Ein Interview mit der Augsburger Band Carpet
von Max Lang, Vera Kühnemann und Alexander Weidle
Eine positive Rezension jagt die nächste, begeisterte Stimmen aus ganz Europa überschütten das frisch erschienene Album der aufstrebenden Augsburger Band Carpet geradezu mit Lob. Und auch beim Eröffnungskonzert des diesjährigen Modularfestivals in Augsburg halten die Jungs, was Programmhefte im Voraus versprechen. Emotionsgeladene Klanglandschaften legen sich über einen nur spärlich ausgeleuchteten Konzertsaal, versetzen das Publikum über große Strecken des Auftritts hinweg in beinahe schon andächtiges Schweigen. Vergleiche mit Größen der musikalischen Sphärenschaffung wie Sigur Rós ziehen die Runde, und begeisterter Applaus zeugt auch live von einer mehr als überzeugenden musikalischen Darbietung.
Nur wenige Stunden vor ihrem Auftritt ermöglichten die Bandmitglieder Max und Jakob im gut besuchten Café Victor einen Blick auf ihr durchaus überzeugendes Konzept, sprachen über Konzerte und Sternenhimmel und schätzten die Rolle der Individualität in ihrer Musik ein.
SCHAU INS BLAU: Rezensionen eurer neuesten EP beschreiben eure Lieder als sphärisch, und euch selbst als Klangwelten-Schöpfer. Eure Musik wird als verzaubernd und herausfordernd bezeichnet. Wie würdet ihr selbst die Musik von Carpet definieren?
CARPET: Unsere Musik ist vor allem spontan. Sie wirkt unterschwellig im Gehör der Zuschauer, die sich eigentlich nie sicher sein können, welche Art von musikalischem Fragment dem vorhergehenden folgt. Die Songs offenbaren dem Zuhörer einen eigenen Entwicklungsprozess und formen sich dann augenscheinlich selbst auf der Bühne.
SCHAU INS BLAU: Mit bis zu acht Minuten Länge überschreiten eure Lieder die durchschnittliche Dauer eines Pop-Songs gut um das Doppelte. Gerade für den Zuhörer kann das recht anstrengend sein. Erwartet ihr damit nicht ganzschön viel von eurem Publikum?
CARPET: Generell soll unsere Musik viel eher zum Zuhören statt zum Tanzen auffordern. Die Lieder benötigen Zeit, um sich zu entwickeln, und genauso viel Zeit benötigt auch der Zuhörer, um die Tiefe der Songs auf sich wirken lassen zu können. Wie lange ein Lied dann tatsächlich geht, entscheidet sich erst im eigentlichen Entstehungsprozess, völlig unterbewusst und niemals zwangsläufig. Fertig ist ein Lied dann, wenn wir das Gefühl haben, dass es wirklich passt- da spielen Zeitvorgaben dann gar keine Rolle.
SCHAU INS BLAU: Wie viel Zeit benötigt ihr, um von einem Lied zu sagen, dass es passt?
CARPET: Wie viel Zeit genau für ein Lied eingerechnet werden muss, kann man so pauschal nicht sagen, das ist immer abhängig von etlichen Faktoren wie der Tagesleistung oder davon, wie motiviert wir gerade sind. Oft verändern wir Lieder auch nochmal, nachdem sie eigentlich schon stehen, fügen noch weitere Teile dazu oder nehmen wieder etwas raus.
SCHAU INS BLAU: War die Namensgebung dann auch ein gemeinsamer Beschluss?
CARPET: Absolut. Der Begriff „Carpet“ an sich ist schon experimentell, das ist so ein schön typographisches Wort, das uns allen sofort gefallen hat. Außerdem decken wir die Zuhörer ja auch irgendwie zu, nur mit einem Klangteppich statt mit einer Steppdecke.
SCHAU INS BLAU: Wie „sphärisch“ ist Carpet, und was versteht ihr unter diesem Begriff des sphärischen, der euch ja auch in der Öffentlichkeit wiederspiegelt?
CARPET: Das ist sicherlich eine Bezeichnung, die auch auf unsere Musik zutrifft, zumindest teil- und stellenweise. Sphärische Musik stellt für uns ein Element dar, das auf irgendeine Weise vergleichbar mit Filmmusik ist. Überraschung spielt dabei eine wichtige Rolle, aber auch Dynamik, Eingängigkeit und Verstörung. Vor allem der Aspekt des eigentlich Unterbewussten fasziniert uns, dass Musik Bilder schaffen kann, dass Gedanken beim Zuhören in andere gedankliche Sphären abdriften und Sinne sich verbinden können.
SCHAU INS BLAU: Auf eurer Platte ist, nur grob beschrieben, eine Collage mit einer Ansammlung von Menschen unter freiem Sternenhimmel abgebildet. Warum genau habt ihr dieses Motiv gewählt?
CARPET: Das Universum ermöglicht durch seine Weite die Betrachtung des Einzelnen aus einer ganz neuen Perspektive. Unsere Collage zeigt das Individuelle im Kosmos, zeigt einzelne, unabhängige Teile, die zu einem Konsens werden und bildlich etwas Großes und Ganzes darstellen. Wir sehen das Artwork daher in direkter Verbindung mit unserer Musik, die ja auch Klangbilder erzeugen soll und für uns Ausdruck des Zusammenspiels vieler kleiner Teile zu etwas Großem ist. Bei Carpet funktioniert das genauso. Jeder von uns findet seine Inspiration an anderen Orten, lässt sich durch unterschiedliche Eindrücke, von anderen Faktoren anregen oder beschäftigt sich mit anderer Musik als der Rest. Wir verbinden dann die einzelnen, individuellen Gesichtspunkte im Proberaum zu einem Gesamtwerk, und so entstehen dann auch unsere Lieder.
SCHAU INS BLAU: Die entstehen alle im Proberaum?
CARPET: Auch das ist nicht so generalisierbar. Meistens kommt einer von uns mit einer Idee, und gemeinsam entsteht dann ein Lied, schon auch im Proberaum. Aber die Einflüsse für die Lieder, die bringt jeder von draußen mit. Der Proberaum ist da schon fast neutraler Boden, auf dem alles Mögliche aufeinandertrifft.
SCHAU INS BLAU: Und was genau wären dann Faktoren, die euch inspirieren?
CARPET: Mit unseren Liedern findet mit ein Teil der Verarbeitung unseres eigenen Lebens statt. Ideen für neue Songs schöpfen wir aus unserem eigenen Lebensfluss, Verarbeitung und Reflektion spielen dabei eine große Rolle. Erfahrungen wie Schmerz und Traurigkeit zählen beispielsweise gerade in textlicher Hinsicht zum Hauptfaktor, aber auch prägende Reisen ins Ausland oder völlig andere Musikstile sind Inspirationsquellen. Aus fragmenthaften Auszügen einzelner Wörter im Notizbuch entstehen dann aufeinanderfolgende Wortreihen, werden letztlich Geschichten, die jeder einzelne von uns mittels Improvisation durch eigene Gedanken musikalisch füllt. Wichtig ist dabei, jedem die Möglichkeit zu geben, auch mal was Neues auszuprobieren, auch mal andere Schubladen aufmachen zu können. Eigentlich ist uns ist nichts zu abgefahren, nichts zu speziell. Die Grenzenlosigkeit innerhalb der Musik spielt da eine große Rolle, generell das Überschreiten von Schranken- so kämen wir dann auch wieder beim Begriff des Sphärischen an. Jedem soll irgendwie die Möglichkeit gegeben sein, sich in unserer Musik selbst wiederzufinden; vor allem uns natürlich, aber auch dem Zuhörer.
SCHAU INS BLAU: Eure Lieder bieten massenhaft Möglichkeit zur Interpretation. Würdet ihr selbst mal eines eurer Stücke offenlegen?
CARPET: Oft stellen unsere Lieder selbst für jeden von uns etwas völlig anderes dar. Genauso vielfältig, wie unsere eigenen Interpretationen sind, wie jeder Einzelne von uns unterschiedliche Erinnerungen an bestimmte Stücke hat und die Musik dabei individuelle Eindrücke erweckt, genauso varietätsreich sollen auch die Eindrücke des Publikums ausfallen. Aus diesem Aspekt betrachtet, erübrigt sich dann auch eine Musterinterpretation, weil irgendwie alles richtig ist und nichts als besser als das andere gesehen werden kann.
SCHAU INS BLAU: Ihr habt den Kosmos angesprochen, der ja auch auf eurem Cover abgebildet ist. Hat der für euch persönlich als Musiker noch weitere Bedeutung?
CARPET: Vor längerem haben wir mit einer anderen Formation ein Festival in den Bergen gespielt. Das Konzert war Open-Air, wir hatten den Berg im Rücken und haben auf der Bühne über die Köpfe der Leute hinweg genau in die untergehende Sonne hineingespielt. Diese Stimmung damals war unbeschreiblich, das war ein wirklich tolles Erlebnis. Einzelne Töne können sich unter freiem Himmel ganz anders entfalten, Emotionen setzen sich schnell frei und einzelne Passagen der Lieder wirken beim Publikum wesentlich stärker. Auch Auftritte in geschlossenen Räumen, bei denen es praktisch komplett dunkel ist, und auch wir auf der Bühne nur eine spärliche Beleuchtung haben, entwickeln ihre ganz eigene Stimmung- auch das ist irgendwie mit der Weite, aber auch mit dem Ungewissen, dem Verborgenen des Universums vergleichbar.