© Jan Pieter Fuhr
Das Brechtfestival endet mit einer Gedenkveranstaltung
von Nina Gretschmann
Zum dritten Mal jährte sich am 19.02.2023 der rechtsterroristische Anschlag in Hanau, bei welchem neun Menschen ums Leben kamen. Um den Opfern zu gedenken und um ein Zeichen gegen rassistische Hetze und Gewalt zu setzen, wurde am letzten Tag des Brechtfestivals, welcher direkt auf den 19. Februar fiel, auf sehr aufwühlende und intensive Weise an die Verstorbenen erinnert.
Ein Memorial wie dieses war nicht nur dem neuen Leiter des Brechtfestivals Julian Warner wichtig, sondern auch den Bürger:innen, welche sich am vergangenen Sonntag um 15 Uhr in der Brechtbühne einfanden. Trotz der unter dem Hashtag #HAUNAUISTÜBERALL zeitgleich stattfindenden Demonstration am Augsburger Königsplatz war die Veranstaltung gut besucht. Neben Julian Warner, der gleich zu Beginn ein paar Worte sagte, waren auch Düzgün Polat von ZAM e.V. und die Schriftstellerin Asal Dardan anwesend. Letztere führte durch das vielseitige Programm.
Rekonstruktion
Zunächst wurden zwei Filme der Rechercheagentur Forensic Architecture und ihrer Berliner Schwesteragentur Forensic gezeigt. In diesen filmischen Dokumentationen, welche von den Hinterbliebenen der Opfer in Auftrag gegeben wurden, werden der Tathergang des Anschlags und der anschließende Einsatz der polizeilichen Behörden rekonstruiert. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind erschütternd. Der für Razzien verschlossene Notausgang der Arena-Bar nahm fünf Opfern die Fluchtmöglichkeit und damit die Chance, zu überleben. Das veraltete Notrufsystem erschwerte es, telefonisch um Hilfe zu rufen, was ein Opfer noch versucht hatte. Der misslungene Einsatz von Zivilpolizei und SEK bei der Umstellung des Hauses führte dazu, dass der Täter noch mehrere Stunden in der Wohnung verbringen und in dieser Zeit seiner Mutter und sich selbst das Leben nehmen konnte.
Die rekonstruierenden Untersuchungen von Forensic Architecture und Forensic basieren unter anderem auf CCTV-Aufnahmen des Angriffs aus der Arena-Bar und dem danebenliegenden Kiosk (in welchem drei Menschen zu Tode kamen) sowie auf 3D-Modellierungen, Audioanalysen, Videoaufnahmen eines Polizeihubschraubers, welcher in jener Nacht eingesetzt wurde und Dokumenten aus den Polizeiakten. Ausführliche Untersuchungsinformationen zu dem rassistischen Anschlag in Hanau werden auf der Homepage von Forensic Architecture unter https://forensic-architecture.org/investigation/hanau-the-arena-bar und https://forensic-architecture.org/investigation/racist-terror-attack-in-hanau-the-police-operation bereitgestellt.
„This makes me want to…”
Im Anschluss daran wurde der 2019 entstandene Super-8-Kurzfilm „This Makes Me Want to Predict the Past“ (Dt. „Das bringt mich dazu, die Vergangenheit voraussagen zu wollen“) von Cana Bilir-Meier gezeigt. Der Film, welcher sich vor allem für Antirassismus stark macht, widmet sich darüber hinaus dem rechtsterroristischen Anschlag auf das Münchner Olympia-Einkaufszentrum am 22.07.2016. Auch hier kamen neun Menschen ums Leben. Der 16minütige Schwarz-Weiß-Film folgt zwei weiblichen Jugendlichen durch das OEZ und wird dabei von einem aus dem Off gesprochenen Gedicht begleitet. Die einzelnen Zeilen beginnen jeweils mit „This makes me want to“ und enden mit absurden Widersprüchen, wie beispielsweise „This makes me want to give birth to my mum” oder „This makes me want to remember the future”. Entnommen sind diese aus den Kommentaren auf Youtube zu Childish Gambinos Song Redbone. Diese widersprüchlichen Aussagen handeln von Ausweglosigkeit sowie Sehnsüchten, verdeutlichen jedoch auch, dass die Vergangenheit nicht abgeschlossen ist. Durch Erinnerung und Rückbezug existiert sie weiter.
Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit, Konsequenz
Wie wichtig es ist, an rassistische Anschläge zu erinnern, wird auch in der kraftvollen Rede von Asal Dardan thematisiert. Die Schriftstellerin spricht sich gegen radikale Gewalt und rassistische Strukturen aus und plädiert dafür, dagegen etwas zu unternehmen. Rechtsradikale Verbrechen müssen aufgeklärt werden, diese dürfen sich nicht wiederholen. Es schwingt viel Wut mit, dennoch bleibt Dardan in ihrer Rede sachlich. Argumentativ verweist sie auf die Bedeutung von Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenz. Ihre Anwesenheit als Moderatorin sowie Rednerin ist definitiv ein großer Mehrwert für das Memorial.
„Unser Gedächtnis bewahrt eure Namen.“
Nach einer 15minütigen Pause ging es mit der Lecture Performance „Sag mir wo Deine Arme liegen und wann“ des Schriftstellers Senthuran Varatharajah weiter. Statt einer Live-Darbietung wurde diese als Aufzeichnung per Video eingespielt, da Varatharajah kurzfristig verhindert war. In dem fast eineinhalb stündigen Requiem erzählt der Autor von den neun Opfern, ihren Leben, aus welchen sie gerissen wurden, ihren Träumen, welche sich nicht erfüllen werden und ihren trauernden Familien und Angehörigen. Dieses intensive Erinnern, dieses unerträgliche Leid, das dadurch verdeutlicht wird, ging vielen der Anwesenden unter die Haut. Auch den Veranstalter:innen fiel es nach diesem Beitrag sichtlich schwer, mit dem abschließenden gemeinsamen Gespräch weiterzumachen.
„Hanau ist überall.“
Der letzte Programmpunkt des Tages diente dem Austausch von Publikum und Veranstalter:innen. Die Anwesenden konnten Fragen an Asal Dardan, Düzgün Polat und Julian Warner stellen oder Eindrücke sowie Gedanken mit den anderen Anwesenden teilen. Das etwa 30minütige abschließende Gespräch verdeutlichte nochmals, dass Hanau überall ist. Ziel der Veranstaltung war es nicht nur, auf ein Attentat hinzuweisen, sondern dieses als Anlass zu betrachten, sich gegen Rassismus stark zu machen, den Schmerz im Raum zu öffnen und zurückzulassen und stattdessen etwas anderes mitzunehmen. Für die Veranstalter:innen ist der anti-faschistische Kampf die „einzige Wahl.“ Dieser Kampf kann nicht nur von den Betroffenen geführt werden, es braucht die Unterstützung der weißen Mehrheitsgesellschaft. Nur gemeinsam im Kollektiv lässt sich gegen faschistische Gewalt und strukturellen Rassismus vorgehen.
Nach knapp viereinhalb Stunden endete die Gedenkveranstaltung. Es war ein sehr langer, emotionaler und fordernder Nachmittag.
Ein großes Dankeschön an die Veranstalter:innen dafür, dass Sie dieses Memorial in das Programm des Brechtfestivals aufgenommen haben! Solange es rassistische Gewalt und Anfeindungen gibt, sind Veranstaltungen wie diese unglaublich wichtig.