Aleksandra Pendo
Markus Gabriel liefert uns mit Warum es die Welt nicht gibt eine einfallsreiche und interessante Sicht der modernen Philosophie und des Neuen Realismus. Erst nimmt er uns aber auf eine jahrhundertelange Reise durch alle philosophischen Schulen und Strömungen, um uns zum Neuen Realismus und hoffentlich auch zur Stellung des Individuums im Kosmos zu führen.
Um der Bodenhaftung und Alltagsnähe des neuen Buches von Markus Gabriel getreu zu bleiben, mache ich einen einfachen Vergleich: Wenn Philosophie Mode wäre, wäre der Neue Realismus der letzte Schrei und der 33-jährige Prof. Dr. Gabriel mit seinem italienischen Kollegen, den Philosophen Maurizio Ferraris, der angesagteste Trendsetter der Philosophie.
Ein Ausnahmetalent ist der Bonner Philosophieprofessor auf jeden Fall. Als er 2009 seine Professur an der Universität Bonn antrat, war er der jungste Philosophieprofessor Deutschlands. Seine bisherige Arbeit umfasst unter anderem über 40 veröffentlichte Aufsätze, 10 organisierte Konferenzen und über 60 Vorträge in aller Welt. Sein beim Ullstein Verlag am 10. Juli erschienenes Buch Warum es die Welt nicht gibt ist das zehnte umfangreichere Werk des jungen Philosophen.
Warum es die Welt nicht gibt ist ein in acht Kapiteln gegliedertes Manifest des Neuen Realismus. Die zwei wichtigsten Themen um die es im Buch geht, sind der Sinn der menschlichen Existenz und der Neue Realismus als eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn. Diesen Themen entsprechen zwei wichtige Gedanken des Neuen Realismus: dass „wir die Welt so erkennen, wie sie an sich ist” (S.13) und dass es grundsätzlich falsch ist, zu behaupten, dass alles mit allem zusammenhängt, d.h. dass Theorien, wie die des Schmetterlingeffektes, die in der Postmoderne entwickelt wurden, keine Gültigkeit mehr hätten. Der Neue Realismus ist eine gänzlich neue und doch leicht nachvollziehbare Sicht der Welt.
Was ist der Kosmos und wo genau befindet sich unser Planet? Was ist die Welt? Wer hat sie erschaffen? Wer hat uns erschaffen? Sind wir ein Nebenprodukt des Urknalls oder Produkt einer göttlichen Schöpfung? Wie weit geht unsere Erkenntnis von uns selbst und der Welt? Gibt es eine Welt auch außerhalb unserer Wahrnehmung? Verschwindet alles, wenn wir die Augen schließen? Diese und viele andere Fragen, die wir uns lebenslang, manche öfter und manche seltener, stellen, haben Gabriel seit seiner Kindheit beschäftigt und nie in Ruhe gelassen. Mit diesem Buch versucht er seine Erkenntnisse über die Welt und die Stellung des Menschen aus einer nicht naturwissenschaftlichen Perspektive darzustellen. Wenn „um den Naturwissenschaftler herum alles zum Universum wird oder um einen Soldaten herum alles zum Krieg” (S. 40), dann könnten wir weiterführend behaupten, dass um Markus Gabriel herum alles zur Philosophie wird.
Genau aus dieser philosophischen Perspektive heraus würde er uns auch sicherlich die Welt erklären wollen, wenn diese bloß existieren würde. Da es aber die Welt nicht gibt, erklärt er uns wieso das so ist, wieso wir so lange gebraucht haben, bis wir dies bemerkt haben und was uns der Neue Realismus als Ersatz für die Welt bietet.
Das Buch „fängt, wie alle Philosophie, von vorne an” (S. 24) und soll den Leser anfangs mit den Grundbegriffen und philosophischen Richtungen bekannt machen, um den Neuen Realismus anschaulich und verständlich darzustellen. Was für die Leser, die sich im Umfeld der philosophischen Strömungen nicht gut auskennen, oder vielleicht ihre Erinnerung auffrischen müssen, sehr hilfreich ist, sind die knappen und doch verständlichen Erklärungen, die Gabriel bei jeder Einführung eines neuen Begriffs vornimmt.
In den abschließenden Kapiteln wird der Sinn der Religion, der Kunst und am Ende auch der Sinn des Lebens aus der Sicht des Neuen Realismus erleuchtet. Ob das Buch eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage aller Fragen gibt, muss jeder Lesern selbst entscheiden. Die Furcht, die sich beim ersten Blick auf den Inhalt auftun könnte, dass das Buch in einer Art Ratgeber oder Selbsthilfekurs münden wird, erweist sich als unnötig, weil Gabriel diese Hürde mit Humor und Bezug auf die moderne Kultur meistert.
Schon auf den ersten Seiten wird dem Leser klar, dass er keine gewöhnliche philosophische Abhandlung vor sich hat. Ganz im Gegenteil, von zeilenlangen Sätzen und unverständlichen Formulierungen fehlt jede Spur, Warum es die Welt nicht gibt bleibt bis zum Ende „voraussetzungsfrei lesbar” (S.24) . Das Buch ist verständlich und humorvoll geschrieben, und dennoch nicht banal. Der Autor verspricht uns, „dass aufgeblasene philosophische Wortmonster wie ›die transzendentale Synthesis der Apperzeption‹ in diesem Buch nur in denjenigen Sätzen vorkommen, in denen ich Ihnen verspreche, dass sie in diesem Buch nicht vorkommen.” (S. 24) Für Laien ist es ein leichter Einstig in ein schwieriges Feld und für Experten eine willkommene Abwechslung.
Die Absage des Autors an andere philosophische Strömungen ist mehr als eindeutig und wird von vielen Gedankenexperimenten und Beispielen aus den Bereichen Literatur, Film, Fernsehen, Physik und natürlich der Philosophie untermauert. Bei der Fülle, Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit dieser Erklärungen, die stark für den Neuen Realismus sprechen, wird der eine oder andere Leser wohl die wichtigste Charakteristik eines jeden Philosophen leicht außer Acht lassen, die Skepsis. Markus Gabriel schafft es mit seiner Schreib- und Darstellungsweise leicht uns in seinem Bahn zu ziehen.
Was das Buch zu einem besonderem Leseerlebnis für viele Leser machen wird, ist, dass Gabriel seine Beispiele aus dem Alltagsleben nimmt, und da dürfen natürlich auch die allseits beliebten amerikanischen Sitcoms und viele Filme nicht fehlen. Von The Muppet Show und How I met your mother über Inception kommen Leser leicht zu den großen Denkern wie Heidegger, Wittgenstein und Kierkegaard. Gabriel modernisiert frühere philosophische Gedanken und passt sie optimal dem heutigen Publikum an. Um Derrida zu erklären, bringt er z.B. Nashörner ins Spiel und die Existenz von rosa Elefanten auf der Rückseite des Mondes wird an anderer Stelle doch nicht völlig ausgeschlossen.
Warum es die Welt nicht gibt ist jedem zu empfehlen, der ein Interesse hat in den philosophischen Diskurs der letzten Jahre einfach und schnell einzusteigen oder sich auf den neuesten Stand zu bringen, ohne sich dabei durch sprachlich aufwändige und komplizierte Texte durchkämpfen zu müssen. Mit dem jungen Philosophen und seiner Arbeit sollte man sich auch schon jetzt bekannt machen, da wir sicherlich noch viel Gutes von und über ihn hören werden. Der Neue Realismus wird vielleicht in nächster Zeit, und dank diesem Buch, ein ernstzunehmender Trend in der Philosophie unserer Zeit werden.
Markus Gabriel: Warum es die Welt nicht gibt
Ullstein Verlag
272 Seiten