Collagierter Blaudruck: © Miriam Malik
Von Diana Schneider und Gabriel Gavran
Diana Schneider (20) studiert Germanistik und möchte sich gerne mit vielen Katzen zurückziehen und sich ihrer unendlichen Leseliste widmen.
Als ich vor zwei Jahren im Oktober nach Augsburg zog, war alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Trotz aller Hoffnungen wurde es ein letztes Corona-Semester. Und so saß ich ein halbes Jahr lang alleine in meiner 17qm Studentenwohnung vor meinen Onlinekursen und kannte in der gesamten Stadt nur eine Freundin. Das war, als ich das erste Mal Spinner von Benedict Wells gelesen hatte.
Spinner
Erst im vorhergehenden Sommer hatte ich sein bekanntestes Werk Vom Ende der Einsamkeit geschenkt bekommen und war augenblicklich begeistert. Zusammen mit der Kurzgeschichtensammlung Die Wahrheit über das Lügengehören die drei Bücher zu meinen absoluten Favoriten.
Jedenfalls brach nun der Winter an und ich fühlte mich ein wenig verloren. Allein in einer neuen Stadt ohne Anschluss oder jegliche Ahnung, was so richtig passierte. Bis ich Spinner in die Hand nahm und mich so richtig verstanden fühlte. Das Buch dreht sich um den 20-jährigen Jesper Lier, welcher nach seinem Abitur nach Berlin gezogen ist, um sein Leben radikal zu verändern. Nur ist dies irgendwie nicht so gelungen, wie er es sich vorgestellt hatte. Eigentlich muss er zurück in seine Heimatstadt, aber davor drückt er sich gewaltig. Stattdessen erlebt er eine ereignisreiche und teilweise skurrile Woche, in welcher er ein wenig seine Melancholie und Apathie beiseitelegen kann und am Ende sogar Hoffnung schöpfen und Orientierung finden kann.
Als ich mich dieses Jahr wieder ein bisschen verloren fühlte und erneut anfing das Buch zu lesen, wusste ich sofort wieder, wieso es mir damals so sehr gefallen hat. Manchmal fühlen wir uns doch alle ein wenig verloren im Leben, während bei allen anderen alles zu laufen scheint. Was wir vergessen ist, dass dies eben nur Schein ist. Beim Lesen hatte ich wieder das Gefühl, an die Hand genommen zu werden. Es gibt Momente, da braucht man einfach mal ein: „Hey, du bist nicht allein. Ist vielleicht grad alles bisschen schwierig und scheiße, aber alles wird wieder in Ordnung!“ Und genau das gelingt Spinner meiner Meinung nach unglaublich gut, weswegen es einen Platz bei meinen Jahresfavoriten verdient.
Hozier – Unreal Unearth
Musik spielt in meinem Leben eine wichtige Rolle. Es gibt kaum Momente, in denen ich keine Musik höre. Unter zahlreichen Neuentdeckungen dieses Jahr stach in meinem Spotify Wrapped besonders eine hervor: das neu erschienene Album von Hozier. Ehrlich gesagt war ich bis zu diesem Jahr keine aktive Hörerin des Musikers. Bis auf eine Handvoll Lieder war mir seine Musik nicht allzu bekannt. Allerdings bekam ich zufällig mit, dass er ein Album für dieses Jahr angekündigt hatte. Die erste Single kam in der Woche meines Geburtstages raus und für mich war das Zeichen genug. Bevor das Album Ende August erschien, kannte ich die gesamte Diskographie und freute mich mit jedem Single-Release immer mehr.
Unreal Unearth ist höchst durchdacht. Es ist nämlich nach Dantes Konzept der neun Kreise der Hölle ausgerichtet. Die Lieder verkörpern thematisch jeweils eine Sünde, also eine Sphäre der Hölle. Hört man das Album in der festgelegten Liederreihenfolge, steigt man mit dem Narrativ in die Hölle hinab (und dann aber auch wieder mit dem letzten Lied heraus). Das Album ist vollbepackt mit poetischen Lyrics, Themen wie Reue und Leidenschaft, griechischen Mythen oder den einfachen und ehrlichen Momenten des Menschseins. Folkrockmusik mag zwar nicht jedermanns Geschmack treffen, aber wer sich auf die Texte und das Storytelling einlässt, dem ist ein wahrhaftig magisches, musikalisches Erlebnis garantiert.
Gabriel Gavran (29) ist Germanistikstudent und möchte nächstes Jahr mit Christian Kracht auf Sylt Fischbrötchen essen.
Forellenfischen in Amerika
Schon gewusst? Forellenfischen in Amerika ist gerade mega der Hit! Richard Brautigans Buch Forellenfischen in Amerika bleibt mein absolutes Highlight des Jahres. Dieses Werk hat gefühlt alles: Eine geballte Ladung an Witz, Fantastik und Coolness.
Brautigans Buch wurde 1967 in der Hippie-Hochphase veröffentlicht und schnell zu einem Erfolg in den USA. Was dieses Buch besonders macht, ist nicht nur der eigene, lakonische Schreibstil, sondern auch der abgedrehte Sinn für Bildlichkeit. Eine Handlung gibt es in diesem Werk nicht. Die Phrase „Forellenfischen in Amerika“ fungiert nicht nur als Überschrift, sondern als das Hauptmotiv des Werkes, welches von Kapitel zu Kapitel variiert wird. In einem Kapitel entpuppt sich Forellenfischen in Amerika als eine Personifikation, die mit einer Figur namens Maria Kuchenrezepte durchgeht. An einer anderen Stelle wird es als Sinnbild des American Dreams verwendet und in einem nächsten Kapitel wird wortwörtlich vom Forellenfischen in verschiedenen Creeks erzählt. Brautigan hat etwas kreiert, das Laune beim Lesen macht. Während des Lesens, wird einem bewusst, dass man irgendwie zufrieden lächelt und selten kann ein Autor so etwas evozieren. Forellenfischen in Amerika gilt für mich als Must-Read! Besonders — Vorsicht, Spoiler! -, weil es mit dem Wort Mayonnaise endet.
JPEGMafia & Danny Brown – Scaring the hoes
Anfang des Jahres droppten zwei meiner liebsten Hip-Hop-Künstler ein Collab-Album und noch bevor ich mir einen Song angehört hatte, wusste ich, dass das ein absoluter Banger wird. Als dann das Album lief, waren diese Worte untertrieben: Das Ding hier ist ein totaler Abriss!
Das Projekt der amerikanischen Rapper JPEGMafia und Danny Brown wurde 2022 schon angeteast und März letzten Jahres released. Die Fangemeinde beider Künstler war bereits euphorisch, da zwei der größten Experimental Hip Hop-Künstler sich für ein Album zusammensetzten. Das Endprodukt ist mehr als nur gelungen. Die Beats auf dieser CD sind harte, ungewöhnliche Instrumentals, die unglaublich catchy und faszinierend sind. Gerade der Song Steppa Pig hat einen sofort an der Angel. Die Lyrics sind slick und durchdacht. Schon an den Titeln bemerkt man die modernen Pop Culture- und Internet-Referenzen, die das Album wie einen Spiegel unseres jetzigen Zeitgeistes darstellt. Es wechselt zwischen witzigen und grotesken Passagen, die eine Chemie zwischen den beiden Künstlern hervorbringen, welche ich zuletzt bei Kanye und Kid Cudi gesehen habe. Kein Song wirkt forciert oder unfertig. Die Produktion auf dem Ding ist gelungen, der Sound aus den Boxen purer Genuss. Mein Album des Jahres. Spotify stimmt mir zu.
Vagabond
In einem Interview letzten Jahres äußerte sich der Mangaka Takehiko Inoue über sein nie beendetes Werk Vagabond und meinte, dass er es wieder aufgreifen und zu Ende bringen will. Über diese Neuigkeiten platzte ich vor Freude, weil der Manga seit 2015 auf Hiatus ist und auf ein würdiges Ende wartet. Aus lauter Vorfreude grub ich wieder die Bände aus und las dieses unbeendete Meisterwerk erneut.
Der Manga Vagabond basiert auf den historischen Roman Musashi von Eiji Yoshikawa, der die legendären Folkloren über den Samurai Miyamoto Musashi literarisiert hatte. Inoue greift die groben Züge des Romans auf und konstruiert seinen eigenen Spin von der sagenumwobenen Geschichte des Samurais. Der Manga erzählt die Geschichte des Samurai Miyamoto Musashi, der eigentlich Takezo Shinmen hieß, bevor er seinen Namen änderte. Er greift die Legenden der jeweiligen Duelle auf einer realistischen Ebene auf und befasst sich weiter mit der Philosophie des Samurais, der auch für sein Buch der fünf Ringe bekannt war. Man hat hier keinen klischeehaften Actionmanga, sondern ein historisiertes Werk, welches mit Dialogen und Artwork eine Lebensgeschichte wundervoll in Szenen setzt. Besonders die Tuscheführung ist fantastisch. Jedes Panel wirkt wie ein Gemälde. Es gibt Berichte, wie Inoue wegen seines Werkes an Burnout litt. Wer die Hingabe und Perfektion seiner Illustrationen sieht, kann verstehen, wie viel Mühe und Herz in diesem Manga stecken. Für mich bleibt Vagabond weiterhin etwas ganz Besonderes und ein Highlight im letzten Jahr.
Der collagierte Blaudruck stammt von Miriam Sewera Malik
Miriam Sewera Malik studiert Erziehungswissenschaft M. A. an der Universität Augsburg. Ihre künstlerische Inspiration schöpft sie aus persönlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Problemen. Die Kunst hilft ihr bei der Verarbeitung und Reflexion dieser Ereignisse. Sie experimentiert mit unterschiedlichen Medien und Techniken, wie z. B. Acrylmalerei, Zeichnungen, digitale Kunst, Fotografie, Töpferei und Cyanotypie. Nach ihrem Studium möchte sie eine kunsttherapeutische Ausbildung absolvieren, um anderen dabei zu helfen, ihre Erfahrungen durch Kunst auszudrücken und zu verarbeiten.