von Anja Zeltner
Sibylle Lewitscharoffs hochgelobter Roman „Blumenberg“ nimmt mit Hilfe eines Löwen eine fast kriminalistische Spurensuche nach dem Weltzusammenhang auf. Das Buch schaffte es damit zu Recht auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2011.
Eines Abends befindet sich der Philosoph Blumenberg nicht mehr allein in seinem Arbeitszimmer – ein Löwe hat sich zu ihm gesellt, weitestgehend nur für ihn sichtbar, und folgt ihm ab diesem Moment bei seinen alltäglichen Beschäftigungen. Beim Schreiben, in den Vorlesungen, auf Spaziergängen – selbst einen Stau verbringt er zusammengekauert auf der Autorückbank, während der Philosoph, der zunächst an seinem Verstand zweifelt, sich allmählich an das Tier gewöhnt und gar Inspiration aus ihm schöpft. Obwohl außer ihm nur eine alte Nonne, die ihm zufällig begegnet, den Löwen wahrnimmt, ist es dessen Aura, die auch die Studenten Blumenbergs in seinen Bann zieht. Ihre Lebensgeschichten und vor allem das zumeist viel zu frühe Ende ihrer Leben werden in diesem Roman erzählt, dessen Schluss – so viel sei verraten – die Protagonisten und ein sprechendes Rebhuhn in einer platonschen Höhle vereint.
Kriminologische Züge nimmt der Roman dann an, wenn es um dieses eine Geheimnis geht: Warum ein Löwe? Warum Blumenberg? „Der Löwe ist zu mir gekommen, weil ich der letzte Philosoph bin, der ihn zu würdigen versteht“, erklärt sich der Philosoph das Erscheinen des Löwens selbst gleich im ersten Kapitel. Doch was bewirkt dieser Löwe in seinem Leben, in dem Leben seiner Studenten? Klar ist: „Der Löwe fungierte als Zuversichtsgenerator, der die Härchen des Protests, die sich in Blumenbergs Denken immer wieder aufstellten, ein wenig glattbürstete.“ Der Löwe, eine zentrale Metapher in den Schriften des Philosophen Hans Blumenberg, scheint im Roman „Blumenberg“ eine scheinbar physische Präsenz zu erlangen. Er ist allerdings auch eine Metapher, die niemals ganz entschlüsselt werden kann. Und auch in diesem Roman kann nichts wirklich aufgelöst werden: Es wird beispielsweise nicht erklärt, warum Blumenbergs Student Richard auf seiner Brasilienreise zwar keinen Löwen, aber immerhin einen ebenso imaginierten Panther findet, dann die Liebe, dann die philosophische Erkenntnis und schließlich den grausamen Tod.
Überhaupt, der Tod, wieder so eine unerklärliche, scheinbar sinnlose Sache. Gestorben wird in dem Roman viel und in kurzen Kapiteln schnell aufeinanderfolgend. Die Worte, die die Autorin dafür findet, überraschen durch eine Explizitheit, die man so von zeitgenössischer Belletristik nicht kennt – da ist dann durchaus die Rede von „blutigen Kleidungsresten, Fleisch, zermalmten Knochen“, die Rettungssanitäter nach dem Selbstmord einer der Figuren vom Asphalt kratzen mussten. Welchen Trost findet der Mensch angesichts einer solchen Häufung unglücklicher Tode? „Trostbedürftig“ sei dieser, wieder so ein Blumenberg-Begriff, und vielleicht ist es ja auch tatsächlich der Löwe, der Panther oder auch das Rebhuhn zum Ende des Buches – Metaphern –, die diesen Trost geben können, da sie Distanz zwischen dem Menschen und der Welt schaffen. Es ist also nicht nur so, dass der Löwe den Menschen konsequent verfolgt: Vielleicht muss dieser ihm ebenso folgen, um zur Erkenntnis zu gelangen. Diese Möglichkeit sieht jedenfalls Blumenberg im Erscheinen des Löwen, da er ohnehin „sehnsüchtig darauf wartete, daß einer käme und mit einem Tatzenschlag den Weltzusammenhang wiederherstellte“. Und auch dieser Wunsch wird dem Philosophen am Ende des Buches buchstäblich erfüllt.
Ein Roman, der Rätsel aufgibt, der keine einfachen Lösungen verspricht. Und vielleicht gerade deshalb ein Roman, der die Gedanken noch nach dem Lesen zu fesseln vermag, der wortspielerisch, grausam, witzig, traurig und intelligent ist. Der Weltzusammenhang ist vielleicht nicht so einfach zu finden – aber die Suche nach ihm gestaltet sich zumindest in diesem Buch äußerst unterhaltsam.
Sibylle Lewitscharoff: Blumenberg
Suhrkamp, 216 Seiten