von Eva Pörnbacher
Im Grandhotel Cosmopolis in Augsburg wird diese Frage mit Ja beantwortet. Das Projekt — mal als „soziale Plastik“, mal als „Transitraum“, mal als „konkrete Utopie“ beschrieben – vereint Hotel, Flüchtlingsunterkunft, Künstlerateliers und Gastronomie unter einem Dach. Doch welche Auffassung von Kunst liegt in der Luft, wenn man in die stilvolle Lobby dieses außergewöhnlichen Hotels eintritt? Wie lässt sich das Projekt in einer Transkulturalitätsdebatte verorten und welche Effekte hat eine Gleichzeitigkeit von künstlerischem und transkulturellem Denken und Handeln? Ein Streifzug durch Theorie und Praxis.
Das Konzept der Transkulturalität
„Die ganze Kultur des nord‑, öst- und westlichen Europa ist ein Gewächs aus römisch-griechisch-arabischen Samen“ (Herder 2002: 651), meint J.G. Herder Ende des 18. Jahrhunderts. Byung Chul Han bezeichnet sie daher gar als „eine Art Bastard“ (Han 2005: 12). Migration ist eine Grundkonstante der Menschheit und so blieb kaum eine Kultur jemals lange unter sich. Dennoch muss man feststellen, dass sich, bedingt durch den fortschreitenden Globalisierungsprozess der letzten Jahrzehnte, die gegenwärtige Art der Durchdringung der Kulturen in ihrer Struktur und Geschwindigkeit fundamental von allem Vorhergehenden unterscheidet. Der umfassende Ausbau weltweiter Transport- und Kommunikationssysteme, lässt geographische Distanzen beinahe verschwinden. Waren, Informationen, aber auch Kulturen machen längst nicht mehr Halt an nationalen Grenzen. Die so entstandenen dichten und komplexen Interferenzen heterogener kultureller Inhalte können mit klassischen Analysemethoden der Kulturwissenschaft nicht mehr angemessen erfasst werden. Wolfgang Welsch fordert daher einen Paradigmenwechsel und liefert mit dem Konzept der Transkulturalität eine Theorie, die die Realität des netzartigen Hybridcharakters gegenwärtiger Kulturen angemessener zu erfassen vermag.
Auf der einen Seite richtet die Transkulturalitätsforschung ihr Augenmerk auf ökonomische Machtstrukturen in deren Folge sich eine Durchdringung und Neuformation kultureller Elemente ergibt. Ob diese gesteigerte Mobilität auf Freiwilligkeit oder Zwang beruht, ist im Rahmen der deskriptiven Dimension von Transkulturalität gleichgültig. Die Hypermobilität eines amerikanischen CEOs, der sich zwischen internationalen Skypekonferenzen und Flughäfen bewegt ist damit genauso gemeint wie die Flucht einer syrischen Frau, vor Krieg und Terrorismus. Auf der anderen Seite spiegelt sich diese Verdichtung von Zeit und Raum auf der intrasubjektiven Ebene wider. Formierte sich Identität vormals im Rahmen eines einheitlichen Schemas, so produzieren neuartige Subjektivierungsprozesse eine patchwork-Identität, die sich aus einer Vielzahl heterogener kultureller Elemente zusammensetzt. Das Subjekt wird zu einem kulturellen Netzwerk. Welsch geht davon aus, dass ein Mehr an interner Transkulturalität Individuen den Umgang mit externer Transkulturalität erleichtert. Eine Art Transkulturalitätskompetenz, wenn man so will: „Je transkultureller eine Identität sich gestaltet, desto anschluss- und kommunikationsfähiger ist sie und desto weniger abwehrend verhält sie sich gegenüber dem „Fremden“. Darin sieht Welsch einen der großen Vorteile des Übergangs zu Transkulturalität.
Hier deutet sich die normative Dimension dieses Kulturkonzepts an, das auch als Mittel gegen Separatismus und Kulturrassismus fungieren soll (vgl. Welsch 1992: 8f.). Ob man nun tatsächlich davon sprechen muss, dass Transkulturalität der Bildung einer friedlicheren Weltgesellschaft zuarbeitet sei dahingestellt (vgl. Welsch 2010: 61). Der Grundgedanke hingegen, bestehende transkulturelle Strukturen und Netzwerke aufzugreifen und sich bewusst und aktiv in ihre Weiterentwicklung einzumischen erscheint plausibel angesichts der Vielzahl kultureller Konflikte, mit denen sich die Gegenwart konfrontiert sieht. Ein Blick auf eine organisierte und planvolle transkulturelle Praxis mag aufschlussreich sein.
Transkulturalität im Grandhotel Cosmopolis
Das Grandhotel Comospolis: Ein ehemaliges Altenheim, das umfunktioniert wurde und nun ein Hotel, eine Bar, eine Flüchtlingsunterkunft, eine Gaststätte, Künstlerateliers und ein Café in sich vereint. Die Identitäten, die sich hier verstricken, könnten unterschiedlicher nicht sein – australische Backpacker treffen auf Geschäftsreisende aus China, diese wiederum auf Flüchtlinge aus Nigeria oder der Ukraine, eine alteingesessene Augsburgerin trinkt einen Café mit der Hostelbewohnerin, die gerade auf Wohnungssuche in Augsburg ist. Internationale KünstlerInnen können Ateliers beziehen. Das Mittagessen wird gemeinsam gekocht und an Veranstaltungsabenden treffen sie alle in der Grandhotel-Lobby aufeinander. Beinahe erinnert diese angeregte Stimmung an die alten Grandhotels vom beginnenden 20. Jahrhunderts. Die Besucher, Bewohner und Mitarbeiter könnten in ihren Biografien, Religionen und kulturellen Hintergründen unterschiedlicher nicht sein. Unzählige Sprachen werden gesprochen und erlernt in diesem kosmopolitischen Raum, in dem die Soundanlage einmal afrikanische Mbiramusik, ein anders Mal russischen Punk erklingen lässt.
Möglicherweise ist es genau das, was Wolfgang Welsch vorschwebt, wenn er von einer „Family of Man“ (vgl. Welsch 2010: 63) spricht und dabei sicherlich auch die ‚Women‘ miteinschließen will. Das Grandhotel Cosmopolis hat sich zu einem transkulturellen Mikrokosmos entwickelt, in dem sich sowohl gesellschaftliche Potentiale, als auch Probleme widerspiegeln. Separatismus und Abschottung wird entgegengewirkt, indem ein Raum für einen regen Austausch heterogener Kulturen geschaffen wird, der sich nicht zuletzt in neuartigen Mittagsgerichten und transkulturellen Musikprojekten ausdrückt. Außergewöhnliche Geschmackserlebnisse sind genauso alltäglich wie der Musiker, der auf einem traditionellen afghanischen Harmonium deutsche Lieder spielt. Hinzu kommt, dass gerade in Bezug auf Asylpolitik, das Ziel verfolgt wird, Machtstrukturen sichtbar und erlebbar zu machen. Der Flüchtling aus Tschetschenien, mit dem man am einen Morgen noch einen Kaffee getrunken hat, kann am nächsten Tag verschwunden sein — abgeholt von der Polizei — abgeschoben aus Deutschland. Szenen, die ansonsten kaum zur Kenntnis genommen werden. Gerade in solchen Beispielen offenbaren sich auch die Verstrickungen von Transkulturalität und Macht. Im Grandhotel Cosmopolis wird daher zum einen versucht, einer restriktiven Asylpolitik mit kreativen politischen Aktionen und überzeugenden Alternativen zu begegnen. Zum anderen werden Transkulturalitätskompetenzen bei Besuchern, Mitarbeitern und Bewohnern intensiv gefördert. So werden gegebene Transkulturalitäten aufgegriffen und gleichzeitig Versuche unternommen, diese zu transformieren und gesetzte Grenzen zu überschreiten, um einer gerechten und menschlichen Weiterentwicklung transkultureller Gesellschaftsformen zuzuarbeiten.
Das Konzept des Grandhotel Cosmopolis geht allerdings weit über ein originelles Flüchtlingsprojekt hinaus. Von Beginn an verstand es sich in der Definition des erweiterten Kunstbegriffs als das Experiment einer sozialen Plastik, als ein sich ständig transformierendes Gesamtkunstwerk. Als solches ist es in weiten Teilen der Kunstwelt durchaus anerkannt, was sich nicht zuletzt in zahlreichen Einladungen zu Podiumsdiskussionen diverser Kunsthochschulen und Kooperationen mit anderen Kunstprojekten ausdrückt. Daher stellt sich nun die Frage in welchem Verhältnis Kunst und Transkulturalität zueinander stehen. Inwiefern beeinflussen sie sich gegenseitig? Könnte ein Zusammenhang bestehen zwischen der Debatte um den Kunstbegriff und der Debatte um Transkulturalität?
Der Kunstbegriff vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Diskurse
„Die Avantgarde-Kunst hat in den letzten fünfzig Jahren […] eine in der Geschichte unserer Kultur beispiellose Reinheit und radikale Begrenzung ihres Tätigkeitsbereichs erreicht. Die Künste befinden sich nun gesichert innerhalb ihrer jeweiligen »legitimen« Grenzen, und der freie Handel zwischen ihnen hat der Autarkie Platz gemacht. Reinheit bedeutet in der Kunst die Akzeptanz, die bereitwillige Akzeptanz der Beschränkungen des Mediums der jeweiligen Kunst“ (Greenberg 2009: 71), schreibt der US-amerikanische Kunsttheoretiker Clement Greenberg 1940 in seinem Aufsatz „Zu einem neueren Laokoon“ (Greenberg 2009: 56–81). Den Fortbestand und die Identität der Kunst sieht er bedroht durch verschwimmende Grenzen zwischen Musik, Bildhauerei, Literatur und der Malerei. Vermischung setzt er dabei gleich mit Verfall. Ausgehend von inhärenten Gesetzen und unveränderlichen Wesenseigenschaften der verschiedenen Künste, plädiert Greenberg für deren reine Identitäten, aus denen alles Uneigentliche und Fremde ausgeschlossen sein muss.
73 Jahre später untersucht Christian Kravagna Greenbergs Thesen in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Dabei unternimmt er den Versuch, Parallelen zwischen Greenbergs modernistischer Kunsttheorie der Trennung und dem gesellschaftspolitischen Diskurs um Rassenpolitik aufzuzeigen. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass in beiden Diskursen der „Kult der Reinheit […] dem Horror der Vermischung gegenüber[steht], Identität definiert sich aus einer scheinbar natürlichen Wesenhaftigkeit der Gattung [oder Rasse], die es zu bewahren und vor Degeneration durch fremde Elemente zu schützen gelte“ (Kravagna: 2013: 47). Sowohl in Denkstrukturen, als auch in Begriffen und Argumentationslinien, sind Parallelen nicht von der Hand zu weisen. Kravagnas Befund lautet, dass sich sowohl in der Kunsttheorie, als auch in den gesellschaftspolitischen Debatten Mitte des 20. Jahrhunderts eine gleichartige Hybriditätsphobie finden lässt.
Allerdings hat sowohl der Kunstbegriff als auch die Segregationspolitik seit den 1940er Jahren eine bedeutende Transformation erfahren. Spätestens in den 1960er Jahren werden Stimmen laut, die in der Hybridisierung weniger eine Bedrohung als vielmehr eine Bereicherung sehen. Der Civil Rights Act schafft nach jahrzehntelangem Kampf der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung 1964 offiziell die Rassentrennung in den USA ab. Blickt man nach Europa, bildet sich in den Nachkriegsjahrzehnten die Europäische Union mit dem Wahlspruch „In Vielfalt geeint“ heraus. Diese Entwicklungen, begleitet von einer Vielzahl weiterer grenzüberschreitender Globalisierungsprozesse führen zu einer Welt, die nicht nur räumlich näher zusammengerückt ist. Begegnungen mit anderen Kulturen werden immer unausweichlicher.
Auch die Kunst nimmt ab den 1960er Jahren Abstand von radikalen Grenzziehungen zwischen ihren Disziplinen und erkennt das Potential einer transdisziplinären Arbeit über die Jahrzehnte an. Als Meilensteine wären hier zu nennen die Conceptual Art, die Performance, Fluxus, die Installation, die Pop Art, die soziale Plastik und Kunst im Öffentlichen Raum. Meist gingen diese Strömungen mit einer Kritik am klassischen Begriff des Kunstwerks einher und setzten sich über die traditionelle Trennung von KünstlerIn – Werk – RezipientIn hinweg.
Obgleich sich Hybridisierungsgedanken immer in Begleitung fundamentalistischer Separationsideen finden, kann man in den letzten Jahrzehnten doch eine Zunahme transkulturellen Denkens und Handelns verzeichnen — sowohl im Bereich der Kunst, als auch im Bereich der Kultur. Beide Diskurse bewegen sich heute in einem Spannungsfeld von Isolierung und Hybridisierung.
Das Grandhotel Cosmopolis als Kunst?
Das Grandhotel Cosmopolis steht in einem solchen Spannungsfeld ganz klar auf Seiten derer, die sich über Grenzen hinwegsetzen wollen. Das gesamte Transkulturalitätsprojekt als Kunst zu bezeichnen, stellt eine Herausforderung, selbst für einen weiten zeitgenössischen Kunstbegriff, dar. Die Triade von KünsterIn, Werk und RezipientIn ist bis zur Unkenntlichkeit aufgelöst. Eine klar definierte Autorschaft gibt es im Grandhotel Cosmopolis nicht. Jeder, der möchte, kann sich an der Bearbeitung des Kunstwerks beteiligen, es transformieren, ergänzen und betrachten, anhören oder lesen. Die gegebene Durchlässigkeit von Produktion und Rezeption hat zwangsläufig ein offenes Kunstwerk zur Folge. Der Moment der Fertigstellung wird nie erreicht, ja soll gar nie erreicht werden. In Anlehnung an Beuys, wird der Fokus weg von dem materiellen Artefakt hin auf den Prozess der Entstehung und Entwicklung gelenkt. In Bezug auf die Literatur entspricht Roland Barthes dieser Auffassung von Kunst, wenn er den „Tod des Autors“ fordert und in der Konsequenz in seinem Aufsatz „Vom Werk zum Text“ das Geschlossene zugunsten einer offenen Struktur zurückweist. Der Prozesscharakter und die Dematerialisierung des Kunstbegriffs widersprechen dabei zutiefst dem traditionellen Anspruch der musealen Ausstellbarkeit. Das Projekt befindet sich in der Tradition zeitgenössischer Kunst, die vielfach für eine Demokratisierung des als elitär erlebten Kunstbetriebs plädiert und die Frage nach politischer und kultureller Teilhabe diskursiviert. Kunst könnte in diesem Sinne, wie es Thomas Baumeister vorschlägt, als ästhetische Erfahrung expliziert werden (vgl. Baumeister 2012: 395ff.). Die Ästhetik verweist auf die weiten Begriffe der Wahrnehmung und Empfindung und schließt damit auch Aspekte mit ein, die nicht eindeutig in die Kategorien Lesen, Hören oder/und Betrachten einzuordnen sind. Transmediale und prozesshafte Kunstprojekte können so erfasst werden. Im Falle des Grandhotel Cosmopolis würden dementsprechend sowohl die transkulturelle Küche, als auch künstlerisch politische Aktionen und Performances und ganz grundsätzlich die kreative Schaffung eines dauerhaften, öffentlichen Raumes, in dem transkulturelle Konflikte greifbar und erlebbar gemacht werden, als Kunst aufgefasst werden.
Das Verhältnis von Kunst und Transkulturalität im Grandhotel Cosmopolis
Nun ist die Idee, Kunst und Transkulturalität zusammenzudenken nicht völlig neu: Im „Begriffslexikon zur Zeitgenössischen Kunst“ lässt sich Transkulturalität nachschlagen (vgl. Höller 2006: 286) und in der Praxis betont eine Vielzahl von Projekten, die meist im Workshop-Format stattfinden, den integrations- und kommunikationsfördernden Charakter von Kunst, um einer interkulturellen Sprachlosigkeit zu begegnen. Da allerdings in derartigen Formaten Kunst hauptsächlich als pädagogisches Instrument aufgefasst und meist ein klassischer Kunstbegriff zugrunde gelegt wird, kann nicht von einer ernsthaften und transformatorischen Verzahnung beider Bereiche gesprochen werden. Eine weitere populäre Art Kunst und Transkulturalität zu verknüpfen, ist die sogenannte ‚Migrationskunst‘, in der KünstlerInnen mit Migrationshintergrund ihre Identitäten und Erlebnisse in der Fremde thematisieren. Ein Grund für die Förderung dieser Kunst mag sein, dass Kunstbetrieb und Kulturpolitik sich so ihr transkulturelles i‑Tüpfelchen ans Revers heften können. Abgesehen von dieser Gefahr der Instrumentalisierung, zur Befriedigung moralischer Toleranzselbstbilder, kann ‚Migrationskunst‘ durchaus Akzente setzen. Meist allerdings vollzieht auch sie sich im Rahmen des traditionellen Kunstverständnisses. Hinzu kommt, dass die wenigsten MigrantInnen KünstlerInnen sind und eine Exklusivität bestehen bleibt.
Das Besondere der Konstellation, die sich im Grandhotel Cosmopolis ergibt, ist nun, dass sowohl in Bezug auf die Kunst, als auch in Bezug auf die Transkulturalität Grenzen in Frage gestellt und erweitert werden. Die beiden Diskurse begegnen sich auf Augenhöhe und können sich so verzahnen und durchdringen. Transdiskursive Kommunikation wird verstärkt, wodurch neue Möglichkeitsräume eröffnet werden. Der Kunstbegriff auf der einen Seite, sieht sich mit gesellschaftspolitischen Fragen konfrontiert und wird dessen Folge politischer, kritischer und öffentlicher. Der transkulturellen Migrationsproblematik auf der anderen Seite steht eine künstlerische Praxis gegenüber, die kreative, konkrete und konstruktive Lösungsansätze bereithält.
Das Politische der Kunst des Grandhotel Cosmopolis erschöpft sich nicht darin, der Gesellschaft kurzzeitig einen Spiegel vorzuhalten, um Kritik an Machtverhältnissen zu üben, wie dies in einer Vielzahl sehr gelungener kritischer Kunstprojekte unserer Zeit der Fall ist. Man denke beispielsweise an „Ausländer raus! Schlingensiefs Container“ von 2000. Auch im Grandhotel Cosmopolis werden Machtstrukturen sichtbar gemacht und so gesellschaftliche Verhältnisse kritisiert. Allerdings wirkt es auf den ersten Blick alltäglicher als so manches provokative Kunstprojekt. Es ist ein Wohnraum auf Zeit, eine transkulturelle Gaststätte, ein Veranstaltungsort, eine Flüchtlingsunterkunft. Ungewöhnlich, aber betritt man die Lobby, scheint diese Art der Provokation wenig aggressiv. Auch die Tatsache, dass das Projekt als zeitlich unbegrenzt konzipiert wurde, trägt zu einer gewohnheitsmäßigen ‚Normalität‘ bei. Es wäre allerdings ein Trugschluss, in der Normalität und der fehlenden Aggression einen Mangel an Kritik erkennen zu wollen. Gerade in Momenten, in denen das Konzept reibungslos funktioniert, werden all diejenigen lautlos vorgeführt, die täglich Horrorszenarien von kriminellen, integrationsunwilligen Flüchtlingen an europäische Wände malen. Die Stärke des Projekts liegt in der Gewöhnlichkeit, im Funktionieren eines transkulturellen Zusammenlebens. Wo sich so mancher Politiker ratlos zeigt, erweist sich das Grandhotel Cosmopolis in der kreativen Erschaffung eines utopischen, öffentlichen Raumes als ausgesprochen konstruktiv. Die Kunst des Grandhotel Cosmopolis vermag es funktionierende Alternativen zu entwerfen, die exemplifizieren, dass eine Inklusion von Flüchtlingen möglich ist, dass der Flüchtling keine Gefahr darstellt für Tradition und Kultur, sondern in den meisten Aspekten weniger fremd ist, als zunächst angenommen.
Ein solches Projekt überwindet in kreativer Weise Grenzen in den Köpfen der BesucherInnen, der BewohnerInnen und der Mitwirkenden. Auf unterschiedlichen Ebenen wird Reflexion angeregt. Neben rationalen Überlegungen sind es besonders auch ästhetische Erfahrungen, die dort gemacht werden können. Diese Kombination verschiedenartiger Impulse erzeugt eine bewusste, offene Haltung, die umzugehen weiß mit verschiedenen Perspektiven und Meinungen. Gleichzeitig fordert sie auf zum Handeln. Kunst im Grandhotel Cosmopolis ist nicht in den starren Gemäuern des 60er Jahre Baus zu verorten, sondern sie bedeutet hier vielmehr die Erschaffung eines kreativen, transkulturellen und vor allem öffentlichen Zwischenraums, der dazu dienen kann, neuartige Gesellschafts- und Identitätsentwürfe experimentell zu testen. Im Zusammenspiel mit der Kunst wird Transkulturalität denkbar. Diese Kunst schafft einen Freiraum, der jenseits von Theorie und Wissenschaft funktioniert, der alles andere ist als ein Museum und der potentiell für jeden Menschen unmittelbar zugänglich ist. Gearbeitet wird an einem Kunstbegriff der Gesellschaftskritik, der Partizipation und des politischen Engagements – ein Kunstbegriff, der es versteht, positive Formen transkultureller Entwicklungen zu zeichnen. Transkulturalität wird auf diese Weise exemplifiziert, kreativ bearbeitet, gelebt und zur öffentlichen Debatte gestellt.
Literatur
Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Barthes, Roland: Das Rauschen der Sprache. Frankfurt am Main 2005. S. 57–63.
Barthes, Roland: Vom Werk zum Text. In: Harrison, Charles; Wood, Paul (Hg.): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert. Ostfildern-Ruit 1998. S. 1161–1167.
Baumeister, Thomas: Die Philosophie der Künste. Von Plato bis Beuys. Darmstadt 2012.
Greenberg, Clement: Zu einem neueren Laokoon. In: Lüdeking, Karlheinz (Hg.): Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken. Hamburg 2009. S. 56–81.
Han, Py?ng-ch’?l: Hyperkulturalität. Kultur und Globalisierung. Berlin 2005.
Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Werke 3,1. München 2002.
Höller, Christian: Transkulturalität. In: Butin, Hubertus (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. Köln 2006. S. 286–291.
Kravagna, Christian: Reinheit der Kunst in Zeiten der Transkulturalität: Modernistische Kunsttheorie und die Kultur der Migration. In: Dogramaci, Burcu (Hg.): Migration und künstlerische Produktion. Aktuelle Perspektiven. Bielefeld 2013. S. 43–64.
Welsch, Wolfgang: Transkulturalität — Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen. In: Moser, Peter (Hg.): Information Philosophie. Heft 2, V. Lörrach 1992. S.5–20.
Welsch Wolfgang: Was ist eigentlich Transkulturalität? In: Darowska, Lucyna (Hg.): Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität. Bielefeld 2010. S. 39–66.
Eva Pörnbacher, geboren 1987, studierte in Augsburg und Salamanca Politikwissenschaft und Soziologie. Von 2011 bis 2013 arbeitete sie im Kunst- und Kulturprojekt „Grandhotel Cosmopolis“. Seit 2013 absolviert sie den Masterstudiengang des Elitenetzwerks Bayern „Ethik der Textkulturen“ in Augsburg.