von Lisanne Teuchert
Der Blick zum Himmel – für die Theologie ein klassisches Thema. Jenseitshoffnungen und Utopien verbinden sich bis in die populäre Kultur hinein mit diesem Symbol. Doch was bedeutet es, wenn der Himmel als Teil des Diesseits wiederentdeckt wird? Wie verhalten sich Himmel und Erde als Quadranten eines Koordinatensystems zueinander, in dem der Mensch seinen Handlungsspielraum ausmisst? Einblicke in eine junge evangelisch-theologische Debatte.Der Blick zum Himmel – für die Theologie ein klassisches Thema. Jenseitshoffnungen und Utopien verbinden sich bis in die populäre Kultur hinein mit diesem Symbol. Doch was bedeutet es, wenn der Himmel als Teil des Diesseits wiederentdeckt wird? Wie verhalten sich Himmel und Erde als Quadranten eines Koordinatensystems zueinander, in dem der Mensch seinen Handlungsspielraum ausmisst? Einblicke in eine junge evangelisch-theologische Debatte.
Die Betrachtung des bestirnten Himmels über mir und des moralischen Gesetzes in mir (Immanuel Kant, KpV [Beschluss], A 289) – die Aushandlung des menschlichen Gestaltungsspielraums lässt an dieses einschlägige Kant-Zitat denken, das auch die aktuelle Ausgabe dieses Online-Magazins mit angestoßen hat. Wir denken an die Neuzeit, wenn wir die selbstbewusste Neuverortung des Subjekts innerhalb der kosmischen Vorgaben thematisieren. Dieser Diskurs spielt allerdings auf dem Schauplatz früherer Versuche, den Menschen im Weltgefüge zu verorten. Die Anthropologie verglich seit ihren Anfängen den Mensch mit dem Tier, verortete ihn zwischen Himmel und Erde, Geist und Materie und in sozialen Bezügen. Eine Spur der Verortung im dualen Weltbild des Alten Testaments leuchtet in Psalm 8 auf:
Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.
(Ps 8, 4–9; Übersetzung nach M. Luther, 1984)
Mit diesen hymnischen Versen gelangt der Psalmbeter von der Betrachtung des Himmels in seiner kosmischen Weite zur Frage nach dem Menschen und seinem Ort in diesem umfassenden Weltgefüge. Dieser Ort wird zunächst über die besondere Auszeichnung durch Gott bestimmt, was diesen Text zu einem klassischen Referenztext zur Begründung von Menschenwürde macht, aber dies nicht ohne den Auftrag des Menschen in der Schöpfung (vgl. Gen 1,28; 2,15) direkt mit zu benennen. Damit wird dem Menschen ein Handlungsspielraum zugewiesen, den er ausfüllen soll und darf: die Erde, die (Luft und Meer einschließend) vom Himmel zu unterscheiden ist, der für den Menschen unverfügbar bleibt, dafür aber Gottes allumspannende Gegenwart symbolisiert.
Der Handlungsspielraum des Menschen wird, wie an diesem biblischen Ansatzpunkt deutlich wird, von vornherein mitbestimmt durch das kosmische Gegenüber von Himmel und Erde. Den Himmel in dieser Hinsicht zu thematisieren, mag für eine theologische Perspektive auf den ersten Blick überraschen. Denken wir an den Himmel im Kontext der Religion, tauchen Bilder ewiger Seligkeit auf, Bilder eines Schlaraffenlands, eines neu erlangten Paradieses, Bilder von Wolken und Engeln mit Flügeln, Harfen und Lobgesang. Kulturell ist der religiöse Himmel (heaven) durch die Thematik der Endzeit bestimmt (ob nach dem individuellen Tod oder dem Ende der ganzen Welt): Komme ich dann in den Himmel? Wie sieht es dort aus? Gibt es dort Tränen (Eric Clapton)? Gibt es die Hölle? Der Himmel wird also im Kontext eschatologischer (und damit auch soteriologischer) Fragen zum Thema (vgl. Moltmann 1985: 177).
Nach M. Welker „verbindet und unterscheidet“ die Rede vom Himmel „von der Antike an und durch die Kulturen hindurch mehrere Vorstellungsbereiche und Bezugssysteme“ (Welker 1989, 519ff): Mit dem über der Erde liegenden Raum (1) verbindet sich bald die Vorstellung unverfügbarer Mächte und Kräfte (2). Der Himmel ist Ort der Götter (3) oder wird selbst göttlich und transzendent (4). Schließlich gilt der Himmel als Ort paradiesischen Lebens nach dem Tod (5). Die englische Bezeichnung „sky“ meint hauptsächlich (1), der Begriff „heaven“ hauptsächlich (4) und (5).
Den Himmel als Teil der Schöpfung (also vor allem: nicht in Bedeutung 4 und 5) theologisch wahrzunehmen, gehört zu den Wiederentdeckungen des 20. Jahrhunderts. Kannte die Bibel durchaus eine reiche und vielfältige Rede vom Himmel als Geschöpf, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament, geriet der Himmel im Lauf der Theologiegeschichte de facto zunehmend in den Sog der Heilsfrage, wurde zunehmend zu einem utopischen Ort jenseits des gesamten irdischen Daseins, also auch jenseits der Natur. Der Himmel als Geschöpf verblasste gegenüber den „echt theologischen“ Themen und leuchtete nur in der Frömmigkeit weiter (vgl. Welker 1988: 33). Mit der naturwissenschaftlichen Durchdringung des Kosmos und der Auflösung der Verwobenheit von Mythos und Natur trennte sich in der Neuzeit dieser jenseitige Himmel (heaven, 4+5) von seinem ursprünglichen naturalen Haftpunkt (sky, 1–2). Der „abstrakte Himmel, das Jenseits, das ganz Andere, das Unerreichbare, das alle Erfahrungen Übersteigende, das Transzendente, das Unbestimmbare, das Numinose“ (Welker 1988: 33, Herv. fallengelassen) – genau dieser utopische Himmel ist es, den die Religionskritiker des 19. Jhs. dann karikieren.
Das Versäumnis der Theologie, den Himmel als Teil der Schöpfung zu beschreiben, mag damit zusammenhängen, dass es „zu schwierig und peinlich schien, sich mit dem aufgeklärten Verstand darüber zu verständigen“ (Welker 1988: 34). Natürlich rekurrierte das Symbol des Himmels stark auf das antike Weltbild, samt der Rede von der Himmelfahrt Jesu Christi, seines Beisitzes zur Rechten Gottes im Himmel, der Herabkunft des Geistes auf einer Wolke bei der Taufe Jesu u.v.m. Gerade solche Motiviken sollten entmythologisiert werden.
Für die anthropologisch-ethische Fragestellung aber, die uns hier aufgegeben ist, wird der Himmel gerade relevant als Teil der vorgegebenen Welt, in die der Mensch gestellt ist und in der er seinen Handlungsspielraum ausmisst. Wie sich dieses Verhältnis in evangelisch-theologischen Entwürfen des 20. Jhs. darstellt, soll dieser Beitrag skizzieren. Dafür sind vor allem Karl Barth, Jürgen Moltmann und Michael Welker relevant. Es wird sich zeigen, dass der Himmel in diesen Darstellungen den menschlichen Handlungsspielraum sowohl begrenzt (v.a. Barth) als auch eröffnet (v.a. Moltmann). Die breiteren Ausführungen Michael Welkers bergen beide Perspektiven in sich und steuern neue fundamentalethisch relevante Aspekte bei. Zu Anfang skizziere ich als Auslöser der neueren theologischen Debatte sehr grob die Himmelskritik der Religionskritiker des 19. Jhs., die maßgeblich ethisch motiviert ist. Die Wiederentdeckung des Himmels als Teil der Schöpfung kann als Reaktion auf diese Kritik verstanden werden und bringt die Verbindung zwischen Schöpfungstheologie (Himmel) und Fundamentalethik (Spielraum des Menschen) auf den Plan. Ziel meines Beitrages ist es, die damit einsetzende Neuverhandlung des Himmel-Erde-Gefüges hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die theologisch-ethische Beschreibung des menschlichen Handlungsspielraumes auszuwerten (1).
Die Religionskritik des 19. Jhs.: „Den Himmel überlassen wir getrost den Engeln und den Spatzen!“ (H. Heine) – oder: „Was steht ihr da und seht zum Himmel?“ (Apg 1,11)
Vorgeschichte
Wie schon angedeutet, interessierte sich die Theologie im Lauf der Zeit zunehmend für den Himmel als Heilsort, während der Himmel als Teil der Schöpfung aus dem Blick geriet. Dazu hat Luthers Gleichsetzung des Himmels mit Gottes Präsenz nicht wenig beigetragen (vgl. hierzu Moltmann 1985: 181f). Aus dem Movens heraus, die lutherische Auffassung der Gegenwart Christi im Abendmahl gegenüber den reformierten Glaubensgeschwistern zu verteidigen, betonte Luther die Allgegenwart Gottes – an der Christus (nicht nur) im Abendmahl Anteil hat (2).
Auf die Vorstellung vom Himmel wirkte sich dieses lutherische Interesse an der räumlichen Beweglichkeit Gottes und damit Jesu Christi so aus, dass der Himmel als Raum und Schöpfungsbereich abgeschwächt und als mitbewegliche Ausstrahlungssphäre Gottes dargestellt wurde. Entsprechend eng rückte der Himmel an Gott selbst: Er drohte in der Folge ganz unter die Beschreibung Gottes subsumiert zu werden. In dieser lutherischen Tradition formuliert noch im 20. Jh. der lutherische Theologe Gerhard Ebeling: „Nicht wo der Himmel ist, ist Gott, sondern wo Gott ist, ist der Himmel.“ (G. Ebeling, Vom Gebet. Predigten über das Unser-Vater, Tübingen 1963, S. 4, zit. nach Moltmann 1985: 181, Anm. 22). Moltmann sieht diese Entwicklung in einer Linie mit der Entstehung des homogenen Weltbildes der Neuzeit, das nicht mehr dual strukturiert ist (Moltmann 1985: 181). Der Himmel wird zur Aura Gottes, zu seiner umgebenden Präsenzsphäre, und die Auffassung, Gott wohne in einem Schöpfungsbereich, scheint dagegen rückständig.
Der Himmelssturm der Religionskritik
Diese Zusammenziehung ermöglichte allerdings eine Universalkritik von Religion, Gott und Himmel. Feuerbach vollzog die Gleichsetzung von Himmel und Gott auf der einen Seite mit, verstärkte sie und griff sie auf der anderen Seite an (so Welker 1989: 521f). Die Menschen sollen nicht länger auf diesen spekulativen Jenseitsort vertröstet werden, sondern ihr Leben im Hier und Jetzt in Angriff nehmen, mit sich identisch werden (Feuerbach) und politisch-ökonomisch ihre Bedingungen verbessern (Marx). Der Himmel soll sich auf Erden ereignen – er wird zu einer uninteressanten Größe: „Den Himmel überlassen wir getrost den Engeln und den Spatzen!“, meinte Heine (H. Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, Caput I, zit. nach Miggelbrink 2006: 338, Anm. 35). Der Himmel fällt – und damit fällt auch Gott (s. Moltmann 1985: 183). Beide sehen die Kritiker gleichermaßen als bloße Projektionsfläche menschlicher Wünsche (3). Beide dienen der Ausmalung der allzu menschlichen Hoffnungen – nur dass der Himmel eine größere Bilderfülle und Raum (im doppelten Sinn) zur Konkretion bietet als der Begriff „Gott“ (vgl. Moltmann 1985: 184).
Die Erde wird hingegen entschieden als Bereich des menschlichen Handelns eingefordert. Der Blick soll sich vom Himmel als utopischem „Eia-Popeia“ zurückwenden auf die Erde, wo es die realen Probleme zu lösen und die konkrete Ungerechtigkeit zu beseitigen gilt. Dann wird auch das „selbständige[] Reich, in den Wolken fixiert“ (Marx/Engels 1960: 583f zit. nach Wenz 1997: 690) überflüssig. Mit dem Kindheitsstadium der Menschheit will man die Religion hinter sich lassen und erwachsen werden.
An die Stelle der Gottheit, in welcher sich nur die grundlosen luxuriösen Wünsche des Menschen erfüllen, haben wir daher die menschliche Gattung oder Natur, an die Stelle der Religion die Bildung, an die Stelle des Jenseits über unserem Grabe im Himmel das Jenseits über unserem Grabe auf Erden, die geschichtliche Zukunft, die Zukunft der Menschheit zu setzen.
(Ludwig Feuerbach, Das Wesen der Religion (1845), Berlin 1913, S. 308, zit. nach Moltmann 1985: 185. Herv. fallengelassen)
Der Mensch tritt an die Stelle Gottes, alle Hoffnungen können sich nur auf sein eigenes Handeln, nicht das Handeln eines von ihm unterschiedenen transzendenten Wesens oder auf einen jenseitigen Kompensationsort richten (s. Miggelbrink 2006: 337f). Transzendenz bedeutet nicht mehr die räumlich metaphorisierte Jenseitigkeit des Himmels in ewiger Gleichzeitigkeit zur Weltgeschichte, sondern die Jenseitigkeit einer zukünftigen Weltgeschichte in menschlicher Hand (vgl. Moltmann 1985: 185, Feuerbach referierend).
So kommt es, dass die Entgrenzungsmetapher Himmel zu einer Begrenzungsmetapher mutiert, wie Miggelbrink (2006: 326f) bemerkt: Hatten die Psalmbeter die grenzenlose Weite der Güte Gottes gepriesen, wenn sie die Metapher des Himmels heranzogen („denn deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, deine Treue, so weit die Wolken ziehen“ Ps 37,6; 57,11; 108,5), legt die neuzeitliche Metaphysik Gott auf seine Weltjenseitigkeit fest, wenn sie seinen Wohnsitz im Himmel bestätigt – „was dem rationalistisch-aufgeklärten Anspruch, die Welt als Gestaltungsraum des Menschen zu sichern, entgegenkommt“ (Miggelbrink 2006: 326, unter Aufnahme Jüngels) (4). Gottes Wohnsitz im entfernten Himmel kam gerade recht: dorthin wird ein Gott projiziert – doch hier handelt der Mensch. Gott soll als Arbeitshypothese in Welterklärungsversuchen genauso aus der Welt herausgehalten werden wie aus den politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Sie liegen im Zuständigkeitsbereich der Fachwissenschaften. Gott wird begrenzt auf den Himmel, er wird geradezu dorthin abgeschoben: „Gott wird aus diesem Gestaltungsraum verdrängt in seine himmlische Jenseitigkeit, wodurch die Welt neuzeitlich zum Herrschaftsbereich des souveränen Menschen wird.“ (Miggelbrink 2006: 326, unter Aufnahme Jüngels) Ob man die Geschichte als Abschaffung oder Abdrängung des Himmels erzählt – die Religionskritik reklamiert die Erde jedenfalls emphatisch als Bereich, in dem Gott nichts zu suchen hat.
Damit hängt, wie deutlich wird, der nachaufklärerische Rationalismus zusammen, der die Erde vehement als eigenen Zuständigkeitsraum beanspruchte. Ihn galt es mit den sich stark entwickelnden Naturwissenschaften zu erforschen und zu erklären; und der noch ungebrochene Wissenschafts- und Technikoptimismus ließ keinen Zweifel an der Machbarkeit und Legitimität dieses Projekts.
Himmel und Ethik in der Religionskritik
Wie verhalten sich also das Himmel-Erde-Gefüge und die ethische Ermächtigung des Menschen, wie Kosmos und Individuum, in dieser Phase der neuzeitlichen Religionskritik zueinander?
Die Neuzeit hatte ein Interesse daran, die Welt gott-frei zu machen und Gott in den Himmel abzudrängen, der dann von der Welt abgeschottet und letztlich deistisch stillgelegt wird. „Die Vorstellung einer neutralen, von Gott getrennten Welt ergibt sich aus dem neuzeitlichen Willen, die Welt nicht mehr als gottdurchwirkte Realität, sondern als Freiheitsraum menschlicher Selbstbehauptung zu begreifen“ (Miggelbrink 2006: 329) – die althergebrachte metaphysische Vorstellung der Allgegenwart Gottes hatte nämlich Gott und Welt nicht in Konkurrenz treten lassen, da Gott sich hier nicht wie ein innerweltliches räumliches Ding unter vielen verhält, sondern in qualitativ ganz anderer Weise in der Welt gegenwärtig und wirksam ist (wie Miggelbrink 2006: 327–329 zeigt). Der Himmel wird von der Erde abgespalten, Gott dorthin verortet, damit die Erde frei werde für das Handeln des Menschen allein. Oder als Variante: Der Himmel wird auf die Erde geholt, sodass die Dualität sich auf andere Weise auflöst. So ereignet sich bei Feuerbach der Himmel im Zu-Sich-Selbst-Kommen des Menschen hier auf der Erde (5). Gewissermaßen als Gefäß des religiösen Opiums hat auch bei Marx der Himmel keine Chance. Hier wie dort tritt die Erde an die Stelle des Himmels, der Mensch an die Stelle Gottes. Eine bleibende Dualität der Welt als Himmel und Erde lässt sich nicht aushalten: besser ein abgespaltener, entfernt-irrelevanter Himmel oder ein erd-identischer Himmel innerhalb der Weltgeschichte als ein Himmel, der vertröstet, Raum für Projektionen bietet, den Menschen in einen Widerspruch entfremdet, wichtige ethische Aufgaben unterminiert.
Notizen zur theologischen Bewertung der neuzeitlichen Verdrängung Gottes in den Himmel
Die moderne Theologie hat die neuzeitliche Emanzipation des Menschen und seine nachdrückliche Beanspruchung des Erdenraums nicht nur als Verlust des Himmels beklagt.
Bonhoeffer konnte den Säkularisierungsprozess – ganz innerhalb der räumlichen Metaphorik bleibend – als Verdrängung Gottes aus der Welt deuten und mit dem Kreuz Jesu Christi in Verbindung bringen: Wie die Menschen damals Jesus ans Kreuz brachten, so verdrängen sie in der Neuzeit Gott aus Gesellschaft und Wissenschaft (vgl. Bonhoeffer 1998: 529–535). „Gott als moralische, politische, naturwissenschaftliche Arbeitshypothese ist abgeschafft, überwunden; ebenso aber als philosophische und religiöse Arbeitshypothese (Feuerbach!)“ (Bonhoeffer 1998: 532). Kein Lebensbereich braucht Gott noch als Faktor der Mechanismen, die in ihm ablaufen: Die Moral und Politik werden durch die Philosophie, die Natur durch die Physik beschrieben „etsi Deus non daretur“. Die „Autonomie des Menschen und der Welt“ (Bonhoeffer 1998: 532) ist das Ziel dieses Vorgangs, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. Bonhoeffer würdigt diesen Prozess als unumkehrbares Mündigwerden des Menschen, der zu verantwortlichem Leben fähig wird. Zudem sieht er ihn als Chance, die eigentümliche Ohnmacht der Macht Gottes in der Welt theologisch besser zu erfassen (vgl. Miggelbrink 2006: 331f).
Starke Wirkung hat auch der Gedanke gezeitigt, Gott habe sich selbst aktiv aus der Schöpfung zurückgezogen, um dem Menschen freien Handlungsspielraum einzuräumen. Moltmann hat diesen Gedanken mit der kabbalistischen Lehre vom „zim-zum“ in Verbindung gebracht (Moltmann 1985: 99f). Die ursprünglich all-erfüllende Gegenwart und Wirkmacht Gottes erschafft die Welt dadurch, dass sie sich kontrahiert und so Raum freigibt. Der Himmel ist dann „Gegenbegriff zur kosmischen Welt des Menschen […], als göttliche Selbstbeschränkung, durch die die Welt als menschlicher Freiheits‑, Gestaltungs- und Handlungsraum entsteht“ (Miggelbrink 2006: 337). Die Einräumung eines klar profanen, himmelsunterschiedenen und gottfreien Bereichs liegt damit in der Intention des Schöpfers und ermöglicht ihm allererst ein echtes Gegenüber für den Menschen zu werden. (Vgl. etwa für Rahner Miggelbrink 2006: 329: „Die Welt als menschlicher Freiheitsraum ist Möglichkeitsbedingung menschlichen Freiseins vor Gott als dem personal Anderen.“ Er macht sich so „erreichbar als das personale Gegenüber menschlichen Handelns“. Vgl. auch ebd. 333f). Der Himmel bedeutet dann auch, und das ist auch für die Entflechtung von Religion und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft positiv zu würdigen, eine partielle Gottlosigkeit der Welt (vgl. Miggelbrink 2006: 324). Diese Situation stellt die theologische Ethik freilich eher noch vor größere Herausforderungen als in einem Weltbild, in dem Gott durch den Himmel immer in vergewissernder Nähe des Menschen bleibt: eine Ethik aus der Abwesenheit Gottes ist zu entwickeln, eine Ethik „nach der Himmelfahrt“ gewissermaßen – ohne direkte Weisung des religiösen Lehrmeisters, ohne die Vermutung Gottes als Prinzip oder Ursache hinter den Weltereignissen, falls der Mensch doch ethisch scheitert.
Problematisch findet Moltmann die Grenzverschiebung des Himmels „nach oben“ dann, wenn sie zu einer Schließung des Weltbildes führt: Marx schaffe mit dem Himmel auch die Offenheit der Welt für Alternativen und Neuheiten ab; diese Schließung macht sein System für Moltmann zur Ideologie (Moltmann 1985: 186). So konnte die Religionskritik selbst religiöse Züge annehmen, im Sinn einer „Religion der Erde“ (Moltmann 1985: 185). Diese Deutung hängt freilich mit Moltmanns spezifischer Interpretation des naturalen Himmels zusammen, auf die ich unten näher eingehen werde.
Karl Barths Wiederentdeckung des geschöpflichen Himmels: Grenze des menschlichen Handlungsspielraums
Wie Moltmann gezeigt hat, wurde die moderne Kritik des Himmels ermöglicht durch die Gleichsetzung des Himmels mit Gottes Präsenz (vgl. Bedeutung 4) – und durch die mangelnde Thematisierung des Himmels als „sky“ (Bedeutungen 1–3), der „aus dem Weltbild förmlich herausgebrochen“ (Link 2012: 61f) wurde und als weltferne göttliche Sphäre, eben als „heaven“, besprochen wurde (Bedeutung 4 und 5). Von dort her ist Barths klare Unterscheidung von Himmel und Gott motiviert, wenn er den Himmel in der ersten bedeutenden theologischen Behandlung des 20. Jhs. emphatisch als Geschöpf thematisiert.
In seinem umfangreichen Hauptwerk, der „Kirchlichen Dogmatik“, kommt er im Rahmen seiner Schöpfungslehre in Band III/3 auf den Himmel zu sprechen. Der Kontext liegt nicht in der Behandlung der Geschöpfe als solcher – etwa des Menschen, was schon in III/2 erfolgt –, sondern in der Beziehung zwischen Gott und Geschöpfen. Das wird deutlich am vorhergehenden Abschnitt zur Vorsehungslehre (vgl. Weber 1975: 146f). Dennoch macht Barth mit großer Vorsicht zunächst einige Bemerkungen über die Natur des Himmels an sich (Barth 1961: 493–499), die für unseren Kontext eine wichtige Rolle spielen.
Der erste Punkt ist der Himmel als Gegenüber der menschlichen Welt. Er gehört notwendig als Pendant zur Erde, die den Bereich des Menschen bildet. Anders als in der voraufgegangenen Religionskritik wird dieses Vis-à-vis jedoch nicht als Gestus der Verdrängung oder Emanzipation gedacht, sondern als dialogische Gegenwart beider Bereiche füreinander. Was immer auf der Erde geschieht, geschieht im Angesicht des Himmels. „Es gehört zur Erde als unserem Bereich, nach jenem hin offen zu sein.“ (Barth 1961: 493) Die Beziehung zwischen Himmel und Erde ist für beide Seiten konstitutiv. Auf diese Einsicht werden die beiden nächsten Autoren zurückkommen und sie vertiefend ausbauen.
Nach Günter Thomas (2005: 385) liegen Barths Darstellung drei Einsichten zu Grunde: 1. die „Welthaftigkeit und Geschöpflichkeit des Himmels“ (der Impetus zu dieser Entscheidung wurde durch die Konfusion von Himmel und Gott im Luthertum und ihre Übernahme in der Religionskritik hinreichend deutlich; vgl. Barth 1961: 486–488), 2. die „Unzugänglichkeit und Unverfügbarkeit der Schöpfung“ und 3. die „Selbstbindung Gottes“ an den Himmel als „Ort in der Welt, von dem her Gott am Menschen, für ihn und mit ihm handelt“ (Barth 1961: 503, Herv. fallengelassen).
Davon ist für unseren Kontext besonders der zweite Punkt relevant. Er betrifft das Zweite, was Barth zur Natur des Himmels an sich zu sagen wagt. Der Himmel ist die mensch-entzogene Größe der Schöpfung, er bleibt ihm unsichtbar, unbegreiflich, unzugänglich und unverfügbar (Barth 1961: 494). Er symbolisiert das wirklich Unerforschliche und Unerkennbare (s. Barth 1961: 494) (6). Während der Mensch die Tiere der Erde benennt (Gen 2,19–20), bildet der Himmel den ihm unzugänglichen und unerkennbaren Bereich der Wirklichkeit (s. Moltmann 1985: 168 unter Berufung auf Welker 1988: 203ff). Zwar stößt der Mensch auch auf der Erde auf unerforschte Bereiche, diese sind aber nicht prinzipiell unerkennbar. Dagegen hat es der Himmel mit dem bleibend Unbegreiflichen und Geheimnisvollen zu tun (s. Barth 1961: 494); mit der „Spitze aller Geheimnisse“ (Barth 1961: 495). Er verkörpert das bleibend Unzugängliche und Unverfügbare. „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“ (Jes 55,8f) „Der Himmel scheint also das Maß des dem Menschen Unerfaßlichen zu sein.“ (Barth 1961: 496, Herv.i.O.) Auch dieser Aspekt ist der Diskussion nicht mehr verloren gegangen.
Der Himmel wird so bei Barth zur Grenze für das menschliche Handeln. Er ist „der Inbegriff der dem Menschen gesetzten Grenze.“ (Barth 1961: 495, Herv.i.O.) Hybris ist es, einen Turm in den Himmel bauen zu wollen (vgl. Gen 11,4; Barth 1961: 495), Hochmut, „von oben herab“ zu reden (vgl. Ps 73,8.18; Barth 1961: 495). Denn das echte Oben und Unten wird durch die Dialektik von Himmel und Erde repräsentiert. Der Himmel begrenzt also nicht Gottes Einflussbereich wie in der neuzeitlichen Kritik, sondern zuerst das menschliche Handeln.
Damit sind in aller Kürze die entscheidenden fundamentalethischen Weichen in der Himmelsdarstellung Barths skizziert. Die Emphase auf der Begrenzung des menschlichen Handlungsspielraums kann Züge zum moralisierenden Zeigefinger haben – die im Sinn ökologischer Ethik gar nicht fehl am Platz sein müssen –, dennoch mag hier Ähnliches wie für Barths Ethik insgesamt gelten: „Die Methode seiner Ethik ist nicht ohne weiteres einzusehen; aber sie hält sich an den Grundsatz, daß die Gebote nicht als einzwängende Mauern aufzufassen sind, sondern als Kundgaben göttlichen Gewährens einen Lebensraum bestimmen.“ (Frey 1988, S. 206, Herv. fallengelassen) Eine Grenze eröffnet auch einen Raum nach innen. Zugegebenermaßen wird diese eröffnende Funktion der Himmelsgrenze bei Moltmann deutlicher als bei Barth.
Barth geht an dieser Stelle (1961: 496) dazu über, den Himmel als Ausgangspunkt der Bewegung Gottes zur Erde hin darzustellen, was sogar den umfangreicheren Teil ausmacht. Diese groß angelegte Linie mündet in der Theologie des Himmelreichs (ab 517) und der Engel (ab 526). Als ethische Haltung entspricht dem kommenden Gottesreich, dass Gottes Wille nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden geschehe – und damit das, was Barth den Gehorsam des Menschen gegenüber diesem Willen nennt (s. Barth 1961: 518). Der Himmel spielt also auch als Ausgangspunkt des Himmelreichs, des Reichs Gottes, das sich auf der Erde ausbreiten will, eine Rolle. Diese Rolle aber ist funktional; der Himmel darf nicht mit dem Himmelreich verwechselt werden (ebenso wenig wie mit Gott, s.o.).
Jürgen Moltmann: Der Himmel als Innovationsreservoir für die Weltgestaltung
In Jürgen Moltmanns Behandlung (Moltmann 1985) gewinnt der Himmel noch einmal eine ganz eigene Funktion für das Weltgefüge. Trat der Himmel seiner Natur nach bei Barth eher als Grenze des menschlichen Handlungsbereiches hervor (vgl. Thomas 2005: 385), bestimmt Moltmann seine Funktion für das menschliche Tätigwerden deutlicher positiv.
Dazu muss kurz Moltmanns Rezeption der Systemtheorie skizziert werden. Die Schöpfung wird als offenes System begriffen (vgl. Moltmann 1977: 123–139), das originär von seiner Offenheit gegenüber der Umwelt lebt. In der Systemtheorie finden zwischen Umwelt und System Wechselprozesse statt, die den Stoffwechsel des Systems am Laufen halten. Das System filtert gemäß seiner speziellen Funktionsweise bestimmte Umwelteinflüsse heraus, die es produktiv verarbeitet, und scheidet gewissermaßen die Ergebnisse wieder aus. (Die Anwendung bei Parsons und Luhmann auf die gesellschaftlichen Subsysteme ist hinlänglich bekannt.) Auf die Schöpfung übertragen bedeutet das, dass die Welt als Gesamtsystem eine Offenheit zu etwas anderem, zu einer Art Umwelt, braucht. Die Selbstabschließung jedes Systems bedeutet auf lange Sicht seinen Tod. Hier setzt übrigens Moltmanns interessante Auffassung von Sünde an: Sünde bedeutet, sich zu verkapseln, sich abzuschließen, Offenheit und Transzendenzfähigkeit zu verlieren. Ein lebendiger Organismus (und aus diesem Bereich speist sich ja ursprünglich die Systemtheorie) braucht immer wieder Elemente des Neuen. Das Neue ist in Moltmanns Entwurf das Heilvolle, das die Welt aus ihrem Sich-Selbst-Überlassen-Sein erlösen kann. Ohne das Neue, ohne Transzendenz wäre die Welt der ewigen Wiederkehr des Gleichen ausgesetzt, einer Endlosigkeit überlassen, die wenig mit der erfüllten Ewigkeit der biblischen Verheißungen gemein hätte (vgl. Moltmann 1985: 172).
Der Himmel nun ist die Quelle dieses Neuen. Neben die Konnotation der „fundamentale[n] Unbestimmbarkeit“ (Moltmann 1985: 168) wie bei Barth tritt die Konnotation der „Offenheit der sichtbaren Welt […], die alle Grenzen übersteigt“ (Moltmann 1985: 168). Der Himmel steht dafür, dass die Welt „kein einheitliches, in sich geschlossenes Universum sein kann“ (Moltmann 1985: 168); sie gewinnt ihre Einheit erst von Gott her, nicht aus sich selbst. Bezeichnet die Erde so den sichtbaren, verfügbaren, gestaltbaren Teil der Schöpfung, so der Himmel den offenen, unbestimmbaren, unsichtbaren, der das System Schöpfung für Gott offenhält. „In diesem Sinne ist sie ein ‚offenes System‘. Die bestimmte Seite dieses ‚Systems‘ nennen wir Erde, die unbestimmte Seite Himmel. Mit dem Ausdruck ‚Himmel‘ wird die gottoffene Seite der Schöpfung bezeichnet.“ (Moltmann 1985: 172, Herv.i.O.).
Gott wohnt seiner Schöpfung durch seine Anwesenheit im Himmel ein. Der Himmel erscheint gewissermaßen als Fenster der Schöpfung. (Im Unterschied zur lutherischen Tradition stellt der Himmel aber eine feste Größe dar, die nicht einer beweglichen mitgehenden Sphäre entspricht.) Jederzeit findet ein Kreislauf zwischen dem System Schöpfung und seiner Umwelt Gott statt, die durch den Himmel verläuft. Traditionell wird an dieser Stelle von der „creatio continua“, der fortgesetzten Schöpfung oder dem Handeln Gottes in der Welt, gesprochen (vgl. Moltmann 1985: 171). Die Welt „kreist nicht in sich selbst, weder in absoluter noch in relativer Vollkommenheit, sondern existiert in der Präsenz des Schöpfers und lebt aus dem ständigen Einfluß seines schöpferischen Geistes.“ (Moltmann 1985: 171). Die Welt ist somit notwendig dual strukturiert; es braucht den Himmel für die Lebens- und Zukunftsfähigkeit der Welt.
Der Himmel als Geschöpf, der naturale Himmel, ist dann nicht einfach identisch mit „sky“ (mit Bedeutung 1). „Es muß vielmehr die transzendente Offenheit aller Materiesysteme mit dem Symbol ‚Himmel‘ bezeichnet werden, wenn der theologische Ausdruck im Blick auf die Natur sinnvoll verwendet werden soll.“ (Moltmann 1985: 173f). Das ist trotzdem noch etwas anderes als der Himmel in eschatologischer Perspektive, etwas anderes als heaven, der Heilsort, etwas anderes als der Himmel der Gnade und der Himmel der Herrlichkeit (s.o., Anm. 5).
Das Neue, das aus dem Himmel fließt, sind die schöpferischen Möglichkeiten Gottes für die Welt. Im Himmel liegen unerschöpfliche Potentiale, die in der Schöpfung verwirklicht werden können. „Mit dem ‚Himmel‘ wird der Bereich der schöpferischen Möglichkeiten und Kräfte Gottes bezeichnet.“ (Moltmann 1985: 190). Der Himmel erscheint so als Innovationsreservoir für das Weltsystem, als „Reich der Energien, der Möglichkeit (possibilitas) und der Mächtigkeit (potentia) Gottes“ (Moltmann 1985: 174, Herv. fallengelassen). Von dort geht das schöpferische Handeln Gottes aus: Gott schafft den Himmel und damit die Möglichkeit für die Wirklichkeit der Welt, um von dort aus die Welt tatsächlich zu realisieren (vgl. Moltmann 1985: 174). Moltmann unterscheidet an dieser Stelle noch zwischen verschiedenen qualitativen Ebenen oder Graden von Möglichkeiten auf dem Weg zur Verwirklichung der konkreten Möglichkeit; das dient allerdings eher der Sicherung des Schöpferstatus Gottes auf der einen, der Unterscheidung von Geschichte und Eschaton auf der anderen Seite (vgl. Moltmann 1985: 190) und braucht für unseren Kontext nicht weiter aufgeschlüsselt zu werden. Auch die Motivik der jüdischen und christlichen Tradition verbindet mit dem Himmel „Leichtigkeit, Behendigkeit, Schweben, Tanzen, Singen und Spielen“ (Moltmann 1985: 175), d.h. er ist „Raum des Möglichen, der zur utopischen Phantasie einlädt“ (Moltmann 1985: 175, Herv. fallengelassen). Anders als unter den Bedingungen der Erd-Gravitation genießen die Geschöpfe im Himmel ungebundene Freiheit; mehr und ganz Anderes scheint hier möglich als im irdischen Lebensumfeld. (Hier liegen der naturale, schwerelose Himmel, vgl. Bedeutung 1, und die religiöse Ausschmückung seines Inventars, etwa durch Engel, ineinander). Nicht nur Gottes Möglichkeiten liegen also im Himmel, sondern auch die Möglichkeiten der Geschöpfe, von Gott für sie geschaffen (vgl. Moltmann 1985: 175). Beflügelnde Vielfalt erfüllt den Himmel, während die Realisierung die Festlegung auf ein Konkretes erzwingt (so deutet Moltmann den biblischen Plural der Himmel im Gegenüber zum Singular auf Erden).
In diese Grundkonzeption lässt sich nun Moltmanns Wahrnehmung des religionskritischen Himmelssturmes einzeichnen. Statt die Welt offenzuhalten, droht gerade Marx die bleibende notwendige Dualität von Himmel und Erde in ein zeitliches Nacheinander von schon erreichtem gesellschaftlichen Standard und noch ausstehenden Veränderungen im Rahmen der immanenten Weltgeschichte aufzulösen. Die Geschichte schließt sich immanentistisch ab. Bloch dagegen habe versucht, den Himmel für den Marxismus wieder zu rehabilitieren, allerdings als bloße Leerstelle, als Vakuum, das Gott hinterlassen habe, also einen Himmel ohne Gott. „Ein Himmel ohne Gott vermag der Erde jedoch keine Zukunft zu erschließen, in der Glück, Heil, Aufdeckung des Verborgenen, Identität und Wesen zu suchen wären.“ (Moltmann 1985: 189). Es liegt Moltmann also, wie an diesem Punkt ersichtlich wird, an der Bewahrung Gottes als Schöpfer, als Subjekt, von dem der Himmel als Geschöpf abhängt. Gott ist auch dem Himmel noch einmal transzendent; er steht noch über der relativen Immanenz und Transzendenz von Himmel und Erde als absolute Transzendenz (vgl. Moltmann 1985: 190). Der Himmel soll also nicht mit Transzendenz gleichgesetzt werden, so als wäre er doch wieder identisch mit Gott, sondern trotz seiner transzendierenden Funktion zur Erde steht Gott noch kategorial über diesen beiden Geschöpfen, nämlich als ihr Schöpfer. Bei diesen etwas umständlich-technischen Formulierungen wird einmal mehr deutlich, dass im theologischen Himmelsdiskurs durchgängig die Frage im Hintergrund steht, ob der Himmel auf die Seite Gottes oder auf die Seite der Erde bzw. der Geschöpfe gehört. Thomas kritisiert an Moltmann, dass trotz dieser kurzen Absicherung letztlich nur zwei Größen im Spiel sind, nämlich Himmel und Gott als Instanzen der schöpferischen Potenz auf der einen, die Erde als Sphäre der Manifestationen auf der anderen Seite (vgl. Thomas 2005: 385). Der Himmel kommt dabei wieder auf der Seite Gottes zu stehen und droht erneut divinisiert zu werden. Stattdessen gälte es, die drei (!) Größen Gott, Himmel und Erde ins Verhältnis zu setzen. Es käme begrifflich darauf an, die Rolle des Himmels bei der schrittweisen Verwirklichung von Möglichkeiten genauer zu bestimmen, z.B. als operatives und kommunikatives Medium (oder durch die Unterscheidung von Himmel und Himmelreich bei Welker 1988: 210).
Das Ideal der Gott-Welt-Beziehung, die sich durch den Himmel als Medium ereignet, läge in einer „unbehinderte[n] und grenzenlos fruchtbare[n] Kommunikation“ (Moltmann 1985: 191). Das ist Moltmanns Vorstellung des Eschatons, des neuen Himmels und der neuen Erde, wie sie von der Offenbarung des Johannes verheißen werden. Das System Schöpfung droht dann nicht mehr sich selbst abzuschließen und dem Tod zu verfallen, sondern steht in lebendigem und gesundem Austausch mit Gott. Gott wohnt dann nicht mehr nur im Himmel, sondern auch auf der Erde.
Was bedeutet all dieses für den Handlungsspielraum des Menschen? Begrenzt der Himmel seine Möglichkeiten? Diese Komponente ist zwar z.T. auch bei Moltmann gegeben. Mit dem biblischen Konsens hält er die Erde für den genuinen Wirkbereich des Menschen, während der Himmel unbestimmbar, unverfügbar und unzugänglich bleibt. Auch durch die klare Unterscheidung von Gott als Schöpfer und Himmel/ Erde als Geschöpfe sind dem Menschen Grenzen gesetzt. Der Mensch braucht als Teil der Schöpfung qualitativ Neues, das er sich selbst nicht geben kann. Er ist angewiesen auf Potentiale, die er sich selbst nicht schaffen kann. Die menschengemachte Geschichte bringt auch in Zukunft nicht den Himmel auf Erden, nicht die Erlösung den Menschen – wie Moltmann gegen die Religionskritik einwendet –, sondern nur das systemimmanent Mögliche, das die Welt zirkulär, selbstabgeschlossen und damit letztlich totalitär macht.
Dazu tritt allerdings eine spezifische neue Komponente: Die Welt hängt in ihrer Existenz von der Verwirklichung neuer Möglichkeiten ab, sie bietet sich dem Menschen offen dar, um diese Möglichkeiten zu verwirklichen. Der Mensch agiert als cooperator Dei, wie die klassische Dogmatik es ausdrückte. Der schöpferische Fluss von Möglichkeiten vom Himmel auf die Erde wird von den Menschen aufgenommen und mündet in ihrer Mitarbeit im Aufbau des Reiches Gottes, und damit in Moltmanns eschatologisch-dynamischer Reich-Gottes-Theologie.
Moltmann kehrt insgesamt gegenüber Barth die Blickrichtung also um: statt Begrenzung nach unten bedeutet der Himmel nun die Offenheit der Schöpfung nach oben (vgl. Thomas 2005: 385).
Michael Welker: Der Himmel als universaler Horizont
Als dritte wichtige Position hat Michael Welker den begonnenen Himmelsdiskurs fortgeführt. Sein Konzept entwickelt die Einsichten Barths und Moltmanns weiter und bezieht vor allem im Großwerk „Universalität Gottes und Relativität der Welt“ Einsichten der Prozessphilosophie und ‑theologie mit ein. Welkers Himmelsausführungen sind umfangreicher, als in diesem Rahmen ausgeführt werden kann und muss. Mir geht es im Folgenden um die leitende Fragestellung, was sie für das Verhältnis von Individuum und Kosmos, für den Handlungsspielraum des Menschen und damit fundamentalethisch bedeuten. Wie wirkt sich das Erde-Himmel-Gefüge bei Welker auf die Bedingungen menschlichen Handelns aus? Ich spitze seine Ausführungen, die sich auf mehrere Werke und Beiträge erstrecken, daher auf mögliche (fundamental-)ethische Impulse zu.
Der Himmel und die Weltangst
Der Himmel steht von jeher für die Naturkräfte, die das menschliche Leben entscheidend prägen, auch wenn der Mensch sich im Lauf der Zivilisationsgeschichte gegen manche Naturgefahren abgesichert hat (Bedeutung 2). „Obgleich sie [die vom Himmel ausgehenden Kräfte, L.T.] sinnfällig erfahrbar sind, sind sie doch nicht in gleichem Maße steuer- und manipulierbar wie irdische Kräfte.“ (Thomas 2005: 386) Sonne und Regen, Hagel und Blitzschlag, Dürre und Flut, Licht und Dunkel, der Wechsel der Jahreszeiten – diese immensen Naturfaktoren setzen die Bedingungen für menschliches Kulturverhalten (z.B. durch die Bestimmung von „Festzeiten, Tagen und Jahren“, vgl. Gen 1,14; Link 2012: 58), machen es möglich und können es vernichten. Dem Himmel gegenüber ist der Mensch ausgeliefert an unverfügbare, unmanipulierbare Kräfte, die willkürlich und bedrohlich wirken können. Er ist „der für die Menschen unermessbare, nicht direkt von ihnen manipulierbare Luftbereich, der das Leben auf der Erde entscheidend bestimmt durch Zufuhr oder Entzug von Licht und Wasser, aber auch durch Sturm, Hagel etc.“ (Welker 1989: 519)
Biblisch werden dem Himmel im Lauf der Zeit so auch andere Kräfte appliziert, die nicht in der Gewalt des Menschen stehen. Welker entfaltet das in seiner Engellehre: Engel treten als Boten auf, gehen auf ganz bestimmte historische Situationen ein und verändern bei Menschen die Sicht auf die Wirklichkeit und die Wirklichkeit selbst. Insofern werden sie geschichtsbestimmende Mächte, die überraschend und verändernd auf den Menschen zukommen. Solche Erfahrungen, für die Engel stehen, werden wegen dieses Charakters der Unverfügbarkeit dem Himmel zugeschrieben. (Auf die Darstellung von Engeln als soziale Kräfte, was der Hofstaat-Angelologie entspricht, verzichte ich hier; dieser Punkt scheint mir mehr der Gegenüberstellung Vielfalt vs. Festlegung/ Reduktion, ähnlich wie bei Moltmann, zuzugehören. Später [Welker 2006: 319] kann Welker sogar von „sozialen, kulturellen und geschichtlichen Kräfte[n] der Vergangenheit und der Zukunft“ in Bezug auf Engel sprechen, ohne dass er dies weiter inhaltlich füllen würde.)
Das Ausgeliefertsein an diese Kräfte, das Unbestimmbare und Entzogene am Himmel kann Angst machen. Beim Blick in den Sternenhimmel fühlt sich das Individuum dann eher verloren in der Weite des Weltalls, das anscheinend gleichgültig ihm gegenüber seine Kräfte spielen lässt, als geborgen unterm Sternenzelt. Weltangst entsteht durch einen weiten Weltbegriff, wie Welker zeigt (1988: 211f). Der Mensch ist hilflos – Resignation und Schicksalsergebenheit scheinen die ethischen Grundhaltungen, die aus dieser Perspektive heraus entstehen.
Arbeitet Welker einerseits diese Unbestimmbarkeit und Unverfügbarkeit als zentrale Merkmale des Himmels heraus (vgl. auch Welker 1989: 519), bietet er andererseits eine doppelte Bewältigung dieser Angst an. Diese Doppelung entspricht seiner Grundunterscheidung zwischen Himmel und Himmelreich (vgl. Welker 1988: 210), zwischen der ruhenden Ordnung des Weltgefüges (also am ehesten Bedeutung 1–3) und der Bewegung, in die Gott vom Himmel aus die Erde versetzt.
Die Weltangst geht nämlich zum einen darauf zurück, dass der Himmel nicht von der Erde unterschieden wird. Die mangelnde Abgrenzung scheint nach Welkers Darstellung eher der Normalfall der Geistesgeschichte, sodass er ihre Relevanz an verschiedenen Problemfeldern aufzeigen kann. Hier nimmt die ganze Welt die Eigenschaften des Himmels an: Die ganze Welt scheint unberechenbar, unsteuerbar, unheimlich (vgl. Welker 1988: 212). Dagegen liegt die Pointe des dualen Himmel-Erde-Weltbildes gerade darin, dass dem Menschen auch ein eigener Bereich, die Erde, anvertraut ist. Die Erde lässt sich gestalten, sie ist der vertraute Bereich des Menschen, sie soll er bebauen und bewahren (vgl. Gen 1,28; 2,15, s.o., vgl. Welker 2006: 315). Wird die Verwechslung von Gott und Himmel, die auch Moltmann an der Religionskritik und ihrer Vorgeschichte kritisierte, endlich aufgelöst, gewinnt die Einsicht in die Geschöpflichkeit des Himmels einen tröstlichen Effekt: Wie die Erde ist auch der Himmel nur Geschöpf, er hat keine grundsätzlich andere Qualität als die Erde, sondern ist von „prinzipiell gleicher Grundbeschaffenheit wie die klarer sichtbare und zugängliche Erde“ (Welker 1995: 61); auch er steht noch unter Gottes ordnendem Handeln. Welker spricht von einer „letzte[n] Homogenität der Wirklichkeit“ (Welker 1995: 61), eben als geschaffene, die auf den sich ängstigenden Menschen „vertrauensstiftend“ (Thomas 2005: 386) wirkt. Die „verschiedenartigen Transzendenzen“ (Welker 1995: 61) des Himmels sind nicht von „koboldhafter Bizarrheit und schicksalhafter Willkür“, sondern unterliegen „einem letzten Zusammenhang von Ordnungen und Interdependenzen […], der prinzipiell erschließbar ist“ (Welker 1995: 61).
Zum anderen, auf der Ebene des Himmelreichs, hat Jesus Christus die Weltangst überwunden (vgl. Welker 1988: 226–228): „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, denn ich habe die Welt überwunden.“ (Joh 16,33) Jesus Christus kam herab vom Himmel auf die Erde und fuhr wieder in den Himmel auf – seitdem gewinnt das Ferne und Unberechenbare des Himmels eine inhaltliche Qualifizierung. Gott selbst übernimmt die Situation der Gottesferne. Dass Gott aus dem Himmel, aus der Unbestimmbarkeit, Ambivalenz und Ferne heraustritt auf die Erde zu, vergewissert den Menschen seiner Nähe, die von nun an unauflöslich zu Gott gehört. Gott ist seiner Schöpfung nahe – auch auf der Erde tröstet diese Botschaft den furchterfüllten Menschen. Auch in Zukunft hört diese bindende Festlegung Gottes nicht auf, sondern manifestiert sich in der Ausbreitung von Freiheit und Gerechtigkeit (theologisch gesprochen: des Reiches Gottes).
Durch die Lösung der Angststarre können die Menschen selbst handelnd aktiv werden. Eine angstfreie Zuwendung zur Erde wird möglich. Menschen erfahren die Ausbreitung von Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Frieden in Zuspruch und Anspruch: Selbst aufgerichtet, heilsam verwandelt und aus dem Leid-Schuld-Zusammenhang befreit, wenden sich Menschen der Erde zu, um sie in diesem Sinn mitzuverwandeln. Hier öffnet sich, wie bei Moltmann, eine Reich-Gottes-Ethik (hier unter dem Begriff des Himmelreichs):
Die von der Angst der Welt befreiten Menschen leben im Geschehen der Erneuerung der Welt. Sie sehen dabei aber nicht nur die Welt mit ‚neuen Augen‘, sondern erfahren und verbreiten die gute und frohe Botschaft, dass Gott seinen Namen auch hier auf Erden heiligt, dass er hervorgetreten ist aus dem relativ unbestimmten und unverfügbaren Teil der Schöpfung, dass er in Jesus Christus das von uns aus nicht zu überwindende, von uns nicht einmal zu mindernde Fernsein aufgegeben hat. Die durch die Nachricht von der Nähe Gottes in Jesus Christus befreiten und andere befreienden Menschen werfen das unglückliche, trostlose Streben und Sehnen der Himmelsgläubigkeit ab.
(Welker 1988: 229)
Der Mensch, der Nähe Gottes gewiss und befreit, kann das trostlose Streben und Sehnen nach dem Himmel getrost aufgeben. Das Christentum birgt selbst eine religionskritische Pointe! (Vgl. Welker 1988: 215–217.) „Was steht ihr da und seht zum Himmel?“ fragen zwei Engel die Jünger, nachdem Jesus gen Himmel gefahren ist. Die Konsequenz kann nur lauten: Geht hin in die Welt! In der Gewissheit der Nähe Gottes wird so gleichsam eine „Ethik nach der Himmelfahrt“ möglich, die zugleich die unverrückbare Treue Gottes zur Welt festhält und die Mündigkeit des Menschen ernst nimmt.
Komplementär zur Weltangst setzt Welker den Hochmut gegenüber der Welt, wenn diese nicht in Himmel und Erde differenziert wird (Welker 1988: 212). Wird die Angst durch einen zu weiten Weltbegriff erzeugt, als sei die Erde wie der Himmel unumgrenzbar, so eine hochmütige Haltung durch einen zu engen Weltbegriff: als sei die Welt als ganze verfügbar und gestaltbar wie die Erde. Diese Seite führt Welker allerdings nicht aus (s. Welker 1988: 227, Anm. 18). Die Dualität von Himmel und Erde könnte hier wieder die Funktion annehmen, die menschliche Hybris, Türme in den Himmel zu bauen (vgl. Gen 11,4) zu begrenzen. (Das gilt aus der Perspektive des Himmels. Aus der Perspektive des Himmelreiches ließe sich unter Umständen der Aspekt des Gerichts für den Hochmut stark machen, der Aspekt der Gnade für den der Angst.)
Der Himmel als Chance universaler Gemeinschaft
Die Einsicht, dass der Himmel Geschöpf und damit nicht absolut transzendent ist, wirkt sich auch an anderer Stelle positiv aus. Hatte die Einsicht in die letzte Homogenität der Wirklichkeit schon dem weltängstlichen Menschen Vertrauen geschenkt, die Furcht vor Willkür und Unzugänglichkeit gemindert, wendet Welker diesen Gedanken nun in eine ethische Richtung (vgl. Welker 1995: 61–63). Der Himmel ist relativ transzendent, anders, unvertraut, unzugänglich, fremd – aber er ist auch Geschöpf. Er ist nicht absolut anders als „wir“, als der uns anvertraute Bereich. Die Transzendenz des Himmels zur Erde ist eine relative. Wenn schon der Himmel als Inbegriff der Transzendenz innerhalb des Weltgefüges noch Teil der Schöpfung ist und keiner anderen Wirklichkeit angehört, wenn auch die Kräfte des Himmels keine Dämonen sind, dann sind erst recht alle anderen Transzendenzen zwischen Geschöpfen relativ. Die relative Transzendenz des Himmels wird eingebunden in ein „Vertrauen in die relative Kontinuität und Homogenität trotz aller Differenzen, Unverfügbarkeiten, Unzugänglichkeiten und Transzendenzen“ (Welker 1995: 62).
Dieser Gedanke lässt sich bildlich konkretisieren: Obwohl der Himmel die Erde umspannt, sehen Menschengruppen jeweils nur einen bestimmten Ausschnitt, bestimmte Gestirnkonstellationen, andere Wetterlagen als in anderen Erdteilen (vgl. Welker 1995: 62). Je nach Zeitzone herrscht gerade Tag oder Nacht. Dennoch ist es derselbe Himmel, der Räume und Zeiten verbindet. Dem Himmel ist daher in eigentümlicher Weise die Spannung von Universalität und Partikularität eingeschrieben (Thomas 2005: 386f).
Die ethische Konsequenz: innerhalb der geschöpflichen Welt ist Platz für Differenz und dennoch eine verbindende Einheit gegeben. Mögen Angehörige anderer Kulturen, Zeiten, Weltregionen uns noch so fremd vorkommen, so vertrauen wir doch darauf, dass sie der gleichen geschöpflichen Wirklichkeit angehören wie der uns vertraute Bereich. Der Raum für Fremdheit innerhalb der Schöpfung wird durch den Himmel symbolisiert. Zwar ließe sich eine universale Ethik auch erdbezogen begründen: „Wir leben doch alle auf derselben Erde!“ Aber der Himmel schließt für Welker mehr das Moment der Transzendenz und der Andersartigkeit mit ein.
Wichtig ist, dass gerade das im Blick auf Gottes Treue geschöpfte Vertrauen auf die Einheit und Stetigkeit des Geschöpflichen trotz dieser evidenten Diskontinuitäts‑, Differenz- und Fremdheitserfahrungen die Einheit des Himmels und eine letzte Einheit von geschöpflicher Transzendenz unterstellen lässt. Wichtig ist, dass der Himmel so zur Grundlage und zum Bezugspunkt realer Universalität werden kann, die die Völker, Kulturen, Klimata und Zeiten übergreift. Was immer die Geschöpfe und Regionen auf der Erde in Raum und Zeit voneinander entfernen und trennen mag, ihnen allen ist gemeinsam, dass sie unter dem Himmel leben mit seinen Gestirnen und den Ordnungen den Rhythmen natürlicher und kultureller Art, die damit verbunden sind.
(Welker 1995: 62f)
Wenn die Erde für „unsere“ Welt steht, unsere historisch kontingenten, sozialen und kulturellen Institutionen, dann kann wirkliche Universalität nur über etwas außerhalb dieser Welt Stehendes gewonnen werden. Es ist diese Einsicht, die Welker bei Kant in Bezug auf das eingangs genannte Zitat würdigt (Welker 1988: 32f): der gute Wille des moralischen Subjekts und das Naturgesetz, symbolisiert im bestirnten Himmel, sind analog in ihrer Außer-Partikularität, in ihrer Jenseitigkeit gegenüber bestimmten kulturell geformten Welten. Um die Erzählung vom Turmbau zu Babel noch einmal aufzugreifen: Nicht das Projekt der Eroberung des Himmels führt zur universalen Gemeinschaft (vielmehr zur divergierenden Sprachverwirrung), sondern die gemeinsame Anerkenntnis des Himmels als gemeinsame Grenze. Die Theologie kann das Symbol des Himmels vorschlagen, um darauf den Universalitätsgedanken aufzubauen.
Quintessenz
Was bedeutet also der Himmel für das Verhältnis von Individuum und Kosmos? Was bedeutet er somit fundamentalethisch in der behandelten Diskussionslinie? Unter dieser Fragestellung erschien der Himmel seit der Religionskritik des 19. Jhs. als Schauplatz von Grenzverhandlungen zwischen göttlichem und menschlichem Zuständigkeitsbereich: je nachdem drängen Menschen Gott hinaus in den Himmel, setzt Gott den Himmel als Grenze menschlichen Forschens und Herrschens, je nachdem wenden Menschen dem Himmel den Rücken zu oder zieht sich Gott selbst raumgebend aus der Erde in den Himmel zurück. (Für eine theologisch adäquate Reflexion der Gott-Mensch-Beziehung wären die trinitätstheologischen Differenzierungen, die bei Moltmann beginnen, und vom Durchschreiten der Himmel durch Jesus Christus und den Heiligen Geist sprechen, notwendig zu durchdenken, was in diesem Rahmen nicht geleistet werden konnte – und was jeweils eigene Auswirkungen auf die Ethik hätte.) Allen behandelten Autoren war es zudem gleichermaßen wichtig, einer Deifizierung des Himmels entgegenzuwirken und den Himmel eher als Operationsbasis, Ausgangspunkt oder Medium Gottes darzustellen.
Seit Barth bestimmten alle Autoren den Himmel als den für den Menschen unzugänglichen und unverfügbaren Bereich der Schöpfung. Daraus lässt sich das bleibende Moment der Entzogenheit eines Teils der Schöpfung gegenüber den Schattenseiten einer selbstermächtigenden Weltbeherrschung des Menschen kritisch in Anschlag bringen. Denn ohne den Himmel verliert die Welt dieses Moment der Entzogenheit:
Aus der vertikal gegliederten Schöpfung wird die einheitliche, plane und durchsichtige Welt, die dem menschlichen Zugriff unbegrenzt zur Verfügung zu stehen scheint. Mit ihrer ‚gottoffenen‘ Seite verliert sie ihre Transzendenz. Ihr Geheimnis wird preisgegeben an die Freiheit des Menschen, aufzubrechen, wohin er will.
(Link 2012: 61)
Wegen des Moments der Unzugänglichkeit bildet der Himmel bei Barth die Grenze des menschlichen Handlungsspielraums. Moltmann wendet das Blatt und zeigt die Notwendigkeit eines solchen Bereichs, der die Welt „nach oben offen“ hält, also die Funktionalität dieses Schöpfungsteils für die Erde. Welker gründet den Gedanken der Universalität auf dieses außermenschlich, aber innerweltlich Andere und spielt die Situation des Menschen im Kosmos zwischen Agoraphobie und Ordnungsvertrauen, Heimatgefühl und Fremdheitserfahrung durch. Klaustrophobie überkommt dafür Moltmann im Szenario einer himmelslosen, totalitär geschlossenen Welt.
Begrenzung und Eröffnung des menschlichen Handlungsspielraums, Transzendenzfähigkeit und Zuwendung zur Erde sind fundamentalethische Momente, die im Symbol des Himmels als Geschöpf bewahrt sind. Sie bilden Pole, die in jeder materialethischen Debatte auszutarieren sind, z.B. bei Technikfolgenabschätzung oder medizinischer Forschung. Die Grenze zwischen Himmel und Erde ist eine fluide Grenze – sie bei jeder ethischen Entscheidung neu auszuloten spiegelt geradezu bildhaft die schwierigen Abwägungen menschlicher Handlungsmöglichkeiten unter Bedingungen der Moderne wider. Das Moment der Entzogenheit führt aber auch in epistemologische Debatten, nämlich zur Frage nach den Grenzen menschlicher Erkenntnis, und zum Umgang mit dem Fremden. Der Himmel symbolisiert das Verborgene, Undurchleuchtbare und Undurchdringliche an der Schöpfung – damit zu rechnen, kann bis zur Totalitarismuskritik Konsequenzen nach sich ziehen. Andererseits ist gegen eine einseitige Fortschrittskritik die Rückgezogenheit des Himmels vom genuin menschlichen Handlungsbereich der Erde zu bedenken.
Anmerkungen
(1) Dieser Beitrag geht maßgeblich auf die Inhalte und Diskussionen aus einem Hauptseminar an der Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Dr. Magdalene L. Frettlöh – heute Professorin in Bern – zurück. Dafür an dieser Stelle herzlichen Dank.
(2) Nach dem 2. Artikel des allgemein-christlichen Apostolischen Glaubensbekenntnisses sitzt Christus zur Rechten Gottes. Nach reformierter Auffassung kann er daher nicht zugleich im Abendmahl präsent sein, jedenfalls seiner menschlichen Natur nach nicht. Für Luther aber gewinnt die menschliche Natur Anteil an der göttlichen Allgegenwart (Ubiquität), sodass Christus nicht nur mit der göttlichen, sondern auch der menschlichen Natur im Abendmahl anwesend sein kann. Was wie eine spezielle theologische Spitzfindigkeit anmutet, hängt durchaus mit Grundentscheidungen im Gottesbild, in der Lehre von Christus und in Bezug auf Gottes Verhältnis zur Welt zusammen, die uns allerdings hier nicht weiter aufhalten sollen.
(3) Vgl. die ausführliche Darstellung bei Moltmann 1985: 183–189, dort auch das Zitat Feuerbachs vom Himmel als „Erfülltsein meiner Wünsche“.
(4) Dort auch der Zusammenhang mit dem aufkommenden Monotheismus in Israel: der eine Gott umspannt die ganze Welt, Himmel und Erde.
(5) Letztlich ist das eine Kritik an der christlichen Unterscheidung eines schon gegenwärtigen Himmels, aus Gnade schon jetzt erfahrbar (coelum gratiae), und eines ausstehenden Himmels, erst in der jenseitigen Herrlichkeit erfahrbar (coelum gloriae), wie Moltmann (1985: 178) analysiert – und damit der eschatologischen Spannung im Christentum überhaupt. „Ist ‚der Himmel‘ nicht in Wahrheit die Zukunft der Erde und die Utopie des endlich gelungenen Lebens?“ (Moltmann 1985: 178)
(6) Während Moltmann das Moment des Unsichtbaren auf den Himmel zu beziehen scheint, macht Welker mit Barth (1980: 495) Sichtbares und Unsichtbares jeweils sowohl für den Himmel als auch die Erde aus (vgl. Welker 2006).
Literaturverzeichnis
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Lisanne Teuchert, geboren 1984, studierte Ev. Theologie und Soziologie in Erlangen, Bochum und Heidelberg (Erstes Kirchliches Examen 2011). Seit 2012 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang des Elitenetzwerks Bayern Ethik der Textkulturen in Augsburg und Erlangen und arbeitet an ihrer Promotion am Lehrstuhl für Systematische Theologie von Prof. Dr. Oberdorfer (Augsburg).