – Werk – Rezi­pi­en­tIn hinweg.

Obgleich sich Hybri­di­sie­rungs­ge­dan­ken immer in Beglei­tung fun­da­men­ta­lis­ti­scher Sepa­ra­ti­ons­ideen fin­den, kann man in den letz­ten Jahr­zehn­ten doch eine Zunah­me trans­kul­tu­rel­len Den­kens und Han­delns ver­zeich­nen — sowohl im Bereich der Kunst, als auch im Bereich der Kul­tur. Bei­de Dis­kur­se bewe­gen sich heu­te in einem Span­nungs­feld von Iso­lie­rung und Hybridisierung.

Das Grandhotel Cosmopolis als Kunst?

Das Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis steht in einem sol­chen Span­nungs­feld ganz klar auf Sei­ten derer, die sich über Gren­zen hin­weg­set­zen wol­len. Das gesam­te Trans­kul­tu­ra­li­täts­pro­jekt als Kunst zu bezeich­nen, stellt eine Her­aus­for­de­rung, selbst für einen wei­ten zeit­ge­nös­si­schen Kunst­be­griff, dar. Die Tria­de von Küns­terIn, Werk und Rezi­pi­en­tIn ist bis zur Unkennt­lich­keit auf­ge­löst. Eine klar defi­nier­te Autor­schaft gibt es im Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis nicht. Jeder, der möch­te, kann sich an der Bear­bei­tung des Kunst­werks betei­li­gen, es trans­for­mie­ren, ergän­zen und betrach­ten, anhö­ren oder lesen. Die gege­be­ne Durch­läs­sig­keit von Pro­duk­ti­on und Rezep­ti­on hat zwangs­läu­fig ein offe­nes Kunst­werk zur Fol­ge. Der Moment der Fer­tig­stel­lung wird nie erreicht, ja soll gar nie erreicht wer­den. In Anleh­nung an Beuys, wird der Fokus weg von dem mate­ri­el­len Arte­fakt hin auf den Pro­zess der Ent­ste­hung und Ent­wick­lung gelenkt. In Bezug auf die Lite­ra­tur ent­spricht Roland Bar­thes die­ser Auf­fas­sung von Kunst, wenn er den „Tod des Autors“ for­dert und in der Kon­se­quenz in sei­nem Auf­satz „Vom Werk zum Text“ das Geschlos­se­ne zuguns­ten einer offe­nen Struk­tur zurück­weist. Der Pro­zess­cha­rak­ter und die Dema­te­ria­li­sie­rung des Kunst­be­griffs wider­spre­chen dabei zutiefst dem tra­di­tio­nel­len Anspruch der musea­len Aus­stell­bar­keit. Das Pro­jekt befin­det sich in der Tra­di­ti­on zeit­ge­nös­si­scher Kunst, die viel­fach für eine Demo­kra­ti­sie­rung des als eli­tär erleb­ten Kunst­be­triebs plä­diert und die Fra­ge nach poli­ti­scher und kul­tu­rel­ler Teil­ha­be dis­kur­si­viert. Kunst könn­te in die­sem Sin­ne, wie es Tho­mas Bau­meis­ter vor­schlägt, als ästhe­ti­sche Erfah­rung expli­ziert wer­den (vgl. Bau­meis­ter 2012: 395ff.). Die Ästhe­tik ver­weist auf die wei­ten Begrif­fe der Wahr­neh­mung und Emp­fin­dung und schließt damit auch Aspek­te mit ein, die nicht ein­deu­tig in die Kate­go­rien Lesen, Hören oder/und Betrach­ten ein­zu­ord­nen sind. Trans­me­dia­le und pro­zess­haf­te Kunst­pro­jek­te kön­nen so erfasst wer­den. Im Fal­le des Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis wür­den dem­entspre­chend sowohl die trans­kul­tu­rel­le Küche, als auch künst­le­risch poli­ti­sche Aktio­nen und Per­for­man­ces und ganz grund­sätz­lich die krea­ti­ve Schaf­fung eines dau­er­haf­ten, öffent­li­chen Rau­mes, in dem trans­kul­tu­rel­le Kon­flik­te greif­bar und erleb­bar gemacht wer­den, als Kunst auf­ge­fasst werden.

Das Verhältnis von Kunst und Transkulturalität im Grandhotel Cosmopolis

Nun ist die Idee, Kunst und Trans­kul­tu­ra­li­tät zusam­men­zu­den­ken nicht völ­lig neu: Im „Begriffs­le­xi­kon zur Zeit­ge­nös­si­schen Kunst“ lässt sich Trans­kul­tu­ra­li­tät nach­schla­gen (vgl. Höl­ler 2006: 286) und in der Pra­xis betont eine Viel­zahl von Pro­jek­ten, die meist im Work­shop-For­mat statt­fin­den, den inte­gra­ti­ons- und kom­mu­ni­ka­ti­ons­för­dern­den Cha­rak­ter von Kunst, um einer inter­kul­tu­rel­len Sprach­lo­sig­keit zu begeg­nen. Da aller­dings in der­ar­ti­gen For­ma­ten Kunst haupt­säch­lich als päd­ago­gi­sches Instru­ment auf­ge­fasst und meist ein klas­si­scher Kunst­be­griff zugrun­de gelegt wird, kann nicht von einer ernst­haf­ten und trans­for­ma­to­ri­schen Ver­zah­nung bei­der Berei­che gespro­chen wer­den. Eine wei­te­re popu­lä­re Art Kunst und Trans­kul­tu­ra­li­tät zu ver­knüp­fen, ist die soge­nann­te ‚Migra­ti­ons­kunst‘, in der Künst­le­rIn­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ihre Iden­ti­tä­ten und Erleb­nis­se in der Frem­de the­ma­ti­sie­ren. Ein Grund für die För­de­rung die­ser Kunst mag sein, dass Kunst­be­trieb und Kul­tur­po­li­tik sich so ihr trans­kul­tu­rel­les i‑Tüpfelchen ans Revers hef­ten kön­nen. Abge­se­hen von die­ser Gefahr der Instru­men­ta­li­sie­rung, zur Befrie­di­gung mora­li­scher Tole­ranz­selbst­bil­der, kann ‚Migra­ti­ons­kunst‘ durch­aus Akzen­te set­zen. Meist aller­dings voll­zieht auch sie sich im Rah­men des tra­di­tio­nel­len Kunst­ver­ständ­nis­ses. Hin­zu kommt, dass die wenigs­ten Migran­tIn­nen Künst­le­rIn­nen sind und eine Exklu­si­vi­tät bestehen bleibt.

Das Beson­de­re der Kon­stel­la­ti­on, die sich im Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis ergibt, ist nun, dass sowohl in Bezug auf die Kunst, als auch in Bezug auf die Trans­kul­tu­ra­li­tät Gren­zen in Fra­ge gestellt und erwei­tert wer­den. Die bei­den Dis­kur­se begeg­nen sich auf Augen­hö­he und kön­nen sich so ver­zah­nen und durch­drin­gen. Trans­dis­kur­si­ve Kom­mu­ni­ka­ti­on wird ver­stärkt, wodurch neue Mög­lich­keits­räu­me eröff­net wer­den. Der Kunst­be­griff auf der einen Sei­te, sieht sich mit gesell­schafts­po­li­ti­schen Fra­gen kon­fron­tiert und wird des­sen Fol­ge poli­ti­scher, kri­ti­scher und öffent­li­cher. Der trans­kul­tu­rel­len Migra­ti­ons­pro­ble­ma­tik auf der ande­ren Sei­te steht eine künst­le­ri­sche Pra­xis gegen­über, die krea­ti­ve, kon­kre­te und kon­struk­ti­ve Lösungs­an­sät­ze bereit­hält.
Das Poli­ti­sche der Kunst des Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis erschöpft sich nicht dar­in, der Gesell­schaft kurz­zei­tig einen Spie­gel vor­zu­hal­ten, um Kri­tik an Macht­ver­hält­nis­sen zu üben, wie dies in einer Viel­zahl sehr gelun­ge­ner kri­ti­scher Kunst­pro­jek­te unse­rer Zeit der Fall ist. Man den­ke bei­spiels­wei­se an „Aus­län­der raus! Schlin­gen­siefs Con­tai­ner“ von 2000. Auch im Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis wer­den Macht­struk­tu­ren sicht­bar gemacht und so gesell­schaft­li­che Ver­hält­nis­se kri­ti­siert. Aller­dings wirkt es auf den ers­ten Blick all­täg­li­cher als so man­ches pro­vo­ka­ti­ve Kunst­pro­jekt. Es ist ein Wohn­raum auf Zeit, eine trans­kul­tu­rel­le Gast­stät­te, ein Ver­an­stal­tungs­ort, eine Flücht­lings­un­ter­kunft. Unge­wöhn­lich, aber betritt man die Lob­by, scheint die­se Art der Pro­vo­ka­ti­on wenig aggres­siv. Auch die Tat­sa­che, dass das Pro­jekt als zeit­lich unbe­grenzt kon­zi­piert wur­de, trägt zu einer gewohn­heits­mä­ßi­gen ‚Nor­ma­li­tät‘ bei. Es wäre aller­dings ein Trug­schluss, in der Nor­ma­li­tät und der feh­len­den Aggres­si­on einen Man­gel an Kri­tik erken­nen zu wol­len. Gera­de in Momen­ten, in denen das Kon­zept rei­bungs­los funk­tio­niert, wer­den all die­je­ni­gen laut­los vor­ge­führt, die täg­lich Hor­ror­sze­na­ri­en von kri­mi­nel­len, inte­gra­ti­ons­un­wil­li­gen Flücht­lin­gen an euro­päi­sche Wän­de malen. Die Stär­ke des Pro­jekts liegt in der Gewöhn­lich­keit, im Funk­tio­nie­ren eines trans­kul­tu­rel­len Zusam­men­le­bens. Wo sich so man­cher Poli­ti­ker rat­los zeigt, erweist sich das Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis in der krea­ti­ven Erschaf­fung eines uto­pi­schen, öffent­li­chen Rau­mes als aus­ge­spro­chen kon­struk­tiv. Die Kunst des Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis ver­mag es funk­tio­nie­ren­de Alter­na­ti­ven zu ent­wer­fen, die exem­pli­fi­zie­ren, dass eine Inklu­si­on von Flücht­lin­gen mög­lich ist, dass der Flücht­ling kei­ne Gefahr dar­stellt für Tra­di­ti­on und Kul­tur, son­dern in den meis­ten Aspek­ten weni­ger fremd ist, als zunächst ange­nom­men.
Ein sol­ches Pro­jekt über­win­det in krea­ti­ver Wei­se Gren­zen in den Köp­fen der Besu­che­rIn­nen, der Bewoh­ne­rIn­nen und der Mit­wir­ken­den. Auf unter­schied­li­chen Ebe­nen wird Refle­xi­on ange­regt. Neben ratio­na­len Über­le­gun­gen sind es beson­ders auch ästhe­ti­sche Erfah­run­gen, die dort gemacht wer­den kön­nen. Die­se Kom­bi­na­ti­on ver­schie­den­ar­ti­ger Impul­se erzeugt eine bewuss­te, offe­ne Hal­tung, die umzu­ge­hen weiß mit ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven und Mei­nun­gen. Gleich­zei­tig for­dert sie auf zum Han­deln. Kunst im Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis ist nicht in den star­ren Gemäu­ern des 60er Jah­re Baus zu ver­or­ten, son­dern sie bedeu­tet hier viel­mehr die Erschaf­fung eines krea­ti­ven, trans­kul­tu­rel­len und vor allem öffent­li­chen Zwi­schen­raums, der dazu die­nen kann, neu­ar­ti­ge Gesell­schafts- und Iden­ti­täts­ent­wür­fe expe­ri­men­tell zu tes­ten. Im Zusam­men­spiel mit der Kunst wird Trans­kul­tu­ra­li­tät denk­bar. Die­se Kunst schafft einen Frei­raum, der jen­seits von Theo­rie und Wis­sen­schaft funk­tio­niert, der alles ande­re ist als ein Muse­um und der poten­ti­ell für jeden Men­schen unmit­tel­bar zugäng­lich ist. Gear­bei­tet wird an einem Kunst­be­griff der Gesell­schafts­kri­tik, der Par­ti­zi­pa­ti­on und des poli­ti­schen Enga­ge­ments – ein Kunst­be­griff, der es ver­steht, posi­ti­ve For­men trans­kul­tu­rel­ler Ent­wick­lun­gen zu zeich­nen. Trans­kul­tu­ra­li­tät wird auf die­se Wei­se exem­pli­fi­ziert, krea­tiv bear­bei­tet, gelebt und zur öffent­li­chen Debat­te gestellt.

Literatur

Bar­thes, Roland: Der Tod des Autors. In: Bar­thes, Roland: Das Rau­schen der Spra­che. Frank­furt am Main 2005. S. 57–63.

Bar­thes, Roland: Vom Werk zum Text. In:  Har­ri­son, Charles; Wood, Paul (Hg.): Kunst­theo­rie im 20. Jahr­hun­dert. Ost­fil­dern-Ruit 1998. S. 1161–1167.

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Kunst als transkultureller Raum – Das Grandhotel Cosmopolis

Eva Pörn­ba­cher, gebo­ren 1987, stu­dier­te in Augs­burg und Sala­man­ca Poli­tik­wis­sen­schaft und Sozio­lo­gie. Von 2011 bis 2013 arbei­te­te sie im Kunst- und Kul­tur­pro­jekt „Grand­ho­tel Cos­mo­po­lis“. Seit 2013 absol­viert sie den Mas­ter­stu­di­en­gang des Eli­te­netz­werks Bay­ern „Ethik der Text­kul­tu­ren“ in Augsburg.