Richter inszeniert Jelineks neues Stück Asche als Arbeit am Mythos

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© Mau­rice Korbel

Elfrie­de Jeli­nek hat ein neu­es Stück geschrie­ben. Asche ist der letz­te Part der Tri­lo­gie Son­ne / Luft und fei­er­te am 26. April sei­ne Urauf­füh­rung an den Münch­ner Kam­mer­spie­len. Falk Rich­ter führ­te Regie, für die Büh­ne zeich­net Kat­rin Hoff­mann ver­ant­wort­lich. Bereits im Vor­feld wur­de die Urauf­füh­rung mit gro­ßer Auf­merk­sam­keit bedacht. Zu Recht: immer­hin han­delt es sich bei Elfrie­de Jeli­nek um die Gran­de Dame des Thea­ters. Dem­entspre­chend hoch war der Erwar­tungs­druck und die Span­nung war dem Publi­kum förm­lich anzu­mer­ken. Der Thea­ter­saal war bis auf den letz­ten Platz gefüllt, vie­le gin­gen ohne Kar­ten aus.

Um es gleich vor­weg­zu­neh­men, ja, die Insze­nie­rung hat schein­bar ein paar klei­ne Schwä­chen, etwa dann, wenn zuviel aus­er­zählt wird, wenn bereits Bekann­tes noch ein­mal gezeigt wird, wie etwa der vie­le Plas­tik­müll auf der Büh­ne. Da wünscht man sich etwas mehr Mut zur Reduk­ti­on, um den Asso­zia­ti­ons­raum wei­ter öff­nen zu kön­nen. Aber ins­ge­samt ist es eine über­aus anre­gen­de, span­nungs- und auch tem­po­rei­che Pro­duk­ti­on, die die gan­ze Kla­via­tur der Emo­tio­nen aus­spielt, die es schafft, gleich­zei­tig tief zu berüh­ren und den­noch immer auch die Meta­ebe­ne der thea­tra­len und phi­lo­so­phi­schen Refle­xi­on mit­lau­fen zu las­sen. Nicht zuletzt auf­grund der groß­ar­ti­gen Leis­tung des gesam­ten Ensembles.

Im Ein­zel­nen: Der Abend erzählt von der Hybris des Men­schen, über die Natur erha­ben sein zu wol­len und ver­knüpft dabei die Trau­er und den sehr per­sön­li­chen Abschied von einem gelieb­ten Men­schen mit der Erkennt­nis, dass wir alle nur „böse“ Gäs­te auf die­ser Erde sind. Das Gefühl der Ein­sam­keit und der Zer­fall des eige­nen Kör­pers wird eng­ge­führt mit dem Ende der mensch­li­chen Zivi­li­sa­ti­on. Was bleibt, wenn die Göt­ter uns nicht mehr erhö­ren oder sich gar als Opi­um erwei­sen? Der Abend erzählt außer­dem von dem Ver­fal­len-Sein an den Logos, sogar so sehr, dass es mög­lich scheint, mit­tels KI eine Par­al­lel­erde zu erschaf­fen mit voll­kom­me­nen, nicht altern­den Kör­pern und einer per­fek­ten natur­frei­en Um-Welt. Aber er erzählt noch mehr von der Wider­stands­kraft des Mythos, der hier nicht dem Logos gegen­über­ge­stellt wird, son­dern der sich als hoch­ka­rä­ti­ge Denk­form des­sel­ben erweist. Daher wun­dert es auch nicht, dass sich Jelin­eks Text und somit auch der Abend an den Schöp­fungs­my­then abar­bei­tet, wir ver­fol­gen (meist männ­lich codier­te) inter­tex­tu­el­le und inter­me­dia­le Ein­schrei­be­ver­su­che, die von der Anti­ke bis hin­ein in die Gegen­wart rei­chen und die Fra­ge nach dem Ur-Mythos stel­len. Was ist der Mensch, woher kommt er, wohin geht er? Doch zugleich wird die­se Fra­ge ad absur­dum geführt, wenn plötz­lich und fast zufäl­lig die Welt in Form eines Wür­fels auf den Boden knallt, gleich un coup de dés. Kön­nen wir also den Anfang belie­big wie­der­ho­len und dre­hen wir uns im Kreis, wie Katha­ri­na Bach es uns mit ihrer unfass­ba­ren kör­per­li­chen Prä­senz zeigt, indem sie den Text­raum in einen zykli­schen Büh­nen­raum überführt?

Rich­ter insze­niert Asche als Arbeit am Mythos, die aktu­el­ler nicht sein könn­te. Die Figu­ren sind dem Abso­lu­tis­mus der Wirk­lich­keit aus­ge­setzt und kämp­fen je auf ihre eige­ne Wei­se gegen ihn an. Über­bor­den­de Bil­der, ein bis zur Schmerz­gren­ze gefüll­ter und zuge­müll­ter Büh­nen­raum ist zu ver­mes­sen, der vor die­sem Hin­ter­grund auch sei­ne eige­ne Logik ent­fal­tet. Immer wie­der wird die­ser uner­träg­li­chen Fül­le eine Stil­le gegen­über­ge­stellt, die zutiefst rührt, indem sie einen roman­ti­schen Sehn­suchts­ort auf­macht. Nicht umsonst fun­gie­ren Cas­par David Fried­rich, Gus­tav Mahler oder auch der Lin­den­baum als zen­tra­le Flucht­punk­te der Insze­nie­rung. In die­sen Mög­lich­keits­räu­men, die sich auch in Momen­ten der Aus­las­sung zei­gen, etwa wenn die Erzäh­le­rin (Ulri­ke Wil­len­ba­cher, die der Figur eine wun­der­ba­re Zer­brech­lich­keit ver­leiht) minu­ten­lang schweigt oder wenn Tho­mas Schmau­ser und Johan­na Kapp­auf sich im gemein­sa­men Sin­gen begeg­nen, beginnt die Arbeit am Mythos, die sich immer auf der Schwel­le zwi­schen Ter­ror und Spiel bewegt. Gera­de die Hoff­nung auf jene Mög­lich­keits­räu­me setzt dem Abso­lu­tis­mus der Wirk­lich­keit eine Macht ent­ge­gen, der wir uns nicht ent­zie­hen kön­nen. Nicht umsonst ist es ein Song von Pat­ti Smith, mit dem uns Katha­ri­na Bach zum Ende des Stücks zu Trä­nen rührt.

© Maurice Korbel
© Mau­rice Korbel

Und viel­leicht geht es gera­de dar­um, dem Ter­ror der über­bor­de­nen Bil­der, der Atem­lo­sig­keit und dem Zuge­schüt­tet­sein, ein zutiefst poe­ti­sches Spiel gegen­über­zu­stel­len – der Hybris des Men­schen nicht nur eine tie­fe Demut, son­dern auch die Mög­lich­keit von Kunst. Es ist eine Grat­wan­de­rung, die Rich­ter anhand der Text­flä­che von Jeli­nek vor­nimmt. Dass sie gelingt, ist nicht zuletzt dem aus­ge­zeich­ne­ten Ensem­ble zu ver­dan­ken. Sie alle ver­lei­hen mit ihrer beein­dru­cken­den Prä­senz dem Jelin­ek­schen Text­uni­ver­sum eine phy­si­sche Kraft und fin­den einen je eige­nen Zugang. Man kann erle­ben, wie der Text­kör­per Jelin­eks bis hin­ein in die Spra­che und die Atem­pau­sen der Spieler*innen Gestalt annimmt, etwa wenn Tho­mas Schmau­ser und Ber­na­do Ari­as Por­ras ihre Kör­per­lich­keit ganz dem Sprach­rhyth­mus des Tex­tes hin­ge­ben. Man sieht der wun­der­ba­ren Johan­na Kapp­auf dabei zu, wie sie auf­grund ihrer natür­li­chen Prä­senz den schein­bar sper­ri­gen Text von Jeli­nek eine Leich­tig­keit und Selbst­ver­ständ­lich­keit zur Sei­te stellt. Und dass der Mythos, wie uns Ovid gezeigt hat, auch Meta­mor­pho­se bedeu­tet, zeigt uns Svet­la­na Bet­le­so­va, die immer wie­der mit ihrer unfass­ba­ren Wand­lungs­fä­hig­keit beeindruckt.

Man wird nicht fer­tig mit dem Abend, es gibt viel zu hören, zu sehen, zu erle­ben und nach­zu­den­ken, über gro­ße The­men, die Fra­ge der Schuld, den Tod, das Leben, die eige­ne Wan­der­schaft… Was will Thea­ter mehr? Unse­re Emp­feh­lung, unbe­dingt anschau­en! Wir gehen wie­der hin.